Gerd Breker: Bremen wählt heute. Eine Wahl, die für Bremen wichtig ist, Herr Westerwelle, doch die Signalwirkung für die große Koalition im Bund, die wird eher gering ausfallen, die ist begrenzt. Würden Sie das auch so sehen?
Guido Westerwelle: Also eine Testwahl ist das natürlich nicht in Bremen, dafür ist Bremen als Stadtstaat auch zu einzigartig. Aber ein Fingerzeig auch für die so genannte große Koalition im Bund ist das schon, denn in Bremen haben wir ja dieses schwarz-rote Politikmodell schon seit langer Zeit - mit sehr verheerenden Ergebnissen. Bremen hat ja die höchste Arbeitslosigkeit aller westdeutschen Bundesländer, die größte Pro-Kopf-Staatsverschuldung und leider auch die schlechtesten Ergebnisse bei der Pisa-Studie in Sachen Bildung.
Breker: In Bremen regiert seit zwölf Jahren die große Koalition ebenfalls. Das einzige Signal, was von dort ausgehen könnte, wäre, dass große Koalitionen wiedergewählt werden.
Westerwelle: Na ja, man wird schon darauf achten müssen, wie die beiden Regierungsparteien Union und SPD dann abschneiden. Ich rechne damit, dass beide auch eine Quittung bekommen werden für die schlechten Leistungen, die sie abgeliefert haben, denn das gilt ja einmal für die wirtschaftlichen Ergebnisse, auch für die schlechte Lage bei Schulen und Hochschulen. Aber es gilt natürlich auch, eine Diskussion beim Thema "innere Sicherheit" zu beobachten. Dort hat ja die CDU sehr stark immer erzählt, sie sei für mehr innere Sicherheit - und gleichzeitig hat sie Polizeidienststellen zugemacht, dichtgemacht, abgebaut. Und eines wissen wir natürlich in der Innen- und Rechtspolitik beim Thema "innere Sicherheit": Wir haben ja kein Defizit an Gesetzen, sondern wir haben ein Vollzugsdefizit, also an der Anwendung und Durchsetzung von Gesetzen. Und dafür braucht man natürlich auch eine exzellent ausgestattete Polizei.
Breker: Immerhin könnte eine große Koalition dennoch in Bremen wiedergewählt werden.
Westerwelle: Aber es sieht ja so aus, als würden beide Regierungsparteien auch eine Quittung bekommen. Mich würde das persönlich freuen, weil ich auch natürlich darauf setze und auch darauf hoffe, dass das freiheitliche Gegengewicht zu all diesen Umverteilungsparteien in Deutschland, nämlich die liberale Alternative FDP gestärkt aus dieser Wahl hervorgeht. Und ich hoffe auch sehr darauf, dass eine Freie Hansestadt Bremen den Postkommunisten keine parlamentarische Existenz gibt.
Breker: Diese Wahl ist die einzige Wahl in diesem Jahr. Man kann also davon ausgehen, dass für die große Koalition in Berlin im Bund nun das Fahrwasser ruhiger wird. Würden Sie das auch so sehen?
Westerwelle: Was die Wahlen angeht, ja. Aber die Schwierigkeiten der Bundesregierung kommen ja vor allen Dingen vom Zerfallsprozess der Koalitionsparteien. Wenn sich schon die Spitzen der Parteien, also die Parteivorsitzenden, quasi gegenseitig mit Kriegsgründen unter Druck setzen wollen, dann ist das mehr als der Anfang vom Ende. Da ist schon ein Zerfallsprozess im Gange, der im Augenblick nicht so auffällt, weil Deutschland sehr stark beschäftigt ist mit der EU-Ratspräsidentschaft und dem internationalen Auftritt, auch mit dem G8-Gipfel natürlich. Sobald aber die roten Teppiche wieder eingerollt sind, holt natürlich die Bundesregierung auch die Innenpolitik wieder ein. Und dass die derzeit bessere Konjunktur mit allem etwas zu tun hat, aber ganz zum Schluss mit der Politik, das wissen wir auch alle. Sogar das milde Wetter, der milde Winter, hat mehr mit dem Aufschwung zu tun als diese Regierung.
Breker: Sie sagen es, Herr Westerwelle. Die Konjunktur brummt, die Steuereinnahmen sprudeln. Das ist doch irgendwo etwas, was so aussieht zumindest wie das Ergebnis einer guten Politik der großen Koalition.
Westerwelle: Nun, 80 Prozent der Bevölkerung sehen und sagen, dass das was mit der Weltwirtschaft zu tun hat, das hat etwas damit zu tun, dass auch große Unternehmen ihre Hausaufgaben gemacht haben, unstrukturiert haben. Es hat übrigens wirklich etwas mit dem milden Winter zu tun. Das gilt gerade für die gesamte Baukonjunktur. Es konnte eben weiter gebaut werden, das betrifft Hunderttausend von Arbeitsplätzen. Man muss es doch ganz offen sagen: Wenn nach fünfjährigem Weltwirtschaftsboom jetzt erstmalig in Deutschland die Konjunktur etwas anspringt, dann sollten wir mal uns nicht zu sehr aufblasen. Ich will die Party der Bundesregierung ja nicht stören, aber wir sind immer noch langsamer im Wachstum als der Schnitt in Europa, vom Durchschnitt der Weltwirtschaft mal ganz zu schweigen.
Breker: Aber müssten Sie nicht Abbitte leisten, Herr Westerwelle, zumindest in Sachen Mehrwertsteuererhöhung, denn die hat ja offenbar nicht geschadet.
Westerwelle: Die hat sehr geschadet. Diese gigantische Mehrwertsteuererhöhung hat mit Sicherheit auch dazu geführt, dass Kaufkraft nachgelassen hat. Das sagen ja auch alle bei der Nachfrage im Handel und Konsum. Und wir hätten hunderttausende von Arbeitsplätzen längst mehr, wenn man diese törichte Steuererhöhung - es war die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Republik - zum Anfang dieses Jahres unterlassen hätte. Ich fürchte übrigens, dass, wenn jetzt die Steuerstrukturreformen nicht gemacht werden, dann wird uns die nächste Konjunkturkrise doppelt hart treffen. Denn nur, weil es jetzt erstmalig mal etwas besser läuft, sollten wir doch nicht blind sein und darauf setzen, dass das auf ewig und drei Tage so weitergeht. Das kann sich wieder ändern. Und deswegen sollten wir jetzt vorbeugen und vorbauen. Und das heißt, gerade jetzt, wo die Konjunktur besser läuft, müssen die Strukturreformen gemacht werden, insbesondere eine Steuerstrukturreform. Der österreichische Bundeskanzler hat in dieser Woche angekündigt, man werde in Österreich die Erbschaftssteuer ganz abschaffen, man setze weiter auf Steuersenkung und Steuervereinfachung in Österreich. Alleine in den letzten Jahren sind über 5000 deutsche Unternehmer nach Österreich ausgewandert. Da kann die Antwort des deutschen Finanzministers nicht sein: "Das ist aber gemein!", sondern das muss er als Inspiration, auch als Chance begreifen, die Steuerstrukturen in Deutschland so zu verbessern, dass auch dauerhaft die Staatsfinanzen wieder in Ordnung kommen.
