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"Wir fühlen uns schon gegängelt"

NRW-Wissenschaftsministerin Svenja Schulze verlangt von den Hochschulen 23 Prozent ihrer Haushalte zurück. Die sollen dann ab 2012 nach Leistungskriterien neu verteilt werden. Universitäten werden künftig stärker auf Drittmittel angewiesen sein. Bernhard Kemper sieht das kritisch.

Bernhard Kempen im Gespräch mit Sandra Pfisterer | 23.12.2011
    Sandra Pfister: Die nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerin Svenja Schulze, die hat jetzt angekündigt, wie sie die Finanzierung der nordrhein-westfälischen Hochschulen verändern will. Sie sollen mehr Leistungsanreize erhalten. Das hört sich ja erst mal richtig prima an, aber da ist ein kleiner Pferdefuß: Zwar kriegen die Hochschulen auch Geld vom Land, wenn sie gute Ergebnisse bringen, aber erst mal müssen sie zum 1. Januar 23 Prozent ihres jeweiligen Jahresetats wieder zurückgeben. Der kommt dann in einen großen Topf, der als Leistungsanreiz wirken soll. Darüber reden wir jetzt mit Bernhard Kempen, dem Vorsitzenden des deutschen Hochschulverbandes. Guten Tag, Herr Kempen!

    Bernhard Kempen: Guten Tag, Frau Pfister!

    Pfister: Herr Kempen, erst mal wird den Hochschulen Geld weggenommen. Ob sie es dann wieder zurückkriegen und wie viel davon, das steht ja dann noch in den Sternen. Fühlen sich die Hochschulen da nicht an der Nase herumgeführt?

    Kempen: Ja, wir fühlen uns schon gegängelt, denn das ist natürlich genau das Gegenteil von Planungssicherheit. Wir müssen sehen, dass wir jetzt in eine Situation hineinlaufen, in der wir so viele Studierende haben wie noch nie - das ist grundsätzlich sehr erfreulich, wir freuen uns über jeden, der kommt -, aber es macht uns natürlich auch zusätzliche Arbeit. Wir hatten bis vor Kurzem rund zwei Millionen Studierende an den Universitäten und Fachhochschulen. Jetzt werden es 2,4 und es werden dann bald 2,7 Millionen sein, im Jahr 2014, und da können Sie sich denken, dass wir jeden Cent brauchen. Diese Rochade - das Geld jetzt zurück und dann kriegt man es nur mit besonderen Anstrengungen wieder her -, das ist nicht das, was wir im Moment brauchen.

    Pfister: Finden Sie es denn gut, dass es danach gehen soll, wer die meisten Absolventen hervorgebracht hat beziehungsweise welche Hochschule die meisten Drittmittel eingeworben hat?

    Kempen: Ich frage mal umgekehrt: Nennen Sie mir mal einen Bereich der öffentlichen Verwaltung, der leistungsorientiert Mittel zugewiesen bekommt. Ist das in den Ministerien so, ist das in den anderen Behörden des Landes oder des Bundes so? Das ist doch nicht der Fall, das wird nur an den Hochschulen exerziert. Und wir finden uns da schon irgendwie in unserer Arbeit, die eine aufwendige und verantwortungsvolle Arbeit ist, nicht richtig gewürdigt, wenn wir um jeden Cent da kämpfen müssen. Wir sind dann davon abhängig, ob Absolventen aus welchen Gründen auch immer - und da gibt es ganz, ganz viele Gründe, auch Gründe, die in der Verantwortung der Hochschule liegen, selbstverständlich - wir sind dann davon abhängig, dass die Absolventen bei der Fahne bleiben und nicht vorschnell die Flinte ins Korn werfen und dergleichen mehr. Also mit anderen Worten: Diese Mittelzuweisung nach angeblicher Leistung, die hat ihre ganz großen Schwächen, wenn sie auch auf den ersten Blick natürlich sehr gut klingt.

