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Wer sehen will, kann sehen

Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus ist das große Thema des Malers und Grafikers. Die wenigen erhaltenen Spuren im Schloss, die von der Euthanasie zeugen, hob er mit Stahl, Glas und Licht hervor.

Von Antonia Kreppel |
    Alltag rund um Schloss Hartheim: Der saftig grüne Rasen wird gemäht; es riecht nach frischem Gras. Im angrenzenden Café im Meierhof werden die Sonnenschirme aufgespannt. Das renovierte Renaissance-Schloss strahlt weiß, perfekt schön, wären da nicht rostende Stahlplatten, die vor die Fenster im Erdgeschoss genagelt wurden.

    "Jedes Mal wenn ich hergekommen bin, das Schloss ist von Woche zu Woche schöner geworden, immer prächtiger geworden, hab ich mir gedacht: Es ist schon richtig, dass ich das Schloss irritieren möchte. Mit diesen Fensterläden, überall dort wo die Euthanasie passiert ist, muss ein Fensterladen hin, dass man von außen merkt, da war irgendetwas, wenn man man auch zunächst nicht weiß, was war."

    Der Maler und Grafiker Herbert Friedl hat den Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim künstlerisch gestaltet; die wenigen erhaltenen Spuren mit Stahl, Glas und Licht hervorgehoben. Drei Meter hohe Paneele aus edelrostendem Stahl markieren die ehemalige Garage, den Ankunftsort der Opfer, anonyme Totenbretter gegen das Vergessen.

    "An der Stelle der Zufahrt, wo die Busse zugefahren sind durch das ehemalige Tor, habe ich zwei Glaspaneele gesetzt, darauf zu lesen sind von außen und von herinnen die Herkunftsländer und die Herkunftsorte der Opfer."

    Herbert Friedl weist mit sparsamer Gestik den Weg durch die Gedenkräume, ein hagerer Mann mit konzentriertem Blick und erstaunlichem Gedächtnis, aufgewachsen in einer christlich geprägten ländlichen Arbeiterfamilie im oberösterreichischen Mühlviertel.

    "Wie der Krieg zu Ende war, war ich eineinhalb Jahre alt, und dieses Bersten der Bomben, das Zittern der Erde und der Glasscheiben hab ich noch gut in Erinnerung. Dann die Besatzungszeit klarerweise, wir waren russische Besatzungszone, und natürlich dann der Staatsvertrag, die ganze Familie hat geweint. Am Radio sind wir gestanden, wir waren am Weg zu unsrer Taufpatin an diesem Tag, haben aber gewartet bis die Sendung am Radio zu Ende war."

    Soziale Verantwortung wird groß geschrieben in der bäuerlichen Familie; die Großmutter versorgt Flüchtlinge mit Magermilch und Brot. Mit seinem Vater besucht er als kleiner Junge das nahegelegene KZ Mauthausen.

    "Und ich erinnere mich noch an die Leere, an diese große, an die Stille, die Fensterläden sind so auf- und zugeschlagen, der Wind. Eines muss ich sagen: Nach dem Krieg war das große Schweigen bei uns. Niemand hat geredet, niemand hat was gewusst. Und es hat bis zum Jahr 1988 gedauert, dass wirklich ein Politiker Österreichs der ersten Garnitur, Bundeskanzler Vranitzki hat das erste Mal klare Worte gefunden, so lange hat das gedauert, dass Österreich nicht nur Opfer war, sondern auch bei den Tätern."

    Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus wird zum großen Thema des Künstlers Herbert Friedl; Abstraktion zum bestimmenden Gestaltungsprinzip.

    "Von vornherein war mir klar, diese Wirklichkeit, dieses Geschehen das in den KZs passiert ist, kann man mit künstlerischen Mitteln unmöglich fassen oder darstellen. Es ist so, dass das nur über eine andere Wirklichkeit zu transportieren ist und ich hab dann mich eigentlich beschränkt auf die Dinge die übrig geblieben sind. Kleider, Gegenstände, Relikte - mit denen habe ich gearbeitet. Das war so der erste Einstieg. Und nichts inszeniert. Das was geschehen ist das muss beim Beschauer passieren. Und das war auch glaub ich der richtige Weg."

    Ein wenig Tageslicht fällt durch die Ritzen der stählernen Fensterläden in die Tötungsräume. Eine dezente Lichtspur abstrahiert den Weg der Opfer. Im Meditationsraum steht ein durch Stahl verstärkter Glaskubus, gefüllt mit Fluss-Steinen aus der Donau, gesammelt von Kindern der Anrainerschulen aus der Umgebung. Sie symbolisieren die Abwesenheit von 30.000 Opfern, deren Asche und Knochenreste damals in die Donau geschüttet wurden. Bäuerinnen aus dem Nachbardorf haben beschriftete Steine dazu gelegt: Liebe, Frieden, Hoffnung.

    "Mit einem Radioästheten war ich hier und der hat mir dann das ausgependelt mit der Rute und da kreuzen sich drei Grundwasserströme genau unter diesem Punkt, das war unglaublich. Wie der Hermann Hesse sagt, der Fluss ist überall zugleich, an der Quelle und an der Mündung. Schönes Wort."

    Das aufgelegte Besucherbuch vermerkt unter dem Datum Juli 2005: Dankbar wieder hier zu sein. und: Scheiß-Hitler-Hurensohn.

    Herbert Friedl hat auch das Grabmal an der Ostseite des Schlosses gestalte, dort wurden bei Erdarbeiten im Herbst 2001 Asche und Knochen der Opfer gefunden und beigesetzt. Der Anlage liegt ein kosmisches Kreuz zugrunde.

    "Die Grabanlage ist genau geostet, das heißt wie das alte Grabritual an sich: alle Gräber schauen nach Sonnenaufgang, und wenn man die Achse durchzieht durch die Gaskammer, Arkade, kommt man genau in die Mitte des Raumes des Ankunftsortes."

    "Man gab uns die menschliche Würde zurück" steht auf einer von vier Glastafeln. Immergrün bedeckt den flachen Quader, Herbert Friedls Blick verliert sich in der Hecke aus Wildrose. Die Wildrose - die Blume der Leidensüberwindung.

    "Ich kann mit meiner Arbeit nichts verhindern, aber ich kann eines dazu beitragen, dass man dieser erfolgreichen Strategie des Vergessens Widerstand leistet. Das kann ich tun. Und ich glaub das ist schon eine Menge, und das mit langem Atem, es ist da, Tag für Tag, für Jahre, vielleicht Jahrzehnte."