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Wiese unter Kunstlicht

Biologie. - Welchen Einfluss die unterirdische Tierwelt auf die oberirdischen Pflanzen hat, das haben Wissenschaftler vor etwa zehn Jahren zum ersten Mal festgestellt. Damals haben sie in einem Freilandversuch Insektenvernichter einmal nur auf die Pflanzen, ein anderes Mal direkt auf den Boden gesprüht. Im ersten Versuch starben, wie geplant, die Insekten ab, die die Pflanzen befallen hatten. Im zweiten jedoch veränderte sich statt dessen die ganze Wiese: Einzelne Pflanzen wurden stark zurückgedrängt, andere eroberten fast die ganze Fläche. Denn durch das Gift waren Bodentiere abgestorben – und dadurch änderte sich das gesamte Ökosystem. Was genau damals passiert ist, das hat ein europäisches jetzt näher untersucht.

    Von Andrea Vogel

    Der Biologe Michael Bonkowski vom zoologischen Institut der Technischen Universität Darmstadt hat sich ein Stück Schottland ins Labor geholt.

    Und zwar hat man aus Schottland Boden gebracht, hat den Boden tierfrei gemacht, die Tiere nach Größe sortiert, aus unbehandeltem Boden extrahiert, dann wieder zugegeben, und anfangs dieselbe Vegetation in jeden dieser Bodenblocks gepflanzt.

    Was so ausgesprochen umständlich klingt, ist der einzige Weg, die unterirdische Tierwelt gezielt zu verändern. Denn Bonkowski und seine Kollegen aus einem internationalen Forscherteam wollten ganz genau wissen, welche Tiere welchen Einfluss auf die Wiese haben. Darüber ist bislang nämlich erstaunlich wenig bekannt. Klar sind Bodentiere, wie zum Beispiel Regenwürmer, wichtig für die Pflanzen. Denn schließlich sorgen sie dafür, dass aus abgestorbenen Pflanzen wieder Nährstoffe werden, die die lebenden Pflanzen dann über ihre Wurzeln aufnehmen können. Oder? Ganz so einfach ist das nicht, weiß Michael Bonkowski:

    Eigentlich ist das so, dass die Nährstoffe im Boden nie frei verfügbar sind, sondern immer an Mikroorganismen gebunden. Und das Beweiden dieser Mikroorganismen durch Bodentiere löst erst mal diese Nährstoffe aus dieser mikrobiellen Biomasse heraus und macht sie pflanzenverfügbar. Und die Regulation dieser Mechanismen, die ist eben ganz entscheidend für die Bodenfruchtbarkeit und für die Aufnahmefähigkeit der Pflanzen für Nährstoffe in natürlichen Gemeinschaften.

    Obendrein scheinen Regenwurm und Kollegen auch für die Kohlenstoffbilanz einer Wiese wichtig zu sein. Experimente, bei denen nur der Kohlenstoff in den Pflanzen gemessen wurde jedenfalls, führten zu erstaunlichen Ergebnissen:

    Diese Experimente haben gezeigt, dass, wenn man den Kohlenstoff bilanzieren wollte, ein Großteil des Kohlenstoffs fehlte im Ökosystem. Man wusste nicht, wo er war. Also er ist, man hat die Pflanzen-Biomasse gemessen und die Respiration, und ein Teil der Kohlenstoffs war weg, der ist im Boden festgelegt worden durch Bodenorganismen.

    Welche dieser "Bodenorganismen" dabei welche Rolle spielen, dass wollten die Biologen herausfinden, indem sie die Tierwelt in ihren schottischen Wiesenstücken veränderten. Gezielt einen Teil der Tiere im Boden abzutöten, ist kaum möglich. Die komplizierte Prozedur – Boden reinigen, Tiere zählen und in der gewünschten Menge und Mischung wieder neu zusetzen – war da tatsächlich der leichtere Weg. Einen Teil der Blöcke durften nur Tiere besiedeln, die kleiner als ein halber Millimeter sind. Wurzelfressende Nematoden und einzellige Pantoffeltierchen etwa. In anderen Blöcken lebten zusätzlich die mittelgroßen Tiere bis zu zwei Millimetern, wie bestimmte Käfer und Milben. Die restlichen Wiesenstücke wurden sozusagen in den Originalzustand versetzt: Hier endlich durften sich auch die Giganten des Erdbodens, wie Regenwürmer und Springschwänze tummeln. Pilze und Bakterien gab es in allen Böden. Nach etwa sieben Monaten Wiesenpflege stellten die Forscher fest: Mit jeder fehlenden Tiergruppe veränderte sich die Zusammensetzung der Wiesenpflanzen komplett. So begünstigten große Tiere wie Regenwürmer oder Springschwänze Gräser und ließen Klee und Kräuter zurückweichen.

    Fast noch erstaunlicher aber war, dass trotz dieser großen Veränderung in der Vegetation die Bodentiergemeinschaft eine Art Pufferfunktion hat, wo dann die Gesamt-CO2-Emission etwa ausgeglichen wird.

    Leider konnten die Forscher mit diesem Experiment nur feststellen, dass die Bodentiere wirken – aber nicht, wie genau. Sie scheinen viele Rollen gleichzeitig zu spielen: Bei der Freisetzung der Nährstoffe im Boden ebenso wie bei der Wurzelbildung, als Schädling genauso wie als Schutz vor Schädlingen. Die Forscher sind diesen Geheimnissen weiter auf der Spur – mit etlichen neuen Versuchen.