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Wenn der Postmann nicht mehr klingelt

Gyla Molnar versorgt mit seiner fahrenden Poststation die 380-Seelen-GemeindeFedémes in Ungarn. Das Postamt in dem kleinen Dorf wurde schon vor einigen Jahren geschlossen. Nun müssen die Dorfbewohner - überwiegend ältere Frauen - ein kleines Schild ans Gartentor hängen, wenn sie einen Brief verschicken, oder die Stromrechnung bezahlen wollen. Dann hält das grüne Postauto bei ihnen, stőßt per Auto-Hupe eine wunderschöne Fanfare aus und der Briefträger erledigt alles direkt an der Haustür. Auch die Rente kommt in bar per Post. Die wenigsten Dorfbewohner haben ein Auto, um zur Bank in die entfernte Stadt zu fahren. So wächst die Ungewissheit, was mit der Briefzustellung passiert, wenn die staatliche Post in Ungarn demnächst privatisiert wird.

Mit Reportagen aus Großbritannien, Italien, den Niederlanden, der Türkei und aus Ungarn |
    Gustl Schenk aus 84478 Waldkraiburg und Elke Simonis aus 56862 Pünderich vertrauen der Deutschen Post. In großflächigen Zeitungsanzeigen stehen der Bürgermeister und die Winzerin aus der deutschen Provinz mit ihrer Postleitzahl für alles, was gut ist am Status Quo: 80 tausend Postboten, Zustellung bis in den letzten Winkel der Republik, Verlässlichkeit und Service. Was davon bleibt, wenn das deutsche Briefmonopol zum Jahresende fällt und die private Konkurrenz freie Bahn bekommt, ist völlig offen. Nur dass sich etwas ändert, davon sind Kunden wie Mitarbeiter überzeugt: 10 tausende neue Briefkästen, veränderte Preise, und Postboten, die künftig kein oder gleich drei Mal am Tag klingeln werden. Liberalisierung, das klingt für viele aber auch nach Lohndumping und Wettbewerbsdruck, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Überall auf dem Kontinent straucheln die Monopolisten.

    Großbritannien machte den Anfang: 2005 schon haben die Briten ihr Postmonopol aufgehoben. Damit traf es ausgerechnet ein Aushängeschild britischer Identität, die Royal Mail. Ihre Entwicklung ist ein Streifzug durch die englische Geschichte: 1516 von Henry, dem VIII., zunächst nur für königliche Kreise gegründet, wird die Royal Mail 1635 ein öffentlicher Dienst. 1840 kommt die erste Briefmarke auf den Markt, 1853 der erste rote Briefkasten. Vom traditionsreichen Erbe ist heute nicht mehr viel übrig. Selbst das britische Arbeitsministerium lässt sich seine Post von einem privaten Anbieter zustellen. Bei den königlichen Postlern herrscht derweil schlechte Stimmung. Erst letzten Monat haben sie gestreikt, gegen sinkende Löhne und Pensionskürzungen. Im Postamt von Hampstead hält die Zunft zusammen - Ruth Rach stellt sie vor.

    Großbritannien: Das Postamt


    1,60 Meter kurz, kecker Ohrring, forscher Blick, John Taylor, 40, Gewerkschafter und Postbote in Hampstead, Nordlondon.

    " Dies ist unsere Happy Ecke, wir haben unsere Radios laufen, das sorgt für Stimmung. "

    Über John Taylors Ecke weht patriotisch die englische St Georgs Fahne, daneben ein Halstuch mit dem Emblem seiner Lieblingsmannschaft: Tottenham Hotspurs. Und die Knatsch- Ecke?

    " Am anderen Ende - bei den Senioren. Die wollen nicht schon am frühen Morgen Musik hören. "

    Vier lange Korridore, Dutzende von Kofferradios. Links und rechts tausende von Fächern, darunter Straßennamen. Mittendrin die Ecke für den ‚riff raff', den Ramsch: Briefe mit falschen Adressen werden allesamt nach Irland geschickt. Nur dort dürfen sie - unter strengster Bewachung - geöffnet werden.

    Ein Drittel der Post wird weiterhin mit der Hand sortiert. Die neuen Sortiermaschinen können nur mit bestimmten Formaten umgehen.. Die Postler packen ihre Brief-Bündel in Taschen und Wägelchen. Es ist kurz vor zehn. Aufbruchsstimmung.

    " Was mir am meisten gefällt? Wir sind eine wirklich gute Gemeinschaft: Wir frotzeln, wir quatschen. In erster Linie über Sport: vor allem Montags - die einen sind todtraurig, weil ihr Team verloren hat, die anderen hocherfreut. Wir treffen uns auch oft außerhalb der Arbeit - vor allem im Pub, aber nicht am Freitag, am Samstag müssen wir ja früh aus den Federn. "

    Guck mal, Shaun, der grinst übers ganze Gesicht: der freut sich auf sein Longola. Das lange Wochenende. Das kriegen wir alle nur sechs Wochen. Wir Postler haben unsere eigene Sprache. Und Longola ist für uns schönste Wort .