Breker: Peer Steinbrück - Sie haben es angedeutet, Herr Westerwelle - wird über sehr viel mehr Geld verfügen. Mit etwas Geld in der Tasche wächst auch automatisch die Bewegungsfreiheit des Daumens. Steinbrück und von der Leyen scheinen sich zu einigen darauf, dass der Bund dauerhaft sich beteiligt an den
Unterhaltskosten für Kinderkrippenplätzen. Da kann doch auch die FDP wenig gegen sagen?
Westerwelle: Wir sind doch für den Ausbau gerade auch von vorschulischer Kinderbetreuung, denn für uns ist ja die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, für uns ist ja die Gleichberechtigung von Mann und Frau kein neues Thema. Das mag für die Konservativen ein Jahrhunderterkenntnis sein, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind, für Liberale ist das schon etwas länger der Fall. Also, kurz nach der Französischen Revolution wussten wir, dass das so sein muss. Natürlich unterstützen wir das. Aber ich meine, es kann doch einen normalen Bürger nicht zufrieden stellen, dass die Familienministerin etwas ankündigt, pausenlos eine neue Baustelle aufmacht, aber kein Richtfest feiert. Also, es hat keiner etwas von Ministern, die schöne Reden halten, sondern das Wesen in der Demokratie ist: Die Opposition lebt von der Macht des Wortes, und die Regierung muss an ihren Taten gemessen werden. Und das ist dürftig.
Breker: Im Zuge des Geldes, was nun in die Haushaltskassen, auch des Bundes, hineinfließt, wachsen fast selbstverständlich in der Politik auch die Begehrlichkeiten. Allerdings gibt es Begehrlichkeiten, die durchaus berechtigt erscheinen: Die Auslandseinsätze der Bundeswehr, Forschung und Bildung brauchen mehr Geld. Ja, Klimaschutz wäre auch etwas, wofür man Geld sinnvoll ausgeben kann. Sind Sie dafür, dass man auf der Ausgabenseite diese Bereiche unterstützt?
Westerwelle: Und vergessen Sie bitte vor allen Dingen nicht Bildung, Forschung, Ausbildung der jungen Generation, denn das ist der wichtigste Rohstoff auch für unseren Wohlstand in Zukunft. Wir werden nie so billig sein wie China oder wie Indien oder unsere Konkurrenten in der Welt. Aber besser müssen wir sein, und das geht nur, indem wir auch mehr für Bildung, für Forschung, für Ausbildung tun. Und das wollen wir auch, aber eben nicht, indem die Mehreinnahmen jetzt schon wieder verplempert werden für dieses und für jenes Lieblingsprojekt, sondern
indem der Haushalt unstrukturiert wird. Ganz unabhängig von den Steuermehreinnahmen haben wir ja schon seit zwei Jahren eine neue Haushaltsstruktur konzipiert und vorgelegt, wie es gehen könnte. Das heißt: Raus aus den Subventionen einschließlich der Steinkohlesubventionierung. Würde man die beispielsweise schon im Jahr 2012 und nicht erst im Jahr 2018 auslaufen lassen, könnte man zweistellige Milliardenbeträge sichern. Raus aus den ganzen Ausgaben, wo der Staat nichts zu suchen hat - bis hin übrigens zu den Fragen: Müssen wir China wirklich Hunderte von Millionen Entwicklungshilfe leisten, wenn die gleichzeitig Projekte für den Weltraum auflegen. Das ist ja nicht das, was man bei einem Entwicklungsland klassischerweise vermutet. Das ist Aufgabe der normalen Haushaltsstruktur. Und das, was jetzt unerwartet an Steuermehreinnahmen kommt, das muss genutzt werden, um im Interesse der jungen Generation die Verschuldung zurückzuführen, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen und eine Steuerstrukturreform zu beschließen. Denn nur, wenn die Steuerstruktur jetzt verändert wird, dann werden wir ja auch dauerhaft mehr Arbeitsplätze haben durch Investitionen und dementsprechend dauerhaft gesunde Staatsfinanzen. Mit anderen Worten: Haushaltskonsolidierung durch Konjunktur - das ist zu kurz gesagt. Haushaltskonsolidierung, indem man in Zeiten guter Konjunktur die Strukturen verbessert, das ist vorausgedacht.
Breker: Und das können Sie bei Peer Steinbrück nicht erkennen?
Westerwelle: Ich weiß nicht, ob er das nicht selber vielleicht auch sieht, jedenfalls hört man es bei ihm ja nicht, und er handelt ja auch anders. Der Bundeswirtschaftsminister hat doch recht, wenn er sagt, eine Steuerstrukturreform muss kommen. Denn es wäre doch tragisch, wenn die internationalen Familienunternehmen Deutschland jetzt verlassen und in die Schweiz und nach Österreich gehen. Und da können wir alle rufen: Wo ist Euer Patriotismus? Sie gehen. Und da verhält sich das Kapital nicht anders als jeder Privatmann, als jede Privatfrau. Wenn Sie bei der einen Bank vier Prozent kriegen und bei der anderen Bank drei Prozent für Ihr Guthaben, dann gehen Sie eben zu der Bank mit vier Prozent. Und das ist das, was auf der Welt stattfindet, und nicht irgendwo in Asien, sondern hier mitten in Europa bei unseren Nachbarländern. Als ob man in Österreich ein verarmtes Land finden würde ohne soziale Standards - es sind hoch entwickelte Länder, wo man gut leben kann, und wenn man dort eben bessere Rahmenbedingungen für die eigene Wirtschaft findet, dann wechseln eben auch viele. Und das muss verhindert werden. Das ist die zentrale Frage auch für den Wohlstand der Deutschen und damit auch für die soziale Gerechtigkeit.
Breker: Die vollen Kassen, die Steuereinnahmen - überdecken die nicht eigentlich die so genannten "Sollbruchstellen" der großen Koalition? Kann man nicht davon ausgehen, dass es der großen Koalition leichter macht, mit Geld in der Tasche ihre Streitigkeiten zu bereinigen?
