Wir tauchen zunächst zurück in die gute alte Kaiserzeit. 1911 glaubte man im Deutschen Werkbund noch an die "Durchgeistigung der deutschen Arbeit" durch Rückkehr zum Handwerk. Woher dieser hohe Ton? Eine Fülle von Propheten versuchte damals, das Auseinanderbrechen einer sich rasend schnell industrialisierenden Welt zu verhindern. Doch nur gehobenes Bürgertum und Adel konnten sich noch Einzelstücke leisten, wer von seiner Hände Arbeit lebte, für den war Handarbeit unerschwinglich geworden. Die Schau zeigt den Geburtsfehler des modernen Designs: raffiniert gingen die Fabriken daran, ihre Großserien ornamental zu verhübschen. Prompt geriet die Industrieproduktion bei den gestrengen Geschmackswächtern in den Ruch, kein integraler Bestandteil sondern nachträgliche Zutat zu sein. Spannend zu verfolgen, wie man im Dienste einer zunehmend imaginären Pflege des verlorenen Kunst-Schönen künstliche Kaufanreize als verwerflich verdammte und zugleich versuchte, Verbraucher und Industriegesellschaft durch das Allheilmittel Kunst zu versöhnen. Bastard dieser Heuchelei war das sog. "Kunsthandwerk".
Der nächste Kiosk steuert die Neue Bauhaus-Sachlichkeit an. Deren programmatisches Stichwort: Versöhnung von Industrieproduktion und Gestaltung. Doch man tat dies in Weimar und Dessau ohne jede Pädagogik des erhobenen Zeigefingers, vielmehr anhand beispielhafter Einzelstücke, wie Wagenfeld-Leuchte oder Breuer-Freischwinger. Ausstellungen suchten nach dem gestalterischen Einklang mit dem neuem Bauen, in lichtdurchfluteten Räumen, mit leichten beweglichen, gleichsam nomadischen Möbeln, Stahlrohr und Glasplatten: Leere als höchstes Gebot. Siegfried Giedion träumt vom "Befreiten Wohnen" Bruno Taut von ausgeräumten Räumen, wo Möbel - wie japanische Rollbilder - nur hervorgeholt werden, wenn man sie braucht. Ein kurzer funktionalistischer Traum, der fast gewaltsam alles rechtwinklig machen, den Menschen nach den Normen der Industriekultur, dem Takt der maschinellen Organisation formen wollte.
Verblüffend, wie nahtlos der Modernisierungsschub der NS-Zeit an diese Gesinnung anschloss. Eine bluttleere NS-Blut-und-Boden-Ästhetik klärte jetzt die Volksgemeinschaft auf über "Gutes und Böses in der Wohnung"! Die legendäre, geradezu enzyklopädische Loseblattsammlung "Deutsche Warenkunde" hielt die Mitte zwischen Information und Indoktrination, im Gefolge von Autarkieträumen und realer Rohstoffknappheit, was mit urwüchsig-handwerklichem Brimborium verbrämt, aber mit modernsten Produktionsmitteln hergestellt wurde. Dass auch der gute alte Deutsche Werkbund hieran mitarbeitete, sieht man mit Verwunderung.
Die Nachkriegszeit findet in geteilten deutsch-deutschen Kiosken Platz, DDR und BRD. Hie Kulturelles Erbe, wo Dekor als kosmopolitisch verpönt ist und die Kargheit sozialistischer Sparsamkeit vorherrscht, eine Mischung aus spießigem Bonzengeschmack und proletarischer Verzichtsideologie. Im kapitalistisch-westdeutschen Ausland dagegen Wirtschaftswunder mit Fresswelle und Konsumzwang der "Swinging Fifties". Bis auf die Enklave des Guten Geschmacks in Ulm blieben guten Vorsätze auf der Strecke. Die Ausstellung führt die völlige Beliebigkeit des "guten Geschmacks" von heute quälend vor Augen: Keine Kriterien, keine Instanzen. Ein Kunstunterricht, der sich allenfalls der Hochkultur widmet und Alltagskultur ausgeklammert. Am Ende die durchaus vernünftige Forderung nach einer neuen Designpädagogik, die jenseits von Geschichtsvergessenheit die Grundkriterien von Geschmack neu zu definiert. Der Weg dahin scheint noch lang.