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Wenn Probleme auf die Zähne schlagen

Manchmal kommt ein Druck von mehreren Kilos zustande, wenn Betroffene mit den Zähnen knirschen. Dies kann zu nachhaltigen Schäden an Zähnen und Kiefergelenk führen. In der Regel empfieht der Zahnarzt dann eine Kunststoffschiene. Damit beugt der Arzt aber lediglich den Folgen des Knirschens vor. Die Ursache wird dabei nicht berücksichtigt. Im Universitätsklinikum Münster wurde vor einiger Zeit eine Professur für Psychosomatik in der Zahnheilkunde geschaffen. Das führte zu einem neuen Behandlungsansatz.

Von Christiane Raasch |
    Die Probleme waren hauptsächlich beim Zahnarzt, dass ich da also den Mund nicht weit genug öffnen kann, um die Zahnbehandlungen zu machen.

    Der Zahnarzt wusste nicht mehr weiter. Doch an der Universitätszahnklinik Münster konnte der jungen Frau geholfen werden. Dort stellten die Zahnärzte fest, dass die Patientin ihre Kaumuskeln fast durchgehend anspannt und dabei die Zahnreihen aufeinander preßt. Das führt zu einer dauerhaften Verkrampfung der Gesichtsmuskeln mit dem Symptom: Mundsperre. Nach eingehender Untersuchung diagnostizierte Professor Dr. Stephan Doering eine so genannte craniomandibuläre Störung:

    Das ist eine Störung des Kauapparats, des Kiefers, und wenn man so will, des Schädels, und dort, wo die zwei aufeinandertreffen, das ist das Kiefergelenk, dort ist zum einen ein Problem, dass nämlich das Kiefergelenk in seiner Funktion beeinträchtigt ist, es kommt dann häufig zu Klickgeräuschen, und dass auch die Mundöffnung eingeschränkt ist, und darüber hinaus haben wir noch Schmerzen in der Kaumuskulatur oder eine Druckempfindlichkeit der Kaumuskeln meistens hier im Wangenbereich - kann man auch selbst sehr gut feststellen - und im Rahmen dieser craniomandibulären Störung, da kommt es eben häufig auch zum Zähneknirschen.

    Stephan Doering arbeitet zwar eng mit Zahnmedizinern zusammen, er ist aber Psychiater und hat den bundesweit einzigen Lehrstuhl für Psychosomatik in der Zahnheilkunde inne. Zusammen mit den Zahnmedizinern der Universität erforscht er, warum Menschen Angst vor dem Zahnarzt haben oder ihre Zahnprothesen nicht vertragen. Darüber hinaus interessiert ihn, weshalb Menschen mit ihren Zähnen pressen und knirschen. In seiner Sprechstunde sind die Patienten, bei denen Zahnärzte keine organischen Schäden als Auslöser für solche Beschwerden gefunden haben, Menschen, denen womöglich unnötiger Zahnersatz verordnet wurde:

    Das sind dann fünf, sechs, sieben Prothesen, die sie angefertigt bekommen, zum Teil für sehr viel Geld, bevor sie zu uns kommen, und häufig haben wir da psychosoziale Ursachen, die eine Rolle spielen. Ja, dass eben auch hier Stressbelastung eine Rolle spielt. Bei älteren Menschen häufig, dass das Ende der Berufstätigkeit, die Berentung, Pensionierung, oder Verlust eines Partners, das sind häufig Ursachen, die eine Rolle spielen, oder psychische Erkrankungen, die dann natürlich auch behandelt werden müssen.

    Die 36-Jährige Patientin mit der Mundsperre kennt zwar nicht jeden ihrer Stressauslöser aber der Nachwuchs gehört dazu:

    Ich hab halt einen 1 1/2-Jährigen Sohn und das ist natürlich normal, dass das Zuhause auch einiges Leben bringt und eben auch Stresssituationen.

    Ihren Stress kompensierte die Mutter durch Zusammenpressen der Kiefer. Doch Pressen und Knirschen hinterlassen Spuren im Kauapparat.

    Das Gebiss eines Menschen, der längere Zeit geknirscht hat, unterscheidet sich deutlich von einem ganz gesunden Gebiß, weil einfach die Zahnoberflächen abgeschliffen sind, (..) und wenn das Kiefergelenk untersucht wird, kann man unter Umständen auch da schon Folgeerscheinungen feststellen.

    Damit es erst gar nicht so weit kommt, sollte ein Zähneknirscher ohne organischen Befund psychotherapeutisch behandelt werden. Darüber hinaus wird an der Zahnklinik Münster auch Physiotherapie, also Krankengymnastik, eingesetzt.

    Zunächst muss die Stärke der Anspannung in der Wangenmuskulatur mit Hilfe eines Rechners gemessen werden. Dazu heftet eine Assistentin den Patienten Sensoren auf die Wangen. Diese melden die Intensität der Anspannung in der Muskulatur an den angeschlossenen Rechner, der dann feststellt, ob zum Beispiel ein Patient die Kiefer aufeinander presst oder nicht. Normalerweise hängt der Unterkiefer im Ruhezustand leicht herunter. Immer, wenn einem Patienten die Entspannung der Gesichtsmuskeln gelingt, sieht er auf einem Monitor kleine gleichmäßige grüne Zacken und zur Belohnung ertönt leise Mozartmusik:

    Der Rechner ist unbestechlich, die Musik reißt in dem Moment ab, in dem ein Patient seine Gesichtsmuskulatur wieder zu stark anspannt. Gleichzeitig bauen sich auf dem Monitor hohe scharfe Zacken auf. Mit dieser Belohn- und Strafmethode entwickeln die Patienten nach und nach ein Gespür, wie sich ihre Kaumuskeln im gewünschten, gelockerten Zustand anfühlen. Unter anderem lernen sie, wie sie ihre Gesichtsmuskeln selber massieren können.

    Es ist ins Bewußtsein gedrungen, dass ich Zuhause dann, wenn ich merke ich rege mich auf, dann sehe ich zu, dass es nicht wieder so weit kommt, dass es nicht wieder so verspannt, und das funktioniert schon sehr gut.