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Wenn Wölfe Schafe reißen

Der Mensch ist des Wolfes Wolf. Zum ersten Mal seit den 30er Jahren hat Frankreich wieder offiziell Wölfe zum Abschuß freigegeben. Der französische Umweltminister Serge Lepeltier will damit das Raubtier nicht ausrotten, sondern im Gegenteil schützen. Dies sei aber nur möglich, wenn die Wölfe nicht die Existenz von Schafherden in den Bergen gefährden. Vier Wölfe sollen in diesem Jahr im Namen eines neuen Gleichgewichts des Öko-Systems abgeschossen werden. Umweltminister Serge Lepeltier:

Von Siegfried Forster | 20.07.2004
    Vier Wölfe, das entspricht zehn Prozent des derzeitigen Wolfbestandes in Frankreich. Das normale Wachstum dieser Tierart liegt bei 20 Prozent. Es geht also um keine Beschränkung des Wolfbestandes, sondern um eine regional begrenzte Verminderung der Wolfspräsenz, um den Druck auf die Tierherden zu verringern.

    Frankreich hatte in den 30er Jahren die Wölfe vollkommen ausgerottet. Erst Anfang der 90er Jahre kamen wieder Wölfe über die italienischen Alpen nach Frankreich und sorgen seither für Aufregung und Entrüstung bei den französischen Tierzüchtern und Schafhirten. 2.200 Tiere fielen laut offiziellen Statistiken im Jahr 2003 dem Raubtier zum Opfer. Doch nirgendwo werden Wolfs-Opfer so hoch entschädigt wie in Frankreich, weshalb Tierschützer davon ausgehen, dass es sich bei vielen so genannten Wolfs-Opfern tatsächlich um Opfer von wilden Hunden handelt. Gilbert Simon, Vizepräsident des französischen Vereins zum Schutz der Wölfe und Bären "Ferrus":

    Diese 2.000 Wolfsopfer müssen auch im Vergleich zu den schätzungsweise 50.000 bis 100.000 Schafen gesehen werden, die jedes Jahr von wilden Hunden gerissen werden. 500.000 werden jedes Jahr Opfer von Krankheiten. Insgesamt gibt es zehn Millionen Schafe in Frankreich!

    Die Entscheidung des Umweltministers empfinden viele Umwelt- und Tierschützer als Fortschritt. Kein Wunder, hatte doch der französische Landwirtschafts-Minister lauthals gefordert, dass zum Schutz der Schafzüchter der Wolf wieder ausgerottet werden müsste. Nun wird dem Wolf zum erstem Mal offiziell ein Existenzrecht garantiert, bemerkt Christophe Aubel, von France Nature Environnement - einem Zusammenschluß von 3.000 französischen Umwelt- und Naturschutz-Vereinigungen:

    Mein erster Eindruck ist positiv, weil der Wolf - äh, ich meine natürlich der Minister - bekräftigt hat, dass die Präsenz des Wolfes eine Bereicherung ist für Frankreich. Das ist das erste Mal, dass ein französischer Minister dies so klar sagt. Er hat ebenfalls gesagt, dass es nicht darum geht, den Wolfsbestand einzuschränken. Der Wolf ist da, jetzt geht es darum, das nebeneinander leben von Wölfen und Tierzüchtern zu organisieren.

    39 Wölfe leben laut staatlichen Stellen in Frankreich, andere mutmaßen, dass bis zu 70 Wölfe ihr Unwesen in der französischen Alpen-Region treiben. Kein Vergleich zu Italien, wo schätzungsweise 700 Wölfe leben. Doch in Italien sind die Wölfe nie ausgerottet gewesen und die Hirten haben gelernt, sich vor den Wölfen zu schützen. Nicht so in Frankreich, kommentiert WWF-Experte Didier Moreau:

    In Frankreich gibt es - anders als in Italien - sehr große Tierherden in den Bergen. Die Techniken, die in anderen Ländern existieren, damit Raubtiere und Haustiere neben einander existieren können, Schutzzäune, Wachhunde und eine Reihe weiterer Maßnahmen, sind in Frankreich erheblich schwieriger umzusetzen ... einfach, weil es in Frankreich lange Zeit keine Raubtiere mehr gab, wie den Luchs, Bären oder Wölfe.

    In Frankreich bedeuten die zum Abschuss freigegebenen vier Wölfe für manche Tierschützer nun unter Umständen eine Gefährdung des Wolfsbestandes, für die Schafzüchter hingegen einen Schuss in den Ofen. Bernard Masson kümmert sich in den Hochalpen um eine Herde mit 400 Schafen:

    Hier redet man uns von vier Wölfen, vielleicht sogar nur drei, wenn es sich bei den ersten um Weibchen handeln sollte. Man streut uns Sand in die Augen und macht sich über uns lustig. Denn das wird unser Wolf-Problem nicht lösen.

    Für andere dient die Legende vom bösen Wolf vor allem dazu, den Wolf zum billigen Sündenbock der notleidenden Bergbauern und Schafhirten zu machen. Seit der Wolf wieder aufgetaucht ist, hat sich die Zahl der französischen Berghirten halbiert - auch wenn dies nicht am Wolf liegt, sondern an marktwirtschaftlichen Zwängen. Die Bergbauern sind seit langem das fünfte Rad am Wagen der französischen Intensiv-Landwirtschaft.