    John Taylor bleibt vor einer Pinwand stehen. "Streikt Kollegen", steht da zu lesen. "Schon wieder 40 tausend Jobs in Gefahr. "
    " Bereits vor vier Jahren hat man bei uns 40 tausend Stellen gestrichen. Anstatt zwei Zustellungen gab's plötzlich nur noch eine Zustellung pro Tag. Aber diesmal werden wir kämpfen. Die privaten Firmen picken sich die besten Aufträge heraus. Dennoch sind wir weiterhin die einzigen, die ausliefern. Wir werden weiterhin gebraucht. Das haben die Privaten einfach noch nicht kapiert: sobald du festangestellte Arbeitskräfte hast, schrumpfen die Profite. "

    John Taylor ist seit sieben Jahren bei der Royal Mail. Davor arbeitete er an der Börse, in der Londoner City. Jetzt sei er mit einer besseren Sorte Mensch zusammen.

    Die Cafeteria. John stärkt sich mit einer Tasse Tee.

    " Heute kostet ein Brief 32 Pence. 1840 war's ein Penny. Keine schlechte Inflationsrate. "

    Aber inzwischen überlegt man sich sogar, Postgebühren je nach Distanz zu berechnen. Das wäre sozial einfach nicht vertretbar, findet John Taylor. Und überhaupt : verglichen mit früheren Zeiten sei der Service der Royal Mail heutzutage schlichtweg miserabel.

    " Früher hast du einen Brief in London um zehn Uhr eingeworfen, und er wurde noch am selben Tag in einem lokalen Zentrum sortiert und zugestellt . Vor 60 Jahren gab bis zu 12 Auslieferungen pro Tag. Damals arbeiteten 500 000 Leute für die Royal Mail. Heute wird die ganze Post erst einmal zu einer Zentrale geschickt - und wir haben gerade noch 160 tausend Mitarbeiter. Und Ende nächstens Jahres sind's vielleicht noch 100.000. "

    John hat 500 Briefe auszutragen. Er sucht erst mal ein Wägelchen - und findet nur noch kaputte. Die guten sind alle weg. Er packt die Post in zwei schwere Taschen. Wiegt sie ab: 14 und 15 Kilo. Das Auto bringt ihn zu seiner Straße, nur ein paar Ecken weiter.

    " In dieser Straße arbeiten viele Leute von zu Hause , Richter und dergleichen, die bekommen besonders viel Post. Die Häuser stehen alle unter Denkmalschutz . Da darf man nicht mal den Briefschlitz erweitern. Manche Briefkästen sind 150 Jahre alt. "

    Haushalte mit Hunden stehen auf einer Sonderliste. Aber manche Briefkästen sind auch ohne Vierbeiner riskant.

    " Ich hab einen Fingernagel verloren, eine Uhr, einen Ring... "

    Und jede Menge Gewicht. Im ersten halben Jahr hat John 6 Kilo abgenommen.

    Frognal, eine Privatstraße. Tore. Gitter. Marmoreingänge. Überwachungskameras.

    " Anhand der Briefe kannst du dir ein genaues Bild der Leute machen: wo sie einkaufen, ob sie ihre Rechnungen pünktlich zahlen, ob sie Beziehungsprobleme haben. Neulich sprang mich gleich hier, vor dieser Villa ein Riesenhund an, das war mein schlimmster Moment. Ein Leibwächter erzählte mir dann, dass sich die Frau den Hund anschaffte, um sich ihren Mann vom Leibe zu halten. "

    Seit die Briefe nur noch einmal am Tag - und zumeist erst am späten Vormittag - ausgeliefert werden, hat John Taylor den persönlichen Kontakt zu vielen Kunden verloren. Die Berufstätigen bekommt er nicht mehr zu Gesicht - sie holen ihre Einschreiben am Samstag bei der Postzentrale ab. Und auch das Postamt hat seinen Charakter geändert.

    " Früher haben die Rentner ihre Pension im Postamt abgeholt, einmal in der Woche. Das Postamt war ihr sozialer Treffpunkt, sie standen in der Schlange, tratschten miteinander, kauften ein paar Süßigkeiten und dies und jenes. Gingen in die Teestube nebenan. Die Post war das Herz der Gemeinde. Vor vier Jahren beschloss die Regierung, die Gelder direkt auf ihr Konto zu überweisen. Kleinere Postämter werden geschlossen, weil sie nicht mehr profitabel seien. Das hat ungeheure Auswirkungen, soziale und wirtschaftliche. "

    Besonders hektisch: die Weihnachtszeit. Die ersten Karten werden schon im September eingeworfen. Im Verschicken von Weihnachtskarten halten die Briten den Weltrekord. Jeder schickt jedem eine Karte, auch wenn er mit ihm unter dem selben Christbaum sitzt. Und wehe, wenn ein Ehemann seine Gattin vergessen hat..

    " Dann wird stets der Briefträger beschuldigt, alle Jahre wieder: mein Mann hat mir hoch und heilig versichert, dass er die Karte eingeworfen hat - und dabei war er wahrscheinlich nur im Pub! "


    Postino, der Postmann, heißt der kleine kostbare Film, mit dem Regisseur Michael Radford in den neunziger Jahren allen verliebten Postboten ein Denkmal gesetzt hat. Es ist die Geschichte von Mario, der auf der kleinen italienischen Insel Salina nur einen Kunden hat, den chilenischen Literatur-Nobelpreisträger Pablo Neruda. Zwischen dem Dichter im Exil und dem Postboten wächst eine tiefe Freundschaft, in der Nerudas Dichtung eine Schlüsselrolle spielt. Die Vorlage für den Film lieferte der chilenische Schriftsteller Antonio Skármeta, mit seinem Roman "Mit brennender Geduld":