Westerwelle: Na ja, mit anderer Leute voller Hose lässt sich gut stinken. Ich meine, das ist ja nicht das Geld der Regierung, sondern das ist das Geld der Steuerzahler. Diese Steuermehreinnahmen gehören dem Volk. Und die Politik und die Regierung sind lediglich Treuhänder dieser Steuereinnahmen. Und deswegen sollten dieses Geld auch nicht für irgend welche eigenen ideologischen Projekte verwenden, sondern sie sollten dafür sorgen, dass jetzt die Strukturen in Ordnung kommen. Und das ist das, was dringend notwendig ist. Also nochmals: Steuerstrukturreformen, Bürgerentlastung bei den Abgaben. Alle Welt weiß, dass gerade auch die mittlere und junge Generation mehr Verantwortung für das eigene Alter übernehmen muss. Nur, das können die meisten Familien gar nicht mehr, weil ihnen nämlich das Wasser bis Oberkante Unterlippe steht. Also muss man doch auch, indem man sie entlastet, dafür sorgen, dass neue Freiräume für eigene Vorsorge fürs Alter oder auch für Krankheit entstehen. Nur so funktioniert es.
Breker: Wagen Sie eine Prognose? Wird die große Koalition bis 2009 halten, die gesamte Legislaturperiode über?
Westerwelle: Ich glaube das nicht, denn die Bundesregierung kommt uns im Augenblick ja vor wie das Mädchen im Sterntaler-Märchen. Sie steht eigentlich längst im letzten Hemd da, und plötzlich fällt Gold vom Himmel in den Schoß. Und das rettet die Sache noch einmal. Und so geht es Angela Merkel im Augenblick. Angela Merkel geht es so wie dem Mädchen im Sterntaler-Märchen. Nur, wir wissen alle, dass das in der realen Welt so nicht funktioniert. Und dem entsprechend kommen die Sollbruchstellen immer deutlicher zu Tage. Die Zentrifugalkräfte wirken immer mehr auf diese Regierung. Es ist schon ein Zeichen des Zerfallprozesses, wenn die Regierungsspitzen sich gegenseitig mit einem Ende der Koalition bedrohen. Beide Regierungsparteien sagen, sie wollen eigentlich gar nicht mehr miteinander. Sie sind froh, wenn das vorbei ist. Und sie sagen, wir bleiben ja eigentlich nur deshalb zusammen, weil wenn es jetzt Wahlen gäbe, würden wir ja nicht so gut abschneiden. Nur, das ist nicht das, was Deutschland interessieren sollte. Deutschland muss interessieren, wie wir die Zukunft erobern und unseren Wohlstand erhalten und sichern. Was wir für die Rente, für die Bildung tun können, das ist das, was uns interessiert. Ich bin übrigens der Meinung, wenn diese Regierung auseinander bricht - und ich glaube, dass das vor dem Herbst 2009, also vor dem regulären Wahltermin, sehr gut möglich sein kann -, dann sollte es Neuwahlen geben. Und dann müssen unsere Bürgerinnen und Bürger die Chance haben, sich mit klaren Mehrheiten auch für einen Neuanfang zu entscheiden.
Breker: Stichwort Neuwahlen. Erinnern wir uns an die letzte Bundestagswahl. Da war es ja das schlechte Abschneiden der CDU, was eigentlich Schwarz-Gelb verhindert hat. Die FDP stand ja nach den Wahlen sehr gut da. Sie haben sich das damit erklärt, dass Sie gesagt haben, die großen Volksparteien verlieren an Bindungsfähigkeit. Was macht Sie so zuversichtlich, dass die Union diese Bindungsfähigkeit wieder gefunden hat, ihre Wähler wieder mobilisieren kann, dass nun in der Tat Schwarz-Gelb eine Perspektive auch für die nächste Wahl sein könnte?
Westerwelle: Ich setze ja nicht auf die Stärke der Volksparteien, wie sie sich selber nennen, sondern auf die Stärke der FDP. Und seit der Bundestagswahl haben wir gut und gerne eine Million neue Sympathisanten gewinnen können. Das sagen alle Umfragen. Denn die Bürger haben ja gesehen, wir haben Wort gehalten nach der Wahl, wir haben auch unsere Versprechen eingelöst, haben nicht Rot-Grün künstlich am Leben gehalten in einer Ampel. Und ich denke auch, dass die Tatsache, dass die Unionsparteien sich immer mehr von Leistungsbereitschaft, von Mittelstand und auch von wirtschaftlicher Vernunft verabschieden, selber immer mehr sozialdemokratische Politik machen, dass diese Tatsache dazu führt, dass der Zulauf zur FDP ja steigt. Das sehen wir bei den Mitgliederzahlen, das sehen in den Umfragen. Mit anderen Worten: Das, was die anderen Parteien verlieren, fangen wir derzeit zu einem guten Teil auf. Und das wird dann unter dem Strich auch reichen - so sagen es ja immer mehr Umfragen -, dass es klare Verhältnisse mit einem Politikwechsel geben kann.
Breker: Die Union will sich ein neues Grundsatzprogramm geben. Als es vorgestellt wurde, hat der Generalsekretär gesagt, der Staat solle sich auf seine Kernbereiche zurückziehen. Das klingt wie ein Koalitionsangebot an die FDP.
Westerwelle: Ein wunderbarer Satz. Jetzt müssen nur noch die Taten folgen. Denn Politiker, die in der Regierung sitzen und nichts durchsetzen, die sollten zum Theater gehen, aber nicht in die Regierung oder in die Politik. Also, ich bin ja auch der Auffassung, dass der Staat sich auf seine Kernaufgaben konzentrieren muss. Nur, die Regierung macht das glatte Gegenteil. Nehmen Sie allein das Antidiskriminierungsgesetz. Das wurde umgetauft. Das wird keiner einzigen Minderheit helfen, aber es bringt erheblich mehr Bürokratie, gerade zu Lasten des Mittelstandes. Das ist doch nicht weniger Staat, das ist mehr Staat. Oder wer die Steuern erhöht wie noch keine Regierung zuvor, der hat doch nicht weniger Staat sondern mehr Staat als Ergebnis. Oder nehmen Sie allein diese neue Bundesagentur für Gesundheit, genannt Gesundheitsfond. Das ist doch mehr Staat und nicht weniger Staat. Da ist doch überhaupt nicht mehr die Rede von
Wettbewerb und von den Kräften der Gesellschaft und von Freiheit und Verantwortung. Also, die guten Ideen des Kollegen Pofalla in allen Ehren, die Regierung macht das glatte Gegenteil.
Breker: Sie haben gesagt, dass Sie sich eine rote Ampel nur schwer vorstellen können. Nur schwer heißt, dass man es sich dennoch vorstellen kann?
