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Wenn Judith bittet, ist das keine Bitte

Judith, eine Frau aus dem Umfeld des Alten Testaments, tötete einen General des Königs Nebukad-nezars und rettete damit ihr Volk. Die Geschichte liefert Regisseuren bis heute Stoff für die Bühne. Bei den Salzburger Festspielen hat sich ein Regiekollektiv für die Kombination zweier Judith-Arbeiten entschieden: Friedrich Hebbels Theaterversion und Antonio Vivaldis Oratorium Juditha triumphans.

Von Karin Fischer |
    Eine Frau macht sich schön, geht ins Lager des Feindes und schlägt dem grausamen Feldherrn Holofernes den Kopf ab. Die "Judith" haben von Lucas Cranach und Tintoretto bis hin zu Gustav Klimt und Franz von Stuck vor allem Maler ins Bild gebannt, mal als unschuldig-schönen Racheengel, mal als laszive Verführerin und femme fatale. Sie hat aber auch in der Psychoanalyse Karriere gemacht, Stichwort: unerfüllte Sexualität, Kastrationsangst. Um zwei ältere Interpretationen des Stoffes geht es hier: Antonio Vivaldis Oratorium feiert Judith als Heldin und erzählt doch auch eine große Liebesgeschichte. Und das Skandalon des Dramas von Friedrich Hebbel besteht darin, dass Judith den begehrt, den sie ermorden soll, weshalb die Tat, die ihr Volk rettet, ihr selbst zu Nichts wird.

    Das Team Nübling/Wittershagen/Gerstner plus Anne Tismer erzählt die Geschichte in starken Bildern weiter: schön und roh, kunstreich entrückt und doch sehr gegenwärtig. Auf einer tiefschwarzen Bühne, die nur rückseitig ein tiefes Tor und damit etwas von einem Bunker hat, agieren drei Judiths und vier Holofernes-Figuren, die auch als paramilitärische Gang durchgehen würden. Dazu gibt es ein paar sehr rosafarbene Köpfe, den Countertenor Daniel Gloger im schwarzen Reifrock, einen Bariton und eine ebenfalls in Schwarz stilisierte Sängergruppe, die als Chor oder Geschichtenerzähler fungiert und als erstes die akustische Handschrift des Abends vorstellt:

    "Im 13. Jahr des Königs Nebukad-nezar, am 22. Tag des ersten Monats wurde im Hause Nebukad- nezars, des Königs von Assyirien ein Beschluss gefasst, dass er daran dächte, die ganze Erde, unter seine Herrschaft zu bringen, seine Herrschaft zu bringen, Herrschaft zu bringen, die ganze Erde unter seine Herrschaft zu bringen."

    So wie der Marschrhythmus in schrilles Saxofon übergeht, so wie die Musik vom abgezirkelten Barock in freies Material verwandelt wird, so kippt die Szene ständig in eine andere Form, ohne dabei jedoch das Gleichgewicht zu verlieren. Neben der Mezzosopranistin Tajana Raj, die als Judith einige der schönsten Vivaldi-Arien singt (, wenn auch nicht in halsbrecherisch barockem Tempo), spielt Stephanie Schönfeld den Hebbel-Part. Anne Tismer ist als multiple Frau von heute mal Girlie mit Schnauze, mal asoziale Schlampe, mal Vergewaltigungsopfer im Krieg, mal Jung-Aktivistin mit politischem Anspruch, die sich ziemlich platt, aber doch inhaltlich passend, Gedanken über die Wasservorräte auf der Erde macht.

    "Eine Milliarde Menschen auf der Erde hat kein Wasser. Da stimmt was nicht! Wer hat das verteilt?"

    Ihr gelingt das Unmögliche: der Wahnsinnstat eine rationale Grundierung zu geben, einen quasi "unschuldigen Protest" zu formulieren im Namen all jener Frauen, die an den Rand gedrängt, genötigt, vergewaltigt, psychotisch oder zu Mörderinnen ihrer Kinder wurden. Anne Tismers über die Bühne tobendes Girlie stellt die bei Hebbel aufgeworfene Identitätsfrage neu und beantwortet sie mit einem wichtigen Satz:

    "Zum ersten Mal habe ich Respekt vor meinem Talent!"

    Wenn Judith betet, ist das keine Bitte, sondern eine gebieterische Forderung, eine Kampfansage wie vor einer Schlacht. Was dann folgt, könnte genau so gut heißen:

    "Vier Arten, einen Mann zu vergewaltigen"

    Denn dieser vierfache Holofernes, der sich noch ernsthaft einbildet, "Wertevermittlung" durch Krieg und Gewalt sei möglich, ist ein Vergewaltiger aus Schwäche, ein Psychopath, ein Muttersöhnchen.
    Dieses musiktheatralische Experiment ist nicht nur eine zeitgenössische, feministische und politische Re-Lektüre des Mythos. Es ist auch ein prima Beispiel fürs moderne Regietheater. Schade nur, dass Daniel Kehlmann an dem Abend anderswo lesen musste. Er hätte auf der Perner-Insel jene ganz eigene Stimme vernommen, wie er sie sich in der "Vermessung der Welt" selbst geleistet hat. Und er hätte ein Spiel mit Identitäten gesehen, welches dem in seinem jüngsten Buch "Ruhm" immerhin nahe kommt. Fazit: Es ist an der Zeit, das Wort "Regietheater" ein für alle Mal als Kampfbegriff zu streichen. Es bedeutet den mehr oder weniger gelingenden und mehr oder weniger kunstvollen Anschluss des Theaters an die Gegenwart, also eine pure Selbstverständlichkeit. Auf der Perner-Insel ist das mit dem multiplen "Judith"-Projekt einmal mehr geglückt.