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Wieczorek-Zeul will Kampf gegen Biopiraterie verstärken

Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul ist zuversichtlich, dass Deutschland auf der am Montag in Bonn beginnenden UN-Naturschutzkonferenz weitere Mittel für die Ausweisung von Schutzgebieten in Entwicklungsländern zusagen wird. Wieczorek-Zeul verteidigte außerdem das bevorstehende Treffen mit dem Dalai Lama in Berlin gegen Kritik aus den eigenen Reihen.

Moderation: Jule Reimer | 18.05.2008
    Jule Reimer: Frau Ministerin, die Woche beginnt mit zwei wichtigen Ereignissen, einmal beginnt in Bonn die UN-Naturschutzkonferenz, die zwar auch mit Naturschutz, aber vor allem mit handfesten wirtschaftlichen Interessen und Konflikten zwischen Industrie- und Entwicklungsländern zu tun hat, und zweitens werden Sie den Dalai Lama treffen. Wo und in welchem Rahmen wird denn diese Begegnung stattfinden?

    Heidemarie Wieczorek-Zeul: Die Biodiversitätskonferenz findet, wie ja bekannt ist, in Bonn statt . . .

    Reimer: . . . die Begegnung mit dem Dalai Lama . . .

    Wieczorek-Zeul: . . . ja, Sie haben ja von zwei zentralen Fragen gesprochen - und die Begegnung mit dem Dalai Lama wird hier in Berlin stattfinden.

    Reimer: Es gab Kritik von SPD-Parteikollegen, die diese Zusammenkunft als falsch bezeichnet haben. Haben Sie keine Sorge, dass dieses Treffen mit dem Dalai Lama erstens die chinesisch-tibetischen Gespräche, die endlich wieder angelaufen sind, beeinträchtigen könnte und zweitens auch eine neue Eiszeit in den deutsch-chinesischen Beziehungen hervorrufen könnte?

    Wieczorek-Zeul: Also, die Entwicklungszusammenarbeit und auch die Entwicklungsministerin steht für den Dialog mit allen Beteiligten. Und genau in dieser Verantwortung nehme ich das Gespräch auch wahr.

    Reimer: Das heißt, Sie treffen sich mit dem Dalai Lama auf eigene Initiative, oder im Auftrag der Kanzlerin?

    Wieczorek-Zeul: Ich unternehme Gespräche, die ich führe, immer auf eigene Initiative.

    Reimer: Mittlerweile gibt es Befürchtungen, dass es in Birma über 100.000 Tote gibt, in China spricht man von 50.000 Toten. Birma ist stark kritisiert worden, dass es kaum ausländische Helfer ins Land lässt. Lässt denn China ausländische Helfer ins Land?

    Wieczorek-Zeul: In Birma geht das Ringen immer noch weiter. Der EU-Kommissar Michel ist vor Ort. Er versucht auch, im besonders betroffenen Delta voranzukommen. Es gibt die UN-Initiative, Druck auszuüben, dass die Junta in Birma endlich kooperiert. Die Hauptschwierigkeit ist, dass die ausländischen Helfer, die einen Teil der professionellen Arbeiten machen müssten und die dafür auch ausgebildet sind, bisher daran gehindert werden. In Bezug auf China ist mein Eindruck, dass ausländische Hilfe ins Land gelassen wird und ja auch ausdrücklich gewünscht wird.

    Reimer: Im UN-Sicherheitsrat behindert unter anderem die Weigerung Chinas, dass mehr Druck auf Birma ausgeübt wird. In Darfur hat sich China lange geziert, im Interesse der Menschenrechte zu kooperieren. In ganz Afrika gewinnt China an Einfluss, vergibt großzügig Kredite, ohne lästige Fragen nach Menschenrechten zu stellen. Wie gehen Sie damit um, dass China Ihr gesamtes Tauschmodell, was in der westlichen Entwicklungspolitik herrscht, nämlich "mehr Entwicklungshilfe gegen Demokratie und gute Regierungsführung" - dass China dieses Tauschmodell systematisch aushebelt?

