Brecht war an diesem Abend allgegenwärtig und zugleich doch recht fern. Seine Büste hing an der Rückwand der Bühne, und zugleich schwebte eine lebensgroße Brecht-Puppe vor einer Loge im ersten Rang. Von hier erklangen auch von Brecht selbst gesprochene Probenkommentare und Anweisungen aus den fünfziger Jahren. Die waren praktisch und witzig und setzten gegen die schwerfällige Kunstanstrengung von Freyers theatralischer Hommage an Brecht immer wieder dessen Forderung nach Leichtigkeit und Lustigkeit, Direktheit und Schnelligkeit. Doch das ging Freyers mächtig konstruiertem Abend völlig ab. "Wenn du einem toten Hund begegnest", ein Zitat des Frühsurrealisten Lautréamont, weist sowohl auf die surreale Zeichen- und Assoziationswelt hin, durch die Achim Freyer das Publikum schickt, wie auf die durch eine kürzliche Umfrage noch einmal traurig bestätigte Tatsache, dass Brecht in Deutschland kaum gekannt und gelesen wird. Gegen diese Erkenntnis setzt der Regisseur einen Abend für Brecht-Eingeweihte, dessen Inhalt und Form nicht unwesentlich von den Brecht-Erben bestimmt wurde. Ursprünglich wollte Freyer mit einer Sammlung von Brecht-Zitaten arbeiten. Doch die familiären Gralshüter untersagten dies, weil die Zitate damit aus ihren Zusammenhängen gerissen worden wären. So arbeitete Freyer nur mit Buchstaben und einzelnen Wörtern, was nicht genehmigungspflichtig ist.
Die Bühne wird bestimmt von einem schrägen Tisch, der wie die Rückwand mit dem Alphabet beschrieben ist. Die fünf Darsteller des Freyer-Ensembles sind zugleich Sänger, Musiker und Tänzer. Gezeigt wird, wie nicht nur Brechts Theater funktionieren kann oder soll: da tauchen erst nur die sprechenden Hände der Darsteller über der hier schwarzen statt hellen Brechtgardine auf, dann geben die Darsteller Satzfragmente zum besten, in denen sie mit brechtscher Bedeutungsbetonung das r mächtig rollen. Unter apart getrennt geschriebenen Zwischentiteln wie "miß Handeln", "bei Spiele" und "Irgend" wird nun dreimal von einer Männer-, einer Frauen- und einer Kinderstimme mit großer Bedächtigkeit und Bedeutsamkeit das Alphabet aufgesagt. Zu jedem Buchstaben werden dabei einige Wörter geliefert, die man irgendwie auf Brecht und sein Werk beziehen kann. So zum K Krieg, Kreuz und Krüppel oder zum R Ratten, Rauch, Regen, Reichtum, Riesenstädte, Rot und Rundarsch. Diese Begriffe werden nicht etwa direkt bebildert, sondern allenfalls vage umspielt. Dafür bietet der Regisseur skurrile Phantasiefiguren und Rätselbilder auf. Der bildende Künstler, Bühnenbildner und Regisseur Achim Freyer hat sich längst ein Kunst-Universum der eigenen Zeichen und Formen geschaffen, das er nun über Brecht ausschüttet. Freyer, der 1954 Brechts Meisterschüler wurde, setzt gegen die eindeutige Zeichenhaftigkeit Brechts ein wahres Assoziationsgewitter für den Freyer-Geübten und Brecht-Eingeweihten. Die bunt geschminkten und phantastisch kostümierten Darsteller, die sich oft wie Demonstrationsfiguren zu Kleists Überlegungen zum Marionettentheater ausnehmen, grimassieren und agieren mit heiligem Kunsternst. Das ergibt humorlose Kunst-Kunst: jede Geste zwei Zeichen, jede Haltung eine verrätselte Mehrfachbedeutung. Und dazu tönt Brechts schnarrende Stimme aus dem historischen Proben-Off, die eigentlich immer das Gegenteil von dem forderte, was auf der Bühne passierte. Das sichtlich in Freyer-Fans und genervte Zuschauer getrennte Publikum mischte sich mit ironischen Zwischenrufen schon beim zweiten Durchgang durchs Alphabet ein, und der nur 75 Minuten lange Abend zog sich mächtig dahin. Dabei gelingen Freyer manch schöne Bilder, auch wenn kaum gespielt, sondern eher ausgestellt wird. Wobei Körper und Gliedmaßen szenische Zeichen sind. Da schiebt sich ein Bettler mit Stahlhelm, Hitlerbärtchen und Beinstümpfen mit einem soldatischen Krüppel aus früherer Zeit, einem Hakenfinger-Trommler und einem Mann, der einige Noten aus der Mackie-Messer-Ballade auf der Nasenflöte spielt, vors Publikum. Oder ein kleiner Hitler sitzt neben einem Mann mit riesigem Pappkopf am Tisch und stößt diesem sein Messer in den Schädel, später wird dem Mann der Schädel abgesägt, und bei dessen Weiterreichen an einen bunt deformierten Tischnachbarn fallen Innereien auf dessen Essteller und werden verzehrt. Es gibt eine Fülle von solchen surrealen Bildern. Die, weil sie so humorlos wichtigtuerisch daher kommen, weniger anregen als ärgerlich stimmen. Mit den Forderungen Brechts nach gestischer und szenischer Einfachheit und Genauigkeit haben sie nicht direkt etwas zu tun, auch wenn Brechts Ärger über schlechtes Theater und schlechte Lieder mehrfach aufgesagt wurde. Ganz zum Schluss gab es dann aber doch noch reinen Brecht: Brecht rezitierte "An die Nachgeborenen".