Westerwelle: Ich muss es offen so sagen, wie ich es derzeit einschätze. SPD und Grüne, das ist ja ein so staatsbürokratisches Denken dort, dass das für die FDP nun mal nicht verlockend ist. Immer mehr in das private Leben der Bürger, immer mehr in das Wirtschaftsleben der Bürger mit immer neuen Vorschriften, Gesetzen und Steuern einzugreifen, das ist nicht unser Weg. Und deswegen werden wir die Koalitionsfrage auch erst beantworten, wenn die Wahl ansteht.
Breker: Eine Jamaika-Koalition nannten Sie eine Notlösung. Das würde ja voraussetzen, dass Sie dennoch die Möglichkeit sehen, Gemeinsamkeiten mit den Grünen zu finden. Wo würden Sie da anfangen zu suchen?
Westerwelle: Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Die FDP kämpft für klare Mehrheiten. Und wir machen keinen Wahlkampf für irgendwelche Notlösungen. Das war ja die Antwort auf den Vorhalt, ob es denn nicht so sei, dass künftig nur noch Drei-Parteien-Konstellationen jenseits einer schwarz-roten Regierung zusammen eine Mehrheit bilden können. Und ich habe einfach nur darauf hingewiesen, dass in den Meinungsumfragen der letzten Wochen - zum ersten Mal übrigens wieder - auch beispielsweise eine klare Mehrheit für Schwarz-Gelb möglich wäre. Und für klare Mehrheiten werbe ich mit einer ganz starken FDP, denn wir sind ja die letzte verbliebene freiheitliche Kraft, die auf soziale Marktwirtschaft im Bundestag setzt.
Breker: Also zur nächsten Bundestagswahl mit Kanzlerkandidaten, mit Koalitionsaussage - oder ohne?
Westerwelle: Das werden wir entscheiden vor der nächsten Bundestagswahl. Wenn wir eine Koalitionsaussage machen - und es spricht viel dafür, dass wir das tun -, dann wird das aber erst vor der Bundestagswahl verabschiedet. Das haben wir übrigens 2005 genau so gehandhabt, und wir haben uns dann auch dran gehalten. Ich habe jedes Versprechen, das ich unseren Wählern gegeben habe, eingelöst.
Breker: Die FDP will raus aus der Ecke der sozialen Kälte. In Leitantrag für Ihren Parteitag im Juni steht: Menschen benötigen soziale Sicherheit. Der Parteivorsitzende Guido Westerwelle äußert Verständnis für Lohnforderungen von Gewerkschaften. Einfach ungewöhnlich. Ist das der Weg?
Westerwelle: Sehen sie, ich habe ja nicht gesagt, dass ich hohe Lohnabschüsse gut finde. Ich habe nur gesagt, wenn die Regierung natürlich das Leben der Bürger immer teuerer macht - Stichwort Mehrwertsteuererhöhung, Stichwort steigende Beiträge bei Rente und Gesundheit -, dann ist es doch zwangsläufig, dass da auch ein Druck auf die Gewerkschaftsvertreter entsteht, das bei den Verhandlungen irgendwie wieder raus zu holen. Darauf habe ich hingewiesen. Und ich habe einfach vor, auf dem Bundesparteitag, den wir in Stuttgart im Juni haben werden, klar zu machen, was sozial ist. Das definiert nicht die politische Linke in Deutschland. Die politische Linke hat eine Politik der besten sozialen Absichten über Jahre gemacht. Die guten Absichten habe ich denen nie abgesprochen. Aber eine Politik der besten sozialen Ergebnisse ist einer Politik der besten sozialen Absichten überlegen. Staatliche Umverteilung, immer mehr Sozialstaatsbürokratie hat ja den wirklich Bedürftigen nicht geholfen. Und darauf werden wir aufmerksam machen, dass es um die wirklich Bedürftigen geht. Denen muss man helfen, den Menschen, die nicht das selbe Glück im Leben hatten, oder die der Schicksalsschlag getroffen hat, die krank sind, die behindert sind. Dass da der Mangel verwaltet wird, gleichzeitig aber immer mehr Geld in den Sozialstaat hinein gesteckt wird, spricht doch dafür, dass das Geld nicht bei den wirklich Bedürftigen ankommt.
Breker: Koalitionswechsel, Herr Westerwelle, werden nicht selten über die Wahl des Bundespräsidenten eingeleitet. Die CSU hat uns kürzlich daran erinnert, dass sie und Angela Merkel Horst Köhler ins Amt gebracht haben. Die CSU hat nun eine Einzelentscheidung des Bundespräsidenten mit dessen Wiederwahl in Verbindung gebracht. Können Sie sich vorstellen, dass ein neuer Bundespräsident auch ein Signal abgibt für eine neue Koalition in Berlin? Denn die Bundespräsidentenwahl ist ja vor der Bundestagswahl, wenn sie denn zum geplanten Zeitpunkt stattfindet.
Westerwelle: Die Wahl des Staatsoberhaupts findet ja nun im Frühjahr des Jahres 2009 statt. Und schon der Respekt gegenüber dem amtierenden Bundespräsidenten sollte es jedem verbieten, darüber heute zu spekulieren. Und deswegen tue ich das auch nicht. Im Gegenteil, ich erwarte auch von der CSU, dass sie sich für diesen unflätigen Versuch, den Bundespräsidenten unter Druck zu setzen, entschuldigt. Wir haben einen sehr guten Bundespräsidenten, der ein schweres Amt hat mit einer großen Verantwortung, wie wir gerade bei der Debatte um die Begnadigung dieser RAF-Terroristen erlebt haben. Ich begrüße die Entscheidung des Bundespräsidenten, nicht zu begnadigen, denn ich finde, jemand, der keine Reue zeigt, sollte auch nicht begnadigt werden. Aber es war absolut unakzeptabel, dass die CSU mit Unwahrheiten und mit regelrechten Drohungen den Herrn Bundespräsidenten in seiner Entscheidungsfreiheit einschränken wollte. Es gibt eben einen Unterschied, seine Meinung zu sagen, oder ein Verfassungsorgan mehr oder minder deutlich unter Druck zu setzen. Das letztere gehört sich einfach nicht.
Breker: Herr Westerwelle, eine letzte Frage: Ich werde meine Partei in die Regierung führen, und zwar nach der Bundestagswahl und keinen Tag später. Der Satz gilt?
Westerwelle: Der Satz gilt. Das ist mein Ziel, das ist meine Absicht. Wir wollen Verantwortung. Ja, wir wollen im besten Sinne des Wortes auch Macht. Denn nur, wenn man die Macht hat, sprich die Mehrheit hinter sich im Deutschen Bundestag, ist man in der Lage, das als richtig Erkannte zum Wohle des Landes umzusetzen.