    Wieczorek-Zeul: Das kann man so nicht sagen. Wir haben gerade gestern ein längeres Gespräch über die Frage der Entwicklung von Infrastruktur in Afrika geführt. Und die Vertreter dieses Infrastruktur-Konsortiums - das ist eine Beratungsinstitution aus dem entwicklungspolitischen Bereich, der bei der Afrikanischen Entwicklungsbank sitzt - sagen noch einmal, dass es durchaus auch das Interesse der chinesischen Seite gibt - im "Memorandum of Understanding" -, sich auf Kriterien festzulegen. Und das Ziel muss ja immer sein, dazu beizutragen: Wenn China in Afrika Investitionen leistet, dann müssen die gleichen Standards eingehalten werden. Und das ist eigentlich das Bemühen aller beteiligten Geber und auch der multilateralen Finanzinstitutionen.

    Reimer: Das heißt, haben Sie den Eindruck, dass China sich auf einen minimalen Anforderungskatalog in Sachen "Good Governance" - gute Regierungsführung - einlassen würde?

    Wieczorek-Zeul: Das ist jedenfalls das Ziel aller Gespräche - übrigens auch in dem so genannten "Heiligen-Damm-Prozess", in dem mit den fünf großen Schwellenländern die Gespräche geführt werden.

    Reimer: Kommen wir zum zweiten Großereignis am Montagmorgen, da beginnt in Bonn die UN-Biodiversitäts-Konferenz. In Deutschland wurde diese Konferenz populär zur "UN-Naturschutzkonferenz" umgetauft. Es treffen sich 5.000 Delegierte aus 190 Ländern in Bonn. China steht wegen Markenpiraterie am Pranger. Was sagt denn die Entwicklungsministerin zur Biopiraterie, zu diesem Phänomen, dass Unternehmen aus Industriestaaten gute Profite mit den genetischen Ressourcen aus Entwicklungsländern und dem Wissen traditioneller Heiler machen?

    Wieczorek-Zeul: Das ist ein zentrales entwicklungspolitisches Anliegen bei dieser Konferenz, und zwar auch unter folgendem Gesichtspunkt: Man kann sagen, dass zwischen 500 und 800 Milliarden US-Dollar Geschäft mit dieser Art von Biopiraterie von Unternehmen aus Industrieländern in Entwicklungsländern gemacht werden, wo ja der höchste Teil der Artenvielfalt sich befindet. Und das ist eigentlich die Aneignung von genetischen und biologischen Ressourcen, die in den Entwicklungsländern beheimatet sind. Deshalb ist unser Ziel, verbindliche internationale Regelungen und auch notfalls Sanktionen zu vereinbaren, die auf dieser Konferenz jetzt beraten und beschlossen werden sollten mit dem Ziel, einen gerechten Vorteilsausgleich - oder wie man das neu hochdeutsch "Access and Benefit Sharing" nennt -, das heißt, die betroffenen Länder, die die Heimat dieser genetischen Ressourcen sind, müssen auch finanziell einen Ausgleich erhalten.

    Reimer: Aber bislang sperren sich viele Industriestaaten gegen eine solche Regelung.

    Wieczorek-Zeul: Also, eine entsprechende Festlegung gibt es bereits. Sie ist nur nicht mit Sanktionen bewehrt, und infolge dessen ist sie eben kein umsetzbares Recht. Und das Ziel auf dieser Konferenz sollte sein, ein entsprechendes Mandat zu geben, das dann auch 2010 die notwendigen Ergebnisse bringt.

    Reimer: Wie ist denn insgesamt der Zusammenhang zwischen Entwicklung, Entwicklungspolitik und einer intakten Natur, einer intakten Biodiversität, die ja aus der Vielfalt der Ökotope, der Arten und der genetischen Ressourcen besteht, also ein höchst komplexes System ist?

