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Wie frei ist die Wissenschaft?

In der Wissenschaft hat in den letzten Jahren ein "struktureller Wandel" stattgefunden. Welche Rolle dabei das Zusammenspiel von Politik und Wissenschaft hat und wie die Wirtschaft eingebunden ist, darüber debattierten Experten an der Humboldt-Universität in Berlin.

Von Jürgen König | 01.03.2013
    "Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei" - heißt es im Grundgesetz. Doch wie frei, wie autonom ist die Wissenschaft? Das war die Kernfrage der Tagung "Wissenschaft und Macht" – und Einigkeit bestand darin, dass sie zwar frei sei, dabei aber großen Einschränkungen unterworfen – zum Beispiel durch den in den letzten Jahren von der Politik forcierten Wettbewerbscharakter in der Wissenschaft. Jan-Hendrik Olbertz, Präsident der Berliner Humboldt-Universität:

    "Wie verändert sich die Wissenschaft, wenn sie auf fragiler Finanzierungsgrundlage ihre Fragestellungen nicht mehr allein aus Neugier und Erkenntnisinteresse herleitet, sondern aus einem Höchstmaß an Konformität mit dem gerade angesagten Förderformat? Wie formuliert man eine wissenschaftliche Fragestellung so, dass sie im Wettbewerb um knappe Fördermittel besteht. Ist das dann eine andere wissenschaftliche Fragestellung als wäre sie nur aus Neugier und Erkenntnisinteresse hergeleitet?"

    Auch ein "Wettbewerb um Geld" sei die Exzellenzinitiative gewesen, so Olbertz, ausgetragen zwischen "unterfinanzierten Universitäten". Günter Stock, Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, forderte, das ganze System auf den Prüfstand zu stellen: Alle Hochschul- und Forschungs-"Pakte" würden demnächst auslaufen, die Haushalte von Bund und Ländern stünden vor einer "Schuldenbremse": Zeit sei es, grundlegend über unsere Wissenschaftslandschaft nachzudenken.

    "Vielleicht sollten wir den Mut aufbringen, unser hoch differenziertes Wissenschaftssystem daraufhin zu betrachten, welche Rolle sowohl die Universität als auch die außeruniversitären Institute zukünftig darin spielen sollen. Wir sollten nicht mit der Finanzierung beginnen, sondern mit den Inhalten. Dabei sollten wir uns neben der Universität auch sehr klar die jeweiligen Profile der Max Planck-Gesellschaft, der Fraunhofer-Gesellschaft bewusst machen, uns vielleicht auch darauf zurückbesinnen, aus welchen Gründen seinerzeit die Helmholtz- und die Leibniz-Gemeinschaft gegründet wurden und wie wir in Zukunft mit den vielen Landes- und Bundesressort-Forschungsinstitutionen umgehen möchten."

    Über das Verhältnis von "Wissenschaft und Macht" kristallisierten sich im Lauf der Tagung zwei Sichtweisen heraus. Michael Zürn vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung: Er stellte die These auf, der Einfluss der Politik auf die Wissenschaft habe seit dem Ende des Kalten Krieges stetig abgenommen. Beide "Teilsysteme" gehörten verschiedenen Welten an, die eigenen Regeln und eigenen Zeithorizonten folgen würden, ein Über- oder Unterordnungsverhältnis gäbe es nicht. Den Rahmen nationaler Bildungssysteme würde inzwischen die EU setzen, etwa bei der europaweiten Einführung der Bachelor/Master-Studiengänge.

    "Der Politik gelingt es kaum noch, die Wissenschaft für nationale Projekte und Anliegen zu bündeln. Auch politisch relevanten Großtechnologien wie Climate Engineering oder Refracturing werden heutzutage meist in transnationalen Forschungsverbünden entwickelt, nicht mehr in nationalen Verbünden. Gleichzeitig wird es immer schwerer, politisch gewünschte Begrenzung in der Forschung wie etwa im Bereich der Gentechnologie national durchzusetzen. Entsprechende strenge Regulierungen haben häufig eine räumliche Verlagerung der wichtigsten Forschungszentren zur Folge. Im Ergebnis ist die Macht der Politik gegenüber der Wissenschaft, verglichen mit dem Rest des 20. Jahrhunderts, also der Zeit der großen Ideologien zwischen 1914 und 1989, zurückgegangen."

    Auch der Münchener Politikwissenschaftler Edgar Grande sprach von einem "strukturellen Wandel" der Wissenschaft, wandte aber ein:

    "... dass das lange Zeit stabile Gleichgewicht von wissenschaftlicher Autonomie und staatlicher Steuerung einem beiderseits prekären Verhältnis gewichen ist."

    Prekär, weil die staatliche "Steuerung" von Wissenschaft in zunehmend komplexen Regelsystemen und teilweise aktionistisch erfolge: mit verschiedenen Koordinationsmechanismen, Hierarchien, Netzwerke, Wettbewerben – der wissenschaftlichen Autonomie sei das durchaus nicht förderlich. Und an der Abhängigkeit vom Geld der öffentlichen Hand, so Grande, habe sich gar nichts geändert.