Der Stadt drohte die Zerstörung, ihre Rettung hatte sie schließlich Koriolans Mutter zu verdanken, die ihren Sohn von seinem Vorhaben abbringen konnte. Die Geschichte wiederholt sich zweitausendfünfhundert Jahre später, nur mit veränderten Vorzeichen: Silvio Berlusconi, heldenhafter Unternehmer, zaudert, die Zügel in die Hand zu nehmen. Er verachtet Rom und seine Politiker, und er fürchtet Intrigen und Fallen. Es war seine Mutter, die ihn von seiner Mission überzeugen musste. Er wäre nicht mehr ihr Sohn, sagte sie, würde er nicht tun, was er tun müsse. Und Berlusconi ging nach Rom, in die Kloake, wie er sie nannte, um sie zu retten und landete in der Politik, die er eigentlich verachtet. Vier Jahre dauerte seine Mission, jetzt wurde sie erst mal gestoppt. In den letzten drei Wochen erlebte sein Regierungsbündnis bei Regionalwahlen eine derartige Pleite, dass ihm seine Koalitionspartner davonliefen. So könne es nicht mehr weitergehen, erklärte Marco Follini, Christdemokrat und stellvertretender Ministerpräsident.
"Ich verlange von der Koalition tiefgreifende Veränderungen. Wir Christdemokraten dürfen nicht so tun, als wäre nichts. Die Dinge so zu lassen, wie sie sind, hilft weder der Mehrheit noch unserem Land. Der Ministerpräsident hat jetzt die Gelegenheit, auf unsere Entscheidung Taten folgen zu lassen und das Vertrauensverhältnis zu den Italienern zu erneuern. "
Zu einer solchen Erneuerung waren zunächst einmal einige lästige Formalitäten zu erfüllen. Brechen die Bündnispartner weg, steht die Mehrheitsfähigkeit auf dem Spiel, dann muss nach der Verfassung ein Ministerpräsident zum Staatschef gehen und ihm seinen Rücktritt anbieten. Der entscheidet dann über das weitere Vorgehen. Berlusconi fuhr erst mal nach Hause, tief beleidigt, und beriet im Kreise seiner engsten Mitarbeiter. Erst am Montagnachmittag ging er auf den Colle, den Quirinalshügel, zu Staatspräsident Ciampi. Kurz und schmerzlos und herzlos war die Begegnung. Berlusconi hat mitnichten seinen Rücktritt erklärt, der Staatspräsident schickte ihm über seinen Sekretär eine deutliche Abmahnung hinterher.
Der Präsident der Republik hat die Erklärungen des Ministerpräsidenten zur Kenntnis genommen und ihn aufgefordert, sich unverzüglich dem Parlament zu stellen, dem einzigen Ort, an dem eine politische Klärung möglich ist:
Im Klartext hieß das ganz einfach: Berlusconis alte Regierung gibt es nicht mehr, der von seinen Partnern alleingelassene Regierungschef muss sich dieser Realität stellen, nur dann hat er die Chance, einen zweiten Anlauf nehmen zu können. Der sieggewohnte Berlusconi war schwarz vor Ärger. Er hatte bis zuletzt gehofft, der erste italienische Nachkriegspolitiker zu sein, der eine ganze fünfjährige Legislaturperiode ohne Krise überstehen würde. Heute wird offen über das bevorstehende Ende des Berlusconismus diskutiert. Noch kann er nicht fassen, dass die Italiener ihn viel weniger lieben, als sie es sollten. Wo er doch immer nur ihr Bestes wollte.
Noch vor wenigen Wochen gab sich Berlusconi zuversichtlich wie eh und je. Das Vertrauensverhältnis zur Mehrheit der Italiener, die ihn vor vier Jahren mit deutlicher Mehrheit gewählt hatten, schien ungebrochen, zumindest nach der allgemein positiven Berichterstattung über die Regierungstätigkeit und dem oft desolaten Bild, das das Fernsehen von der Opposition vermittelte. Dass da massiv manipuliert wurde, hat Berlusconi immer abgestritten. Auch wenn er de facto das Fernsehmonopol im Lande hat, behauptete er stets, der eigentlich Benachteiligte zu sein. Die spärliche öffentliche Kritik an seiner Regierung und die stete Verschlechterung der Lebensqualität vieler Italiener tat er mit dem Brustton der Überzeugung als reine Propaganda der Kommunisten ab. Er fühlte sich zunehmend als einsamer Führer nicht nur seiner Firma, sondern des ganzen Landes. Das von ihm kontrollierte Fernsehen förderte das Bild der allmächtigen Vaterfigur Berlusconi. Der zunehmende Jubel für den reichsten Regierungschef der Welt mit einem geschätzten Vermögen von über 12,5 Milliarden Euro führte bei Berlusconi selbst offenbar zu einer krassen Realitätsverschiebung. Er bestritt kategorisch, dass Italien zu einem teuren Pflaster geworden ist.