    Wieczorek-Zeul: Wir haben natürlich ein Interesse, für die Entwicklungsländer und zusammen mit den Entwicklungsländern diese Ressourcen wirklich zu erhalten. Man muss immer darauf hinweisen, dass natürlich auch wir selbst - die Menschen in Industrieländern - davon profitieren, wenn Arzneimittel gefunden und entwickelt werden oder auch andere Produkte. Die stammen von den Ressourcen aus diesen Ländern, dann kommen die auch uns zugute. Und es wäre grob fahrlässig, wenn wir diese Vielfalt missachten würden. Und man muss einfach nochmal drauf hinweisen, dass bisher schon alle 20 Minuten eine Tier- oder Pflanzenart ausstirbt und dass 26.000 Arten jährlich sterben. Und das heißt, wenn das so ist, dann müssten wir ein Interesse daran haben, diese Artenvielfalt zu erhalten, die letztlich auch uns zugute kommt.

    Reimer: Diese Artenvielfalt wird zum Beispiel eben vor allem durch große Infrastrukturprojekte bedroht. Warum gibt Deutschland eine staatliche Kreditbürgschaft für den Ilisu-Staudamm in der Türkei am Tigris? Da werden wertvolle Naturräume vernichtet, sagen Umweltorganisationen. Eine historische Stadt wird in dem geplanten Stausee untergehen, und es werden bis zu 50.000 Menschen umgesiedelt. Abgesehen davon hält die Türkei nach Expertenberichten auch gar nicht die Auflagen für eine angemessene soziale und ökologische Umsetzung ein.

    Wieczorek-Zeul: Nun ja, es ist so: Kein Land lässt sich eigentlich - auch die Türkei nicht - in seine eigenen Planungen reinreden. In dem ganz konkreten Fall ist lange darüber gerungen worden, welche Kriterien von der türkischen Seite eingehalten werden sollten, und zwar bezogen auf die Frage, dass es einen entsprechenden Ausgleich für Menschen gibt, die umgesiedelt werden müssten, dass auch gleichzeitig eben die Ausgleichsmaßnahmen finanziert und geregelt werden müssten. Und Sie haben recht: Nach allem, was wir bisher wissen, ist es so, dass die türkische Seite da deutlich im Verzug ist. Und mein Eindruck ist, dass entweder die Türkei in diesen Fragen ihre Ergebnisse und die Arbeit beschleunigt und voranbringt - das wird in jedem Fall sicher mit dem zeitlichen Verzug verbunden sein. Der Abwägungsprozess ist immer folgender: Wenn wir diese Kriterien nicht verankert hätten bei den vielen Gesprächen, dann würden sie gar nicht zum Tragen kommen. Und dann sind wir wieder an der Frage: Finanziert irgendjemand anderes, ohne all die Kriterien zu verwirklichen, eine solche große Infrastrukturaufgabe?

    Reimer: Aber Sie wägen jetzt schon sehr lange ab.

    Wieczorek-Zeul: Das ist ja auch gut so, denn damit kann man auch Fehler vermeiden.

    Reimer: Auf der anderen Seite hat man den Eindruck, dass die Türkei trotzdem macht, was sie will. Es ist mit den Bauarbeiten bereits begonnen worden, obwohl die Kriterien nicht erfüllt sind.

    Wieczorek-Zeul: Ja, aber es gilt, dass auch in letzter Konsequenz die entsprechende Absicherung des Kredites steht und fällt mit der Umsetzung der Bedingungen.

    Reimer: Weiteres Thema in Bonn wird die Einrichtung eines großflächigen Schutzgebietsnetzes sein, und zwar weltweit. Das heißt, die Industriestaaten sind auch aufgerufen, sich zu beteiligen. Die Biodiversitätskonvention - auf ihrer Basis findet die Konferenz statt -, die besagt ja, dass die Industriestaaten den Entwicklungsländern Hilfe für die Einrichtung dieser Schutzgebietsnetze leisten soll. Bis jetzt ist aber kaum Geld im großen Topf. Ist die Idee also schon gescheitert, bevor sie überhaupt umgesetzt wird?

