Am 9. September 1898 verstarb der Dichter im 56. Lebensjahr in der Nähe von Paris. Er stand damals auf der Höhe seines Schaffens, war im Kreise der spätsymbolistischen Parnassiens (so genannt nach der Zeitschrift Parnasse contemporain) nach dem Tode Verlaines unumstritten "Prinz der Poeten". Aber es war auch ein einsamer Gipfel, auf dem sich sein reines Künstlertum vollendete. Seine stilistische Strenge zusammen mit einer kompromißlosen Verachtung für das Publikum und sein Sinnbedürfnis haben nicht gerade für eine Popularität dieses bis heute umstrittenen Esoterikers gesorgt, der in einer seiner ersten Schriften gegen "Artistische Irrlehren" wie "Die Kunst für alle" eine hieratische Geheimsprache für die Dichtung als Schutz vor der Zudringlichkeit des Pöbels gefordert hatte: "Der Mensch mag Demokrat sein, der Artist spaltet sich ab und muß Aristokrat bleiben." (II, 27)
Baudelaire hatte mit seinen "Blumen des Bösen" die literarische Moderne als Bekenntnis zum neuen Lebensgefühl der industriellen Metropolen mit ihren sozialen und subjektiven Unordnungen propagiert. Seine Verse über Bettler, Prostituierte, Dandies und Flaneure der Pariser Boulevards provozierten und wollten ein breites Publikum erschüttern. Mallarmé, der Baudelaire seit seiner Jugend bewunderte, radikalisierte diese Krise des modernen Selbstbewußtseins: Seine Verse schockieren nicht, sie irritieren durch eine Sprache, die selbst vom Fiebertaumel dieser fundamentalen Krise erglühte.
Aber es gibt noch einen anderen Charakterzug, der Mallarmé grundsätzlich von Baudelaire unterscheidet: Im Gegensatz zum exzessiven Außenseiterdasein der Pariser Bohème ist sein Leben durch unspektakuläre Bürgerlichkeit gekennzeichnet. Nach einer ersten Ausbildung als Beamter der Steuerbehörde und der Eheschließung mit einer deutschen Gouvernante wird Mallarmé Englischlehrer, ein Beruf, den er zeit seines Lebens an verschiedenen Gymnasien der französischen Provinz und zuletzt in Paris ausgeübt hat und der sich auch in verschiedenen Publikationen zur englischen Sprach- und Literaturgeschichte sowie Übersetzungen u. a. von Gedichten Edgar Allan Poes niedergeschlagen hat. Die publizistische Tätigkeit als Dichter läuft nebenher und die hierdurch erlangte Berühmtheit führt auch nicht über die engen Kreise des Fin-de-Siècle-Künstlermilieus hinaus.
Selbst heute entspricht dem revolutionären Charakter des künstlerischen Werks keineswegs ein großer Bekanntheitsgrad. Am ehesten wird man sich an Débussys Kompositionen nach Gedichten Mallarmés erinnern, die unter anderem "L'Après-Midi d'un Faune" ein musikalisches Denkmal setzten. Vielleicht fallen noch einzelne Worte ein, mit denen der Dichter die Fächer seiner Frau und seiner Tochter besang. Nicht zuletzt dem programmatischen Namen nach aber zählt das Gedicht "Un Coup de Dés" ("Ein Würfelwurf") mit seinem die Linearität der Schrift sprengendem Druckbild zum allgemeinen Bildungsgut.
Natürlich ergibt sich ein grundsätzliches Problem gerade für die deutsche Rezeption schon mit der Frage der Übersetzbarkeit. Nicht von ungefähr waren es Dichter wie Stephan George oder Rainer Maria Rilke, die sich zuerst am sperrigen Original versucht haben. Die prinzipielle Schwierigkeit der Übersetzung von Lyrik, die zwischen semantischer und metrischer Treue zu entscheiden hat, sieht sich hier vor eine schier unlösbare Augabe gestellt. Die Zäsur nämlich, die Mallarmé zwischen Tradition und Moderne als Sprachkrise inszeniert, appelliert an ein potenziertes Empfinden der ganzen Sinntiefe eines jeden einzelnen Wortes. Nicht die oberflächliche Bedeutung einer durch den Satz- oder Verständniszusammenhang vermeintlich eindeutigen Verweisung ist für den Dichter relevant, sondern das Mitschwingen der ursprünglichen Vieldeutigkeit einer virtuellen Kraft des Buchstabens jenseits grammatikalischer Entscheidungsregeln.
Wie läßt sich aber diese schon im Französischen evozierte Sinnvielfalt ins Deutsche übertragen? Nach der bislang kanonischen Version der Nachdichtungen Carl Fischers hat die Werkausgabe von Gerhard Goebel einen neuen Weg beschritten. Sie versucht so genau wie möglich die semantische und rhythmische Feinstruktur von Mallarmés Sprache zu bewahren und bietet eher eine Interlinearversion des französischen Originals an, in der das buchstäblich Übersprudelnde des spezifisch modernen Sprachempfindens am reflexiven Bildgehalt der Einzelworte zur Entfaltung kommen soll. Exemplarisch schon das Einleitungsgedicht, das den Brüdern im Geiste der neuen Dichtung ein "Salut", einen Gruß erbietet:
"Nichts, dieser Schaum, der reine Vers, Nur Bezeichnung der Form des Kelches: So ertränkt sich fern eine Herde Von Sirenen, rückwärts zumeist. Wir halten Kurs, ihr mancherlei Freunde, ich am Heck schon weit hinten, Ihr der prächtige Bug, der schneidet Von Wettern und Wintern die Flut: Eine schöne Trunkenheit treibt mich, Daß ohne Furcht vor ihrem Schlingern Ich im Stehen bring aus diesen Gruß."
