Ein Jahr später zwangen die Nationalsozialisten dann auch sie ins Exil. Nachdem die Dichterin in Berlin von einem SA-Mann angegriffen worden war, flüchtete sie zunächst in die Schweiz. Die Fremdenpolizei lässt die xx-Jährige dort ständig beobachten; ihre Aufenthaltsgenehmigung muss sie immer wieder verlängern lassen. Die Quintessenz ihres Exillebens schickt sie in Form des Gedichtes "Die Verscheuchte" an ihren Bürgen Emil Raas. "Entseelt begegnen alle Welten sich sich -", heißt es darin, "Kaum hingezeichnet wie auf einem Schattenbild". Als sie sich auf einer Reise nach Palästina befindet, beginnt in Europa der Zweite Weltkrieg - die Schweiz verwehrt ihr die Rückkehr. 1945 stirbt Else Lasker-Schüler, verarmt und nahezu unbekannt, in Jerusalem.
Auch nach dem Ende des Krieges sollte es noch einmal zwanzig Jahre dauern, bis ihr Werk in der Bundesrepublik Deutschland die Beachtung erhielten, die ihm zusteht. Die Gedichte waren es, die zuerst wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit fanden - jene poetischen Gespinste, die Else Lasker-Schüler um die Phantasiewelt des Prinzen Jussuf von Theben, ihres alter ego, und dessen Freunde wob. Der bis heute eher theologisch ausgerichtete Kösel-Verlag gab 1965, zum zwanzigsten Todestag, eine erste Lasker-Schüler-Werkausgabe heraus. Wie sie konzentrierten sich allerdings auch die meisten der folgenden Editionen fast ausschließlich auf das poetische Werk der Dichterin. Ihre Prosa fand- auch dies eine bis heute andauernde Folge des Exils - bis heute kaum ein breites Lesepublikum.
Aus verständlichen Gründen: Die drei geschlossenen Stücke und mehreren hundert Fragmente, die nun der vierte Band der Werkausgabe bietet, vermitteln ein durchaus zerrissenes Bild. Sie zeigen, dass Lasker-Schülers Qualitäten tatsächlich vor allem in ihren Gedichten zu suchen sind - und wie sehr die Dichterin auch in ihren Prosatexten um sich selbst kreist.
Der 1921 veröfentlichte "Wunderrabbiner von Barcelona" erzählt - teils Märchen, teils Legende - die Geschichte eines jüdischen Lehrers, dem seine Gemeinde zum Schutz vor Unbilden eine Kuppel über sein Haus baut. Als ein geheimnisvolles Schiff auftaucht und die Tochter des Rabbi mit dem Sohn des Bürgermeisters verschwindet, kommt es trotzdem zum Pogrom - und zur Rache des Juden an seinen christlichen Nachbarn. Kaum verklausuliert - bis hinein in die Namen der Personen - beschreibt Lasker-Schüler indirekt ihr Leben zwischen assimiliertem Judemtum und christlicher Umgebung.
Auch das zweite geschlossene Stück - die 1932 erschienene Erzählung "Arthur Aronymus oder Die Geschichte meines Vaters" - blickt zurück auf die eigene Vergangenheit und kreist erneut um das Thema Juden und Christen. Erzählt wird diesmal die biedermeierliche Welt eines westfälischen Dörfchens zu Beginn des 19. Jahrhunderts und die Geschichte der nicht immer einfachen Freundschaft des katholischen Dorfpfarrers zu einer jüdischen Familie. Sie gipfelt schließlich in der versöhnlichen Feststellung: "Mit einem bißchen Liebe geht's schon, daß Jude und Christ ihr Brot gemeinsam in Eintracht brechen."
Der dritte große Prosatext des Bandes schließlich trägt das "Ich" schon im Titel. Die herrliche Polemik "Ich räume auf!" rechnet ELS mit ihren Verlegern ab, die sie ihrer Meinung nach während der Inflationszeit samt und sonders übervorteilten - von Paul Cassirer bis zu Kurt Wolff. Das Pamphlet erschien im Selbstverlag - und zählt bis heute zu den eindrucksvollsten Dokumenten deutscher Verlagsgeschichte. Lasker-Schülers Biografin Sigrid Bauschinger schrieb dazu: "Keine poetischen Namen, kein Prinzenkostüm, keine Thebenstadt unterstützen hier die Dichterin. Lediglich ihre von Empörung getriebene, wild dahergaloppierende Sprache, deren Syntax sich die tollsten Sprünge erlaubt, dient ihrem Zweck: das Natterngezücht ausbeuterischer Verleger zu diffamieren." Tatsächlich bereitet die Lektüre der furios formulierten Broschüre bis heute ein großes Vergnügen.