    Wieczorek-Zeul: Nein, überhaupt nicht. Ich gehe auch davon aus, auch wenn das jetzt kurz vor der Konferenz ist, dass eben auf der Konferenz doch viele Beteiligte sich zu finanziellen Zusagen bereit finden . . .

    Reimer: . . . auch die Bundesregierung? . . .

    Wieczorek-Zeul: . . . das ist jedenfalls meine Hoffnung.

    Reimer: Haben Sie das mit Herrn Steinbrück schon besprochen?

    Wieczorek-Zeul: Nein, deshalb hab ich ja auch gesagt "das ist meine Hoffnung". Aber es sind ja die Bundeskanzlerin, der Umweltminister und ich auch auf der Konferenz vertreten, insofern gibt's ja dazu vielfältige Gelegenheit. Man muss vielleicht nochmal deutlich machen, was der Hintergrund ist. Gerade diese Schutzgebiete haben doch eben die große Aufgabe, sicherzustellen, dass Artenvielfalt wirklich erhalten bleibt, dass Tierarten erhalten bleiben. Aber es geht natürlich auch drum, dass es nachhaltig genutzt wird, also nicht gegen die Menschen, sondern mit den Menschen.

    Reimer: Der WWF, der World Wide Fund For Nature, der hat ausgerechnet, dass insgesamt jährlich 30 Milliarden US-Dollar aufgebracht werden müssten, wenn man diese Schutzgebiete vernünftig einrichten wollte. Deutschland zahlt in Relation dazu ein Tausendstel pro Jahr in den Schutzgebietsbereich ein. Das erscheint mir noch sehr weit weg vom Ziel.

    Wieczorek-Zeul: Ja, aber Sie sollten auch mit dazu sagen, dass eigentlich Deutschland eines der Länder ist, das ganz besonders aktiv in der Frage der Entwicklung und der Zusammenarbeit bei den Schutzgebieten ist . . .

    Reimer: . . . das heißt aber, es sieht finanziell noch viel schlimmer aus, dass die anderen Industriestaaten viel weniger geben . . .

    Wieczorek-Zeul: . . . das wollte ich eben gerade sagen. Aber Sie müssen es natürlich auch in den Kontext stellen. Also ich bin sicher die Allererste, die sagt: Es braucht mehr Mittel, die mobilisiert werden müssen. Aber nehmen wir mal nicht nur diese Frage, nehmen wir die Frage "Kompensation für die Erhaltung von Wald - von tropischem Regenwald", Mittel, die beim Klimaschutz notwendig werden und auch die, die zur Armutsbekämpfung insgesamt notwendig sind, dann sind das sehr, sehr große Summen, die für alle Beteiligten, also zumal für die Industrieländer, gelten. Und dann müssen wir das auch zu einem gemeinsamen Thema machen. Eine Gelegenheit ist immer ein "G8-Treffen", die andere Gelegenheit ist: Im Herbst wird es eine UN-Konferenz geben zur Umsetzung der Millenniumsentwicklungsziele. Und da muss dann auch die Welt sagen: Will sie auch innovative Finanzinstrumente in die Hand nehmen, um das zu lösen? Wir haben ja bei der Auktionierung von CO2-Verschmutzungszertifikaten schon einen innovativen Weg eingeschlagen.

    Reimer: Bleiben wir beim Stichwort "Kompensation für den Schutz von Waldgebieten". Ecuador hat das Angebot gemacht, auf die Ausbeutung seiner Erdölvorräte zu verzichten, wenn ihm dafür die internationale Gemeinschaft eine Entschädigung zahlt. Wir wissen, dass sich Regenwald- und damit Artenverlust und Klimaerwärmung gegenseitig verschärfen und dass der Zustand Amazoniens auch das Klima in weiten Teilen der Welt beeinflusst. Warum reagiert die deutsche Bundesregierung - oder auch die EU - nicht auf so ein Angebot? Das wurde zum Beispiel letztes Jahr vor dem G8-Gipfel gemacht.

