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Wenn Schüler über Musik fühlen lernen

Musik ist wie ein Spiegel unseres Daseins. Sie sorgt für Spannung und Gänsehaut. Welche Wirkung Musik auf die Gefühle hat, untersuchen Wissenschaftler.

Von Doris Arp | 28.04.2011
    Wer frühzeitig Geige lernt, kann besser rechnen. Wer Mozart hört, kann besser denken, wer viel singt, ist konzentrierter. Alles nur Vermutungen. Wissenschaftlich belegt ist die Wirkung von Musik nicht. Mit bildgebenden Verfahren können Neurologen zwar verfolgen, wie ein Walzer im Ohr "schwingt" und welche "Feuerwerke" die Musik Mozarts im Gehirn entfaltet, aber warum und mit welcher Wirkung gehört noch in den Bereich der Vermutungen. Die Erfahrung der meisten Menschen aber zeige eines sicher: Musik ist eine Sprache der Gefühle, sagt Martina Krause, Professorin an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Mannheim.

    "Das ist für mich auf jeden Fall ein ganz natürliches Paar. Gerade im Bereich der Filmmusik, aber nicht nur da, ist Musik mit Gefühlen verbunden."

    Den meisten Kennern von Hitchcocks Film Psycho reicht allein die Musik, und die berühmte Duschszene entsteht wieder schaudernd vor ihrem inneren Auge. Musik ist im Film ein starker Gefühlsmotor.

    "Menschen schreiben Musik ja sehr viele Bedeutungen und Wirkungen zu. Insofern ist Musik wie ein Spiegel unseres Daseins. Wenn wir 'ne Gänsehaut haben, wenn wir Musik hören, dann machen wir die Erfahrung und da können wir uns auch schwer drüber täuschen, das sind handfeste, konkrete Erfahrungen, dass sich etwas verändert, Musik etwas mit uns macht, vielleicht auch mal trübe Stimmungen vertreibt oder auch Stimmungen in bestimmter Weise verändert. Und das macht es zu einem ganz vielfältigen, faszinierenden Forschungsgegenstand."

    Der Musikpädagoge Professor Gunter Kreutz von der Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg spürt seit einigen Jahren dem Wohlklang empirisch nach. Er hat beispielsweise Untersuchungen durchgeführt wie und woran Kinder fröhliche und traurige Musik erkennen. In seinen Studien zeigte sich, dass für Kinder bis zum Alter von fünf Jahren allein das Tempo über das musikalische Gefühl entscheidet. Erst ältere Kinder können auch die Modalitäten Dur- und Moll für eine Affekterkennung in Melodien nutzen.

    "Es ist etwas Gelerntes. Ich würde nicht sagen, dass Musik von sich aus irgendwelche Gefühle vermittelt. Es ist immer ein wechselseitiges Verhältnis und das würde nicht funktionieren, wenn ich nicht eine bestimmte Disposition, die auch auf Kulturkonventionen basiert, vorhanden wäre beim Hörer oder Musiker."

    Musik ist gebunden an die jeweilige Kultur. Argentinischer Tango klingt für chinesische Ohren fremd. Ebenso wie mongolischer Obertongesang für uns. Doch Menschen auf der ganzen Welt lassen sich von Musik in ihren Gefühlen berühren. Aber wie kommt das Gefühl in die Töne, wenn es dort nicht schon immer steckt? Warum gehen uns manche Melodien direkt in den Bauch und in die Beine?

    "Die Frage, warum ist der Mensch eine der wenigen Spezies, die sich zu einem rhythmischen Stimulus synchronisiert? Das sehen wir bei Fröschen, Zykaden, Glühwürmchen, die rhythmisch glühen. Menschen tanzen wunderbar miteinander – meistens, zugegebener Maßen klappt das nicht immer mit der rhythmischen Synchronisation, aber im Grunde sind wir dafür angelegt im gemeinschaftlichen Singen und Tanzen Synchronisationen zu erleben und das ist eine ganz große Besonderheit und eigentlich immer noch ein großes Rätsel, warum Menschen das tun."

    Der Musikwissenschaftler Gunter Kreutz hält die Musikalität für eine tief im menschlichen Erbe verankerte Kommunikationsfähigkeit.

    "Wir werden ja praktisch zum Teil schon musikalisiert geboren. Wir kommen mit einer Stimme auf die Welt, die ersten Erfahrungen sind eigentlich musikalische, was das Akustische betrifft. Die Ammensprache, der Singsang, die Wiegenlieder, und bevor wir überhaupt Sprache lernen, lernen wir schon sehr viel Musik kennen und das ist in uns und das prägt uns natürlich fürs ganze Leben. Und deswegen ist für mich die spannende Frage, was bedeutet diese frühe Musikalisierung, die wir natürlich ausbauen durch das kulturelle Umfeld."

