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"Wir freuen uns über jedes Fohlen, das überlebt"

Es ist die Schreckensvorstellung eines jeden Pferdezüchters: Es gibt bei der Geburt Komplikationen und die Stute stirbt. Was wird dann aus dem Fohlen? Gerade in den ersten Stunden und Tagen braucht der Nachwuchs eine spezielle Nahrung und besondere Zuwendung. Die meisten Pferdebesitzer müssen da passen. Ihr Retter aus der Misere heißt Erich Voss. Er betreibt in einem kleinen Dorf bei Lüneburg im Bundesland Niedersachsen Deutschlands einzigen Fohlennotdienst.

Von Martin Koch |
    Erwartungsvolles Stimmengewirr auf dem Hof von Erich Voss in Wittorf bei Lüneburg. Heute ist "Twister" angekommen. Auf wackligen Beinen stakst das zwei Tage alte Hannoveraner-Fohlen zu seiner Box. Seine Mutter ist bei der Geburt gestorben, deshalb hat es keine so genannte Biestmilch bekommen. Und das ist gleich zu Beginn seines noch jungen Pferdelebens das größte Problem, sagt Erich Voss:

    " Die Biestmilch ist wichtig, weil da stecken die ganzen Antikörper drin, was das Fohlen eben zum Überleben braucht. Kriegt das Fohlen sie nicht, bekommt es Infektionen und ist in 3-4 Tagen tot. "

    Ist auch keine künstlich hergestellte Biestmilch verfügbar, kann ein Neugeborenes mit Blutplasma stabilisiert werden. Dieses Verfahren ist sehr effektiv, aber auch aufwändig. Eine weitere Schwierigkeit: in einem fremden Stall ist die Gefahr von Infektionen viel größer. Hier kommt Tierarzt Bernd Haake ins Spiel:

    " Wir versuchen, Fohlen auf einen einheitlichen Immunstatus zu bekommen. Durch spezielle Impfstoffe können wir auch das nichtspezifische Abwehrsystem der Fohlen aktivieren, außerdem werden sie anfangs einzeln gehalten, damit nicht, wenn sie einen Infekt eingebracht haben, der ganze Stall durchtränkt wird. "

    Sobald dieses Ziel erreicht ist, stellt Erich Voss die Fohlen zu zweit oder dritt in eine Box und lässt sie in Gruppen von bis zu zehn Tieren in den Auslauf. Auf diese Weise vermenschlichen sie nicht:

    " Wenn ein Fohlen allein aufgezogen wird und hat keinen zum Spielen, dann ist die einzige Kontaktperson der Mensch, und es läuft wie ein Schoßhund hinterher. Anfangs ist das ja noch ganz niedlich, aber später wiegt es 500-600 Kilo - und will dann immer noch spielen. "

    Für das artgerechte Benehmen ist auf dem Hof des Fohlennotdienstes "Frau Rickmann" zuständig. Die Hannoveranerstute ist so etwas wie die gute Seele des Betriebs:

    " Ja, unsere Frau Rickmann hier, die betreut immer die jüngsten Fohlen, bringt den Fohlen Sozialverhalten bei, sie läuft zusammen mit ihnen im Auslauf, zur Zeit betreut sie fünf Stück, und weist sie auch mal in die Schranken, was die Mutter eben auch machen würde und stupst sie schon mal mit der Schnauze gegen den Elektrozaun, damit sie den kennenlernen. Aber eigentlich ist sie sehr großzügig. "

    Gemeinsam mit seiner Frau Karin und ein bis zwei Jahrespraktikantinnen versorgt Erich Voss bis zu 50 Fohlen pro Jahr. Die kleinen Patienten kommen aus ganz Deutschland, sogar aus Österreich und Luxemburg waren schon welche hier. 230 Euro plus Milchgeld kostet die Rund-um-die-Uhr-Betreuung im ersten Monat, danach 180. Vergleichsweise wenig für den Aufwand: in den ersten Wochen bekommen die Pferdewaisen alle anderthalb Stunden die Flasche mit der vitaminreichen Spezialmilch. Der Fohlennotdienst fordert von allen Beteiligten eine gehörige Portion Idealismus, auch von Tierarzt Bernd Haake, der für jeden Besuch rund 50 Kilometer fahren muss - und das in manchen Zeiten fast täglich. Trotzdem:

    " Es ist so wie der Kick, den andere beim Bungeespringen bekommen, weil es immer anders ist, man ist immer gefordert, einfach auch sich das Medizinische anzueignen, da ist auch relativ viel Neuland dabei, auch für Universitätskliniken, es ist schon der Reiz an der Sache. "

    Reichtümer kann Erich Voss mit seinem Fohlennotdienst nicht anhäufen, doch darauf kommt es ihm auch gar nicht an.

    " Ich bin mit Leib und Seele Landwirt, kann mir ein Leben ohne Tiere nicht vorstellen und ob ein Fohlen nun 500 oder 50.000 Euro kostet, die sind alle gleich. Und wir freuen uns, wenn es ihnen wieder gut geht und die Besitzer ein gesundes Tier glücklich mit nach hause nehmen können. "