    Wieczorek-Zeul: Ja, da steckt aber natürlich auch in solchen Fragen immer der Teufel im Detail. Man muss ja vermeiden, dass es in einem Bereich vielleicht Kompensationsleistungen gibt, die dann aber wiederum durch völlig andere Nutzung von anderen Flächen unterlaufen werden. Also, es klingt einfach. Ich habe eine gewisse Sympathie für diesen Vorschlag von Ecuador, wir hatten auch angeboten, dass wir bei der Bewertung des Vorschlags und auch bei den Umsetzungsmöglichkeiten Hilfe anbieten wollten. Und das tue ich auch nach wie vor. Trotzdem muss man immer sehr genau gucken, ob die Erhaltung in diesem Bereich dann auch wirklich nachhaltig ist.

    Reimer: Wir wissen, dass in vielen Entwicklungsländern der Holzeinschlag illegal stattfindet. Wir haben eine in der EU subventionierte Fischereiflotte, die die Weltmeere leerfischt. Dieses illegal geschlagene Holz gerät auch auf deutsche Märkte. Ist die Europäische Union, ist Deutschland - sind wir Mitläufer oder Täter beim Artenverlust? Sie haben ja beschrieben, dass der recht dramatisch ist.

    Wieczorek-Zeul: Nun ja, es ist immer ein bisschen schwierig, wenn man solche Begriffe verwendet, die ja beide ganz negativ sind . . .

    Reimer: . . . man könnte aber hier zum Beispiel ein "Urwaldschutzgesetz" erlassen oder die Regeln für Importe verändern, oder . . .

    Wieczorek-Zeul: . . . ich wollte gerade sagen: Also, wir haben diese gemeinsamen europäischen Richtlinien zur Frage des Waldschutzes, das so genannte FLEGT-Programm, wir haben das "Forest Stewardship Council"-Programm, um sicherzustellen, dass eben nur zertifizierte Hölzer zum Beispiel importiert werden.

    Reimer: Das klappt aber nicht, es klappt nur begrenzt im Rahmen dieses FSC-Siegels.
    Wieczorek-Zeul: So ist es. Man kann auch gesetzlich alles machen, aber ich will auch drauf hinweisen: Es gibt natürlich eine gewisse Verpflichtung von Verbrauchern und Verbraucherinnen in den Fragen. Und bei meinem Besuch in Brasilien habe ich vor einiger Zeit von den dort Beteiligten, die an der nachhaltigen Nutzung von Regenwald beteiligt sind, gehört, dass es ein hohes Interesse aus den USA an diesen zertifizierten Tropenhölzern gibt, aber in Europa weniger. Das sollte vielleicht dann auch mal publik werden.

    Reimer: Frau Wieczorek-Zeul, Wissenschaftler haben die Warnung ausgesprochen, dass die Kombination von Klimaerwärmung, Verlust der Artenvielfalt eine weitere Verschärfung bei der Teuerung, bei den Preisanstiegen bei Nahrungsmitteln hervorrufen könnte. Das heißt, wir brauchen - vielleicht - eine höhere Produktion? Empfehlen Sie denn den Einsatz der Grünen Gentechnik, um das Milleniumsziel Nummer 1 - die Halbierung der Zahl der Hungernden bis zum Jahr 2015 - zu erreichen?

