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"Wir erhoffen uns natürlich einen Freispruch"

Ein Anwalt rät seiner Mandantin, den Magensondenschlauch der Mutter durchzutrennen, der gegen den Willen der Mutter gelegt wurde. Ist das Totschlag, Sterbehilfe, richtig? Sonja Hecker von der Deutschen Vereinigung für Vorsorge- und Betreuungsrecht hat eine klare Meinung.

25.06.2010
    Friedbert Meurer: Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe wird heute wohl, heute Morgen gegen 10 Uhr, ein Grundsatzurteil fällen zur Sterbehilfe, das viel Beachtung finden wird. In dem Fall, um den es geht, lag eine Patientin fünf Jahre lang im Wachkoma. Die Heimleitung wollte die Todkranke weiter künstlich ernähren, obwohl der Arzt anderer Meinung war. Die Tochter wollte das dann alles nicht mehr mit ansehen und schnitt den Schlauch mit der Magensonde ab, in Absprache mit dem Patientenrechtler Wolfgang Putz. Der aber wurde dann verurteilt wegen versuchten Totschlags. Die Tochter selbst wurde freigesprochen. Also: Heute beim BGH geht es um den Patientenanwalt, der versucht, vom Vorwurf des versuchten Totschlags freigesprochen zu werden. – Sonja Hecker ist Geschäftsführerin der Deutschen Vereinigung für Vorsorge- und Betreuungsrecht, also der entsprechenden Fachanwälte. Guten Morgen, Frau Hecker.

    Sonja Hecker: Guten Morgen!

    Meurer: Sie werden gleich nach Karlsruhe fahren, beim Urteil mit dabei sein. Was erhoffen Sie sich heute vom Bundesgerichtshof?

    Hecker: Wir erhoffen uns natürlich einen Freispruch, der wird auch erwartet, und wir erhoffen uns, dass dieses Durchschneiden des Schlauches schon gar nicht erst als strafrechtlich relevantes Verhalten angesehen wird.

    Meurer: Ist das nicht aktive Sterbehilfe gewesen?

    Hecker: So hat es das Landgericht Fulda bewertet. Wir sehen das anders. Wir sehen dieses Durchschneiden des Schlauches auf einer Linie mit dem Behandlungsabbruch, also dem Abbruch einer künstlichen Beatmung beispielsweise.

    Meurer: Um das klarzustellen, Frau Hecker. Es ist erlaubt oder gesetzlich abgesegnet, der Arzt darf ein Beatmungsgerät abschalten, aber die künstliche Ernährung abklemmen, das wird anders interpretiert. Was ist denn da bisher der juristische Unterschied?

    Hecker: Der Unterschied ist, dass beim Abklemmen dieses Abklemmen sich im Tode auswirkt, also kausal geworden ist für den Todeseintritt, oder sein könnte, und beim Abschalten der Beatmungsmaschine lässt man dem natürlichen Sterbevorgang seinen Lauf.

    Meurer: Ist das dann nicht trotzdem ein Unterschied, der weiter bestehen sollte?

    Hecker: Das ist die Frage. Die wird heute vom BGH entschieden und mit Spannung erwartet. Sie müssen dieses Urteil ja auch im Zusammenhang mit dem neuen Gesetz zur Regelung der Patientenverfügung sehen. Das ist am 1. 9. 2009 in Kraft getreten. Zivilrechtlich ist die Lage nun so, dass der Patientenwille vom Arzt und dem Betreuer und Bevollmächtigten zu beachten ist.

    Meurer: Es gab hier ja eine Patientenverfügung der schwer kranken Frau. Warum hat die offenbar keine Rolle gespielt, obwohl Sie sagen, seit 2009 muss doch der Wille der Patientenverfügung Gültigkeit besitzen?

    Hecker: Sie hätte eine Rolle spielen müssen. Das Heim hat hier durch die Anordnung der erneuten künstlichen Ernährung eine Körperverletzung begangen, gegen den Willen der Patientin. Also der Wille hätte damals schon Beachtung finden müssen.

    Meurer: Worin bestand die Körperverletzung?

    Hecker: In dem Legen der Magensonde. Das ist ein Eingriff in die körperliche Integrität. Die ist nur gerechtfertigt, wenn der Patientenwille diesen Eingriff auch deckt, und das war nicht der Fall. Die Dame hatte sich vorher schon dagegen ausgesprochen und die Betreuer haben sich dagegen ausgesprochen.

    Meurer: Offenbar wurde die Frau ja fünf Jahre lang künstlich ernährt. Sagen Sie, wenn die Patientenverfügung entsprechend formuliert ist, dann wird vom ersten Tag an keine Magensonde gelegt?

    Hecker: Richtig. Es ist zunächst zu prüfen, ob das Legen der Magensonde überhaupt medizinisch indiziert ist. Das heißt, diese Behandlung muss einen Nutzen bringen. Die bloße Lebensverlängerung alleine wird nicht als Nutzen angesehen. Es muss auch eine qualitative Verbesserung erfolgen durch die medizinische Behandlung. Wenn die medizinische Behandlung nicht indiziert ist, dann darf ein Behandlungsangebot schon gar nicht erfolgen.

    Meurer: Heute entscheidet der Bundesgerichtshof in einem Fall über die Definition, was ist Sterbehilfe, was ist erlaubt und was ist verboten. Ich sprach mit Sonja Hecker, der Geschäftsführerin der Deutschen Vereinigung für Vorsorge- und Betreuungsrecht. Frau Hecker, danke und auf Wiederhören.

    Hecker: Ja, danke!

    <u>Zur Sterbehilfe-Entscheidung des Bundesgerichtshofes:</u>

    Bundesgerichtshof verkündet Entscheidung zu Sterbehilfe -
    Wo verläuft die Grenze zwischen Töten und natürlichem Sterben?

    DLF-"Hintergrund": Eine Frage der Würde
    Vor dem Bundesgerichtshof-Urteil zur Sterbehilfe