Die restlichen Seiten des vierten Bandes der Werkausgabe füllen verstreute Texte, für deren Auffindung und Veröffentlichung den Bearbeitern kaum genug zu danken ist. Sie enthalten wunderbare Kurztexte, Polemiken und Aphorismen, die ohne diese Ausgabe kaum mehr zu lokalisieren und damit auch nicht mehr zu lesen gewesen wären.
Auf eine Umfrage unter deutschen Dichtern zum Thema "Woran arbeiten Sie" etwa antwortete Else Lasker-Schüler dem "Neuen Wiener Journal" im Juni 1927 so präzise wie lakonisch: "Ich arbeite schon Jahre an mir ohne Erfolg." Der Berliner "Funk-Stunde" gab sie 1930 eine weitgehend unbekannte Selbstbeschreibung, die mit den Sätzen beginnt: "Soweit ich mich zu erinnern vermag, kam ich in Elberfeld zur Welt, allerdings gerade unter einem Kometen, der nach Gottosten steuerte. Paar Jahre aber lag ich geborgen und wunschlos im waldigen Schoß am Wuppertal. An mir vorbei floß die Wupper, die mir gut bekam. Ich liebte inbrünstig meine schöne, mutige Mutter, sie glich Napoleon und war mein Kaiser. Mein Vater liebte, immer zwölf Jahre zu sein, ihn beleidigte, verantwortlich genommen zu werden."
Zum ersten Mal auch textlich nachvollziehen lässt sich nun der Bruch, den das endgültige Wissen um die Unmöglichkeit der Rückkehr nach Deutschland für die Dichterin bedeutete. Die Texte aus dem in Jerusalem aufbewahrten Nachlass berichten vom Verlust der Heimat und vor allem vom Verlust der Sprache. Weil Else Lasker-Schüler mit der Ausweisung aus der Schweiz zugleich auch aller Publikationsmöglichkeiten beraubt wurde, sind die meisten dieser Fragmente nie veröffentlicht worden. Texte über Ernst Toller und Gottfried Keller sind zu entdecken und die "Tagebuchblätter aus Zürich", mit deren Niederschrift Lasker-Schüler in der ersten Jahreshälfte 1938 begann und die auch ihr wohl bis heute bekanntestes Gedicht, "Mein blaues Klavier" enthalten - eingeleitet mit den Worten: "Ich besitze alle meine Spielsachen von früher noch, auch mein blaues Puppenklavier."
Der erste Band der Werkausgabe mit den Gedichten litt noch unter dem Ehrgeiz seiner Herausgeber, damit allen anderen Publikationen zum 50. Todestag Else Lasker-Schülers zuvorzukommen. Sie konnten auf diese Weise nicht mehr die neuen Erkenntnisse mit verarbeiten, die etwa die Ausstellungen in Marbach und in Wuppertal der Forschung brachten; und sie konnten nicht mehr jene verstreuten Manuskripte und Typoskripte berücksichtigen, die durch die Publizität dieser beiden Ereignisse unerwartet noch ans Tageslicht kamen. Der Band mit angeblich "Sämtlichen Gedichten" stellte sich deshalb bereits unmittelbar nach seinem Erscheinen als unvollständig heraus.
Den selben Fehler hat man nun bei den Prosa-Bänden nicht gemacht. Sie vermitteln ein so vielschichtiges Bild von Else Lasker-Schüler, wie dies zuvor nicht möglich war. Und sie widerlegen die Legende von der weltfremden Dichterin, die nur in ihrer poetischen Phantasiewelt zu Hause war: Else Lasker-Schüler stand, ganz im Gegenteil, mit beiden Beinen fest auf der Erde; sie nahm äußerst genau wahr, was um sie herum geschah, und sie reagierte darauf, indem sie sich einmischte und keinem Streit aus dem Wege ging.
Auch im Anmerkungsband sind die Bearbeiter diesmal behutsamer vorgegangnen als noch zu beginn ihres Projektes. Wurden im Lyrikband die Gedichte Lasker-Schülers noch durch so banale wie unnötige botanische, theologische oder geographische Erläuterungen entzaubert, so konzentrieren sich die Kommentare diesmal auf Hinweise, die für Verständnis und Einordnung der Texte wesentlich sind: Auf welchen Artikel Antwortet die Dichterin mit diesem oder jenem Leserbrief. Welches verhältnis hatte sie zu den Adressaten ihrer zahlreichen Huldigungen.