    Wieczorek-Zeul: Nun ja, es geht ja um eine Fülle von einzelnen Maßnahmen, die notwendig sind, um zu erreichen, dass die Nahrungsmittelpreise nicht nach oben steigen und es dann den Armen unmöglich machen, ihre Familie zu ernähren und dass damit der Hunger wächst. Ich will drauf hinweisen: Die Weltbank hat darauf aufmerksam gemacht, dass etwa 100 Millionen Menschen in weitere Armut fallen können, wenn es solche steigenden Nahrungsmittelpreise gibt. Das heißt, notwendig ist einmal: keine weiteren Exportverbote der Länder, die in großem Umfang Reis zum Beispiel für Afrika zur Verfügung stellen; Stärkung der Landwirtschaft in den beteiligten Entwicklungsländern, stärkerer Anbau in diesem Bereich; weg mit den EU- und amerikanischen Agrarexportsubventionen; auch eine sehr, sehr vorsichtige Haltung bei der Frage der Agrarkraftstoffe. Nach allem, was ich weiß, ist die Gentechnik an dieser Stelle kein hilfreiches Instrument, um den Armen mehr Nahrung zu verschaffen. Viele verweisen auch darauf, dass es keine Frage des momentanen Umfangs von Produktion ist, sondern dass es das Problem ist, dass die Armen nicht genug Kaufkraft haben. Und das heißt, Armutsbekämpfung muss einsetzen, und es muss auch gezielte Hilfsprogramme gerade für diese arme Bevölkerung, für die Frauen und Kinder, geben.

    Reimer: Welche Formen der Landwirtschaft braucht‘s denn dann, um armen Kleinbauern, um armen Slumbewohnern in Entwicklungsländern zu helfen?

    Wieczorek-Zeul: Also, den Slumbewohnern ohnehin diese direkte Hilfe, die eben auch ihnen direkt zugute kommt . . .

    Reimer: . . . also Kaufkraftunterstützung, Arbeitsplätze . . .

    Wieczorek-Zeul: . . . ja, aber wie gesagt, auch natürlich vor allen Dingen die stärkere Entwicklung in den ländlichen Regionen. Da sind wir aber auch natürlich an einem Punkt, der meist nicht allzu beliebt ist, nämlich bei der Frage "Ausbau der Infrastruktur". Man kann in ländlichen Regionen Märkte nur erreichen, wenn dazu Straßen und Infrastruktur vorhanden sind. Also, das ist meines Erachtens das Allerwichtigste, dass tatsächlich da die Mittel entsprechend mobilisiert werden und dass vor allen Dingen die Frauen Zugang zur Nahrungsmittelproduktion haben. Das sind nämlich die, die ihre Familien damit ernähren. Das heißt auch, da, wo die Fragen "Landrechte für Frauen", Landtitel noch nicht geklärt sind, dass die endlich auch in den betroffenen Ländern geklärt werden müssen; und dass natürlich auch kleine und mittlere Landwirte - aber in den Bereichen, in denen Länder auch lieferfähig sind - ruhig auch für den Export produzieren, wenn es über die Bekämpfung des Hungers im eigenen Land hinausgehen kann, denn Länder müssen auch eigenes Einkommen generieren.

    Reimer: Sie erwähnten vorhin die Agrarsubventionen in den Industriestaaten. Bundeslandwirtschaftsminister Seehofer hat gesagt, nicht die EU-Agrarpolitik mit ihrer Exportförderung sei Grund für die miserable Selbstversorgung in vielen Entwicklungsländern, sondern da sei die Entwicklungspolitik entsprechend gefordert. Tatsache ist, dass alle Industriestaaten, auch Deutschland, in den letzten Jahren Mittel für die ländliche Entwicklung sehr stark zusammengestrichen haben. Das heißt, die Entwicklungspolitik ist beteiligt an dieser negativen Entwicklung.

    Wieczorek-Zeul: Ja, wir sind - und das muss man sagen: Gott sei Dank! - nicht mehr im Zeitalter des Kolonialismus, wo die Industrieländer den Entwicklungsländern vorgeschrieben haben, was sie machen müssen. Wir können nur mit unseren Partnern sprechen und sagen: Mobilisiert mehr Mittel in diesen Bereich. Und wir können ja nicht ersatzweise mit unserem Geld in den Ländern dann tätig werden, das ist ja eine sehr irrationale Vorstellung.

    Reimer: ... . aber Sie geben schon gezielt Gelder für einzelne Bereiche . . .