Schon hier wird deutlich, was Mallarmé später die "crise de vers" genannt hat, eine Vers-Krise, die nicht als Krise der Gattung Vers erlebt wird, sondern die eine Krise des sprachlichen Bedeutens erst im Medium des Verses artikuliert. Dieses neue lyrische Sprechen, das aus dem Zerfallen der traditionellen Sinnhorizonte einen durchaus dekadenten Reiz gewinnt, löst sich vom instrumentellen Sprachgebrauch und seinem naiven Bezug auf eine äußere Wirklichkeit, um sich ganz den Klängen, Farben und Rhythmen der Wörter hinzugeben und in ihnen die vielgestaltige Bilderwelt eines impressionistischen Empfindungsalphabets zum Erblühen zu bringen. Das in seiner phonematischen und graphematischen Materialität entblößte Wort soll sich mit der begrifflosen Sprache der Musik und den Farbintensitäten der Malerei vermählen. Synästhesie, so lautetet schon das poetische Credo eines Baudelaire und Rimbaud an das neue, mit Wagner gefeierte Gesamtkunstwerk: Mallarmé aber, der in der Bessenheit seiner Arbeit am Sprachlichen gleichsam ein Cézanne der Dichtung genannt werden kann, fordert eine Sichtbarmachung dieses multimedialen Prinzips an der Chiffre des Buchstäblichen wie in einer Partitur. Die Sprache, die in ihrer Vielheit der Ausdrucksmöglichkeiten auch die Unfähigkeit für eine treffende, eigentliche Benennung bekennt, gilt es zu öffnen für ein ständiges Gleiten zwischen den Sinnebenen: "Etwas anderes ... es scheint, als wolle das aufgeschlagene Zittern einer Seite nur Verhalt sein, oder bebe ungeduldig, vor der Möglichkeit von etwas anderem." (II 103)
"Eine Beziehung herstellen zwischen den Bildern, exakter Art, und daß aus ihr ein dritter Aspekt sich ablöse, ein Aspekt der Verschmelzung und Klarheit, der Divination erschlossen ... Aufgehoben der ästhetisch verfehlte, wenn auch Meisterwerke beherrschende Anspruch, dem subtilen Papier des Buches anderes einzubeschließen als zum Beispiel das Waldesgrauen oder den im Laubwerk versprengten stummen Donner; nicht das intrinsisch dichte Holz der Bäume." (II 223)
Wie in einem Kaleidoskop soll mit jeder Wendung der Buchstaben eine neue Sinnkonstellation aufblitzen und der Klang eines einzelnen Wortes zugleich die Erinnerung an alle anderen gleichklingenden und doch anderes bedeutenden Wörter wecken. So schwingt zum Beispiel im französischen Ausdruck für "Schwan", cygne, in Mallarmés Ohren auch das Wort signe, "Zeichen" mit, oder in seiner Abhandlungen über die Etymologie englischer Wörter: "Les mots anglais", hallt der französische Doppelsinn: Les mots anglés, die "Winkelwörter" (von anglé, "verwinkelt") wider. Daß er sich mit dieser Sensibilität für Vieldeutigkeiten gerade in der englischen Literatur zuhause fühlte, verwundert nicht, denkt man etwa an die Sprachspiele eines Lewis Carroll. Aber Mallarmé vollzieht die spielerische Entfaltung des semantischen Mehrwertes nach einer strengen, nachgerade mathematischen Methode. Er begreift sich als "Techniker der Intellektualität". Wörter haben es nicht mit Dingen zu tun, sondern zunächst einmal mit ihresgleichen, so wie Mallarmé einst den dichterischen Versuchen eines Dégas antwortete: "Gedichte macht man mit Wörtern und nicht mit Ideen." Sprache wird auch für den Dichter zu einem technologisch zu erschließendem Gebilde, dessen Funktionsweise der buchstäblich gesprochen Schrift-Steller selbst in einer Weise ausgeliefert ist, die ihn als Autor hinter der absoluten Bedeutung des Werkes verschwinden läßt. Die Sprache spricht und der Dichter nur, indem er ihr entspricht: "Das reine Werk impliziert das kunstvoll beredte Verschwinden des Poeten, der die Initiative an die Wörter abtritt, die durch Schock ihrer Ungleichheit in Bewegung versetzt sind; sie entzünden sich mit wechselseitigem Widerschein wie ein virtuelles Lauffeuer von Lichtern auf Geschmeide und ersetzen so das im alten lyrischen Hauch spürbare Atmen oder die persönlich enthusiastische Lenkung der Tirade." (II 225)
Nicht Homer, der dichtend erzählende, sondern Orpheus, der mystisch offenbarende, ist das Vorbild für Mallarmés Dichten, das an die Tradition des poeta vates anknüpft und Schöpfung eher als Übersetzung, Übertragung zwischen den Sprachebenen versteht. Am vollendetsten hat er es im letzten Werk "Un coup de dés" zum Ausdruck gebracht. Das Prinzip der Aleatorik entzündet sich hier an der einen titelgebenden Zeile: "Ein Würfelwurf niemals abschaffen wird den Zufall" (die Neuübersetzung von Gerhard Goebel lautet etwas zu knapp und gleichzeitig gespreizt: "Ein Würfelwurf bringt nie zu Fall Zufall", obwohl sie sich scheinbar bemüht, im französischen abolir die griechische Etymologie des am Bildfeld von Werfen und Fallen festgemachten ballein zu reanimieren). Über elf Seiten quer verteilt öffnet jedes einzelne dieser Worte neue, einander untergeordnete Subtexte, wobei die Unterscheidung zwischen vorherrschendem Motiv und sekundären Abzweigungen typographisch in einer Weise veranschaulicht wird, die das klassische 'Medium' Buch sprengt und die ungezügelte, disseminative Kraft der Schrift virtuell hervorbrechen läßt:
"Die Fiktion tritt hervor und verfliegt schnell wieder, im ruhelosen Zuge der Schrift, um fragmentarische Stationen eines schon im Titel begonnenen, fortlaufenden kapitalen Satzes. Alles spielt sich, gerafft in hypothetischer Form ab; Erzählung wird vermieden. Hinzugefügt sei, daß aus diesem nackten Einsatz des Denkens mit Zurückweichen, Fortführung, Entschwinden oder doch aus seiner Nachzeichnung für den, der laut lesen will, sich eine Partitur ergibt." (I 245)
Der Text inszeniert so selbst seine Bedeutung, indem er sich zugleich befreit von der referentiellen Vorstellung eines Jenseits der Sprache zugunsten einer differenzierenden und differierenden, d. h. einen Reflexionsabstand herstellenden Selbstreferenz. Poetisches Sprechen entpuppt sich so als das andere einer Konstatierung von dem, was man mit einer sprachtheoretischen Unterscheidung um 1900 gegenständliche Bedeutung nennen kann, um dagegen das Schillernde eines Sinns als Performanz im Akt des Sprechens selbst herzustellen: "unter einem falschen Anschein von Gegenwart" (II 187) als Mimesis, die nicht Nachahmung meint, sondern Wiederholung, die immer nur unter der Voraussetzung der Abwesenheit des Wiederholten geschieht. Für Mallarmé ist z. B. das Wesentliche des Wortes Rose gerade die Absenz aller Rosen, denn das Wort blüht da, wo das Ding nicht ist:
"Wozu das Wunder, eine Naturtatsache in ihr schwingendes Fastverschwinden gemäß dem Spiel der Sprache zu transponieren, [...] wenn nicht auf daß draus hervorgehe, ohne die Störung nahen und konkreten Erinnerns, der reine Begriff. Ich sage: eine Blume! und, jenseits der Vergessenheit, der meine Stimme jede Kontur überantwortet, als etwas anderes als die gewußten Kelche, steigt musikalisch, Idee selbst und sanft, die aus allen Sträußen abwesende auf." (II 229)
Mallarmé hat in zahlreichen dichtungstheoretischen Texten über seine Methode nachgedacht. Auch sie sind nur schwer zu übersetzen, da ihre Sprache mehr der Strenge des Gedankens als der Verständlichkeit geschuldet ist. Auch hier, also im Medium einer Sprache der Prosa, folgt Mallarmé streng dem Prinzip seiner Befreiung des Wortes von seiner kommunikativen und kontextuellen Bedeutung. Das Ergebnis ist eine hochkomplexe parataktische Sprache, die sich bewußt einer hypo- oder syntaktischen Sinnentscheidung verweigert.
Der zweite Band der Werkausgabe von Goebel hat in diesr Hinsicht einen weiteren Meilenstein gesetzt. In französischer Originalfassung und Übersetzung liegt zum ersten Mal eine reichhaltige Auswahl der kritischen Schriften dem deutschen Publikum vor, die zugleich von der Mitherausgeberin Bettina Rommel hervorragend kommentiert werden. So wird es auch möglich, mit den Vorurteilen vom weltfremden Dichter aufzuräumen, der vielmehr ein souveräner Interpret der veränderten Kommunikations- und vor allem Informationstechnologien seiner Zeit war und dessen Hauptschüler, Paul Valéry, einer der entscheidendsten Vordenker für die Auseinandersetzung der Kritischen Theorie eines Benjamin und Adorno mit den Massenmedien wurde.
Wie Bettina Rommel in ihrem aspekt- wie kenntnisreichen Vorwort und Anmerkungen ausführt, setzte sich Mallarmé nicht nur mit den literarischen Marktmechanismen des Industriezeitalters auseinander, sondern auch mit den medientheoretischen und -technischen Bedingungen seiner poetischen Experimente. Ja es kommt bei ihm in reinster Form das Charakteristische der literarischen Moderne zum Ausdruck, nämlich nicht nur an der Schwelle eines Umbruchs der Medien kultureller Selbstverständigung nach neuen Ausdruckmittel zu suchen, sondern mit diesem Zerbrechen des klassischen Kanons zugleich die eigene Autor- bzw. Künstlerposition zu relativieren und auch zu historisieren: "Jede Nation, in der die Schrift glänzte [...] besitzt ein Vermögen, nicht anders benennbar als sein literarischer Schatz [...]. Modernerweise und in Geldhinsicht entlastet er den STAAT, so er sich bereitfindet, von Einmischung oder Fürsorge die Literatur betreffend. Das Dahinrollen des Dichterruhms eines Volkes durch die Zeiten beschränkt sich nicht aufs reine Glänzen, es füllt nebenher eine Kasse, die mit den Generationen wuchs - da die großen Autoren zu solchen durch Bücher werden, die sich verkaufen." (II 81)
Daneben lernt man Mallarmé als Autor von Essays über Theater und Ballettaufführungen und die neuesten Kreationen der Modewelt oder als Porträtisten von zeitgenössischen Dichtern, Malern und Musikern kennen. Und immer wieder ist zu beobachten, wie der Dichter auch bei der Zuwendung zu Alltagsphänomenen eine Artikulation derselben in einer Alltagssprache bricht, um gewissermaßen Sprache über ihr ständiges Versprechen stolpern zu lassen. Die Übersetzung hält sich auch hier - wie bei den Gedichten - an semantische Vorrangigkeit des Einzelwortes, was die Lesbarkeit nicht gerade erhöht, syntaktische Eigenwilligkeiten der französischen Sprache verabsolutiert und bisweilen sogar grammatikalische Bezüge mißachtet. Bedauerlich ist auch, daß der ganz auf die Interpretation konzentrierte Kommentar sich durch die zweisprachige Darbietung des Textes einer Erklärung der Übersetzungsentscheidungen enthoben zu glauben scheint.