    Österreich hat die Postkarte erfunden, und Großbritannien die erste aufklebbare Briefmarke, der erste Briefkasten soll auf schlesischem oder preußischem Boden gestanden haben. Die eigene Postleitzahl gehört heute so selbstverständlich zum Alltag wie die Zahnbürste oder das Auto. Wo aber nur noch über Wettbewerb, lukrative Märkte oder Gewinnmargen gesprochen wird, gerät aus dem Blick, was die Post eigentlich ist: Ein hoch kompliziertes Verkehrsnetz für Briefe und Pakete aller Art, mit Verästelungen bis in den letzten Winkel der Welt. Ohne Maschine funktioniert dabei fast nichts mehr. Selbst der Kunde, der heute ein Paket erhält, unterschreibt nicht mehr auf profanem Papier, sondern kritzelt seinen Namen auf ein elektronisches Lesegerät. Hightech statt Formulare, Sortiermaschinen statt Hände. All das gilt für den gesamten europäischen Briefmarkt. Doch für die neuen EU-Staaten in Mittelosteuropa ist es der zweite tiefgreifende Wandel in nur wenigen Jahren. Erst die Abschaffung der alten sozialistischen Postbetriebe, jetzt die völlige Liberalisierung.

    In Ungarn sind die Umwälzungen besonders spürbar. 2011 soll das Briefpost-Monopol dort fallen. Dann bekommt auch die Magyar Posta Konkurrenz von privaten Postunternehmen und muss sich im Wettbewerb behaupten. Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. In allen Dörfern mit weniger als 600 Einwohnern sind die Postämter bereits geschlossen. Mit weniger Personal und mehr kommerziellen Angeboten sollen die Verluste zumindest begrenzt werden: mit einer Post auf Rädern. Jan-Uwe Stahr ist im 360-Einwohner-Dorf Fedémes in Ungarn mitgefahren.

    Ungarn: Das Postauto
    Es ist später Vormittag, kurz nach elf. Manci Neni huscht aus ihrer Küche. In Kittelschürze und Filzpantoffeln schlurft sie Richtung Gartentor. In der linken Hand ein grün-rotes Täfelchen

    "Die Post kommt zum Haus" steht auf dem Plastik-Täfelchen. Darunter ein kleines Posthorn und der Schriftzug der "Magyar Posta", der ungarischen Post. Die 73jährige hängt das Schild von außen an ihr Gartentor. Gleich neben den Briefkasten. "Hier kann die Briefbotin es gut sehen" sagt sie. "Und der Wind kann es nicht wegwehen." Das ist wichtig. Denn wenn das Schild nicht draußen hängt, hält das Postauto nicht an.

    Manci Neni lacht. Gerade will sie zurück ins Haus gehen, da rollt auch schon ein moosgrüner Kastenwagen die Fedémeser Dorfstraße herunter. Das Mobile Postamt. Es kommt jeden Tag, außer Sonntags. Dort, wo ein grün-rotes Schild am Gartenzaun hängt, hält das Auto an und macht sich laut bemerkbar.

    Die Briefbotin steigt aus. Eine agile Mittfünfzigerin in moosgrünem Pullover und Bluejeans. Freundlich begrüßt sie Manci Neni und gibt ihr einen Brief in die Hand: Die Telefonrechnung. "Ich hätte gerne das neue Telefonbuch", sagt Manci. Deshalb hat sie heute das Schild rausgehängt. Die Postfrau öffnet die Beifahrer-Tür und reißt ein großes Paket auf, dass dort auf dem Sitz liegt.

    "Sehr bequem ist das jetzt" Manci nimmt ihr neues Telefonbuch entgegen und bedankt sich. Das letzte Exemplar musste sie sich noch selber vom Postamt holen, unten im Dorf. Doch vor drei Jahren wurde das Postamt in Fedémes geschlossen. Statt dessen kommt nun Frau Molnar mit dem Mobilen Postamt, direkt zum Kunden. "Wir haben jetzt allerhand neuen Service zu bieten," Maria Molnar schiebt die Seitentür ihres grünen Kastenwagens auf:

    " Hier gibt es einen elektronischen Bankschalter. Da kann man Geld abheben oder Geld einzahlen oder sein Handy aufladen. Und man kann auch Rechnungen mit der Karte bezahlen. Also alle möglichen Bankdienstleistungen damit in Anspruch nehmen. Hier gibt es auch eine digitale Waage damit lassen sich die Pakete und Briefe abwiegen, die die Leute bei mir aufgeben wollen. "

    Das Mobile Postamt verkauft auch Briefmarken und Briefumschläge. Es gibt Zeitungen, Zeitschriften und Lotterielose. "Wir dürfen jetzt sogar Süßigkeien verkaufen", sagt Frau Molnar. Das Mobile Postamt soll bei der Versorgung in dünn besiedelten Regionen Kosten sparen und mit seinen Serviceangeboten die Umsätze steigern. Denn auch die ungarische Briefpost muss sich in Zukunft dem Wettbewerb stellen.

    Das Mobile Postamt hält jetzt vor dem Haus Nummer 89. Auch hier, bei Emö Toth hängt das grün-rote Schild am Zaun. Der alte Schmied kommt heraus. Mit einem Stapel Zettel in der Hand. Rechnungen, die er bezahlen will. Postfrau Molnar, nimmt sie entgegen, greift zur Rechenmaschine, die neben ihr auf dem Beifahrersitz liegt.

    "Macht 19.121 Forint". Herr Toth reicht ihr die Geldscheine durch die geöffnete Autotür. Ungefähr 80 Euro für Gas, Versicherung und Telefon.

