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Wenn Schnurrhaare Ratten retten

Medizin.- Ein sogenannter Hirninfarkt kann schwerwiegende Folgen haben – zum Beispiel den Verlust des Seh- oder Gehörsinns. Kalifornische Forscher haben herausgefunden, dass zumindest bei Ratten der Infarktschaden fast komplett vermieden werden kann, wenn die Tiere kurz danach nur genug Sinnesreize erfahren.

Von Katrin Zöfel |
    Ratten sind Sinnestiere, sie orientieren sich über Nase, Ohren und vor allem über ihre Schnurrhaare. Entsprechend ist ein großer Teil ihres Gehirns dazu da, Sinnesreize auszuwerten. Wie rege ein Tier seine Schnurrhaare nutzt, lässt sich erkennen, wenn man die Aktivität des Gehirns in einem Hirnscanner sichtbar macht. Je mehr Signale über die Haare im Gehirn ankommen, umso stärker ist die Durchblutung rund um die zuständigen Nervenzellen. Genau diesen Effekt will der Forscher Ron Frostig von der Universität von Kalifornien in Irvine nutzen, um die Folgen von Hirninfarkten zu mildern. Die Idee: Schaden richtet ein Infarkt vor allem dadurch an, dass die Durchblutung stockt. Aktiviert man das betroffene Hirnareal, könnte der Blutfluss wieder in Gang kommen. Soweit die Theorie. Im Labor von Ron Frostig führen die Forscher den Infarkt bei den Ratten künstlich herbei.

    "Wie stellen wir das an? Wir binden die mittlere Hirnarterie der Tiere an zwei Stellen ab und durchtrennen sie dann. Der Blutfluss ist also unterbrochen. Die Folge ist ein Hirninfarkt."

    Und zwar in der Region, wo das Hirn unter anderem die Signale der Schnurrhaare verarbeitet.

    "Unsere Idee für die Behandlung ist dann: Wir stimulieren die Schnurrhaare der Tiere."

    Die Schnurrhaarsignale werden ins Gehirn weitergeleitet und dort die zuständigen Nervenzellen aktiviert. Nervenzellen wiederum, die aktiv werden, fordern mehr Blut an, damit sie ihre Aufgabe erfüllen können. Ist ein Blutgefäß nun durch den Infarkt blockiert, gleicht das Gehirn über andere Blutgefäße aus, der Blutfluss wird umgeleitet. Die Laborergebnisse scheinen das zu bestätigen.

    "Wenn man die Schnurrhaare reizt, führt das im Gehirn tatsächlich dazu, dass der Blutfluss sich verändert. Im Effekt wird das vom Infarkt betroffene Gewebe wieder durchblutet – mit anderen Worten: es wird vor den Folgen des Infarkts geschützt."

    Auch das Verhalten der Tiere, so Frostig, passte zu den Hirnbefunden. Sie schienen keine bleibenden Schäden davonzutragen. Ähnlich wie bei heute üblichen Infarktmedikamenten kam es allerdings auf das Timing an. Spätestens zwei Stunden nach dem künstlichen Infarkt muss die Behandlung erfolgen. Später hat sie keinen Effekt mehr. Warum, das erklärt Mark Goldberg, Forscher am Southwestern Medical Center der Universität von Texas.

    "Wir Infarktforscher stellen uns das so vor: Bei einem Infarkt wird ein Teil des Gehirns gar nicht mehr durchblutet, dieser Teil stirbt schnell ab. Da kann man fast nichts mehr machen. Darum herum aber gibt es einen zweiten Teil, der erst einmal nur schlechter durchblutet wird, der stirbt nur langsam ab. Diese Region kann man retten, wenn man die Durchblutung innerhalb dieser entscheidenden Zeitspanne wieder in Gang bringt."

    Die Ergebnisse aus Ron Frostigs Labor seien ermutigend, so Goldberg, der Schritt vom Tierversuch zum Menschen allerdings noch groß. Dennoch:

    "Wenn man solche aufregende Ergebnisse hat, dann lohnt es sich herauszufinden, was dahintersteckt. Es ist ja noch gar nicht klar, wie das genau abläuft. Wenn wir das herausgefunden haben, können wir sehen, wie wir es für Menschen anwenden können."

    Ron Frostig machte seine Versuche zunächst an betäubten Ratten. Weil die meisten Hirninfarkte aber bei wachen Menschen auftreten, änderte er seine Versuchsanordnung und verwendete wache Ratten. Außerdem testete er neben der Stimulation der Schnurrhaare auch akutische Reize. Die Ergebnisse waren, so Frostig, ähnlich vielversprechend. Mit Blick auf den Menschen sagt er:

    "Ich würde alle mögliche Reize ausprobieren, auf jeden Fall nicht ruhig in einem Krankenbett liegen. Wir wissen ja auch nicht immer, wo im Gehirn der Infarkt geschehen ist. Mit den Reizen müssen wir aber genau diese Region erwischen. Also: ich würde raten, alles Mögliche zu tun, um das Hirn anzuregen."

    Gleichzeitig warnt er: würden betroffene Hirnregionen zur falschen Zeit oder zu sehr gereizt, könnte das zur Überlastung des Gehirns führen, was wiederum erst recht schädlich wäre.