Offensichtlich richtet sich die Ausgabe doch mehr an ein französischsprachiges bzw. romanistisch vorgebildetes Publikum. So ist wahrscheinlich auch der Verzicht auf Übersetzung der Originalzitate im Kommentarteil und der Hinweis im Vorwort des ersten Bandes zu verstehen, man möge immer das französische Original auf der linken Seite mitlesen. Dort entdeckt man dann auch metaphorische Bedeutungsnuancen, die im Deutschen verschwunden sind, so in den Ausführungen über Autorschaft und Ökonomie anstelle von "in Geldhinsicht" das französische en espèces, was wortwörtlich "Kleingeld" heißt und an den auch im Deutschen üblichen Ausdruck "das Kleingeld herausgeben" erinnert. Und das "bereitfinden" des Staates lautet im Original se prêter, was auch "sich leihen" heißen kann, oder im "Autor werden" ist der Hintersinn von parvenir verschwunden, der den Autor gerade als Parvenu entlarvt.
In der Vers-Krise heißt es: "Ein französischer Leser, seine Gewöhnung abgebrochen mit dem Tode Victor Hugos, kann nur sich beirrt fühlen", ohne daß verständlich wird, warum es nicht einfach heißen könnte: "Ein französischer Leser, dessen Gewohnheiten mit dem Tod Victor Hugos abbrechen [ses habitudes interrompues à la mort de Victor Hugo], kann nicht anders als aus der Fasung geraten [ne peut que se déconcerter]". Die Wortwahl wirkt oft gesucht, und Sätze wie: "Die Sprachen unvollkommen insofern als mehrere, fehlt die höchste" stehen an der Grenze zwischen Erhabenem und Lächerlichen (warum nicht: "Den Sprachen, darin unvollkommen, daß sie mehrere sind, fehlt die höchste"?). Selbst mit Präpositionen und Präfixen wird manchmal ein mystisches Dunkel erzeugt, das im Original gar nicht existiert (so wird aus dem einfachen absente de tous bouquets ein "aus allen Sträußen abwesende", oder das aboutir à un livre läßt "nicht auf ein Buch hinauslaufen" oder "in einem Buch enden", sondern wird zu: "um in ein Buch einzugehen").
Die generellen Übersetzungsaporien kulminieren sicherlich im Zusammenhang eines Dichters, der, schon in seiner eigenen Muttersprache fremd geworden, dem vertrauten Umgang mit dem Idiom entgegenarbeitet. Aber mit dieser Sprachmagie ist Mallarmé zugleich würdiger Nachfahre der deutschen Romantik, für die bereits Dichten ein Übersetzen, ja Stammeln in der eigenen Sprache war und alles auf ein absolutes, die Chiffre eines jeden Dings enthaltendes Buch hinauslief. Gerade der von Novalis im Monolog entwickelte Gedanke eines poetischen Sprechens, das nicht ein Sprechen um der Dinge willen ist, sondern sich als nur um sich selbst bekümmerndes Wortspiel die höchsten Wahrheiten ausspricht, nimmt Mallarmés Trennung zwischen konventionellem und wesentlichem Sprechen vorweg, nicht zu vergessen Friedrich Schlegels Definition von Universalpoesie, die im Dargestellten immer das Darstellende mitdarstellen soll. Und E.T.A. Hoffmanns musikalische Theorie von der Chiffreschrift der Naturmelodie geht in eine ähnliche Richtung der Entzifferung des Weltgeheimnisses als Partitur. Aber Mallarmé stand durchaus auch auf der Höhe des wissenschaftlichen Fortschritts seiner Zeit. Frappant ist zum Beispiel die Nähe zur strukturalen Sprachtheorie eines Ferdinand de Saussure mit ihrem Grundsatz, daß sich die Bedeutung der Einzelzeichen eines Sprachsystems erst aus der gegenseitigen Abgrenzung aller Zeichen als Ganzes ergeben. Oder man denke an Ludwig Wittgensteins epochenspezifische Verbindung von Mathematik und Mystik in seiner sprachphilosophischen Bestimmung der Grenzen unserer Welt im Schweigen. Mit seiner gleichzeitigen Ablehnung des Wirklichen als unzulänglich und der Transzendenz als Nichts, um die Dissonanz zwischen diesen Mangelerfahrungen selbst zum Ereignis eines dichterischen Sagens werden zu lassen, war Mallarmé gewissermaßen Vollender der Moderne, die mit der Romantik um 1800 begann und deren ganze Konsequenzen sich erst heute, an der neuen Jahrhundert- und Jahrtausendschwelle offenbaren. Er war ein radikaler Moderner, insofern er immer an die Wurzeln der Fragen gelangen, das Unmögliche und Absolute wollte: Vielleicht werden wir deshalb auch - wie auf dem Gemälde des Malers Frenhofer in Balzacs Novelle "Das unbekannte Meisterwerk" - in seinen Worten immer nur nichts erkennen können, weil sie alles bedeuten bzw. a rose immer nur a rose ist.