    Bargeldgeschäfte sind die häufigste Serviceleistung des Mobilen Postamtes. Denn die nächste Sparkasse liegt fast fünfzehn Kilometer entfernt. Und das nächste Postamt jetzt acht Kilometer. Das ist weit, wenn man kein Auto hat.

    Bis vor drei Jahren hat Maria Molnar das kleine Postamt im Nachbardorf Szentdomonkus geleitet. Nun versorgt sie mit dem grünen Postauto täglich drei Dörfer. muss dabei nicht nur Briefe austeilen und Geld kassieren sondern nun auch bei Kapitalanlagen beraten und Versicherungen verkaufen. Lebensversicherungen, Autoversicherungen, Hausratversicherungen.

    " Meine Arbeit ist wirklich interessanter geworden, das war vorher nicht so, das ist viel abwechslungsreicher und vielseitiger. Und auch das mit den Versicherungen das ist ganz interessant. Das Problem ist nur: Die Menschen haben nicht so viel Geld und nur sehr wenige schließen bei mir eine Versicherung ab. "Auch die Rente bringe ich den Leuten jetzt direkt ins Haus" sagt Maria Molnar. Sie hat das Auto jetzt im Dorfzentrum, neben dem leerstehenden Postamt geparkt und schultert eine dicke Ledertasche.

    " In dieser Tasche muss ich die Sicherheits-Geldbörse aufbewahren. Sie ist mit einem GPS versehen, wird also durch Satelliten-Ortung überwacht. "

    Gleich neben dem leerstehenden Postamt, im Haus der Fedémeser Kirchengemeinde, sitzen fünf alte Frauen um einen großen Tisch herum. Sie falten und kleben große Papier-Umschläge. Heimarbeit, mit der sie ihre karge Rente aufbessern. Als sie die Postfrau am Fenster vorbeigehen sehen, fangen sie an zu schimpfen.

    "Gegen die Postfrau haben wir nichts, aber gegen das neue System der Mobilen Post" schimpfen die Rentnerinnen. "Wir haben jetzt keine Schule mehr und kein Postamt mehr. Alles nehmen sie uns weg. Jetzt gibt es hier nur noch Kneipen. Aber dafür haben die Leute kein Geld." Den alten Frauen gefällt es nicht, dass sie nun bei jedem Wetter zum Postauto raus müssen. Und auf der Straße ihre Rechnungen bezahlen, vor den Augen der neugierigen Nachbarn.

    Es ist zwölf Uhr. Postfrau Molnar hat halb Fedémes geschafft. Zwei weitere Dörfer muss sie noch abfahren. Durchschnittlich 200 Kunden pro Tag hängen das grün-rote Schild vor die Tür. Fordern einen Postamts-Service an der Haustür an. Eine Menge Arbeit. Und manchmal kaum zu schaffen. "Zum Glück hilft mir mein Mann dann beim Briefeaustragen", sagt Frau Molnar. Er macht das freiwillig und ohne Bezahlung. Bis vor drei Jahren war ihr Mann, Gyula Molnar, Briefträger beim Dorfpostamt in Szentdomonkus. Nun ist auch dieses Postamt geschlossen. Und Gyula Molnar arbeitslos.


    Frankreich, das Mutterland der Streiks und Proteste, hat in diesem Jahr seine eigenen Montagsdemonstrationen erlebt. Monatelang haben die Mitarbeiter des staatlichen Unternehmens La Poste zu jedem Wochenbeginn die Arbeit niedergelegt, aus Sorge um ihre Arbeitsplätze und ihre Rentenbezüge. Schneller, besser, und rentabler soll La Poste werden, fordert das Management. Viele Angestellte verstehen das als Kampfansage. Also heizen sie Frankreichs Heißen Herbst mit an und wollen nächste Woche erneut in den Streik treten. Bei der Konzernleitung von La Poste beißen sie mit ihren Forderungen jedoch auf Granit - und bei der Europäischen Union in Brüssel erst recht: EU-weit soll das Post-Monopol 2011 fallen. Frankreich gilt bei diesen Plänen jedoch als einer der größten Blockierer, auch weil es den eigenen Markt bislang recht erfolgreich gegen private Postdienste aus dem Ausland abschottet. Präsident Sarkozy fährt in dieser Frage einen Zickzack-Kurs, bekennt sich einerseits zu freien Märkten und warnt andererseits vor den Auswüchsen der Globalisierung. Letzteres ist Balsam für die französische Seele, gerade jetzt, wo die Brüsseler Liberalisierungs-Pläne bei den Postlern alle Alarmglocken klingeln lassen. Für sie gehört ein Postamt in jedem Dorf einfach dazu wie der Bäcker oder der Kirchturm. Das Interesse der Allgemeinheit müsse höher wiegen als das reine Geschäftsdenken, sagen die Gewerkschaften.

    PTT heißt eine von ihnen. PTT, das steht im Volksmund aber auch für petit travail tranquille - eine ruhige Kugel schieben, so könnte man es übersetzen, ein Seitenhieb auf den Postbeamten und allzu viel Schläfrigkeit hinterm Schalter. Bettina Kaps hat unweit von Paris Postler getroffen, denen die Ruhe abhanden gekommen ist.


    Frankreich: Die Postgewerkschaft
    Neonlicht, Betonboden, ein unwirtlicher Raum. Darin ein Durcheinander von gelben Fahrrädern und Rollwagen mit grauen und blauen Plastikwannen voller Post. An den Wänden: Regale mit schmalen Fächern, auf denen Straßennamen verzeichnet sind. Neun Postboten stehen davor und sortieren Briefe. Einer von ihnen: Diego Ceccom, klein und drahtig, die Haare strähnig aus der Stirn gekämmt. Mit 50 Jahren ist er älter als die meisten Kollegen im Raum.