    Wieczorek-Zeul: . . . nein, nein, nein! Entschuldigung, es ist so: Wir bereden mit den Partnern, welche Schwerpunkte sie setzen in der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit, da haben wir immerhin im letzten Jahr 577 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Wir bereden das, und wenn die sagen: Wir haben zwei, drei Schwerpunkte - Bildung, Gesundheitswesen -, und da ist der Agrarsektor nicht dabei, dann können wir nicht ersatzweise an die Länder gehen und sagen: Wir machen es aber trotzdem. Also: Erstens gibt es natürlich zwischen den über Jahrzehnte existierenden Agrarexportsubventionen und verzerrenden Handelspraktiken der Industrieländer und der Vernachlässigung der landwirtschaftlichen Produktion in den Ländern einen engen Zusammenhang. Wenn die billigen Hähnchenbrüste auf dem Markt in Cotonou verkauft werden, billiger als der lokale Landwirt seine Hähnchen und seine Hühner auf den Markt bringen kann, dann ist doch klar, dass er verrückt wäre, wenn er weiter in dem Bereich investiert. Also: Exportsubventionen tatsächlich endlich stoppen und dann auch die landwirtschaftliche Produktion voranbringen. Ich habe auch das Gefühl, dass viele Länder jetzt schon dabei sind, das wirklich zu praktizieren.

    Reimer: Sie haben sich sehr kritisch zu dem Risiko geäußert, dass Biosprit-Pflanzen den Anbau von Nahrungsmitteln verdrängen könnten. Warum haben Sie Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht von der Biosprit-Vereinbarung mit Brasilien abgeraten?

    Wieczorek-Zeul: Wem soll ich eigentlich wo noch welche Empfehlungen geben? Ich bin ja nicht die . . .

    Reimer: . . . Sie sind die Spezialistin . . .

    Wieczorek-Zeul: . . . ja, aber ich bin auch nicht diejenige, die jetzt mit erhobenem Zeigefinger den Kolleginnen und Kollegen im Kabinett die Empfehlungen gibt. Die Diskussion über die Frage haben wir aber schon längst vorher geführt. Ich habe, als ich zurückkam von der Bali-Konferenz - das heißt, im Dezember letzten Jahres - sehr stark darauf gedrängt, dass es hier eine kritische Diskussion gibt. Und kritische Diskussion heißt folgendes: Dass wir ein Moratorium brauchen bei der Frage "keine weitere Erhöhung von Beimischungszielen", weil die Erhöhung von Beimischungszielen wie ein Staubsauger in den Entwicklungsländern Produktion auf bestimmten landwirtschaftlichen Flächen in Gang setzt. Und es gibt keine ausreichende Zertifizierung bisher, die das behindern oder beenden könnte. Und deshalb ist erstens das wichtig: keine weitere Steigerung der Beimischungsziele, und vor allen Dingen auch Beratung von Entwicklungsländern in diesen Fragen. Und da gibt es durchaus sehr kritische Positionen auch innerhalb der Entwicklungsländer selbst. Brasilien ist eigentlich das einzige Land, das gerade wegen der Produktion von Bio-Ethanol eine besondere Interessenlage hat. Und im übrigen ist das Ziel der Bundesregierung, die Zertifizierung voranzubringen, denn es kann Bereiche geben, wo Biokraftstoffe sinnvoll eingesetzt werden, zumal in Entwicklungsländern bei der Produktion, wenn das für die Wärmenutzung und dergleichen notwendig ist.

    Reimer: Blicken wir nochmal nach Bonn auf die UN-Naturschutzkonferenz, die morgen beginnt. Frau Wieczorek-Zeul, was muss bei dieser Konferenz herauskommen, dass Sie sie als Erfolg bezeichnen würden - aus der Perspektive einer Entwicklungsministerin?

    Wieczorek-Zeul: Also, Fortschritte zur Frage es gerechten Vorteilsausgleichs, das ist entscheidend. Ohne dass es da Ergebnisse gibt, wird es Stagnation auch in anderen Fragen - beim Klimaschutz und bei den Aktionen gegen den Klimawandel - geben. Und auch ein wirklich umfassendes substantielles Netz von Schutzgebieten.