Guido Westerwelle: Also eine Testwahl ist das natürlich nicht in Bremen, dafür ist Bremen als Stadtstaat auch zu einzigartig. Aber ein Fingerzeig auch für die so genannte große Koalition im Bund ist das schon, denn in Bremen haben wir ja dieses schwarz-rote Politikmodell schon seit langer Zeit - mit sehr verheerenden Ergebnissen. Bremen hat ja die höchste Arbeitslosigkeit aller westdeutschen Bundesländer, die größte Pro-Kopf-Staatsverschuldung und leider auch die schlechtesten Ergebnisse bei der Pisa-Studie in Sachen Bildung.
Breker: In Bremen regiert seit zwölf Jahren die große Koalition ebenfalls. Das einzige Signal, was von dort ausgehen könnte, wäre, dass große Koalitionen wiedergewählt werden.
Westerwelle: Na ja, man wird schon darauf achten müssen, wie die beiden Regierungsparteien Union und SPD dann abschneiden. Ich rechne damit, dass beide auch eine Quittung bekommen werden für die schlechten Leistungen, die sie abgeliefert haben, denn das gilt ja einmal für die wirtschaftlichen Ergebnisse, auch für die schlechte Lage bei Schulen und Hochschulen. Aber es gilt natürlich auch, eine Diskussion beim Thema "innere Sicherheit" zu beobachten. Dort hat ja die CDU sehr stark immer erzählt, sie sei für mehr innere Sicherheit - und gleichzeitig hat sie Polizeidienststellen zugemacht, dichtgemacht, abgebaut. Und eines wissen wir natürlich in der Innen- und Rechtspolitik beim Thema "innere Sicherheit": Wir haben ja kein Defizit an Gesetzen, sondern wir haben ein Vollzugsdefizit, also an der Anwendung und Durchsetzung von Gesetzen. Und dafür braucht man natürlich auch eine exzellent ausgestattete Polizei.
Breker: Immerhin könnte eine große Koalition dennoch in Bremen wiedergewählt werden.
Westerwelle: Aber es sieht ja so aus, als würden beide Regierungsparteien auch eine Quittung bekommen. Mich würde das persönlich freuen, weil ich auch natürlich darauf setze und auch darauf hoffe, dass das freiheitliche Gegengewicht zu all diesen Umverteilungsparteien in Deutschland, nämlich die liberale Alternative FDP gestärkt aus dieser Wahl hervorgeht. Und ich hoffe auch sehr darauf, dass eine Freie Hansestadt Bremen den Postkommunisten keine parlamentarische Existenz gibt.
Breker: Diese Wahl ist die einzige Wahl in diesem Jahr. Man kann also davon ausgehen, dass für die große Koalition in Berlin im Bund nun das Fahrwasser ruhiger wird. Würden Sie das auch so sehen?
Westerwelle: Was die Wahlen angeht, ja. Aber die Schwierigkeiten der Bundesregierung kommen ja vor allen Dingen vom Zerfallsprozess der Koalitionsparteien. Wenn sich schon die Spitzen der Parteien, also die Parteivorsitzenden, quasi gegenseitig mit Kriegsgründen unter Druck setzen wollen, dann ist das mehr als der Anfang vom Ende. Da ist schon ein Zerfallsprozess im Gange, der im Augenblick nicht so auffällt, weil Deutschland sehr stark beschäftigt ist mit der EU-Ratspräsidentschaft und dem internationalen Auftritt, auch mit dem G8-Gipfel natürlich. Sobald aber die roten Teppiche wieder eingerollt sind, holt natürlich die Bundesregierung auch die Innenpolitik wieder ein. Und dass die derzeit bessere Konjunktur mit allem etwas zu tun hat, aber ganz zum Schluss mit der Politik, das wissen wir auch alle. Sogar das milde Wetter, der milde Winter, hat mehr mit dem Aufschwung zu tun als diese Regierung.
Breker: Sie sagen es, Herr Westerwelle. Die Konjunktur brummt, die Steuereinnahmen sprudeln. Das ist doch irgendwo etwas, was so aussieht zumindest wie das Ergebnis einer guten Politik der großen Koalition.
Westerwelle: Nun, 80 Prozent der Bevölkerung sehen und sagen, dass das was mit der Weltwirtschaft zu tun hat, das hat etwas damit zu tun, dass auch große Unternehmen ihre Hausaufgaben gemacht haben, unstrukturiert haben. Es hat übrigens wirklich etwas mit dem milden Winter zu tun. Das gilt gerade für die gesamte Baukonjunktur. Es konnte eben weiter gebaut werden, das betrifft Hunderttausend von Arbeitsplätzen. Man muss es doch ganz offen sagen: Wenn nach fünfjährigem Weltwirtschaftsboom jetzt erstmalig in Deutschland die Konjunktur etwas anspringt, dann sollten wir mal uns nicht zu sehr aufblasen. Ich will die Party der Bundesregierung ja nicht stören, aber wir sind immer noch langsamer im Wachstum als der Schnitt in Europa, vom Durchschnitt der Weltwirtschaft mal ganz zu schweigen.
Breker: Aber müssten Sie nicht Abbitte leisten, Herr Westerwelle, zumindest in Sachen Mehrwertsteuererhöhung, denn die hat ja offenbar nicht geschadet.
Westerwelle: Die hat sehr geschadet. Diese gigantische Mehrwertsteuererhöhung hat mit Sicherheit auch dazu geführt, dass Kaufkraft nachgelassen hat. Das sagen ja auch alle bei der Nachfrage im Handel und Konsum. Und wir hätten hunderttausende von Arbeitsplätzen längst mehr, wenn man diese törichte Steuererhöhung - es war die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Republik - zum Anfang dieses Jahres unterlassen hätte. Ich fürchte übrigens, dass, wenn jetzt die Steuerstrukturreformen nicht gemacht werden, dann wird uns die nächste Konjunkturkrise doppelt hart treffen. Denn nur, weil es jetzt erstmalig mal etwas besser läuft, sollten wir doch nicht blind sein und darauf setzen, dass das auf ewig und drei Tage so weitergeht. Das kann sich wieder ändern. Und deswegen sollten wir jetzt vorbeugen und vorbauen. Und das heißt, gerade jetzt, wo die Konjunktur besser läuft, müssen die Strukturreformen gemacht werden, insbesondere eine Steuerstrukturreform. Der österreichische Bundeskanzler hat in dieser Woche angekündigt, man werde in Österreich die Erbschaftssteuer ganz abschaffen, man setze weiter auf Steuersenkung und Steuervereinfachung in Österreich. Alleine in den letzten Jahren sind über 5000 deutsche Unternehmer nach Österreich ausgewandert. Da kann die Antwort des deutschen Finanzministers nicht sein: "Das ist aber gemein!", sondern das muss er als Inspiration, auch als Chance begreifen, die Steuerstrukturen in Deutschland so zu verbessern, dass auch dauerhaft die Staatsfinanzen wieder in Ordnung kommen.