    Die Tür geht auf. Zwei junge Männer kommen herein, begrüßen alle Briefträger mit Handschlag. Man kennt sich: die beiden Männer sind Funktionäre der Postgewerkschaft SUD und auch Diego engagiert sich in der linksalternativen Basisgewerkschaft. Er legt die Briefe aus der Hand und stellt sich in die Mitte.

    " Ich habe Neuigkeiten von der Front: Wir haben die neue Direktorin getroffen, sie hatte es kategorisch abgelehnt, mehr als 6 Personen zu empfangen. Tja, wir waren dann immerhin sieben. Sie hat drei Jahre lang in den hohen Sphären der Postdirektion gearbeitet, jetzt soll sie in unserem Departement das Projekt "Briefträger der Zukunft" durchboxen. Wie ihr seht, haben wir es mit einer Dame zu tun, die die Basis hervorragend kennt, die viele Postsäcke geschleppt hat und kräftig in die Pedale getreten ist. "

    Klassenkampf um Sieben in der Früh. Dann die lokalen Nachrichten: Die hundert Briefträger der Stadt können nicht darauf hoffen, dass sie wieder zusammengelegt werden. Im Frühjahr wurden sie eilig auf drei Büros verteilt, weil das zentrale Zustellbüro baufällig war. Doch das Provisorium passt der Leitung, sagt Diego Ceccom, weil es die Kampfkraft schwächt. Sein Kollege stimmt zu. Damien Fillon ist Chef der Gewerkschaft im Departement Hauts-de-Seine.

    " Überall in Frankreich wird im Namen der Rentabilität zentralisiert, Büros werden zusammengelegt. Aber hier machen sie das genaue Gegenteil. Leute, wenn ihr euch gegen das Projekt "Briefträger der Zukunft" wappnen wollt, müsst ihr an einem Strang ziehen, und das ist einfacher, wenn ihr alle im gleichen Gebäude arbeitet. "

    Die Postboten stehen im Halbkreis, hören schweigend zu. "Briefträger der Zukunft", so hat die Konzernleitung eine tief greifende Neuorganisation genannt, welche die Post für den internationalen Wettbewerb rüsten soll. Für die Postler heißt das: Sie sollen schneller und besser werden und fast jeden Samstag arbeiten. SUD bekämpft das Projekt und ruft zum Streik auf. Am kommenden Dienstag, sagt Diego, legt der öffentliche Dienst die Arbeit nieder. Da sollten sich die Briefträger anschließen.

    Gewerkschafter Fillon drängt zum Aufbruch, er will die Postboten in den anderen Büros abfangen, bevor sie mit dem Austragen beginnen. Diego lässt die Arbeit liegen, und folgt den Gewerkschaftskollegen nach draußen.

    Spiegelnde Fassaden, breite, unbelebte Straßen... Die Gewerkschafter fahren durch ein modernes Geschäftsviertel, dahinter dann ein Gewerbegebiet. Vor einem Flachbau stehen junge Männer in der blauen Dienstkleidung der Post, sie halten Kaffeetassen in der Hand, rauchen. Diego will ins Haus, aber ein Wachmann versperrt den Weg. Aktivisten haben heute Hausverbot, sagt er. Ein Postbote mischt sich ein.
    " Was? Befehle? Ja von wem denn? Von der Postdirektion? Aber die gehören doch zur Post! Sie gehören zu uns, sie sind sogar gewählt! Wo sind wir denn hier? Das ist doch unmöglich! "

    " He, Leute, kommt ihr raus? "

    Der örtliche Postdirektor schaut durch die Tür: Ihr bleibt draußen und die Briefträger bleiben drinnen, sagt er. Niemand beachtet ihn: Nach und nach treten die Postboten ins Freie. Rund 20 Männer und Frauen drängen sich unter dem Vordach. Diego steht im Nieselregen.

    " Ihr müsst kämpfen, und zwar alle, vom ersten bis zum letzten. Wer sich nicht rührt, reitet alle anderen in den Dreck. Ein jeder ist für alle anderen verantwortlich, das muss klar sein! "

    Die Aktivisten ziehen weiter. Sie haben hier Heimspiel, Rueil-Malmaison ist ihre Bastion. Bei den letzten Gewerkschaftswahlen haben hier 80 Prozent aller Postler SUD gewählt. Die Stadt gehört zum Departement Hauts-de-Seine, der reichsten Gegend in ganz Frankreich mit über 6.000 Firmensitzen. Dort kam die konfliktfreudige Gewerkschaft immerhin auf 42 Prozent. Mit solcher Rückendeckung, sagt Gewerkschaftsführer Yvon Mélo, kann SUD sich manches herausnehmen. Zum Beispiel die spontanen Versammlungen in der Früh:

    " Ob wir das Recht dazu haben, ist nicht klar, darüber steht nichts im Gesetz. SUD hat diese Praxis vor acht Jahren durchgesetzt. Damals hat ein Postbüro 40 Tage lang gestreikt. Die Briefträger haben alle anderen Postämter des Departements aufgesucht und die Lage erklärt. SUD ist die einzige Gewerkschaft, die sich das erlaubt. "

    Aber reibungslos verläuft es nicht immer. Diego fährt sich durch die Haare. Er geht heute wieder ein Risiko ein. Die Direktion hat ihn schon seit langem im Auge.