"Ich will mal sagen, man hat gemerkt, dass es Preiserhöhungen gegeben hat, vor allem bei Restaurants in den Bars und in der Pizzeria, die haben die Umstellung auf Euro ein wenig ausgenützt. Das kann man schon sagen. Aber wir haben auch Daten, wissenschaftliche Daten vom nationalen Statistikamt, die besagen, dass die Inflation um 2,1 Prozent zugenommen hat, während die Gehälter um 2,8 Prozent zugenommen haben. Also: die Einkommenssteigerung war höher als die Preissteigerung. Dass die Leute was anderes gespürt haben lag daran, dass eben ein paar Preise stärker erhöht wurden als andere. Und dann wurde in der Öffentlichkeit verbreitet die Nachricht von den Geldnöten am Monatsende. Die hat es aber in bestimmten italienischen Familien schon immer gegeben. Die hatten sie früher, und sie haben sie heute. Vielleicht heute ein bisschen mehr. Aber wir müssen uns hier auch klarmachen, dass wir ein reiches Volk sind. Kein anderes Land hat acht Prozent des Bruttosozialprodukts als Privatvermögen. Wir sind auf dem Gipfel des Wohlstands in Europa. Leider haben auch wir einige Familien, die nicht im Wohlstand leben. "
Unabhängige Statistiker gehen von ganz anderen Daten aus: Die Teuerungsrate hat im letzten Jahr zwischen 15 und 20 Prozent betragen, ein erheblicher Kaufkraftverlust bei praktisch gleich bleibendem Einkommen. Am schlimmsten hat es die Mittelklasse getroffen, die inzwischen effektiv 20 Prozent weniger Geld zur Verfügung hat als noch vor ein bis zwei Jahren. Offiziell gibt es in Italien 2,4 Millionen Familien ohne ausreichende finanzielle Mittel. Die kritischen Fachleute gehen dagegen von mindestens sieben Millionen aus. Das macht an die 20 Millionen italienischer Bürger, die an der Armutsgrenze leben, die meisten von ihnen in Süditalien. Was nicht bedeutet, dass es nicht auch Reiche gibt im Lande. Silvio Berlusconi ist das beste Beispiel. Er hat sein Vermögen in fünf Jahren praktisch verdoppelt. Dafür werden die Armen immer mehr und immer ärmer. Aber solche Hiobsbotschaften sind ein Horror für Berlusconi. Weil typisch für die miesepetrigen Linken. Das Leben muss man mit Optimismus anpacken, dann klappt die Sache schon.
"Was diese Dinge angeht, da ist Selbstironie sehr wichtig. Man muss einfach lachen und scherzen, während die Linken sich immer nur hart geben. Da muss ich mal folgenden Witz erzählen. Berlusconi geht mit seiner Frau Veronica in die Stadt zum Einkaufen. Er hält vor einem Schaufenster und sagt: da schau mal her! Blue Jeans acht Euro, T-Shirts drei Euro. Abendanzug zehn Euro. Und da regen sich die Leute über die hohen Preise auf! Schau dir die Linken an, wie üblich beschweren sie sich über die Preise. - Da sagt Veronika: Komm weg da, Silvio. Na aber schau doch mal hier: eine ganze Matratze nur zwanzig Euro. – Silvio! Komm endlich weg vom Schaufenster der Reinigung! "
Silvio Berlusconi ist auch international bekannt für seine manchmal etwas derben Scherze, etwa als er im Europaparlament dem deutschen Abgeordneten Schulz eine Rolle als Lagerleiter in einem Nazi-Film anbot. Dass nicht jeder diese Art von Humor versteht, ficht ihn nicht an. Den Italienern vermittelt er stolz ein neues nationales Selbstbewusstsein, das sie alleine ihm zu verdanken haben.