Nach anfänglichen Schwierigkeiten hat sich die Lasker-Schüler-Gesamtausgabe zu einem der wichtigsten, wenn nicht zu dem wichtigsten editorischen Projekt der Gegenwart entwickelt. An der Bedeutung dieser Dichterin für die Literaturgeschichte kann nach Lektüre dieser Werkausgabe niemand mehr ernsthaft zweifeln. Und dem Zauber ihrer Worte vermag sich ohnehin niemand mehr zu entziehen, der jemals einen ihrer Gedichtbände in den Händen hatte.
Auch nach dem Ende des Krieges sollte es noch einmal zwanzig Jahre dauern, bis ihr Werk in der Bundesrepublik Deutschland die Beachtung erhielten, die ihm zusteht. Die Gedichte waren es, die zuerst wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit fanden - jene poetischen Gespinste, die Else Lasker-Schüler um die Phantasiewelt des Prinzen Jussuf von Theben, ihres alter ego, und dessen Freunde wob. Der bis heute eher theologisch ausgerichtete Kösel-Verlag gab 1965, zum zwanzigsten Todestag, eine erste Lasker-Schüler-Werkausgabe heraus. Wie sie konzentrierten sich allerdings auch die meisten der folgenden Editionen fast ausschließlich auf das poetische Werk der Dichterin. Ihre Prosa fand- auch dies eine bis heute andauernde Folge des Exils - bis heute kaum ein breites Lesepublikum.
Aus verständlichen Gründen: Die drei geschlossenen Stücke und mehreren hundert Fragmente, die nun der vierte Band der Werkausgabe bietet, vermitteln ein durchaus zerrissenes Bild. Sie zeigen, dass Lasker-Schülers Qualitäten tatsächlich vor allem in ihren Gedichten zu suchen sind - und wie sehr die Dichterin auch in ihren Prosatexten um sich selbst kreist.
Der 1921 veröfentlichte "Wunderrabbiner von Barcelona" erzählt - teils Märchen, teils Legende - die Geschichte eines jüdischen Lehrers, dem seine Gemeinde zum Schutz vor Unbilden eine Kuppel über sein Haus baut. Als ein geheimnisvolles Schiff auftaucht und die Tochter des Rabbi mit dem Sohn des Bürgermeisters verschwindet, kommt es trotzdem zum Pogrom - und zur Rache des Juden an seinen christlichen Nachbarn. Kaum verklausuliert - bis hinein in die Namen der Personen - beschreibt Lasker-Schüler indirekt ihr Leben zwischen assimiliertem Judemtum und christlicher Umgebung.
Auch das zweite geschlossene Stück - die 1932 erschienene Erzählung "Arthur Aronymus oder Die Geschichte meines Vaters" - blickt zurück auf die eigene Vergangenheit und kreist erneut um das Thema Juden und Christen. Erzählt wird diesmal die biedermeierliche Welt eines westfälischen Dörfchens zu Beginn des 19. Jahrhunderts und die Geschichte der nicht immer einfachen Freundschaft des katholischen Dorfpfarrers zu einer jüdischen Familie. Sie gipfelt schließlich in der versöhnlichen Feststellung: "Mit einem bißchen Liebe geht's schon, daß Jude und Christ ihr Brot gemeinsam in Eintracht brechen."
Der dritte große Prosatext des Bandes schließlich trägt das "Ich" schon im Titel. Die herrliche Polemik "Ich räume auf!" rechnet ELS mit ihren Verlegern ab, die sie ihrer Meinung nach während der Inflationszeit samt und sonders übervorteilten - von Paul Cassirer bis zu Kurt Wolff. Das Pamphlet erschien im Selbstverlag - und zählt bis heute zu den eindrucksvollsten Dokumenten deutscher Verlagsgeschichte. Lasker-Schülers Biografin Sigrid Bauschinger schrieb dazu: "Keine poetischen Namen, kein Prinzenkostüm, keine Thebenstadt unterstützen hier die Dichterin. Lediglich ihre von Empörung getriebene, wild dahergaloppierende Sprache, deren Syntax sich die tollsten Sprünge erlaubt, dient ihrem Zweck: das Natterngezücht ausbeuterischer Verleger zu diffamieren." Tatsächlich bereitet die Lektüre der furios formulierten Broschüre bis heute ein großes Vergnügen.
Die restlichen Seiten des vierten Bandes der Werkausgabe füllen verstreute Texte, für deren Auffindung und Veröffentlichung den Bearbeitern kaum genug zu danken ist. Sie enthalten wunderbare Kurztexte, Polemiken und Aphorismen, die ohne diese Ausgabe kaum mehr zu lokalisieren und damit auch nicht mehr zu lesen gewesen wären.