    " Ich hab so das Gefühl, dass sie mir eine kleine Überraschung bereiten werden... Sanktionen... Wie letztes Jahr. Da musste ich vor den Disziplinarausschuss. "

    Diego Ceccom hatte 24 Tage Streik organisiert. Die Postdirektion wollte ihn dafür 6 Monate lang ausstellen, schließlich kam er mit 2 Wochen Auszeit auf Bewährung davon.

    Zurück am Arbeitsplatz: Diego schaut auf die Uhr über dem Eingang. Zwei Stunden sind verstrichen, seit er die Post aus der Hand gelegt hat. Ein Kollege klopft ihm auf die Schulter: Seine Briefe sind sortiert und zwei andere Briefträger haben schon einen Teil davon mitgenommen. Diego schiebt sein Fahrrad auf die Straße.

    "Pakete auf Hufen" hat der Spiegel einmal eine Reportage über die Schweizer Post überschrieben: Ganz so rückständig sind die Eidgenossen indes nicht, auch wenn mancher Postsack im Berner Oberland tatsächlich noch auf einem Pferderücken transportiert wird - bei Schnee und Eis in 4000 Metern Höhe ist das eher praktisch als altmodisch. Typischer ist allerdings das Schweizer Postauto, goldgelb, 101 Jahre alt, und mindestens ebenso sehr Nationalsymbol wie der Banktresor oder die Schokolade. Deswegen sind die Schweizer auch beim Thema Post wieder mal froh, nicht Mitglied der Europäischen Union zu sein. Die Brüsseler Wettbewerbspolitik oder auch die Debatte um einen europäischen Mindestlohn, der allen Postlern in Europa ihr Einkommen sichern könnte - solche Einmischungen wären den Eidgenossen ein Gräuel. Für wen und wie weit sie ihren Postmarkt öffnen, das entscheiden sie ganz allein selbst. Die letzte Volksinitiative liegt drei Jahre zurück: Zur Abstimmung stand eine Verfassungsänderung, mit der ein flächendeckendes Filialnetz garantiert und die Schließung eines Postamts nur mit Genehmigung der jeweiligen Gemeinde erlaubt sein sollte. Die "Post-Dienste-für-alle"-Initiative wurde allerdings mit 50,2 Prozent abgelehnt. Seitdem ist auch die Schweizer Post in Bewegung: Der Brief- und Paketmarkt wird Stück für Stück liberalisiert, und Postämter werden reihenweise geschlossen, auch das in Postamt in Sternenberg. Dort fährt jetzt nur noch das Postauto. Pascal Lechler ist unser Reporter.

    Schweiz: Die Pöstlerin
    " "Guate Morgä mitenand ... Guate Morgä!"

    Viertel nach Sechs. Arbeitsbeginn für Theresa Duveaux auf der Poststelle in Bauma im Kanton Zürich. Wie jeden Morgen hat die Pöstlerin - wie man eine Postbotin in der Schweiz nennt - eine der härtesten und längsten Touren der Schweizer Post vor sich. Es geht einmal rund um den Sternenberg.

    Gleich hinter Bauma führt die Straße steil den Berg hinauf. Sie ist so schmal, dass zwei Autos kaum aneinander vorbeikommen. An 30 Tagen im Jahr muss Pöstlerin Duveaux die Schneeketten anlegen. Einmal haben aber selbst die nichts mehr gebracht. Das Auto rutschte eine Böschung hinunter. Theresa Duveaux hatte einen Schutzengel und blieb unverletzt.

    "Zuerst habe ich die Feuerwehr gerufen, die haben gesagt wir können nicht kommen, es hat so viel Schnee. Wir kommen nicht durch. Fragen Sie die Bauern. Dann sind die Bauern aus dem Holz gekommen mit drei Traktoren und haben dann das Auto gesichert und hochgezogen."

    Zwei Stunden später saß die pflichtbewusste Frau wieder im Auto und fuhr weiter Post aus.

    "Das ist meine Teststrecke. Wenn ich weiß, dass es da rutscht, dann habe ich Kettenmontagedienst...Guate Morgä guate Morgä Maria. Danke schön. Bittä. Do isch dini Poscht. Danke. Schönä Toag. Glichfalls, ciao Maria. Ade."

    Maria ist eine alte Bäuerin. Heute Morgen ist keine Zeit für einen Plausch. Aber oft hört sich die Pöstlerin die Sorgen ihrer Kunden genauer an.

    "Ja ich denke mir man lebt es schon mit, weil man kennt die Leute. Ja, man hört dann oft von den Schicksalen. Man muss es für sich behalten. Man kann das ja nicht weiter rumerzählen, aber ich denke, ich zehre noch viel daran, ich denke viel an Leute, die nicht mehr sind oder so, wenn ich da wieder vorbeikomme. Und manchmal auch an traurige Schicksale also."

    Kurz hinter Marias Hof, stoppt Theresa Duveaux plötzlich und zeigt den Hang hoch.

    "Oh schauen Sie mal, da kommen noch die Rehe (lacht) nur eines? Normalerweise muss man immer vorsichtig sein. Wenn ein Reh kommt, dann kommen drei. Meistens sind es drei. Ich wundere mich, dass da jetzt nur eines ist...hat das die Gruppe verloren, oder."