"Niemand kann heute auf internationaler Ebene Italiens gewichtige Rolle bestreiten. Auch und vor allem dank der Stabilität der Regierung. Auf internationaler Ebene zählen wir entsprechend unserer Bedeutung als sechstgrößte Industriemacht der Welt. Das hat es früher nie gegeben. Denn da gab es einen ständigen Wechsel von Ministerpräsidenten und Außenministern. Wenn irgendein Staats- und Regierungschef einen italienischen Ministerpräsidenten empfing, dann wusste man bereits, dass es schon beim nächsten Treffen ein anderer sein würde und dass man deshalb mit Italien keine dauerhaften Abmachungen treffen konnte. Heute glaube ich, gilt genau das Gegenteil. "
Aus dem kleinen Kern von Wahrheit wird eine Illusion aufgebaut und über die Medien verbreitet. Italien, so versichern die Markt- und Meinungsforscher, gerät zunehmend ins Hintertreffen, verliert an Bedeutung. Italiens Forschung und Umwelt, Wirtschaft und Wachstum halten dem internationalen Vergleich immer weniger stand. Über diese Schattenseiten der Regierungspolitik werden nur die Leser der kritischen Tageszeitungen informiert, deren Auflage aber nur etwa drei Millionen Exemplare beträgt. Liegt es daran, dass Berlusconi keine Zeitung liest und deshalb die wahre Stimmung im Lande verkannt hat? Oder ist seine gestörte Wahrnehmung die Folge einer gewollten Abkapselung? Er hat sich mit Jasagern umgeben, und weigert sich seit elf Jahren beharrlich, mit politischen Gegnern gemeinsam im Fernsehen aufzutreten. Angeblich, weil die ihn nur beleidigen.
"Immer wenn ich mit ihnen geredet habe, dann ging es nie darum, wer die besseren Argumente hatte, sondern es endete immer mit einer Streiterei. Ich kann doch nicht mit Leuten reden, die mich derart beleidigen. Demnächst soll ein Buch rauskommen mit dem Titel: Wie beleidigt man Berlusconi? Da sind lange Listen von Ausdrücken, die diese Herrschaften für mich gebraucht haben. Spinner, Verrückter, Mafioso und was nicht alles. Und das geht immer so weiter. Und ich? Ich habe eine Untersuchung in Auftrag gegeben, die beweist, dass ich die Oppositionsführer nicht ein einziges Mal beleidigt habe. "
Die selbstherrliche Rechtfertigung, die Dauerkritik an Andersdenkenden und der aufgesetzte Optimismus trotz eines in rauen Wassern schlingernden Staatsschiffes haben sich mit einem Mal gegen den ewigen Gewinner Berlusconi gewandt. Und es erweist sich nun als wahr, was gewisse Politikexperten schon vor geraumer Zeit vorhergesagt haben: dass man mit Populismus und Medienmacht zwar Wahlen gewinnen kann, aber noch lange keine Befähigung zum Regieren erlangt. Schon gar nicht, wenn man einen Staat wie eine Firma leiten will, dessen Bürger wie persönliche Angestellte behandelt und die Opposition als verachtenswerte Konkurrenz abtut. Und selbst seine eigenen Verbündeten hat er düpiert. Und die Rücktrittserklärung klang, als sei sie Berlusconi aufgezwungen, ihm, der doch seinem Land und seinem Volk diesen ganzen formalen Unsinn, diese aberwitzige Zeitvergeudung mit demokratischen Spielregeln ersparen wollte. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte man das ganze Theater vermeiden können
"Man hätte das ohne lange Krise über die Bühne bringen können und ohne lange Parlamentsdebatten. Damit ich eine neue Regierung bilden kann, muss ich nach den geltenden Regeln unseres Landes einige Formalitäten absolvieren, dazu gehört auch dieser formale Rücktritt. "
Um solche Unannehmlichkeiten künftig zu vermeiden, will Berlusconi deshalb unbedingt die Verfassung ändern.
"Unsere geplante Verfassungsreform wird unser Land den Verhältnissen in anderen modernen Demokratien anpassen. "
Kaum zurückgetreten also schon wieder im Amt. So einfach, wie Berlusconi das gerne hätte, ist die Sache aber nicht. Der Staatspräsident wird mit allen Parteien des Parlaments Beratungen führen, um die Stimmung im Hause zu erkunden. Berlusconi selbst schließlich muss mit den Koalitionspartnern neue Abmachungen treffen. Wie immer ist er überaus optimistisch.
"Sämtliche Parteien der bisherigen Parlamentsmehrheit haben mir förmlich ihr erneutes Vertrauen versichert und mich aufgefordert, eine neue Regierung zu bilden. Ich werde diese Herausforderung annehmen, und eine Regierung bilden, die in der Lage sein wird, Antworten zu geben, nach denen das Land verlangt. "
Weil sich Berlusconi nicht gerne mit Palavern aufhält, formulierte er in zwei Zeilen auch gleich die künftigen Schwerpunkte seines neuen Regierungsprogramms:
"Wir werden uns stärker dafür einsetzen, die Kaufkraft der Familien zu bewahren, die Unternehmen zu unterstützen und für eine neue Entwicklung Süditaliens zu sorgen. "
Das sagt sich leichter, als es getan ist. Inzwischen hat Berlusconi zwar erkannt, warum er nicht nur die vergangenen Regionalwahlen haushoch verloren hat und ihm ein weiteres Debakel bei dem Parlamentsvotum im nächsten Jahr bevorsteht. Aber jetzt scheint es zu spät zu sein, um da noch wirksam eingreifen zu können. Die Schönfärberei der von Berlusconi kontrollierten Medien ist vom Wählervotum brutal zum Verstummen gebracht worden. Berlusconis ehemaliger Innenminister und enger Vertrauter Claudio Scajola tut sich schwer zu erklären, wie in der schwierigen Wirtschaftslage die versprochene Hilfe geleistet werden kann.