    "Mir geht beim Singen die Seele auf, und wenn das gut klappt, also wir lange genug geübt haben und das klingt richtig zusammen, dann hat das für mich wirklich auch so ne spirituelle Dimension, ich kann mich völlig vergessen und es macht einen riesen Spaß. Ist dann gesund für Körper, Geist und Seele, so empfinde ich das."

    Gemeinsames Singen fördert Kooperation und Teamgeist. Das ist grob zusammengefasst ein im Frühjahr 2009 in der Zeitschrift "Psychological Science" veröffentlichte Ergebnis einer Studie an der Stanford Universität. Dort wurde die Wirkung von rhythmischer Synchronisierung auf den Gruppenzusammenhalt untersucht. Gunter Kreutz hat eigene ähnliche Studien zum Tangotanzen und zum Chorsingen durchgeführt. Seine Studien deuten darauf hin, dass Musik und Musizieren eine Art Wohlfühleffekt haben.

    "Wir haben erste Hinweise, dass der Körper auf Musik reagiert. Und m.E. reagiert er stärker, wenn wir selber in das Musikmachen involviert sind. Das sollte einen nicht verwundern, weil der Körper ist ja schon aktiviert. Aber die Rückwirkungen gehen eben schon so weit, dass man sagen muss, da ist noch was Spezifisches dabei. Wenn ich spreche, ist es ja normal, dass ich meine Atmung betätige, dass ich vielleicht auch meine Stimmung verändere. Im gemeinsamen Singen ist es aber so, dass es doch Gruppeneffekte gibt, die einerseits in die Richtung gehen, dass sich die subjektive Stimmung verbessert und dass negative Stimmungsanteile weniger werden."

    In den USA war man schon in den 50er-, 60er-Jahren überzeugt, dass Musik in vielfältiger Hinsicht Kindern gut tut. In amerikanischen Grundschulen ist es bis heute ein Pflichtfach, in dem nicht nur Volkslieder, sondern auch musikalische Grundlagen gelernt werden. Alexandra Kertz-Welzel, Professorin an der Maximilian Universität in München, hat einige Zeit in den USA gelehrt.

    "Das war die ursprüngliche Begründung für Musikunterricht in den USA, man hat auf einmal bessere Sozialkompetenzen, man ist kreativer und man kann besser denken. Man hat dann in den 50er, 60er-Jahren auch versucht, den Musikunterricht ästhetisch zu begründen, das heißt aus der Musik heraus. Dass es auch darum geht, bestimmte musikalische Erkenntnisse zu erwerben. Die Verbindung zwischen Musik und Gefühl zu gestalten, ästhetische Erfahrung zu haben."

    Bennet Riemer sei mit seiner Musikphilosphie den bislang konsequentesten Schritt gegangen, Musikunterricht aus der Musik selbst heraus zu begründen, meint die Musikprofessorin Kertz-Welzel.

    "Für ihn war der Hauptgrund Musikunterricht zu begründen der Gefühlsaspekt. Er meinte, dass Schüler durch Musik fühlen lernen. In der Musik dargestellte Gefühle intensiver wahrnehmen und reflektieren können."

    Doch das Gefühl gilt als eher unwissenschaftlicher Begriff. Die Musikwissenschaft befasst sich seit Jahrhunderten lieber mit Tonalität, Kadenzen, dem musikalischen Denken in bestimmten Strukturen und höchstens mit so etwas Diffusem wie der ästhetischen Erfahrung. Gefühle haben in der abendländischen Kultur nicht den besten Ruf. Die Vernunft war stets der Leitstern. Das hat sich mit der Emotionsforschung und der neueren Hirnforschung verändert. Insbesondere die Untersuchungen an hirnverletzten Menschen von Antonio Damasio zeigten, dass Emotionen ihre eigene Intelligenz haben. Unsere Gefühle bestimmen die Richtung unserer Handlungen entscheidend mit, sie funktionieren wie eine Art Motor. Martina Krause von der Musikhochschule Mannheim setzt deshalb auf eine neue interdisziplinäre Zusammenarbeit von Hirnforschung, Musikwissenschaft, Soziologie und Pädagogik, um dem Duett von Gefühl und Musik auf die Spur zu kommen.

    "Es könnten interdisziplinäre Projekte angestoßen werden, mit denen die Beziehungen zwischen Musik und Gefühl bei Musikern, aber auch bei Rezipienten auszuloten und zu erforschen. Es wäre zu einseitig sich da nur empirisch zu nähern, man muss da auch den ganzen historischen und philosophischen Kontext beachten. Und man könnte dann daraus versuchen möglicherweise gerade im Bereich der Bildung Prozesse nicht nur zu erklären, sondern möglicherweise auch zu ändern. Nicht im Sinne von Leistungssteigerung, sondern im Sinne eines vertiefteren ästhetischen Erlebens."