Rätselhaft wie sein an der Grenze des Verstummens stehendes Werk war auch sein Tod: Heute vor hundert Jahren verstarb der Dichter an einem Laryngospasmus, einem Krampf des Kehlkopfes bzw. der Stimmritzen, an dem er erstickte.
Baudelaire hatte mit seinen "Blumen des Bösen" die literarische Moderne als Bekenntnis zum neuen Lebensgefühl der industriellen Metropolen mit ihren sozialen und subjektiven Unordnungen propagiert. Seine Verse über Bettler, Prostituierte, Dandies und Flaneure der Pariser Boulevards provozierten und wollten ein breites Publikum erschüttern. Mallarmé, der Baudelaire seit seiner Jugend bewunderte, radikalisierte diese Krise des modernen Selbstbewußtseins: Seine Verse schockieren nicht, sie irritieren durch eine Sprache, die selbst vom Fiebertaumel dieser fundamentalen Krise erglühte.
Aber es gibt noch einen anderen Charakterzug, der Mallarmé grundsätzlich von Baudelaire unterscheidet: Im Gegensatz zum exzessiven Außenseiterdasein der Pariser Bohème ist sein Leben durch unspektakuläre Bürgerlichkeit gekennzeichnet. Nach einer ersten Ausbildung als Beamter der Steuerbehörde und der Eheschließung mit einer deutschen Gouvernante wird Mallarmé Englischlehrer, ein Beruf, den er zeit seines Lebens an verschiedenen Gymnasien der französischen Provinz und zuletzt in Paris ausgeübt hat und der sich auch in verschiedenen Publikationen zur englischen Sprach- und Literaturgeschichte sowie Übersetzungen u. a. von Gedichten Edgar Allan Poes niedergeschlagen hat. Die publizistische Tätigkeit als Dichter läuft nebenher und die hierdurch erlangte Berühmtheit führt auch nicht über die engen Kreise des Fin-de-Siècle-Künstlermilieus hinaus.
Selbst heute entspricht dem revolutionären Charakter des künstlerischen Werks keineswegs ein großer Bekanntheitsgrad. Am ehesten wird man sich an Débussys Kompositionen nach Gedichten Mallarmés erinnern, die unter anderem "L'Après-Midi d'un Faune" ein musikalisches Denkmal setzten. Vielleicht fallen noch einzelne Worte ein, mit denen der Dichter die Fächer seiner Frau und seiner Tochter besang. Nicht zuletzt dem programmatischen Namen nach aber zählt das Gedicht "Un Coup de Dés" ("Ein Würfelwurf") mit seinem die Linearität der Schrift sprengendem Druckbild zum allgemeinen Bildungsgut.
Natürlich ergibt sich ein grundsätzliches Problem gerade für die deutsche Rezeption schon mit der Frage der Übersetzbarkeit. Nicht von ungefähr waren es Dichter wie Stephan George oder Rainer Maria Rilke, die sich zuerst am sperrigen Original versucht haben. Die prinzipielle Schwierigkeit der Übersetzung von Lyrik, die zwischen semantischer und metrischer Treue zu entscheiden hat, sieht sich hier vor eine schier unlösbare Augabe gestellt. Die Zäsur nämlich, die Mallarmé zwischen Tradition und Moderne als Sprachkrise inszeniert, appelliert an ein potenziertes Empfinden der ganzen Sinntiefe eines jeden einzelnen Wortes. Nicht die oberflächliche Bedeutung einer durch den Satz- oder Verständniszusammenhang vermeintlich eindeutigen Verweisung ist für den Dichter relevant, sondern das Mitschwingen der ursprünglichen Vieldeutigkeit einer virtuellen Kraft des Buchstabens jenseits grammatikalischer Entscheidungsregeln.
Wie läßt sich aber diese schon im Französischen evozierte Sinnvielfalt ins Deutsche übertragen? Nach der bislang kanonischen Version der Nachdichtungen Carl Fischers hat die Werkausgabe von Gerhard Goebel einen neuen Weg beschritten. Sie versucht so genau wie möglich die semantische und rhythmische Feinstruktur von Mallarmés Sprache zu bewahren und bietet eher eine Interlinearversion des französischen Originals an, in der das buchstäblich Übersprudelnde des spezifisch modernen Sprachempfindens am reflexiven Bildgehalt der Einzelworte zur Entfaltung kommen soll. Exemplarisch schon das Einleitungsgedicht, das den Brüdern im Geiste der neuen Dichtung ein "Salut", einen Gruß erbietet:
"Nichts, dieser Schaum, der reine Vers, Nur Bezeichnung der Form des Kelches: So ertränkt sich fern eine Herde Von Sirenen, rückwärts zumeist. Wir halten Kurs, ihr mancherlei Freunde, ich am Heck schon weit hinten, Ihr der prächtige Bug, der schneidet Von Wettern und Wintern die Flut: Eine schöne Trunkenheit treibt mich, Daß ohne Furcht vor ihrem Schlingern Ich im Stehen bring aus diesen Gruß."