"Wie kann man das vollbringen, nun wir müssen uns nach der Decke strecken. Das wenige Geld, das wir noch übrig haben, müssen wir halt auf die genannten Ziele konzentrieren. Wir müssen diese Ziele ins Visier nehmen, auch wenn wir schon in der vergangenen Zeit erhebliche Fortschritte gemacht haben und das, obwohl Italien die schwierigste Phase seiner Geschichte erlebt. "
Überraschendes Eingeständnis. Nach langen Jahren, in denen immer alles besser ging dank Berlusconi, befindet sich das Land nun plötzlich am Rande des Abgrundes. Die Politstrategen um Berlusconi haben offensichtlich in der jetzigen Regierungskrise eine radikale Wende verordnet. Ab sofort wird nicht mehr eitel Freud und Wonne verkündet, sondern eine Krise an die Wand gemalt, aus der nur noch Berlusconi heraushelfen kann. Er muss Zeit gewinnen, die wie ein Damoklesschwert über ihm schwebenden Neuwahlen vermeiden und in nur wenigen Monaten die Geschicke des Landes wenden, um erneut eine Mehrheit der Wähler hinter sich zu bringen. Und die langsam sich wieder aufrichtende Opposition in Schach halten, die es kaum erwarten kann, dass Berlusconi mit Pauken und Trompeten untergeht:
"Die Rechten sind am Verlieren, so der kommunistische Abgeordnete Diliberto, weil sie nur die Steuern der Reichen gesenkt haben, Berlusconi hat seine eigenen Steuern gesenkt. "
Und der Führer der Linksdemokraten, Piero Fassino, fügt hinzu:
"Es gibt keine Einsicht bei den Rechten und auch keine Hinweise darauf, wie es weitergehen soll. Berlusconi ist in Wirklichkeit zurückgetreten, weil ihm Millionen Italiener in den letzten Wochen ihr Vertrauen entzogen haben. "
Berlusconi ist zurückgetreten, um weitermachen zu können, ein typisch italienisches und in langen Jahren immer wieder vollzogenes Ritual, äußeres Zeichen der pathologischen Instabilität des Parlaments. Auch Berlusconi war am Ende dagegen nicht immun, und seine Abwehrkräfte sind dauerhaft geschwächt. Innerhalb der Koalition müssen die Kräfteverhältnisse neu geordnet werden, das heißt, es gibt neue Posten und neue Privilegien, ob der politische Spagat zwischen den einzelnen Regierungsparteien geschafft wird, ist unwahrscheinlich. Die verlorenen Wahlen haben gezeigt, dass die unterschiedlichen Strömungen im Regierungslager von der separatistischen Lega Nord bis zu den nationalistischen Rechten die Wähler vergraulen, weil Berlusconis Anziehungskraft nicht mehr ausreicht, um die Meinungsverschiedenheiten zu überdecken. Unter Verlierern ist Streit auf Dauer unvermeidlich. Die Zwickmühle ist fatal: Berlusconis Partner wissen, dass sie ohne ihren Führer keine Chance haben, in Italien zu regieren. Berlusconi wiederum ist inzwischen klar, dass sein Land in immer größere Schwierigkeiten gerät, für die man am Ende nur ihn verantwortlich machen wird. Der Versuch einer neuen Regierung ist also eine verzweifelte Flucht nach vorne. Ihm und seinen Partnern bleibt keine andere Lösung mehr. Dramatisch ist die Diagnose des kommunistischen Abgeordneten Diliberto.
"Dieses Hinsiechen der Regierung Berlusconi um jeden Preis ist unerträglich für das Land. Ein Akt der Sterbehilfe wäre da viel besser. Die Agonie dieser Regierung wird zur Agonie der Wirtschaft, für die italienischen Familien. Noch ein Jahr will diese schwache Regierung im Amt bleiben, die keine Mehrheit mehr hat. Die letzten Wahlen waren eine verheerende Niederlage für die Rechten. "
Und ein Grund für Berlusconi, sich die Haare zu raufen, was er inzwischen auch tatsächlich wieder könnte. Nach längerer Behandlung ziert leichter Flaum sein Haupt dort, wo es noch im letzten Jahr nackt und glänzend war. Berlusconi ist stolz auf seine neue jugendliche Frische. Vielleicht hilft sie ja beim politischen Neuanfang.
