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Wie ein Guerillakrieg beginnt

Nachdem äthiopische Truppen und ihre somalischen Verbündeten kampflos in Mogadiscio einmarschiert sind ist noch lange keine Ruhe eingekehrt in der Millionenmetropole Somalias. Allein bei den blutigen Auseinandersetzungen der letzten Tage sind nach Angaben des Roten Kreuzes "mehrere hundert" Menschen ums Leben gekommen.

Von Bettina Rühl |
    Die Männer sitzen dicht gedrängt an einfachen Holztischen und hören aufmerksam zu - trotz der Hitze in der Wellblechbaracke, die als Schulungsraum dient. Ihr Lehrer spricht über die Grundlagen des Islams, der Unterricht ist Teil ihres militärischen Trainings. Die Männer sind Milizionäre und kämpfen für die "Union der Islamischen Gerichte". Ihre Gegner sind die äthiopische Armee, die in Somalia einmarschiert ist, und die Truppen der eigenen, so genannten "Nationalen Übergangsregierung".

    Viele der Milizionäre haben sich den islamistischen Kämpfern erst vor einigen Wochen angeschlossen. Das gilt auch für Abdullahi Mahmoud: Bis zu diesem Sommer hatte der 19-Jährige versucht, ein Leben als Zivilist zu führen und in die Schule zu gehen. In Somalia sind das zwei anspruchsvolle Vorhaben: Der Alltag ist von Anarchie und Bürgerkrieg geprägt, seit der letzte Diktator Siad Barre vor 15 Jahren gestürzt wurde. Viele Kinder und Jugendliche schlossen sich in den vergangenen Jahren deshalb einem der zahlreichen Warlords an - es gab für sie keine andere Beschäftigung.
    Im Sommer 2004 eroberte die "Union der Islamischen Gerichte" weite Gebiete Somalias. Da erst schloss sich Abdullahi Mahmoud den Islamisten an.

    "Mich hat die Ernsthaftigkeit der islamischen Gerichte überzeugt, sie haben Somalia Frieden gebracht. Deshalb habe ich beschlossen, an ihrem Training teilzunehmen. Jetzt bin ich bereit, mein Land an ihrer Seite zu verteidigen. "

    Abdullahi Mahmoud ist Muslim, wie fast alle Somalier. Doch die Religion war für ihn nicht entscheidend, als er sich für die Union der Islamischen Gerichte entschied: Was für ihn zählte war der Ansatz von Recht und Sicherheit, den die Islamisten nach Südsomalia zurückbrachten. Die Menschen, die in den letzten Jahren an unzähligen Straßensperren von Milizionären bedroht und ausgeraubt wurden, konnten sich erstmals wieder relativ gefahrlos bewegen. Die Zahl der Morde und vor allem der Vergewaltigungen ging dramatisch zurück.

    Zum Leben in dem Trainingscamp Lantabuur gehören selbstverständlich die fünf islamischen Gebete. Lantabuur liegt rund 60 Kilometer von Mogadischu entfernt in der ausgedörrten Savanne. Der Ort war zu Zeiten des letzten somalischen Diktators Siad Barre als politisches Gefängnis berüchtigt. Nun steht neben den Ruinen der Zellentrakte und Folterkammern eine kleine Moschee aus Wellblech.

    Abukar Mohammud Hussein geht ganz selbstverständlich mit in den Gebetsraum. Dabei spielte die Religion in seinem Leben bislang kaum eine Rolle: Zehn Jahre lang kämpfte der 22-Jährige für einen der zahlreichen Warlords. Doch als die Kriegsfürsten in diesem Sommer von den islamistischen Milizen geschlagen wurden, schloss er sich seinen einstigen Gegnern an.

    "Als die Islamischen Gerichte die Warlors besiegten, erkannte ich die Macht des Islams. Ich sagte mir: Wenn diese Männer sogar stärker sind als die Warlords, dann will ich für sie kämpfen. Zum ersten Mal empfand ich den Wert der Religion. "

    Wenig später beginnt das Exerzieren. Die jungen Männer gucken konzentriert nach vorn und marschieren an Schutthaufen, Ruinen und einer Moschee aus Wellblech vorbei. Vor der ehemaligen Gefängnismauer drehen sie um und marschieren durch den Staub und die nachmittägliche Hitze zurück, während mehrere Ausbilder versuchen, die Haltung der Rekruten zu korrigieren. Wegen ihrer eng gefassten islamischen Moral werden die somalischen Islamisten immer wieder mit den afghanischen Taliban verglichen. Major Abdukadir Sheikh Ahmed Nur ist für die militärische Ausbildung zuständig - und hat mit diesem Vergleich keine Probleme:

    "Die Taliban haben während ihrer Herrschaft in Afghanistan nicht viele Fehler gemacht. Das einzige Problem war, dass Amerika einmarschiert ist und sie gestürzt hat. "

    Eine ähnliche Erfahrung will die "Union der Islamischen Gerichte" um jeden Preis vermeiden. Obwohl sie der äthiopischen Armee militärisch unterlegen ist und die Hauptstadt Mogadischu zunächst kampflos aufgab, lassen die Islamisten an ihrer Kriegsbereitschaft keinen Zweifel. Und werben offensiv um die Beteiligung der ganzen Bevölkerung:

    4. O-Ton Major Abdukadir Sheikh Ahmed Nur, analog eins B-Seite
    049 - 051
    Sprecher:
    Es ist die Pflicht aller Somalier, ihr Land gegen die äthiopischen Aggressoren zu verteidigen.

    Sheikh Hassan Dahir Aweys, einer der führenden Köpfe innerhalb der Islamischen Union, rief die somalische Bevölkerung zu einem "heiligen Krieg" gegen Äthiopien auf. Es gibt wenig Grund, an seiner Entschlossenheit zu zweifeln: Die USA führen seinen Namen auf einer Liste von Leuten, die Kontakte zu Terrorgruppen hatten oder haben. Tatsächlich scheinen einige Mitglieder des internationalen Terrornetzes in Somalia Zuflucht zu finden. Das berichtet jedenfalls auch die renommierte "International Crisis Group", die politische Konflikte weltweit analysiert, um Strategien für ihre Lösung zu finden. Dennoch warnt sie eindringlich davor, die Islamisten politisch zu isolieren oder militärisch besiegen zu wollen - dafür sei ihr Rückhalt in der Bevölkerung zu groß. Im schlimmsten Fall drohen in Somalia irakische Verhältnisse. Stattdessen rät die "International Crisis Group" dazu, die moderaten Kräfte innerhalb der Islamischen Union zu stärken. Zu ihnen gehört Sheikh Ibrahim Hassan Addou, der für die internationalen Kontakte zuständig ist. Über die Rolle der Frauen in der Gesellschaft sagt er zum Beispiel:

    "Ohne Zweifel verlangt der Islam die Trennung der Geschlechter. Aber Frauen haben innerhalb der Gesellschaft ihre eigenen Aufgaben. Würden wir die Aufgabenbereiche von 50 Prozent der Somalier beschneiden, dann wäre das zum Schaden der Gesellschaft. Wir brauchen Ärztinnen und Lehrerinnen - wir brauchen Frauen im Grunde in allen Bereichen. Dass der Islam die Trennung der Geschlechter vorschreibt, ist aber kein Problem: Bei den Schulen wird es einen Flügel für die Mädchen geben, der von einer Direktorin geleitet wird, und der Flügel für die Jungen von einem Direktor. Dasselbe wird für Universitäten und Krankenhäuser gelten. "

    Als Mitglied einer Diplomatenfamilie wuchs Sheikh Addou in den Vereinigten Staaten auf. Er studierte dort Politikwissenschaft und hatte jahrelang einen Lehrstuhl für Internationale Beziehungen. Addou hält die Zusammenarbeit mit dem Westen für selbstverständlich. Er gehört zu den gemäßigten Kräften innerhalb der Islamischen Gerichte. Zum radikalen Flügel gehören die so genannten "Shebbab": junge und hoch disziplinierte Kämpfer, von denen viele in Afghanistan ausgebildet wurden. Dass das so war, leugnet auch Sheikh Addou nicht:

    "Viele Menschen sind dorthin gegangen, und zwar mit Hilfe der US-Regierung und einiger europäischer Länder. Darunter waren viele Somalier, aber auch andere Muslime. Sie wurden von der USA und den Europäern rekrutiert und finanziert, um die UdSSR aus Afghanistan zu vertreiben. "

    Nach der äthiopischen Invasion werden diese Kämpfer vermutlich in Somalia umsetzen, was sie dank internationaler Mittel in Afghanistan gelernt haben: Eine reguläre Armee mit Mitteln des Guerillakrieges zu bekämpfen. Bekannter Maßen ist die UdSSR in Afghanistan gescheitert. Jahrzehnte später wird am Hindukusch noch immer gekämpft.