Breker: Peer Steinbrück - Sie haben es angedeutet, Herr Westerwelle - wird über sehr viel mehr Geld verfügen. Mit etwas Geld in der Tasche wächst auch automatisch die Bewegungsfreiheit des Daumens. Steinbrück und von der Leyen scheinen sich zu einigen darauf, dass der Bund dauerhaft sich beteiligt an den
Unterhaltskosten für Kinderkrippenplätzen. Da kann doch auch die FDP wenig gegen sagen?
Westerwelle: Wir sind doch für den Ausbau gerade auch von vorschulischer Kinderbetreuung, denn für uns ist ja die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, für uns ist ja die Gleichberechtigung von Mann und Frau kein neues Thema. Das mag für die Konservativen ein Jahrhunderterkenntnis sein, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind, für Liberale ist das schon etwas länger der Fall. Also, kurz nach der Französischen Revolution wussten wir, dass das so sein muss. Natürlich unterstützen wir das. Aber ich meine, es kann doch einen normalen Bürger nicht zufrieden stellen, dass die Familienministerin etwas ankündigt, pausenlos eine neue Baustelle aufmacht, aber kein Richtfest feiert. Also, es hat keiner etwas von Ministern, die schöne Reden halten, sondern das Wesen in der Demokratie ist: Die Opposition lebt von der Macht des Wortes, und die Regierung muss an ihren Taten gemessen werden. Und das ist dürftig.
Breker: Im Zuge des Geldes, was nun in die Haushaltskassen, auch des Bundes, hineinfließt, wachsen fast selbstverständlich in der Politik auch die Begehrlichkeiten. Allerdings gibt es Begehrlichkeiten, die durchaus berechtigt erscheinen: Die Auslandseinsätze der Bundeswehr, Forschung und Bildung brauchen mehr Geld. Ja, Klimaschutz wäre auch etwas, wofür man Geld sinnvoll ausgeben kann. Sind Sie dafür, dass man auf der Ausgabenseite diese Bereiche unterstützt?
Westerwelle: Und vergessen Sie bitte vor allen Dingen nicht Bildung, Forschung, Ausbildung der jungen Generation, denn das ist der wichtigste Rohstoff auch für unseren Wohlstand in Zukunft. Wir werden nie so billig sein wie China oder wie Indien oder unsere Konkurrenten in der Welt. Aber besser müssen wir sein, und das geht nur, indem wir auch mehr für Bildung, für Forschung, für Ausbildung tun. Und das wollen wir auch, aber eben nicht, indem die Mehreinnahmen jetzt schon wieder verplempert werden für dieses und für jenes Lieblingsprojekt, sondern
indem der Haushalt unstrukturiert wird. Ganz unabhängig von den Steuermehreinnahmen haben wir ja schon seit zwei Jahren eine neue Haushaltsstruktur konzipiert und vorgelegt, wie es gehen könnte. Das heißt: Raus aus den Subventionen einschließlich der Steinkohlesubventionierung. Würde man die beispielsweise schon im Jahr 2012 und nicht erst im Jahr 2018 auslaufen lassen, könnte man zweistellige Milliardenbeträge sichern. Raus aus den ganzen Ausgaben, wo der Staat nichts zu suchen hat - bis hin übrigens zu den Fragen: Müssen wir China wirklich Hunderte von Millionen Entwicklungshilfe leisten, wenn die gleichzeitig Projekte für den Weltraum auflegen. Das ist ja nicht das, was man bei einem Entwicklungsland klassischerweise vermutet. Das ist Aufgabe der normalen Haushaltsstruktur. Und das, was jetzt unerwartet an Steuermehreinnahmen kommt, das muss genutzt werden, um im Interesse der jungen Generation die Verschuldung zurückzuführen, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen und eine Steuerstrukturreform zu beschließen. Denn nur, wenn die Steuerstruktur jetzt verändert wird, dann werden wir ja auch dauerhaft mehr Arbeitsplätze haben durch Investitionen und dementsprechend dauerhaft gesunde Staatsfinanzen. Mit anderen Worten: Haushaltskonsolidierung durch Konjunktur - das ist zu kurz gesagt. Haushaltskonsolidierung, indem man in Zeiten guter Konjunktur die Strukturen verbessert, das ist vorausgedacht.
Breker: Und das können Sie bei Peer Steinbrück nicht erkennen?
Westerwelle: Ich weiß nicht, ob er das nicht selber vielleicht auch sieht, jedenfalls hört man es bei ihm ja nicht, und er handelt ja auch anders. Der Bundeswirtschaftsminister hat doch recht, wenn er sagt, eine Steuerstrukturreform muss kommen. Denn es wäre doch tragisch, wenn die internationalen Familienunternehmen Deutschland jetzt verlassen und in die Schweiz und nach Österreich gehen. Und da können wir alle rufen: Wo ist Euer Patriotismus? Sie gehen. Und da verhält sich das Kapital nicht anders als jeder Privatmann, als jede Privatfrau. Wenn Sie bei der einen Bank vier Prozent kriegen und bei der anderen Bank drei Prozent für Ihr Guthaben, dann gehen Sie eben zu der Bank mit vier Prozent. Und das ist das, was auf der Welt stattfindet, und nicht irgendwo in Asien, sondern hier mitten in Europa bei unseren Nachbarländern. Als ob man in Österreich ein verarmtes Land finden würde ohne soziale Standards - es sind hoch entwickelte Länder, wo man gut leben kann, und wenn man dort eben bessere Rahmenbedingungen für die eigene Wirtschaft findet, dann wechseln eben auch viele. Und das muss verhindert werden. Das ist die zentrale Frage auch für den Wohlstand der Deutschen und damit auch für die soziale Gerechtigkeit.
Breker: Die vollen Kassen, die Steuereinnahmen - überdecken die nicht eigentlich die so genannten "Sollbruchstellen" der großen Koalition? Kann man nicht davon ausgehen, dass es der großen Koalition leichter macht, mit Geld in der Tasche ihre Streitigkeiten zu bereinigen?