"Das sind alles meine eigenen, nicht nur weil ich den Eingriff selber bezahlt habe, sondern auch weil es sich um eine Delokalisierung handelt. Die Haare wurden von hinten nach vorne versetzt. Und ich muss Ihnen sagen, dass viele meiner europäischen Kollegen stark interessiert sind. Die Praxis, die diese Implantierung durchgeführt hat, macht international jetzt gute Geschäfte. "
"Ich verlange von der Koalition tiefgreifende Veränderungen. Wir Christdemokraten dürfen nicht so tun, als wäre nichts. Die Dinge so zu lassen, wie sie sind, hilft weder der Mehrheit noch unserem Land. Der Ministerpräsident hat jetzt die Gelegenheit, auf unsere Entscheidung Taten folgen zu lassen und das Vertrauensverhältnis zu den Italienern zu erneuern. "
Zu einer solchen Erneuerung waren zunächst einmal einige lästige Formalitäten zu erfüllen. Brechen die Bündnispartner weg, steht die Mehrheitsfähigkeit auf dem Spiel, dann muss nach der Verfassung ein Ministerpräsident zum Staatschef gehen und ihm seinen Rücktritt anbieten. Der entscheidet dann über das weitere Vorgehen. Berlusconi fuhr erst mal nach Hause, tief beleidigt, und beriet im Kreise seiner engsten Mitarbeiter. Erst am Montagnachmittag ging er auf den Colle, den Quirinalshügel, zu Staatspräsident Ciampi. Kurz und schmerzlos und herzlos war die Begegnung. Berlusconi hat mitnichten seinen Rücktritt erklärt, der Staatspräsident schickte ihm über seinen Sekretär eine deutliche Abmahnung hinterher.
Der Präsident der Republik hat die Erklärungen des Ministerpräsidenten zur Kenntnis genommen und ihn aufgefordert, sich unverzüglich dem Parlament zu stellen, dem einzigen Ort, an dem eine politische Klärung möglich ist:
Im Klartext hieß das ganz einfach: Berlusconis alte Regierung gibt es nicht mehr, der von seinen Partnern alleingelassene Regierungschef muss sich dieser Realität stellen, nur dann hat er die Chance, einen zweiten Anlauf nehmen zu können. Der sieggewohnte Berlusconi war schwarz vor Ärger. Er hatte bis zuletzt gehofft, der erste italienische Nachkriegspolitiker zu sein, der eine ganze fünfjährige Legislaturperiode ohne Krise überstehen würde. Heute wird offen über das bevorstehende Ende des Berlusconismus diskutiert. Noch kann er nicht fassen, dass die Italiener ihn viel weniger lieben, als sie es sollten. Wo er doch immer nur ihr Bestes wollte.
Noch vor wenigen Wochen gab sich Berlusconi zuversichtlich wie eh und je. Das Vertrauensverhältnis zur Mehrheit der Italiener, die ihn vor vier Jahren mit deutlicher Mehrheit gewählt hatten, schien ungebrochen, zumindest nach der allgemein positiven Berichterstattung über die Regierungstätigkeit und dem oft desolaten Bild, das das Fernsehen von der Opposition vermittelte. Dass da massiv manipuliert wurde, hat Berlusconi immer abgestritten. Auch wenn er de facto das Fernsehmonopol im Lande hat, behauptete er stets, der eigentlich Benachteiligte zu sein. Die spärliche öffentliche Kritik an seiner Regierung und die stete Verschlechterung der Lebensqualität vieler Italiener tat er mit dem Brustton der Überzeugung als reine Propaganda der Kommunisten ab. Er fühlte sich zunehmend als einsamer Führer nicht nur seiner Firma, sondern des ganzen Landes. Das von ihm kontrollierte Fernsehen förderte das Bild der allmächtigen Vaterfigur Berlusconi. Der zunehmende Jubel für den reichsten Regierungschef der Welt mit einem geschätzten Vermögen von über 12,5 Milliarden Euro führte bei Berlusconi selbst offenbar zu einer krassen Realitätsverschiebung. Er bestritt kategorisch, dass Italien zu einem teuren Pflaster geworden ist.
