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"Wir brauchen sie wirklich dringend"

In Deutschland fehlen aktuell Zehntausende Ingenieure. Höchststand, sagt der Verband Deutscher Ingenieure. Schuld ist der Aufschwung, die Industrie hat Aufträge. Jetzt wird die Politik aktiv. Neue Konzepte gegen Fachkräftemangel werden vorgestellt.

Von Andrea Bonhagen) | 25.06.2011
    "In pädagogischem Bereich es gibt Leute die gut Deutsch sprechen, aber wenn sie keine technische Beruf haben sondern im Bereich Pädagogik, sie bekommen keine Anerkennung…"

    …sagt die Russlanddeutsche Ludmilla Antonov aus Gießen. Bei ihr wurde die Ausbildung anerkannt, aber es hat nichts geholfen. Die gelernte Bauingenieurin ist arbeitslos, lebt von Hartz IV. Vielen Russlanddeutschen fehlt gutes Schriftdeutsch oder Englisch als Fremdsprache und deshalb werden sie nicht eingestellt. Nachqualifizierung kann da helfen, sagt Rosina Walter, Geschäftsführerin vom Frankfurter Vereins Beramí. Der Verein betreut seit 20 Jahren Migrantinnen auf dem Weg in die Arbeitswelt. Bei Ingenieurinnen, die es durchaus gibt, zum Beispiel aus Russland, der Ukraine oder der Türkei, gibt es viele verschiedene Probleme.

    Problem Nummer 1:

    "Eine Maschinenbau-Ingenieurin aus zum Beispiel der Ukraine lernt mitunter doch andere Sachen als eine Maschinenbau-Ingenieurin hier."

    Die Ausbildung wird erstmal nicht anerkannt. Die Frau geht putzen oder in die Altenpflege.

    "Das ist die Regel, also, das ist wirklich die Regel."

    Problem Nummer 2:
    Die Migrantin weiß nicht wohin sie sich im deutschen Behördendschungel wenden soll. Rosina Walter vergleicht Migranntinnen mit jemandem, der Pater Noster fahren will. Sie sehen die Möglichkeiten, sie sehen, dass das deutsche System funktioniert, aber sie wissen nicht, wie sie reinkommen.

    Problem Nummer 3:
    Eine Migrantin braucht Zeit, vielleicht sogar Jahre, um in Deutschland anzukommen. Dabei verfallen ihre Qualifikationen, weil sich der Job immer weiter entwickelt.

    Problem Nummer 4:
    Vereinbarkeit von Familie und Beruf speziell bei Ingenieuren

    "Flexibilisierung der Arbeitszeit und Vereinbarkeit von Familie und Beruf fehlt hier sehr stark. Es kann sich jeder an zwei Fingern abzählen, die Ingenieurin aus der Ukraine, wenn die Mutter ist...Ist klar, wo hier die Priorität sitzt. ''"

    Problem Nummer 5:
    Die Maschinenbau-Ingenieurin und Mutter aus der Ukraine macht ein Praktikum in einer Firma und wird Teil eines Mentorenprogramms von Beramí. Die Firma will sie haben. Es fehlen nur noch etwas Deutsch für Ingenieure und eine Nachqualifikation für die neueste Software. Doch nun fehlen passende Kurse.

    ""In diesem Feld berufliche Qualifizierung muss noch einiges geschehen. Da müssen sich Betriebe, die Träger der Grundsicherung, die Personen selbst und Bildungsträger wie wir zusammentun und wirklich kreativ überlegen."
    Das Fazit von Rosina Walter: Die von der Regierung geplante schnellere Anerkennung der Qualifikation ist wichtig. Doch das reicht nicht. Die Migrantinnen brauchen jemanden, der ihnen aus dem deutschen Pater Noster die Hand reicht. Und sie brauchen spezielle Kurse, die sie für einen bestimmten Arbeitsplatz fit machen. Ein flexibles Modulsystem. Und das muss finanziert werden.

    "Wir haben uns da, glaub' ich, einfach zu spät damit auseinandergesetzt. Das passiert, aber jetzt steht es uns einfach als große Herausforderung vor de Nase."
    Ein Blick auf die andere Seite des Grabens, der zwischen ausgebildeten Ingenieuren und Unternehmen verläuft. Die Rücker AG mit Sitz in Wiesbaden entwickelt und konstruiert auf dem Computer alles Mögliche für Autos, Flugzeuge, Kraftwerke und andere Anlagen. Das Unternehmen hat weltweit 2.500 Mitarbeiter. Und sucht insgesamt 500 Ingenieure! Thomas Aukamm, Geschäftsführer bei Rücker:

    "Das ist nicht "nice to have ", wir brauchen sie wirklich ganz dringend. 300 wären wir froh, wenn wir sie sofort hätten und sofort einsetzen könnten. Wir versuchen natürlich mit unserer Stammbelegschaft die Aufträge abzuwickeln. Die Belastung hier ist dann schon erhöht für die Mitarbeiter. Trotzdem passiert es auch, dass wir den ein oder anderen Auftrag ablehnen müssen. "
    Rücker sucht auf Rekrutierungsmessen und an Fachhochschulen in Deutschland, aber auch in Polen.

    "Wir schauen natürlich auch auf den spanischen Arbeitsmarkt. Dort ist eine große Anzahl an arbeitslosen Ingenieuren unterwegs. 20 Prozent Arbeitslosigkeit, über 40 Prozent Jugendarbeitslosigkeit."
    Und die ukrainische Mutter, ausgebildete Ingenieurin, die als Putzfrau gearbeitet hat? Hat sie eine Chance?
    "Eine ukrainische Putzfrau mit einem Ingenieur-Abschluss kann durchaus interessant sein, aber hier ist die Sprache eigentlich der Schlüssel. Wir werden hier nicht auf die Politik warten, sondern auch wir werden Sprachunterricht ermöglichen, um sie in den Arbeitsprozess zu integrieren."

    Sie auf den neusten Stand im Job bringen, ist für die große Firma kein Problem. Da gibt es eigene Software-Schulungen. Aber bei den Sprachkursen sieht die Rücker AG auch die Politik in der Pflicht. Rosina Walter von Beramí will jetzt alle Beteiligten zusammenbringen. Ihr Verein wird für das Netzwerk Integration durch Qualifizierung, kurz IQ, einen runden Tisch gründen. Da soll auch das hessische Wirtschaftsministerium beteiligt sein.