Schon hier wird deutlich, was Mallarmé später die "crise de vers" genannt hat, eine Vers-Krise, die nicht als Krise der Gattung Vers erlebt wird, sondern die eine Krise des sprachlichen Bedeutens erst im Medium des Verses artikuliert. Dieses neue lyrische Sprechen, das aus dem Zerfallen der traditionellen Sinnhorizonte einen durchaus dekadenten Reiz gewinnt, löst sich vom instrumentellen Sprachgebrauch und seinem naiven Bezug auf eine äußere Wirklichkeit, um sich ganz den Klängen, Farben und Rhythmen der Wörter hinzugeben und in ihnen die vielgestaltige Bilderwelt eines impressionistischen Empfindungsalphabets zum Erblühen zu bringen. Das in seiner phonematischen und graphematischen Materialität entblößte Wort soll sich mit der begrifflosen Sprache der Musik und den Farbintensitäten der Malerei vermählen. Synästhesie, so lautetet schon das poetische Credo eines Baudelaire und Rimbaud an das neue, mit Wagner gefeierte Gesamtkunstwerk: Mallarmé aber, der in der Bessenheit seiner Arbeit am Sprachlichen gleichsam ein Cézanne der Dichtung genannt werden kann, fordert eine Sichtbarmachung dieses multimedialen Prinzips an der Chiffre des Buchstäblichen wie in einer Partitur. Die Sprache, die in ihrer Vielheit der Ausdrucksmöglichkeiten auch die Unfähigkeit für eine treffende, eigentliche Benennung bekennt, gilt es zu öffnen für ein ständiges Gleiten zwischen den Sinnebenen: "Etwas anderes ... es scheint, als wolle das aufgeschlagene Zittern einer Seite nur Verhalt sein, oder bebe ungeduldig, vor der Möglichkeit von etwas anderem." (II 103)
"Eine Beziehung herstellen zwischen den Bildern, exakter Art, und daß aus ihr ein dritter Aspekt sich ablöse, ein Aspekt der Verschmelzung und Klarheit, der Divination erschlossen ... Aufgehoben der ästhetisch verfehlte, wenn auch Meisterwerke beherrschende Anspruch, dem subtilen Papier des Buches anderes einzubeschließen als zum Beispiel das Waldesgrauen oder den im Laubwerk versprengten stummen Donner; nicht das intrinsisch dichte Holz der Bäume." (II 223)
Wie in einem Kaleidoskop soll mit jeder Wendung der Buchstaben eine neue Sinnkonstellation aufblitzen und der Klang eines einzelnen Wortes zugleich die Erinnerung an alle anderen gleichklingenden und doch anderes bedeutenden Wörter wecken. So schwingt zum Beispiel im französischen Ausdruck für "Schwan", cygne, in Mallarmés Ohren auch das Wort signe, "Zeichen" mit, oder in seiner Abhandlungen über die Etymologie englischer Wörter: "Les mots anglais", hallt der französische Doppelsinn: Les mots anglés, die "Winkelwörter" (von anglé, "verwinkelt") wider. Daß er sich mit dieser Sensibilität für Vieldeutigkeiten gerade in der englischen Literatur zuhause fühlte, verwundert nicht, denkt man etwa an die Sprachspiele eines Lewis Carroll. Aber Mallarmé vollzieht die spielerische Entfaltung des semantischen Mehrwertes nach einer strengen, nachgerade mathematischen Methode. Er begreift sich als "Techniker der Intellektualität". Wörter haben es nicht mit Dingen zu tun, sondern zunächst einmal mit ihresgleichen, so wie Mallarmé einst den dichterischen Versuchen eines Dégas antwortete: "Gedichte macht man mit Wörtern und nicht mit Ideen." Sprache wird auch für den Dichter zu einem technologisch zu erschließendem Gebilde, dessen Funktionsweise der buchstäblich gesprochen Schrift-Steller selbst in einer Weise ausgeliefert ist, die ihn als Autor hinter der absoluten Bedeutung des Werkes verschwinden läßt. Die Sprache spricht und der Dichter nur, indem er ihr entspricht: "Das reine Werk impliziert das kunstvoll beredte Verschwinden des Poeten, der die Initiative an die Wörter abtritt, die durch Schock ihrer Ungleichheit in Bewegung versetzt sind; sie entzünden sich mit wechselseitigem Widerschein wie ein virtuelles Lauffeuer von Lichtern auf Geschmeide und ersetzen so das im alten lyrischen Hauch spürbare Atmen oder die persönlich enthusiastische Lenkung der Tirade." (II 225)
Nicht Homer, der dichtend erzählende, sondern Orpheus, der mystisch offenbarende, ist das Vorbild für Mallarmés Dichten, das an die Tradition des poeta vates anknüpft und Schöpfung eher als Übersetzung, Übertragung zwischen den Sprachebenen versteht. Am vollendetsten hat er es im letzten Werk "Un coup de dés" zum Ausdruck gebracht. Das Prinzip der Aleatorik entzündet sich hier an der einen titelgebenden Zeile: "Ein Würfelwurf niemals abschaffen wird den Zufall" (die Neuübersetzung von Gerhard Goebel lautet etwas zu knapp und gleichzeitig gespreizt: "Ein Würfelwurf bringt nie zu Fall Zufall", obwohl sie sich scheinbar bemüht, im französischen abolir die griechische Etymologie des am Bildfeld von Werfen und Fallen festgemachten ballein zu reanimieren). Über elf Seiten quer verteilt öffnet jedes einzelne dieser Worte neue, einander untergeordnete Subtexte, wobei die Unterscheidung zwischen vorherrschendem Motiv und sekundären Abzweigungen typographisch in einer Weise veranschaulicht wird, die das klassische 'Medium' Buch sprengt und die ungezügelte, disseminative Kraft der Schrift virtuell hervorbrechen läßt:
"Die Fiktion tritt hervor und verfliegt schnell wieder, im ruhelosen Zuge der Schrift, um fragmentarische Stationen eines schon im Titel begonnenen, fortlaufenden kapitalen Satzes. Alles spielt sich, gerafft in hypothetischer Form ab; Erzählung wird vermieden. Hinzugefügt sei, daß aus diesem nackten Einsatz des Denkens mit Zurückweichen, Fortführung, Entschwinden oder doch aus seiner Nachzeichnung für den, der laut lesen will, sich eine Partitur ergibt." (I 245)
Der Text inszeniert so selbst seine Bedeutung, indem er sich zugleich befreit von der referentiellen Vorstellung eines Jenseits der Sprache zugunsten einer differenzierenden und differierenden, d. h. einen Reflexionsabstand herstellenden Selbstreferenz. Poetisches Sprechen entpuppt sich so als das andere einer Konstatierung von dem, was man mit einer sprachtheoretischen Unterscheidung um 1900 gegenständliche Bedeutung nennen kann, um dagegen das Schillernde eines Sinns als Performanz im Akt des Sprechens selbst herzustellen: "unter einem falschen Anschein von Gegenwart" (II 187) als Mimesis, die nicht Nachahmung meint, sondern Wiederholung, die immer nur unter der Voraussetzung der Abwesenheit des Wiederholten geschieht. Für Mallarmé ist z. B. das Wesentliche des Wortes Rose gerade die Absenz aller Rosen, denn das Wort blüht da, wo das Ding nicht ist:
"Wozu das Wunder, eine Naturtatsache in ihr schwingendes Fastverschwinden gemäß dem Spiel der Sprache zu transponieren, [...] wenn nicht auf daß draus hervorgehe, ohne die Störung nahen und konkreten Erinnerns, der reine Begriff. Ich sage: eine Blume! und, jenseits der Vergessenheit, der meine Stimme jede Kontur überantwortet, als etwas anderes als die gewußten Kelche, steigt musikalisch, Idee selbst und sanft, die aus allen Sträußen abwesende auf." (II 229)
Mallarmé hat in zahlreichen dichtungstheoretischen Texten über seine Methode nachgedacht. Auch sie sind nur schwer zu übersetzen, da ihre Sprache mehr der Strenge des Gedankens als der Verständlichkeit geschuldet ist. Auch hier, also im Medium einer Sprache der Prosa, folgt Mallarmé streng dem Prinzip seiner Befreiung des Wortes von seiner kommunikativen und kontextuellen Bedeutung. Das Ergebnis ist eine hochkomplexe parataktische Sprache, die sich bewußt einer hypo- oder syntaktischen Sinnentscheidung verweigert.
Der zweite Band der Werkausgabe von Goebel hat in diesr Hinsicht einen weiteren Meilenstein gesetzt. In französischer Originalfassung und Übersetzung liegt zum ersten Mal eine reichhaltige Auswahl der kritischen Schriften dem deutschen Publikum vor, die zugleich von der Mitherausgeberin Bettina Rommel hervorragend kommentiert werden. So wird es auch möglich, mit den Vorurteilen vom weltfremden Dichter aufzuräumen, der vielmehr ein souveräner Interpret der veränderten Kommunikations- und vor allem Informationstechnologien seiner Zeit war und dessen Hauptschüler, Paul Valéry, einer der entscheidendsten Vordenker für die Auseinandersetzung der Kritischen Theorie eines Benjamin und Adorno mit den Massenmedien wurde.
Wie Bettina Rommel in ihrem aspekt- wie kenntnisreichen Vorwort und Anmerkungen ausführt, setzte sich Mallarmé nicht nur mit den literarischen Marktmechanismen des Industriezeitalters auseinander, sondern auch mit den medientheoretischen und -technischen Bedingungen seiner poetischen Experimente. Ja es kommt bei ihm in reinster Form das Charakteristische der literarischen Moderne zum Ausdruck, nämlich nicht nur an der Schwelle eines Umbruchs der Medien kultureller Selbstverständigung nach neuen Ausdruckmittel zu suchen, sondern mit diesem Zerbrechen des klassischen Kanons zugleich die eigene Autor- bzw. Künstlerposition zu relativieren und auch zu historisieren: "Jede Nation, in der die Schrift glänzte [...] besitzt ein Vermögen, nicht anders benennbar als sein literarischer Schatz [...]. Modernerweise und in Geldhinsicht entlastet er den STAAT, so er sich bereitfindet, von Einmischung oder Fürsorge die Literatur betreffend. Das Dahinrollen des Dichterruhms eines Volkes durch die Zeiten beschränkt sich nicht aufs reine Glänzen, es füllt nebenher eine Kasse, die mit den Generationen wuchs - da die großen Autoren zu solchen durch Bücher werden, die sich verkaufen." (II 81)
Daneben lernt man Mallarmé als Autor von Essays über Theater und Ballettaufführungen und die neuesten Kreationen der Modewelt oder als Porträtisten von zeitgenössischen Dichtern, Malern und Musikern kennen. Und immer wieder ist zu beobachten, wie der Dichter auch bei der Zuwendung zu Alltagsphänomenen eine Artikulation derselben in einer Alltagssprache bricht, um gewissermaßen Sprache über ihr ständiges Versprechen stolpern zu lassen. Die Übersetzung hält sich auch hier - wie bei den Gedichten - an semantische Vorrangigkeit des Einzelwortes, was die Lesbarkeit nicht gerade erhöht, syntaktische Eigenwilligkeiten der französischen Sprache verabsolutiert und bisweilen sogar grammatikalische Bezüge mißachtet. Bedauerlich ist auch, daß der ganz auf die Interpretation konzentrierte Kommentar sich durch die zweisprachige Darbietung des Textes einer Erklärung der Übersetzungsentscheidungen enthoben zu glauben scheint.