"Ich will mal sagen, man hat gemerkt, dass es Preiserhöhungen gegeben hat, vor allem bei Restaurants in den Bars und in der Pizzeria, die haben die Umstellung auf Euro ein wenig ausgenützt. Das kann man schon sagen. Aber wir haben auch Daten, wissenschaftliche Daten vom nationalen Statistikamt, die besagen, dass die Inflation um 2,1 Prozent zugenommen hat, während die Gehälter um 2,8 Prozent zugenommen haben. Also: die Einkommenssteigerung war höher als die Preissteigerung. Dass die Leute was anderes gespürt haben lag daran, dass eben ein paar Preise stärker erhöht wurden als andere. Und dann wurde in der Öffentlichkeit verbreitet die Nachricht von den Geldnöten am Monatsende. Die hat es aber in bestimmten italienischen Familien schon immer gegeben. Die hatten sie früher, und sie haben sie heute. Vielleicht heute ein bisschen mehr. Aber wir müssen uns hier auch klarmachen, dass wir ein reiches Volk sind. Kein anderes Land hat acht Prozent des Bruttosozialprodukts als Privatvermögen. Wir sind auf dem Gipfel des Wohlstands in Europa. Leider haben auch wir einige Familien, die nicht im Wohlstand leben. "
Unabhängige Statistiker gehen von ganz anderen Daten aus: Die Teuerungsrate hat im letzten Jahr zwischen 15 und 20 Prozent betragen, ein erheblicher Kaufkraftverlust bei praktisch gleich bleibendem Einkommen. Am schlimmsten hat es die Mittelklasse getroffen, die inzwischen effektiv 20 Prozent weniger Geld zur Verfügung hat als noch vor ein bis zwei Jahren. Offiziell gibt es in Italien 2,4 Millionen Familien ohne ausreichende finanzielle Mittel. Die kritischen Fachleute gehen dagegen von mindestens sieben Millionen aus. Das macht an die 20 Millionen italienischer Bürger, die an der Armutsgrenze leben, die meisten von ihnen in Süditalien. Was nicht bedeutet, dass es nicht auch Reiche gibt im Lande. Silvio Berlusconi ist das beste Beispiel. Er hat sein Vermögen in fünf Jahren praktisch verdoppelt. Dafür werden die Armen immer mehr und immer ärmer. Aber solche Hiobsbotschaften sind ein Horror für Berlusconi. Weil typisch für die miesepetrigen Linken. Das Leben muss man mit Optimismus anpacken, dann klappt die Sache schon.
"Was diese Dinge angeht, da ist Selbstironie sehr wichtig. Man muss einfach lachen und scherzen, während die Linken sich immer nur hart geben. Da muss ich mal folgenden Witz erzählen. Berlusconi geht mit seiner Frau Veronica in die Stadt zum Einkaufen. Er hält vor einem Schaufenster und sagt: da schau mal her! Blue Jeans acht Euro, T-Shirts drei Euro. Abendanzug zehn Euro. Und da regen sich die Leute über die hohen Preise auf! Schau dir die Linken an, wie üblich beschweren sie sich über die Preise. - Da sagt Veronika: Komm weg da, Silvio. Na aber schau doch mal hier: eine ganze Matratze nur zwanzig Euro. – Silvio! Komm endlich weg vom Schaufenster der Reinigung! "
Silvio Berlusconi ist auch international bekannt für seine manchmal etwas derben Scherze, etwa als er im Europaparlament dem deutschen Abgeordneten Schulz eine Rolle als Lagerleiter in einem Nazi-Film anbot. Dass nicht jeder diese Art von Humor versteht, ficht ihn nicht an. Den Italienern vermittelt er stolz ein neues nationales Selbstbewusstsein, das sie alleine ihm zu verdanken haben.
"Niemand kann heute auf internationaler Ebene Italiens gewichtige Rolle bestreiten. Auch und vor allem dank der Stabilität der Regierung. Auf internationaler Ebene zählen wir entsprechend unserer Bedeutung als sechstgrößte Industriemacht der Welt. Das hat es früher nie gegeben. Denn da gab es einen ständigen Wechsel von Ministerpräsidenten und Außenministern. Wenn irgendein Staats- und Regierungschef einen italienischen Ministerpräsidenten empfing, dann wusste man bereits, dass es schon beim nächsten Treffen ein anderer sein würde und dass man deshalb mit Italien keine dauerhaften Abmachungen treffen konnte. Heute glaube ich, gilt genau das Gegenteil. "
Aus dem kleinen Kern von Wahrheit wird eine Illusion aufgebaut und über die Medien verbreitet. Italien, so versichern die Markt- und Meinungsforscher, gerät zunehmend ins Hintertreffen, verliert an Bedeutung. Italiens Forschung und Umwelt, Wirtschaft und Wachstum halten dem internationalen Vergleich immer weniger stand. Über diese Schattenseiten der Regierungspolitik werden nur die Leser der kritischen Tageszeitungen informiert, deren Auflage aber nur etwa drei Millionen Exemplare beträgt. Liegt es daran, dass Berlusconi keine Zeitung liest und deshalb die wahre Stimmung im Lande verkannt hat? Oder ist seine gestörte Wahrnehmung die Folge einer gewollten Abkapselung? Er hat sich mit Jasagern umgeben, und weigert sich seit elf Jahren beharrlich, mit politischen Gegnern gemeinsam im Fernsehen aufzutreten. Angeblich, weil die ihn nur beleidigen.
