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Welche Kultur wollen wir zu welchem Preis?

Der Schriftsteller Ingo Schulze hat bei der Verleihung des Thüringer Literaturpreises im November vergangenen Jahres von der "Refeudalisierung der Kultur" gesprochen, und damit eine ergiebige Debatte angeregt. Am Montag wurde das Thema in einer Diskussion in Weimar noch mal aufgegriffen, unter dem Titel "Welche Kultur wollen wir zu welchem Preis?" ging es um Kulturförderung in Thüringen. Ingo Schulze war natürlich auch dabei.

Von Ullrich Sondermann-Becker | 15.01.2008
    "Wo Thüringen drauf steht, da soll auch Thüringen drin sein" - das hatte Ingo Schulze gefordert, als er im November letzten Jahres den Thüringer Literaturpreis unter Bauchschmerzen entgegennahm. Bekannterweise stammte der Preis (oder vielmehr die 6.000 Euro Preisgeld) trotz des offiziell klingenden Namens nicht vom Freistaat Thüringen, sondern vom Energie-Versorger Eon.

    Auf dem mit dem Eon-Logo versehenden Podium stehend, umgeben von lauter Eon-Schildern, sei er sich für vorkommen wie eine Art wandelnde Litfasssäule, wiederholt der Schriftsteller seine bekannte Kritik - und bekommt sofort Widerspruch von der Thüringer Landesregierung - auf dem Podium in Weimar vertreten von Kultur-Staatssekretär Walter Bauer-Wabnegg: Das sei kein Unfall, das private Sponsoring, sondern vielmehr hoch willkommen.

    Menschen mit Geld, die Geld für Kultur stiften, muss man im jungen deutschen Bundesland Thüringen mit der Lupe suchen. Einer dieser Wenigen ist Julius Michael Curtius.

    Der bekannte Herz-Spezialist hat zwei Anmerkungen. Erstens: Ingo Schulze solle sich mal nicht kleiner machen als er ist. Den Preis habe er für seine herausragenden literarischen Leistungen erhalten - und nicht etwa für schriftstellerisch verbrämte Lobhudeleien auf die deutsche Strom-Industrie.

    "Wenn das Gremium, dass über die Vergabe es Preises entscheidet, ein fachkundiges ist - das Sie akzeptieren können - dann ist es im Prinzip ja egal, wer dann das Geld sponsort."

    Man müsse eben trennen zwischen Mäzenatentum (das vom Wesen her uneigennützig agiert, keine Gegenleistung für eine Geldgabe fordert) und privatem Sponsorentum (das der Werbung dient). Bei der Preisvergabe am 4. November 2007 sei diese Trennung nicht deutlich genug gemacht worden, sagt Curtius, das sei fatal gewesen.

    "Weil es durchaus sein könnte, dass in diesem Fall die Firma eine Meinung kundgetan hat, die Firma mit einem nicht-fachkundigen, gering besetzten Gremium einen Preis vergeben hat - dass das nicht so war wissen wir - und dann sähe das ganz genau so aus. Das heißt, es wird auch in Preisvergaben, in der Öffentlichkeit, zwischen einem uneigennützigen Mäzenatentum und einem nur für die Werbung ausgerichtetem, privaten Sponsoring, nicht unterschieden."

    Und die Diskussion, die Schulze mit seiner Dankesrede losgetreten habe, die berge eine große Gefahr: Dass uneigennützgies Mäzenatentum, geboren aus bürgerschaftlichem Engagement und gespeist aus Interesse an einer möglichst vielfältigen Kulturlandschaft, einen "schlechten Geruch" bekomme.

    Was wäre denn die Alternative, fragen der private Stifter Curtius und der Thüringer Staatssekretär Bauer-Wabnegg: Etwa ein Staat, der auch in Kultur- und Stilfragen allmächtig entscheidet?

    Ingo Schulze sieht das anders:

    "Die Schwierigkeit ist es, dass es gar nicht darum geht, welche Kultur wollen wir haben, sondern dass es darum geht, welche Gesellschaft wollen wir haben. Und da ist es für mich doch die Ökonomisierung aller Lebensbereiche, die Privatisierung aller Lebensbereiche, die letztlich die Bürgerinnen und Bürger in die Situation versetzt, wo dann der Geldbeutel entscheidet, auf welche Schule geht das Kind, welche Gesundheit kann ich mir leisten. Da ist die Kultur nur ein Teil davon. Wir könnten auch über die Deutsche Bahn reden oder so."

    Dass das Land Thüringen kein Geld für den Thüringer Literaturpreis habe, sei letztlich ein Verteilungsproblem, sagt Schulze und empfiehlt höhere Steuern für den besser verdienenden Teil der Bevölkerung.

    Stirnrunzeln bei den Übrigen auf dem Podium.

    Christoph Schmitz-Schorlemann, der Vorsitzende der Thüringer Literarischen Gesellschaft, wendet ein, das vertrage sich nicht mit seiner Vorstellung einer breit gefächerten Kulturlandschaft. Er wünsche sich eine "einmalige Vielfalt" statt eine, so wörtlich, "vielmalige Einfalt":

    "Es muss den Menschen durch die Kultur eine Chance gegeben werden, den sekundären Analphabetismus der öffentlichen Debatten, der Werbung, auch vieler politischer Diskurse, die so verkürzt geführt werden dass sie nur noch dumm sind, das zu durchschauen, zu durchbrechen. Den Menschen eben aus dem ästhetischen Reiz, dem intellektuellen Reiz, in die Lage versetzen, selbstbestimmt zu leben."