    Theresa Duveaux Tour ist vermutlich nicht nur die längste der Schweiz. Sie ist sicherlich auch eine der unrentabelsten. Schon vor einigen Jahren wurde hier oben das Postamt geschlossen. Zur Grundversorgung ist aber auch die Schweizer Post verpflichtet. Deshalb gibt es hier oben den Hausservice.

    "Oh Ernst, da han ich dir die Poscht, ich hatt di noch die Izahlige (Einzahlungen) und d´Poschkarte, di sin dinne, da ischs Geld genau uffgegange."

    Für Ernst hat Theresa Duveaux ein Paar Einzahlungen vorgenommen und noch ein Paar Briefmarken gekauft. Das Geld, das Ernst ihr am Vortag mitgegeben hat, sei genau aufgegangen, sagt sie. Im Grunde erledigt Frau Duveaux wie eine Privatsekretärin alle Postdienste. Und ab und an bleibt auch Zeit für Dinge, die nicht im Leistungskatalog der Post stehen.

    "Ja, ja, aber die muss ich dann auf privater Ebene lösen (lacht) also ich denke, die Post ist natürlich nicht bereit solche Dinge auf Postkosten zu nehmen aber wenn es lösbar ist, versuche ich es zu lösen und ich habe auch schon mal - dann bin ich halt noch privat zur alten Frau gefahren mit meinem Katzenfutter, das ist nicht so schlimm."

    Katzen- und Hundefutter ist so ein Sonderdienst. Vierbeiner erwarten deshalb den täglichen Besuch der Pöstlerin genauso sehnsüchtig wie gackernde Zweibeiner.

    "Piep, piep....komm, muss ich es da inne tu, kommt i net usse."

    Die Tiere zu füttern das ist sozusagen die kleine Freude von Theresa Duveaux neben dem alltäglichen Postjob.

    "Dann hat die Frau da, die da hinten wohnt, hat einen Hund, und der Hund, dem lege ich jeweils auf die Post zwei Hundekekse."

    "Also, da habe ich jetzt zwei Hundekekse reingelegt, für den Hund. Ich hatte zwei Wochen Ferien, die letzten zwei Wochen und gestern sind dann die Hunde plus die Herrchen und Frauchen gekommen und haben gesagt, ja der Hund war so traurig, zwei Wochen kein Hundekeks im Briefkasten."

    Das bekannte Postbeamten-Problem nämlich zähnefletschende Hunde kennt Theresa Duveaux dank der Hundekekse nicht.

    Nach der fast fünfstündigen Tour parkt Theresa Duveaux ihr Postauto wieder auf dem Hof der Poststelle in Bauma. Nicht nur die grauen Postkisten sind leer auch die Tüten mit den Hundekeksen.


    Blau-rosa oder gelb-schwarz, in den Niederlanden trägt die Post bereits viele Farben: Gleich mehrere Zustelldienste haben den Markt in den letzten Jahren erobert. Die TNT, Nachfolgerin des einstigen staatlichen Postbetriebs PTT, muss den Kuchen damit nun teilen. Vor allem tobt der Konkurrenzkampf um die großen Geschäftskunden. Privatkunden haben hingegen weniger Auswahl, wem sie ihre Post nun anvertrauen - die meisten Zustelldienste finden den privaten Postmarkt nicht besonders lukrativ. Wie hart der Wettbewerb geworden ist, das bekommen vor allem die Mitarbeiter zu spüren. TNT wirft der Konkurrenz von SelektMail vor, den Markt kaputt zu machen und Briefträger zu Zeitungsjungen zu degradieren. Um 20 Prozent billigere Tarife anbieten zu können, beschäftigt SelektMail, eine Tochter der Deutschen Post, rund 11 tausend Hausfrauen, Studenten und Rentner als Billiglohnkräfte. Im Firmenjargon klingt das anders, dort ist von "Mitarbeitern" statt "Angestellten" die Rede. Ob die Arbeit den Lebensunterhalt sichert, ist kein Kriterium.

    SelektMail arbeitet bereits flächendeckend, egal, ob auf den Inseln im Norden oder in den ländliche Gebieten im Süden: Allerdings klingelt der Postbote nicht jeden Tag. Die Briefträger von SelektMail sind immer in zwei Schichten im Einsatz: donnerstags und freitags oder dienstags und mittwochs. Kerstin Schweighöfer hat einen von ihnen im Süden der Niederlande begleitet.


    Niederlande
    Dienstagmorgen, 7 Uhr 30 im Industriegebiet von Dongen, einer Provinzstadt im Süden der Niederlande: Briefträger Anton Kroot hält vor dem Verteilerzentrum von SelektMail, um seine Post abzuholen.

    Brille mit Silberrand, grauer Schnauzbart, immer ein Lächeln auf den Lippen: Der 60jährige Frührentner hat ein sonniges Gemüt. Wie immer wird er von Dagmar van Gool und ihrer Tochter Hannie mit einem kopje koffie begrüßt. Die beiden Frauen leiten das Verteilerzentrum.

    Insgesamt versorgen Hannie und Dagmar in ihrem Bezirk rund 100 SelektMail-Briefträger mit Post. Gut 50.000 Postsendungen treffen jede Woche bei ihnen ein - alle sind adressiert, betont Anton: Manche Leute würden doch tatsächlich denken, er verteile nur unadressierte Reklame! "Nein", muss er dann immer wieder entrüstet richtigstellen:0'11

    "Ich bin ein richtiger Briefträger!" sagt Anton.