"Immer wenn ich mit ihnen geredet habe, dann ging es nie darum, wer die besseren Argumente hatte, sondern es endete immer mit einer Streiterei. Ich kann doch nicht mit Leuten reden, die mich derart beleidigen. Demnächst soll ein Buch rauskommen mit dem Titel: Wie beleidigt man Berlusconi? Da sind lange Listen von Ausdrücken, die diese Herrschaften für mich gebraucht haben. Spinner, Verrückter, Mafioso und was nicht alles. Und das geht immer so weiter. Und ich? Ich habe eine Untersuchung in Auftrag gegeben, die beweist, dass ich die Oppositionsführer nicht ein einziges Mal beleidigt habe. "
Die selbstherrliche Rechtfertigung, die Dauerkritik an Andersdenkenden und der aufgesetzte Optimismus trotz eines in rauen Wassern schlingernden Staatsschiffes haben sich mit einem Mal gegen den ewigen Gewinner Berlusconi gewandt. Und es erweist sich nun als wahr, was gewisse Politikexperten schon vor geraumer Zeit vorhergesagt haben: dass man mit Populismus und Medienmacht zwar Wahlen gewinnen kann, aber noch lange keine Befähigung zum Regieren erlangt. Schon gar nicht, wenn man einen Staat wie eine Firma leiten will, dessen Bürger wie persönliche Angestellte behandelt und die Opposition als verachtenswerte Konkurrenz abtut. Und selbst seine eigenen Verbündeten hat er düpiert. Und die Rücktrittserklärung klang, als sei sie Berlusconi aufgezwungen, ihm, der doch seinem Land und seinem Volk diesen ganzen formalen Unsinn, diese aberwitzige Zeitvergeudung mit demokratischen Spielregeln ersparen wollte. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte man das ganze Theater vermeiden können
"Man hätte das ohne lange Krise über die Bühne bringen können und ohne lange Parlamentsdebatten. Damit ich eine neue Regierung bilden kann, muss ich nach den geltenden Regeln unseres Landes einige Formalitäten absolvieren, dazu gehört auch dieser formale Rücktritt. "
Um solche Unannehmlichkeiten künftig zu vermeiden, will Berlusconi deshalb unbedingt die Verfassung ändern.
"Unsere geplante Verfassungsreform wird unser Land den Verhältnissen in anderen modernen Demokratien anpassen. "
Kaum zurückgetreten also schon wieder im Amt. So einfach, wie Berlusconi das gerne hätte, ist die Sache aber nicht. Der Staatspräsident wird mit allen Parteien des Parlaments Beratungen führen, um die Stimmung im Hause zu erkunden. Berlusconi selbst schließlich muss mit den Koalitionspartnern neue Abmachungen treffen. Wie immer ist er überaus optimistisch.
"Sämtliche Parteien der bisherigen Parlamentsmehrheit haben mir förmlich ihr erneutes Vertrauen versichert und mich aufgefordert, eine neue Regierung zu bilden. Ich werde diese Herausforderung annehmen, und eine Regierung bilden, die in der Lage sein wird, Antworten zu geben, nach denen das Land verlangt. "
Weil sich Berlusconi nicht gerne mit Palavern aufhält, formulierte er in zwei Zeilen auch gleich die künftigen Schwerpunkte seines neuen Regierungsprogramms:
"Wir werden uns stärker dafür einsetzen, die Kaufkraft der Familien zu bewahren, die Unternehmen zu unterstützen und für eine neue Entwicklung Süditaliens zu sorgen. "
Das sagt sich leichter, als es getan ist. Inzwischen hat Berlusconi zwar erkannt, warum er nicht nur die vergangenen Regionalwahlen haushoch verloren hat und ihm ein weiteres Debakel bei dem Parlamentsvotum im nächsten Jahr bevorsteht. Aber jetzt scheint es zu spät zu sein, um da noch wirksam eingreifen zu können. Die Schönfärberei der von Berlusconi kontrollierten Medien ist vom Wählervotum brutal zum Verstummen gebracht worden. Berlusconis ehemaliger Innenminister und enger Vertrauter Claudio Scajola tut sich schwer zu erklären, wie in der schwierigen Wirtschaftslage die versprochene Hilfe geleistet werden kann.