Offensichtlich richtet sich die Ausgabe doch mehr an ein französischsprachiges bzw. romanistisch vorgebildetes Publikum. So ist wahrscheinlich auch der Verzicht auf Übersetzung der Originalzitate im Kommentarteil und der Hinweis im Vorwort des ersten Bandes zu verstehen, man möge immer das französische Original auf der linken Seite mitlesen. Dort entdeckt man dann auch metaphorische Bedeutungsnuancen, die im Deutschen verschwunden sind, so in den Ausführungen über Autorschaft und Ökonomie anstelle von "in Geldhinsicht" das französische en espèces, was wortwörtlich "Kleingeld" heißt und an den auch im Deutschen üblichen Ausdruck "das Kleingeld herausgeben" erinnert. Und das "bereitfinden" des Staates lautet im Original se prêter, was auch "sich leihen" heißen kann, oder im "Autor werden" ist der Hintersinn von parvenir verschwunden, der den Autor gerade als Parvenu entlarvt.
In der Vers-Krise heißt es: "Ein französischer Leser, seine Gewöhnung abgebrochen mit dem Tode Victor Hugos, kann nur sich beirrt fühlen", ohne daß verständlich wird, warum es nicht einfach heißen könnte: "Ein französischer Leser, dessen Gewohnheiten mit dem Tod Victor Hugos abbrechen [ses habitudes interrompues à la mort de Victor Hugo], kann nicht anders als aus der Fasung geraten [ne peut que se déconcerter]". Die Wortwahl wirkt oft gesucht, und Sätze wie: "Die Sprachen unvollkommen insofern als mehrere, fehlt die höchste" stehen an der Grenze zwischen Erhabenem und Lächerlichen (warum nicht: "Den Sprachen, darin unvollkommen, daß sie mehrere sind, fehlt die höchste"?). Selbst mit Präpositionen und Präfixen wird manchmal ein mystisches Dunkel erzeugt, das im Original gar nicht existiert (so wird aus dem einfachen absente de tous bouquets ein "aus allen Sträußen abwesende", oder das aboutir à un livre läßt "nicht auf ein Buch hinauslaufen" oder "in einem Buch enden", sondern wird zu: "um in ein Buch einzugehen").
Die generellen Übersetzungsaporien kulminieren sicherlich im Zusammenhang eines Dichters, der, schon in seiner eigenen Muttersprache fremd geworden, dem vertrauten Umgang mit dem Idiom entgegenarbeitet. Aber mit dieser Sprachmagie ist Mallarmé zugleich würdiger Nachfahre der deutschen Romantik, für die bereits Dichten ein Übersetzen, ja Stammeln in der eigenen Sprache war und alles auf ein absolutes, die Chiffre eines jeden Dings enthaltendes Buch hinauslief. Gerade der von Novalis im Monolog entwickelte Gedanke eines poetischen Sprechens, das nicht ein Sprechen um der Dinge willen ist, sondern sich als nur um sich selbst bekümmerndes Wortspiel die höchsten Wahrheiten ausspricht, nimmt Mallarmés Trennung zwischen konventionellem und wesentlichem Sprechen vorweg, nicht zu vergessen Friedrich Schlegels Definition von Universalpoesie, die im Dargestellten immer das Darstellende mitdarstellen soll. Und E.T.A. Hoffmanns musikalische Theorie von der Chiffreschrift der Naturmelodie geht in eine ähnliche Richtung der Entzifferung des Weltgeheimnisses als Partitur. Aber Mallarmé stand durchaus auch auf der Höhe des wissenschaftlichen Fortschritts seiner Zeit. Frappant ist zum Beispiel die Nähe zur strukturalen Sprachtheorie eines Ferdinand de Saussure mit ihrem Grundsatz, daß sich die Bedeutung der Einzelzeichen eines Sprachsystems erst aus der gegenseitigen Abgrenzung aller Zeichen als Ganzes ergeben. Oder man denke an Ludwig Wittgensteins epochenspezifische Verbindung von Mathematik und Mystik in seiner sprachphilosophischen Bestimmung der Grenzen unserer Welt im Schweigen. Mit seiner gleichzeitigen Ablehnung des Wirklichen als unzulänglich und der Transzendenz als Nichts, um die Dissonanz zwischen diesen Mangelerfahrungen selbst zum Ereignis eines dichterischen Sagens werden zu lassen, war Mallarmé gewissermaßen Vollender der Moderne, die mit der Romantik um 1800 begann und deren ganze Konsequenzen sich erst heute, an der neuen Jahrhundert- und Jahrtausendschwelle offenbaren. Er war ein radikaler Moderner, insofern er immer an die Wurzeln der Fragen gelangen, das Unmögliche und Absolute wollte: Vielleicht werden wir deshalb auch - wie auf dem Gemälde des Malers Frenhofer in Balzacs Novelle "Das unbekannte Meisterwerk" - in seinen Worten immer nur nichts erkennen können, weil sie alles bedeuten bzw. a rose immer nur a rose ist.
Rätselhaft wie sein an der Grenze des Verstummens stehendes Werk war auch sein Tod: Heute vor hundert Jahren verstarb der Dichter an einem Laryngospasmus, einem Krampf des Kehlkopfes bzw. der Stimmritzen, an dem er erstickte.