    Zu den wichtigsten SelektMail-Kunden zählen große Versandfirmen, Versicherungsgesellschaften und Organisationen wie der Weltnaturfonds, Unicef oder die Nierenstiftung. Egal, ob Rechnungen, Broschüren oder Kataloge - alles, was schwerer ist als 50 Gramm, lassen sie über SelektMail verschicken, denn das ist gut 20 Prozent billiger.

    Auf Anton warten diese Woche rund 900 Postsendungen. Zwei Tage hat er Zeit, sie in seinem Bezirk im rund 20 Kilometer entfernten Waalwijk zu verteilen. In diesem Städtchen wohnt er auch.

    Anton arbeitet seit Sommer 2006 bei SelektMail. Gleich nachdem er in Frührente geschickt worden war, hatte er sich beworben. Er wollte nicht die ganze Zeit zuhause herumhängen.

    Seine Frau, die drei Tage pro Woche Teilzeit arbeitet, war heilfroh, dass er weiterhin etwas zu tun hatte. Er selbst findet es prima, dass er jetzt so oft an der frischen Luft ist. "Zuvor war ich Lagerarbeiter und immer drinnen", erzählt er auf der Rückfahrt nach Waalwijk.

    Zweimal sechs Stunden braucht Anton Kroot zum Verteilen seiner Post. Zuvor muss er sie erst sortieren. Das kostet ihn jede Woche mindestens drei Stunden. Plus eine Stunde Fahrzeit zum Verteilerzentrum hin und zurück. Macht insgesamt 16 Stunden pro Woche. Dafür bekommt er unterm Strich jeden Monat zwischen 200 und 250 Euro - je nach dem, wie viele Postsendungen es zu verteilen gab. Aber, so betont Anton: Auf das Geld kommt es ihm nicht an:

    "Ich lege es als extra Taschengeld für den Urlaub auf die hohe Kante", erklärt er, bevor er sich zuhause ans Sortieren macht.

    Der Verdienst der SelektMail-Briefträger wird nach einem komplizierten Schlüssel berechnet. Sie werden pro Postsendung bezahlt - doch die Höhe des Satzes ist von einer ganzen Reihe von Faktoren abhängig. Zum Beispiel vom Gewicht und auch vom Bezirk: Briefträger in einem städtischen Gebiet bekommen weniger als in einem ländlichen, da sie weniger laufen müssen. Anton erhält zwischen acht und zehn Cent brutto pro Stück. Hinzu kommen mehrere Zuschläge, etwa für das Abholen der Post.

    Alles in allem, so versichert die Unternehmensleitung, werde etwas mehr gezahlt als der gesetzliche Mindestbruttolohn. Der liegt in den Niederlanden bei rund 8 Euro pro Stunde. Zum Vergleich: Das traditionelle Postunternehmen TNT zahlt mit Arbeitskosten von rund 25 Euro brutto pro Stunde rund dreimal mehr. Dort mussten inzwischen Hunderte von Arbeitsstellen gestrichen werden, um sich neben dem Konkurrenten behaupten zu können. *Und nach dem Vorbild von SelektMail sucht auch TNT inzwischen verstärkt nach Billigarbeitskräften, die flexibel und befristet eingesetzt werden können, sprich: Rentner, Studenten und Hausfrauen.

    Seine Präsenz macht SelektMail bislang nur durch die Uniformen seiner Briefträger deutlich - und die sind auffällig schwarz mit knallgelb gestaltet. Anton trägt seine Uniform voller Stolz: Es gehe um die Visitenkarte seiner Firma, meint er, als er in die dicke gelbe Wetterjacke schlüpft.

    Das Polohemd und die SelektMail-Schiebemütze hat er umsonst bekommen, aber für die Jacke musste er 38 Euro zahlen. Schlimm findet er das nicht, an dem guten Stück habe er schließlich auch jahrelang seine Freude.

    Er verstaut seine Post immer auf einem kleinen Handwagen, den er günstig bei Aldi bekommen hat.

    Dann geht's los: Der Handwagen wird an einem strategischen Punkt abgestellt, von dem aus Anton dann die Briefkästen abklappert. Erst die geraden Hausnummern auf der einen Straßenseite, dann die ungeraden auf der anderen:

    Dabei trifft er regelmäßig auf die Konkurrenz. An diesem Morgen begrüßt Anton erst einen Kollegen von Sandd in einer blau-rosa Uniform. Dann einen Briefträger von TNT. Der trägt leuchtend rot-orange.

    Lachend vergleichen die Männer ihre Uniformen und das Gewicht, das sie zu verteilen haben:

    "Ich schleppe noch viel mehr als du mit mir herum!", lacht der TNT-Briefträger:
    Dass er auf einmal soviel Konkurrenz habe, mache ihm überhaupt nichts aus, beteuert er. Wirklich nicht: 6 min

    Das wäre ja noch schöner, findet auch Anton: "Wir sind doch keine Rivalen, wir sind Kollegen - der macht doch auch bloß seine Arbeit, so wie ich!" Gutgelaunt setzt er seine Route fort, bis gegen halb vier das letzte Poststück in den Briefkasten fällt.

    Dann macht er sich mit seinem leeren Aldi-Handwagen auf den Nachhauseweg. Das war's für heute. Wieder einmal hat er sein Bestes gegeben. Jetzt will er zuhause erst mal die Beine hochlegen. Zeit für eine wohlverdiente Ruhepause.

    Literatur:
    Antonio Skármeta, Mit brennender Geduld. München: Piper Verlag, 2006 (1985). 132 Zeilen
    Übersetzung: Willi Zurbrüggen