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Wenn der Reizdarm das Leben zur Hölle macht

Patienten, die unter einem Reizdarm leiden, finden wenig Hilfe, dabei sind ihre Beschwerden kaum erträglich: Einer leidet unter chronischem Durchfall, ein anderer unter massiver Verstopfung und Blähungen und fast alle sind mit ihren Nerven am Ende. Welche Möglichkeiten es für Patienten gibt, unter diesen schwierigen Umständen mit ihrer Krankheit zu leben, wurde Ende vergangener Woche in Tübingen bei einem großen internationalen Symposium diskutiert.

Von Klaus Herbst |
    " Ich hab' das Reizdarmsyndrom vielleicht schon seit zehn Jahren. Der Arzt kann mir irgendwie nicht weiterhelfen. Also, es ist schon, ja, frustrierend, einfach.

    Das ist ganz schlimm, finde ich. Also überhaupt wenn man in einem Alter ist, wo man noch aktiv sein wollte und Tage hat, wo man nicht aus dem Haus kann, weil man nicht weiß, wie man es schafft bis zur nächsten Toilette. Ich habe massive Schmerzen eigentlich nach jeder Nahrungsaufnahme. Ich fühle mich elend, habe Blähungen, Krämpfe, kann am Leben kaum noch teilnehmen. Ich kann nicht durchschlafen. Inzwischen habe ich starke Depressionen, habe zwei Partner verloren, bin hoffnungslos inzwischen."

    Etwa 15 Prozent aller Deutschen haben einen Reizdarm, somit ist das Reizdarmsyndrom (RDS) eine der häufigsten Erkrankungen. Meistens finden die Ärzte keinen körperlichen Befund. Wer an RDS leidet, plant sein ganzes Leben so, dass er immer den nächsten Weg zur Toilette sucht. Der Psychologe Professor Paul Enck von der Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie.

    " Wo wir wirklich Fortschritt sehen, ist hier ein Teil der Patienten, die dann ein postinfektiöses Reizdarmsyndrom haben, bei denen die Beschwerden im Zuge einer früheren, teilweise sehr lange zurückliegenden Darminfektion aufgetreten sind und die Beschwerden eigentlich seitdem nicht wieder weggegangen sind, dass wir da über kurz oder lang in der Lage sind, Therapien anzubieten. Es gibt Hinweise, dass doch medikamentöse Beeinflussung der Darmflora über Präbiotika, also über Bakterien, die man über die Nahrung zuführt nicht nur auf einer Placebowirkung beruht, sondern dass die Beeinflussung der Darmflora tatsächlich zu einer Besserung führt."

    Harmlosere Medikamente bremsen den Durchfall, lösen Verstopfung oder helfen gegen die häufig vorkommenden Depressionen. Gesunde Ernährung ist immer sinnvoll, oft auch Wermut, Fenchel, Flohsamen, Wasser-, Reflex- und Thermotherapie sowie Fußbäder, Blutegel, Spirituelles, Meditation, Akupunktur und Stressbewältigungstechnik - und nicht zuletzt, sich bewusst vom Schmerz abzulenken und den gesunden, schmerzfreien Körperanteilen zuzuwenden. Außerdem versuchen Therapeuten, die Patienten im Therapiegespräch mit ihrer Krankheit zu versöhnen, die zwar oft existentiell bedrohlich wirkt, alleine aber nicht tödlich ist. Man versucht keine Hilfsmöglichkeit auszulassen, und sei sie noch so exotisch, aber bei zweien sind sich die Experten einig. Paul Enck:

    " Dass es sehr hilfreich sein kann, die Psyche nicht erst am Ende einer diagnostischen, therapeutischen Karriere einzubeziehen, sondern zu einem viel früheren Zeitpunkt. Das Wichtigste, was man für seinen Darm tun kann, ist gesunde Ernährung. Dazu gehört auch das Vermeiden von unnötigen Einschränkungen des Essens."

    Nicht nur Ernährung, auch die Gesprächs-Psychotherapie hilft, vor allem wenn es ihr gelingt, das Körpergefühl zu verbessern. Jeder sollte sich im eigenen Körper möglichst wohl fühlen, sagt Oberärztin Doktor Ute Martens vom Tübinger Universitätsklinikum. Mind und Body, also Geist und Körper, stehen bei moderner, ganzheitlicher Reizdarmtherapie im Zentrum.

    " Im Prinzip geht es um belastende Faktoren, um biografische Faktoren, die belastend sein können, die die Krankheit auch erschweren können. Wie kann ich umgehen mit der Angst? Wie kann ich es schaffen, trotz der Angst, trotzdem am normalen Leben teilzunehmen. Die Naturheilverfahren haben ja auch diesen ganzheitlichen Ansatz. Und aus der Mind-Body-Therapie finde ich insbesondere die Aspekte der Selbstfürsorge so wichtig und das Stressmanagement, also auch gut mit dem eigenen Körper umzugehen, wie zum Beispiel ein Bauchwickel. Aber auch zu wissen, das hat Sinn und das wirkt auch, es hilft auch. Und sehr fürsorglich mit dem eigenen Körper umzugehen, bevor man anfängt, Medikamente zu nehmen, die dann möglicherweise auch schädlich sein können."