Auf eine Umfrage unter deutschen Dichtern zum Thema "Woran arbeiten Sie" etwa antwortete Else Lasker-Schüler dem "Neuen Wiener Journal" im Juni 1927 so präzise wie lakonisch: "Ich arbeite schon Jahre an mir ohne Erfolg." Der Berliner "Funk-Stunde" gab sie 1930 eine weitgehend unbekannte Selbstbeschreibung, die mit den Sätzen beginnt: "Soweit ich mich zu erinnern vermag, kam ich in Elberfeld zur Welt, allerdings gerade unter einem Kometen, der nach Gottosten steuerte. Paar Jahre aber lag ich geborgen und wunschlos im waldigen Schoß am Wuppertal. An mir vorbei floß die Wupper, die mir gut bekam. Ich liebte inbrünstig meine schöne, mutige Mutter, sie glich Napoleon und war mein Kaiser. Mein Vater liebte, immer zwölf Jahre zu sein, ihn beleidigte, verantwortlich genommen zu werden."
Zum ersten Mal auch textlich nachvollziehen lässt sich nun der Bruch, den das endgültige Wissen um die Unmöglichkeit der Rückkehr nach Deutschland für die Dichterin bedeutete. Die Texte aus dem in Jerusalem aufbewahrten Nachlass berichten vom Verlust der Heimat und vor allem vom Verlust der Sprache. Weil Else Lasker-Schüler mit der Ausweisung aus der Schweiz zugleich auch aller Publikationsmöglichkeiten beraubt wurde, sind die meisten dieser Fragmente nie veröffentlicht worden. Texte über Ernst Toller und Gottfried Keller sind zu entdecken und die "Tagebuchblätter aus Zürich", mit deren Niederschrift Lasker-Schüler in der ersten Jahreshälfte 1938 begann und die auch ihr wohl bis heute bekanntestes Gedicht, "Mein blaues Klavier" enthalten - eingeleitet mit den Worten: "Ich besitze alle meine Spielsachen von früher noch, auch mein blaues Puppenklavier."
Der erste Band der Werkausgabe mit den Gedichten litt noch unter dem Ehrgeiz seiner Herausgeber, damit allen anderen Publikationen zum 50. Todestag Else Lasker-Schülers zuvorzukommen. Sie konnten auf diese Weise nicht mehr die neuen Erkenntnisse mit verarbeiten, die etwa die Ausstellungen in Marbach und in Wuppertal der Forschung brachten; und sie konnten nicht mehr jene verstreuten Manuskripte und Typoskripte berücksichtigen, die durch die Publizität dieser beiden Ereignisse unerwartet noch ans Tageslicht kamen. Der Band mit angeblich "Sämtlichen Gedichten" stellte sich deshalb bereits unmittelbar nach seinem Erscheinen als unvollständig heraus.
Den selben Fehler hat man nun bei den Prosa-Bänden nicht gemacht. Sie vermitteln ein so vielschichtiges Bild von Else Lasker-Schüler, wie dies zuvor nicht möglich war. Und sie widerlegen die Legende von der weltfremden Dichterin, die nur in ihrer poetischen Phantasiewelt zu Hause war: Else Lasker-Schüler stand, ganz im Gegenteil, mit beiden Beinen fest auf der Erde; sie nahm äußerst genau wahr, was um sie herum geschah, und sie reagierte darauf, indem sie sich einmischte und keinem Streit aus dem Wege ging.
Auch im Anmerkungsband sind die Bearbeiter diesmal behutsamer vorgegangnen als noch zu beginn ihres Projektes. Wurden im Lyrikband die Gedichte Lasker-Schülers noch durch so banale wie unnötige botanische, theologische oder geographische Erläuterungen entzaubert, so konzentrieren sich die Kommentare diesmal auf Hinweise, die für Verständnis und Einordnung der Texte wesentlich sind: Auf welchen Artikel Antwortet die Dichterin mit diesem oder jenem Leserbrief. Welches verhältnis hatte sie zu den Adressaten ihrer zahlreichen Huldigungen.
Nach anfänglichen Schwierigkeiten hat sich die Lasker-Schüler-Gesamtausgabe zu einem der wichtigsten, wenn nicht zu dem wichtigsten editorischen Projekt der Gegenwart entwickelt. An der Bedeutung dieser Dichterin für die Literaturgeschichte kann nach Lektüre dieser Werkausgabe niemand mehr ernsthaft zweifeln. Und dem Zauber ihrer Worte vermag sich ohnehin niemand mehr zu entziehen, der jemals einen ihrer Gedichtbände in den Händen hatte.