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Wie Handys, Atomkraftwerke und Autos unsere Kommunikation verändert haben

Ob am Arbeitsplatz, im Haushalt, beim Einkaufen oder im Operationssaal: Technik bestimmt unser Leben. Sie verändert auch unsere kulturellen Gewohnheiten, etwa die Art wie wir reden und mit wem. Mit derartigen Wechselwirkungen zwischen Kultur und Technik befasst sich das Forschungskolleg Kulturwissenschaftliche Technikforschung, dem inzwischen 13 Mitglieder verschiedener Universitäten angehören.

Von Ursula Storost |
    Ob am Arbeitsplatz, im Haushalt, beim Einkaufen oder im Operationssaal: Technik bestimmt unser Leben. Wer heute mitreden will, muss Bescheid wissen über die großen technischen Entwicklungen unserer Zeit.

    Hengartner:
    " Das Thema Technik und Kultur beschäftigt mich seit Mitte der 90er Jahre, da bin ich ans Telefon und was das mit den Menschen macht. Nicht nur wir telefonieren, sondern es hat sich auch in die Art und Weise unserer Alltagsgestaltung eingeschrieben. So bin ich auf die Technik gekommen. "

    Thomas Hengartner, Direktor des Instituts für Volkskunde an der Universität Hamburg, hat durch seine Forschungen zum Telefon erkannt, dass nicht nur wir mit Technik umgehen - sondern die Technik auch mit uns.

    " Völlig banal für uns heute. Wenn's Piep macht, ist die Leitung frei. Wenn's piep-piep-piep macht, ist die Leitung besetzt. Das war erstmal beizubringen. Also es gibt in den Aktenbeständen der Telefongesellschaften tausende von Briefen von Leuten, die sich völlig verunsichert fühlten über diese neue Form, gesteuert zu werden. "

    Im Jahr 2002 gründete Thomas Hengartner das Forschungskolleg kulturwissenschaftliche Technikforschung, dem inzwischen 13 Mitglieder verschiedener Universitäten angehören. Das Kolleg versteht sich als Netzwerk: man trifft sich zum Gedankenaustausch und stellt seine Forschungsergebnisse den Bildungsinstitutionen genauso zur Verfügung wie Vertretern aus Wirtschaft und Politik. Und das Kolleg arbeitet interdisziplinär.

    " Es gab lange Zeit eine Berührungsangst zwischen der technischen Seite und zwischen der kulturell gesellschaftlichen Seite. Es gab im Bereich der Geschichtswissenschaften und der Soziologie schon Auseinandersetzungen mit Technik. Aber wirklich in einem weiteren Sinne nach der uralltäglichen Dimension von Technik zu fragen, das hat sehr lange Zeit gebraucht. "

    Spätestens seit dem 19. Jahrhundert hat die Entwicklung technischer Errungenschaften eine vorher nicht gekannte Qualität angenommen. Beispiel Elektrizität. Sie prägt unsere Arbeitsbedingungen, unsere Ernährung, unser gesamtes Lebensumfeld.

    " Städte konnten erst im großen Stil wachsen als technische Infrastruktur die Versorgung ermöglichte und den Personentransport ermöglicht hat. D.h. hier ist ne ganz neue Dimension mit rein gekommen. Und das hat sich wenn man so will in den letzten fünf, sechs Jahrzehnten noch einmal mit der ganzen Digitalisierung noch einmal grundlegend verändert. "

    Besonders weitgehende Konsequenzen hat, so Thomas Hengartner, die technische Entwicklung auch im naturwissenschaftlichen Bereich.

    " Wenn ich mir die Dechiffrierung des menschlichen Genoms mit technischen Möglichkeiten angucke. Und was da für das Menschenbild damit verbunden ist, dann sieht man wie Technik und der Mensch nicht nur auf der alltäglichen Ebene zusammenkommen sondern auf unterschiedlichen Bereichen, was bis in die Ethik und die Modellierung von Menschen reingehen. "

    Auch die so genannte Transplantationsmedizin, die in den 60er Jahren begann, hat entscheidenden das Verständnis des menschlichen Körpers geprägt, sagt die Kulturwissenschaftlerin Sybille Obrecht von der Universität Basel:

    " Ich bin der Meinung, dass die Transplantationsmedizin nicht zum Ersatzteildenken beiträgt sondern genau zum Gegenteil. Dadurch, das in den 60er Jahren soviel über die Transplantation geschrieben wurde, haben viele Leute erstmal die Idee gekriegt, dass der Körper über Immunmechanismen verfügt, das war ne Vorstellung, die damals recht jung war und sich erst im Verlauf der 70er und 80er Jahre breit durchgesetzt hat. Das der Körper über ein Immunsystem funktioniert, das im Prozess gegen außen sich immer wieder etabliert und auch so die Gesundheit des Körpers sichern. Das ist ne relativ junge Vorstellung. "

    Dass man kulturelle Überlegungen und Technik sehr viel stärker im Bereich der Naturwissenschaften verorten sollte, fordert auch Ulrich Dienhart, Mitglied des Forschungskollegs Der Maschinenbauer war früher Referent im Bundesministerium für Forschung und Technologie und betreibt heute ein technologieorientiertes Unternehmen. Er weiß, dass auf Dauer mit technischem Know-how nur Wirtschaftlichkeit erzielt werden kann, wenn man die kulturellen Hintergründe des Technikgebrauchs mit einbezieht. Denn nur wenn Technik von den Menschen akzeptiert wird, gestaltet sie auch die Lebensabläufe und bringt Profit:

    " Sie gestalten sie indem sie Dinge annehmen, experimentell damit umgehen, denken Sie an die Frühzeit des Automobils. In dieser Zeit hat man das Automobil als Sportgerät reicher Schichten interpretiert. Man hat ursprünglich nie die Idee gehabt, dass es sich mal zu so einer Massenbewegung, einer bestimmenden Massentechnik umsetzen würde. Man geht mit dieser Technik um indem man sie akzeptiert, indem sie selbstverständlich wird im Leben, indem man im alltäglichen Leben sich nicht mehr bewusst ist der Vorraussetzungen und Rahmenbedingungen oder der Bedeutung ihrer Nutzung. Man geht mit der Technik um, indem man feststellt, dass sie aus dem Leben verschwindet. "

    In diesem Sinne sieht Ulrich Dienhart auch keinen großen Unterschied zwischen Technikgeschichte und Kulturgeschichte.

    " Technik ist Menschenwerk und dadurch ist es ein Stück Kultur. Und Kultur ist ein Stück menschliches Leben, was von Technik durchdrungen ist. "

    Wie sehr Technik sich auf Sprache und Kommunikation auswirkt, hat der Linguist und Physiker Jürg Niederhauser erforscht. Er arbeitet beim Bundesamt für Messtechnik in Bern und sieht in der Technik eine der mächtigsten sprachentwicklungsfördernden Faktoren. Und wir haben es längst akzeptiert, uns auf die Sprache der Maschinen einzustellen, sagt er:

    " Für uns, die wir mittlerweile schon so google-gesteuert sind, ist es ganz normal, dass wir wissen, wir müssen mit gezielten Stichworten eine Abfrage machen und können nicht mehr eine Frage stellen, wie wir sie früher im Reisebüro stellen konnten, ich möchte gerne Ende November eine Woche Ferien in der Türkei machen mit meiner Familie. "

    So wie Google unsere Art des Fragens bestimmt, so bestimmt das mobile Telefon mittlerweile die Kommunikation der Jugendlichen, ergänzt der Volkskundler Thomas Hengartner.

    " Also Verabredungen ohne Handy, ohne SMS unter Jugendlichen ist heute nicht mehr denkbar. Man verabredet sich nicht auf 16 Uhr, sondern man verabredet sich, dass man sich verabredet. Und dann verabredet man, wo man sich verabredet. Und dann verabredet man sich, mit wem man sich verabredet. Und dann verabredet man sich, dass man doch nicht dann verabredet, wann man sich verabredet hat. Also im Grunde ist das Managen von all diesen Aktivitäten schon eine ganz wichtige Aktivität unserer Jugendlichen. "

    Wie weit die Technik in unsere Lebensbereiche eingedrungen ist, kann jeder an sich selber feststellen. So kritisch wir manchen Technologien auch gegenüber stehen mögen: wir erwarten, dass Technik uns für alles und jeder Hilfe leistet. Technik als Allheilmittel für Probleme des Alltags. Hengartner:

    " Also das hat die Technik mit uns gemacht, dass wir uns ihr blind anvertrauen gewissermaßen. Dass wir sie zum Problemlöser machen. Dass wir nicht vorsichtiger fahren im Auto sondern dass wir einen Überrollbügel und Sicherheitsgurte einbauen und dann genauso wild drauf losfahren. Wir haben da an die Technik unser Risikoverhalten delegiert. "