Westerwelle: Na ja, mit anderer Leute voller Hose lässt sich gut stinken. Ich meine, das ist ja nicht das Geld der Regierung, sondern das ist das Geld der Steuerzahler. Diese Steuermehreinnahmen gehören dem Volk. Und die Politik und die Regierung sind lediglich Treuhänder dieser Steuereinnahmen. Und deswegen sollten dieses Geld auch nicht für irgend welche eigenen ideologischen Projekte verwenden, sondern sie sollten dafür sorgen, dass jetzt die Strukturen in Ordnung kommen. Und das ist das, was dringend notwendig ist. Also nochmals: Steuerstrukturreformen, Bürgerentlastung bei den Abgaben. Alle Welt weiß, dass gerade auch die mittlere und junge Generation mehr Verantwortung für das eigene Alter übernehmen muss. Nur, das können die meisten Familien gar nicht mehr, weil ihnen nämlich das Wasser bis Oberkante Unterlippe steht. Also muss man doch auch, indem man sie entlastet, dafür sorgen, dass neue Freiräume für eigene Vorsorge fürs Alter oder auch für Krankheit entstehen. Nur so funktioniert es.
Breker: Wagen Sie eine Prognose? Wird die große Koalition bis 2009 halten, die gesamte Legislaturperiode über?
Westerwelle: Ich glaube das nicht, denn die Bundesregierung kommt uns im Augenblick ja vor wie das Mädchen im Sterntaler-Märchen. Sie steht eigentlich längst im letzten Hemd da, und plötzlich fällt Gold vom Himmel in den Schoß. Und das rettet die Sache noch einmal. Und so geht es Angela Merkel im Augenblick. Angela Merkel geht es so wie dem Mädchen im Sterntaler-Märchen. Nur, wir wissen alle, dass das in der realen Welt so nicht funktioniert. Und dem entsprechend kommen die Sollbruchstellen immer deutlicher zu Tage. Die Zentrifugalkräfte wirken immer mehr auf diese Regierung. Es ist schon ein Zeichen des Zerfallprozesses, wenn die Regierungsspitzen sich gegenseitig mit einem Ende der Koalition bedrohen. Beide Regierungsparteien sagen, sie wollen eigentlich gar nicht mehr miteinander. Sie sind froh, wenn das vorbei ist. Und sie sagen, wir bleiben ja eigentlich nur deshalb zusammen, weil wenn es jetzt Wahlen gäbe, würden wir ja nicht so gut abschneiden. Nur, das ist nicht das, was Deutschland interessieren sollte. Deutschland muss interessieren, wie wir die Zukunft erobern und unseren Wohlstand erhalten und sichern. Was wir für die Rente, für die Bildung tun können, das ist das, was uns interessiert. Ich bin übrigens der Meinung, wenn diese Regierung auseinander bricht - und ich glaube, dass das vor dem Herbst 2009, also vor dem regulären Wahltermin, sehr gut möglich sein kann -, dann sollte es Neuwahlen geben. Und dann müssen unsere Bürgerinnen und Bürger die Chance haben, sich mit klaren Mehrheiten auch für einen Neuanfang zu entscheiden.
Breker: Stichwort Neuwahlen. Erinnern wir uns an die letzte Bundestagswahl. Da war es ja das schlechte Abschneiden der CDU, was eigentlich Schwarz-Gelb verhindert hat. Die FDP stand ja nach den Wahlen sehr gut da. Sie haben sich das damit erklärt, dass Sie gesagt haben, die großen Volksparteien verlieren an Bindungsfähigkeit. Was macht Sie so zuversichtlich, dass die Union diese Bindungsfähigkeit wieder gefunden hat, ihre Wähler wieder mobilisieren kann, dass nun in der Tat Schwarz-Gelb eine Perspektive auch für die nächste Wahl sein könnte?
Westerwelle: Ich setze ja nicht auf die Stärke der Volksparteien, wie sie sich selber nennen, sondern auf die Stärke der FDP. Und seit der Bundestagswahl haben wir gut und gerne eine Million neue Sympathisanten gewinnen können. Das sagen alle Umfragen. Denn die Bürger haben ja gesehen, wir haben Wort gehalten nach der Wahl, wir haben auch unsere Versprechen eingelöst, haben nicht Rot-Grün künstlich am Leben gehalten in einer Ampel. Und ich denke auch, dass die Tatsache, dass die Unionsparteien sich immer mehr von Leistungsbereitschaft, von Mittelstand und auch von wirtschaftlicher Vernunft verabschieden, selber immer mehr sozialdemokratische Politik machen, dass diese Tatsache dazu führt, dass der Zulauf zur FDP ja steigt. Das sehen wir bei den Mitgliederzahlen, das sehen in den Umfragen. Mit anderen Worten: Das, was die anderen Parteien verlieren, fangen wir derzeit zu einem guten Teil auf. Und das wird dann unter dem Strich auch reichen - so sagen es ja immer mehr Umfragen -, dass es klare Verhältnisse mit einem Politikwechsel geben kann.
Breker: Die Union will sich ein neues Grundsatzprogramm geben. Als es vorgestellt wurde, hat der Generalsekretär gesagt, der Staat solle sich auf seine Kernbereiche zurückziehen. Das klingt wie ein Koalitionsangebot an die FDP.
Westerwelle: Ein wunderbarer Satz. Jetzt müssen nur noch die Taten folgen. Denn Politiker, die in der Regierung sitzen und nichts durchsetzen, die sollten zum Theater gehen, aber nicht in die Regierung oder in die Politik. Also, ich bin ja auch der Auffassung, dass der Staat sich auf seine Kernaufgaben konzentrieren muss. Nur, die Regierung macht das glatte Gegenteil. Nehmen Sie allein das Antidiskriminierungsgesetz. Das wurde umgetauft. Das wird keiner einzigen Minderheit helfen, aber es bringt erheblich mehr Bürokratie, gerade zu Lasten des Mittelstandes. Das ist doch nicht weniger Staat, das ist mehr Staat. Oder wer die Steuern erhöht wie noch keine Regierung zuvor, der hat doch nicht weniger Staat sondern mehr Staat als Ergebnis. Oder nehmen Sie allein diese neue Bundesagentur für Gesundheit, genannt Gesundheitsfond. Das ist doch mehr Staat und nicht weniger Staat. Da ist doch überhaupt nicht mehr die Rede von
Wettbewerb und von den Kräften der Gesellschaft und von Freiheit und Verantwortung. Also, die guten Ideen des Kollegen Pofalla in allen Ehren, die Regierung macht das glatte Gegenteil.
Breker: Sie haben gesagt, dass Sie sich eine rote Ampel nur schwer vorstellen können. Nur schwer heißt, dass man es sich dennoch vorstellen kann?