"Wie kann man das vollbringen, nun wir müssen uns nach der Decke strecken. Das wenige Geld, das wir noch übrig haben, müssen wir halt auf die genannten Ziele konzentrieren. Wir müssen diese Ziele ins Visier nehmen, auch wenn wir schon in der vergangenen Zeit erhebliche Fortschritte gemacht haben und das, obwohl Italien die schwierigste Phase seiner Geschichte erlebt. "
Überraschendes Eingeständnis. Nach langen Jahren, in denen immer alles besser ging dank Berlusconi, befindet sich das Land nun plötzlich am Rande des Abgrundes. Die Politstrategen um Berlusconi haben offensichtlich in der jetzigen Regierungskrise eine radikale Wende verordnet. Ab sofort wird nicht mehr eitel Freud und Wonne verkündet, sondern eine Krise an die Wand gemalt, aus der nur noch Berlusconi heraushelfen kann. Er muss Zeit gewinnen, die wie ein Damoklesschwert über ihm schwebenden Neuwahlen vermeiden und in nur wenigen Monaten die Geschicke des Landes wenden, um erneut eine Mehrheit der Wähler hinter sich zu bringen. Und die langsam sich wieder aufrichtende Opposition in Schach halten, die es kaum erwarten kann, dass Berlusconi mit Pauken und Trompeten untergeht:
"Die Rechten sind am Verlieren, so der kommunistische Abgeordnete Diliberto, weil sie nur die Steuern der Reichen gesenkt haben, Berlusconi hat seine eigenen Steuern gesenkt. "
Und der Führer der Linksdemokraten, Piero Fassino, fügt hinzu:
"Es gibt keine Einsicht bei den Rechten und auch keine Hinweise darauf, wie es weitergehen soll. Berlusconi ist in Wirklichkeit zurückgetreten, weil ihm Millionen Italiener in den letzten Wochen ihr Vertrauen entzogen haben. "
Berlusconi ist zurückgetreten, um weitermachen zu können, ein typisch italienisches und in langen Jahren immer wieder vollzogenes Ritual, äußeres Zeichen der pathologischen Instabilität des Parlaments. Auch Berlusconi war am Ende dagegen nicht immun, und seine Abwehrkräfte sind dauerhaft geschwächt. Innerhalb der Koalition müssen die Kräfteverhältnisse neu geordnet werden, das heißt, es gibt neue Posten und neue Privilegien, ob der politische Spagat zwischen den einzelnen Regierungsparteien geschafft wird, ist unwahrscheinlich. Die verlorenen Wahlen haben gezeigt, dass die unterschiedlichen Strömungen im Regierungslager von der separatistischen Lega Nord bis zu den nationalistischen Rechten die Wähler vergraulen, weil Berlusconis Anziehungskraft nicht mehr ausreicht, um die Meinungsverschiedenheiten zu überdecken. Unter Verlierern ist Streit auf Dauer unvermeidlich. Die Zwickmühle ist fatal: Berlusconis Partner wissen, dass sie ohne ihren Führer keine Chance haben, in Italien zu regieren. Berlusconi wiederum ist inzwischen klar, dass sein Land in immer größere Schwierigkeiten gerät, für die man am Ende nur ihn verantwortlich machen wird. Der Versuch einer neuen Regierung ist also eine verzweifelte Flucht nach vorne. Ihm und seinen Partnern bleibt keine andere Lösung mehr. Dramatisch ist die Diagnose des kommunistischen Abgeordneten Diliberto.
"Dieses Hinsiechen der Regierung Berlusconi um jeden Preis ist unerträglich für das Land. Ein Akt der Sterbehilfe wäre da viel besser. Die Agonie dieser Regierung wird zur Agonie der Wirtschaft, für die italienischen Familien. Noch ein Jahr will diese schwache Regierung im Amt bleiben, die keine Mehrheit mehr hat. Die letzten Wahlen waren eine verheerende Niederlage für die Rechten. "
Und ein Grund für Berlusconi, sich die Haare zu raufen, was er inzwischen auch tatsächlich wieder könnte. Nach längerer Behandlung ziert leichter Flaum sein Haupt dort, wo es noch im letzten Jahr nackt und glänzend war. Berlusconi ist stolz auf seine neue jugendliche Frische. Vielleicht hilft sie ja beim politischen Neuanfang.
"Das sind alles meine eigenen, nicht nur weil ich den Eingriff selber bezahlt habe, sondern auch weil es sich um eine Delokalisierung handelt. Die Haare wurden von hinten nach vorne versetzt. Und ich muss Ihnen sagen, dass viele meiner europäischen Kollegen stark interessiert sind. Die Praxis, die diese Implantierung durchgeführt hat, macht international jetzt gute Geschäfte. "