Die Bühne wird bestimmt von einem schrägen Tisch, der wie die Rückwand mit dem Alphabet beschrieben ist. Die fünf Darsteller des Freyer-Ensembles sind zugleich Sänger, Musiker und Tänzer. Gezeigt wird, wie nicht nur Brechts Theater funktionieren kann oder soll: da tauchen erst nur die sprechenden Hände der Darsteller über der hier schwarzen statt hellen Brechtgardine auf, dann geben die Darsteller Satzfragmente zum besten, in denen sie mit brechtscher Bedeutungsbetonung das r mächtig rollen. Unter apart getrennt geschriebenen Zwischentiteln wie "miß Handeln", "bei Spiele" und "Irgend" wird nun dreimal von einer Männer-, einer Frauen- und einer Kinderstimme mit großer Bedächtigkeit und Bedeutsamkeit das Alphabet aufgesagt. Zu jedem Buchstaben werden dabei einige Wörter geliefert, die man irgendwie auf Brecht und sein Werk beziehen kann. So zum K Krieg, Kreuz und Krüppel oder zum R Ratten, Rauch, Regen, Reichtum, Riesenstädte, Rot und Rundarsch. Diese Begriffe werden nicht etwa direkt bebildert, sondern allenfalls vage umspielt. Dafür bietet der Regisseur skurrile Phantasiefiguren und Rätselbilder auf. Der bildende Künstler, Bühnenbildner und Regisseur Achim Freyer hat sich längst ein Kunst-Universum der eigenen Zeichen und Formen geschaffen, das er nun über Brecht ausschüttet. Freyer, der 1954 Brechts Meisterschüler wurde, setzt gegen die eindeutige Zeichenhaftigkeit Brechts ein wahres Assoziationsgewitter für den Freyer-Geübten und Brecht-Eingeweihten. Die bunt geschminkten und phantastisch kostümierten Darsteller, die sich oft wie Demonstrationsfiguren zu Kleists Überlegungen zum Marionettentheater ausnehmen, grimassieren und agieren mit heiligem Kunsternst. Das ergibt humorlose Kunst-Kunst: jede Geste zwei Zeichen, jede Haltung eine verrätselte Mehrfachbedeutung. Und dazu tönt Brechts schnarrende Stimme aus dem historischen Proben-Off, die eigentlich immer das Gegenteil von dem forderte, was auf der Bühne passierte. Das sichtlich in Freyer-Fans und genervte Zuschauer getrennte Publikum mischte sich mit ironischen Zwischenrufen schon beim zweiten Durchgang durchs Alphabet ein, und der nur 75 Minuten lange Abend zog sich mächtig dahin. Dabei gelingen Freyer manch schöne Bilder, auch wenn kaum gespielt, sondern eher ausgestellt wird. Wobei Körper und Gliedmaßen szenische Zeichen sind. Da schiebt sich ein Bettler mit Stahlhelm, Hitlerbärtchen und Beinstümpfen mit einem soldatischen Krüppel aus früherer Zeit, einem Hakenfinger-Trommler und einem Mann, der einige Noten aus der Mackie-Messer-Ballade auf der Nasenflöte spielt, vors Publikum. Oder ein kleiner Hitler sitzt neben einem Mann mit riesigem Pappkopf am Tisch und stößt diesem sein Messer in den Schädel, später wird dem Mann der Schädel abgesägt, und bei dessen Weiterreichen an einen bunt deformierten Tischnachbarn fallen Innereien auf dessen Essteller und werden verzehrt. Es gibt eine Fülle von solchen surrealen Bildern. Die, weil sie so humorlos wichtigtuerisch daher kommen, weniger anregen als ärgerlich stimmen. Mit den Forderungen Brechts nach gestischer und szenischer Einfachheit und Genauigkeit haben sie nicht direkt etwas zu tun, auch wenn Brechts Ärger über schlechtes Theater und schlechte Lieder mehrfach aufgesagt wurde. Ganz zum Schluss gab es dann aber doch noch reinen Brecht: Brecht rezitierte "An die Nachgeborenen".