Westerwelle: Ich muss es offen so sagen, wie ich es derzeit einschätze. SPD und Grüne, das ist ja ein so staatsbürokratisches Denken dort, dass das für die FDP nun mal nicht verlockend ist. Immer mehr in das private Leben der Bürger, immer mehr in das Wirtschaftsleben der Bürger mit immer neuen Vorschriften, Gesetzen und Steuern einzugreifen, das ist nicht unser Weg. Und deswegen werden wir die Koalitionsfrage auch erst beantworten, wenn die Wahl ansteht.
Breker: Eine Jamaika-Koalition nannten Sie eine Notlösung. Das würde ja voraussetzen, dass Sie dennoch die Möglichkeit sehen, Gemeinsamkeiten mit den Grünen zu finden. Wo würden Sie da anfangen zu suchen?
Westerwelle: Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Die FDP kämpft für klare Mehrheiten. Und wir machen keinen Wahlkampf für irgendwelche Notlösungen. Das war ja die Antwort auf den Vorhalt, ob es denn nicht so sei, dass künftig nur noch Drei-Parteien-Konstellationen jenseits einer schwarz-roten Regierung zusammen eine Mehrheit bilden können. Und ich habe einfach nur darauf hingewiesen, dass in den Meinungsumfragen der letzten Wochen - zum ersten Mal übrigens wieder - auch beispielsweise eine klare Mehrheit für Schwarz-Gelb möglich wäre. Und für klare Mehrheiten werbe ich mit einer ganz starken FDP, denn wir sind ja die letzte verbliebene freiheitliche Kraft, die auf soziale Marktwirtschaft im Bundestag setzt.
Breker: Also zur nächsten Bundestagswahl mit Kanzlerkandidaten, mit Koalitionsaussage - oder ohne?
Westerwelle: Das werden wir entscheiden vor der nächsten Bundestagswahl. Wenn wir eine Koalitionsaussage machen - und es spricht viel dafür, dass wir das tun -, dann wird das aber erst vor der Bundestagswahl verabschiedet. Das haben wir übrigens 2005 genau so gehandhabt, und wir haben uns dann auch dran gehalten. Ich habe jedes Versprechen, das ich unseren Wählern gegeben habe, eingelöst.
Breker: Die FDP will raus aus der Ecke der sozialen Kälte. In Leitantrag für Ihren Parteitag im Juni steht: Menschen benötigen soziale Sicherheit. Der Parteivorsitzende Guido Westerwelle äußert Verständnis für Lohnforderungen von Gewerkschaften. Einfach ungewöhnlich. Ist das der Weg?
Westerwelle: Sehen sie, ich habe ja nicht gesagt, dass ich hohe Lohnabschüsse gut finde. Ich habe nur gesagt, wenn die Regierung natürlich das Leben der Bürger immer teuerer macht - Stichwort Mehrwertsteuererhöhung, Stichwort steigende Beiträge bei Rente und Gesundheit -, dann ist es doch zwangsläufig, dass da auch ein Druck auf die Gewerkschaftsvertreter entsteht, das bei den Verhandlungen irgendwie wieder raus zu holen. Darauf habe ich hingewiesen. Und ich habe einfach vor, auf dem Bundesparteitag, den wir in Stuttgart im Juni haben werden, klar zu machen, was sozial ist. Das definiert nicht die politische Linke in Deutschland. Die politische Linke hat eine Politik der besten sozialen Absichten über Jahre gemacht. Die guten Absichten habe ich denen nie abgesprochen. Aber eine Politik der besten sozialen Ergebnisse ist einer Politik der besten sozialen Absichten überlegen. Staatliche Umverteilung, immer mehr Sozialstaatsbürokratie hat ja den wirklich Bedürftigen nicht geholfen. Und darauf werden wir aufmerksam machen, dass es um die wirklich Bedürftigen geht. Denen muss man helfen, den Menschen, die nicht das selbe Glück im Leben hatten, oder die der Schicksalsschlag getroffen hat, die krank sind, die behindert sind. Dass da der Mangel verwaltet wird, gleichzeitig aber immer mehr Geld in den Sozialstaat hinein gesteckt wird, spricht doch dafür, dass das Geld nicht bei den wirklich Bedürftigen ankommt.
Breker: Koalitionswechsel, Herr Westerwelle, werden nicht selten über die Wahl des Bundespräsidenten eingeleitet. Die CSU hat uns kürzlich daran erinnert, dass sie und Angela Merkel Horst Köhler ins Amt gebracht haben. Die CSU hat nun eine Einzelentscheidung des Bundespräsidenten mit dessen Wiederwahl in Verbindung gebracht. Können Sie sich vorstellen, dass ein neuer Bundespräsident auch ein Signal abgibt für eine neue Koalition in Berlin? Denn die Bundespräsidentenwahl ist ja vor der Bundestagswahl, wenn sie denn zum geplanten Zeitpunkt stattfindet.
Westerwelle: Die Wahl des Staatsoberhaupts findet ja nun im Frühjahr des Jahres 2009 statt. Und schon der Respekt gegenüber dem amtierenden Bundespräsidenten sollte es jedem verbieten, darüber heute zu spekulieren. Und deswegen tue ich das auch nicht. Im Gegenteil, ich erwarte auch von der CSU, dass sie sich für diesen unflätigen Versuch, den Bundespräsidenten unter Druck zu setzen, entschuldigt. Wir haben einen sehr guten Bundespräsidenten, der ein schweres Amt hat mit einer großen Verantwortung, wie wir gerade bei der Debatte um die Begnadigung dieser RAF-Terroristen erlebt haben. Ich begrüße die Entscheidung des Bundespräsidenten, nicht zu begnadigen, denn ich finde, jemand, der keine Reue zeigt, sollte auch nicht begnadigt werden. Aber es war absolut unakzeptabel, dass die CSU mit Unwahrheiten und mit regelrechten Drohungen den Herrn Bundespräsidenten in seiner Entscheidungsfreiheit einschränken wollte. Es gibt eben einen Unterschied, seine Meinung zu sagen, oder ein Verfassungsorgan mehr oder minder deutlich unter Druck zu setzen. Das letztere gehört sich einfach nicht.
Breker: Herr Westerwelle, eine letzte Frage: Ich werde meine Partei in die Regierung führen, und zwar nach der Bundestagswahl und keinen Tag später. Der Satz gilt?
Westerwelle: Der Satz gilt. Das ist mein Ziel, das ist meine Absicht. Wir wollen Verantwortung. Ja, wir wollen im besten Sinne des Wortes auch Macht. Denn nur, wenn man die Macht hat, sprich die Mehrheit hinter sich im Deutschen Bundestag, ist man in der Lage, das als richtig Erkannte zum Wohle des Landes umzusetzen.