    Pfister: Was da auch mitschwingt - was ich zumindest raus höre, ist, dass es am Ende bedeutet, dass zahlreiche Professoren und Dozenten mal wieder damit beschäftigt sind, Erfolge zu dokumentieren oder mehr Anträge zu schreiben, um eben Drittmittel einzuwerben. Das ist natürlich eine gewollte Leistungskomponente, die ein bisschen Konkurrenz schaffen soll - also in dieser Hinsicht ist Frau Schulze ja nur konsequent, was die allgemeine Weiterführung oder Weitergabe dieses Impulses anbelangt, oder?

    Kempen: Na ja, gerade die Drittmittel sind natürlich eine Sache, die sehr fragwürdig ist. Wir sind ja letztlich deswegen auf Drittmittel angewiesen, weil Bund und Länder ihrer Finanzierungsverantwortung für die Hochschulen nur in unvollkommener Weise - ich drücke mich dabei sehr vorsichtig aus - nachkommen. Deswegen brauchen wir Drittmittel. Aber Drittmittel sind auch gefährlich, denn sie schaffen Abhängigkeiten, die in den Universitäten, aber auch in der Gesellschaft und der Politik nur unerwünscht sein können. Mit anderen Worten: Wer Drittmittel zum Fetisch erhebt, der macht einen großen Fehler.

    Pfister: Und genau das tut Frau Schulze?

    Kempen: Ich denke, sie übertreibt es hier etwas. Ich meine noch mal, es ist ja gut, wenn es Leistungsanreize gibt, da haben wir grundsätzlicher gar nix dagegen. Aber man kann es auch übertreiben. Man kann es dann übertreiben, wenn man erstens mal die Prozentsätze, die hier leistungsbezogen vergeben werden sollen, zu hoch schreibt, und wenn man auch die falschen Parameter setzt. Drittmittel sind aus meiner Sicht ein fragwürdiger Parameter - übrigens genau so fragwürdig, wie die mittlerweile ja offenbar auf der Abschriftliste stehen in Promotionszahlen. Die haben in der Vergangenheit auch dazu geführt, dass auf Teufel komm raus promoviert wurde mit den Bekannten Phänomenen Guttenberg und Co. Also mit anderen Worten: Man muss hier Maß halten, und ich habe ein bisschen die Sorge, dass die Landesregierung das momentan aus dem Blick verliert.

    Pfister: Apropos Maß halten, Sie sprachen gerade von Übertreibung. Man spürt einen Paradigmenwechsel in Nordrhein-Westfalen in Sachen Wissenschaftsstandort. Unter der schwarzgelben Regierung hatten die Hochschulen sehr viel Freiheit, jetzt bestellt die Ministerin dauernd die Hochschulrektoren ein und regiert etwas stärker in die Unis hinein - Sie sprachen auch gerade von Gängelung. Man könnte umgekehrt sagen, in Zeiten klammer Haushalte geht es einfach nicht anders, dann muss die Regierung ihre Rektoren stärker führen. Was halten Sie davon?

    Kempen: Na ja, einerseits betont ja die Landesregierung, dass sie Forschungsstandort sein will und Innovationsstandort und so weiter, aber dann muss man den Worten auch Taten folgen lassen und darf nicht so kleinkariert sich an irgendwelchen Problemen aufhalten, die in Wahrheit doch gar keine sind. Ich will Ihnen mal ein Stichwort geben: Wenn die Ministerin in die Hochschulen das Signal gibt, dass das Allerwichtigste, was wir jetzt lösen müssten, die Frage der Mitbestimmung in den Hochschulen ist, dann geht das an der Lebenswirklichkeit der Studierenden und der Dozenten und Mitarbeiter vollständig vorbei. Wir haben da kein Problem, und wo kein Problem ist, sollte man auch keines lösen. Und das lässt sich fortsetzen auf anderen Feldern. Wir haben in der Vergangenheit - Sie haben es ganz richtig wiedergegeben - das Glück gehabt, dass wir in Nordrhein-Westfalen in eine sehr weitreichende Autonomie an den Hochschulen entlassen worden sind. Das hat Leistungsreserven freigesetzt, das hat auch dazu geführt, dass wir bei der Exzellenzinitiative, bei der vergangenen, recht gut abgeschnitten haben, und bei der gegenwärtigen möglicherweise noch besser abschneiden werden. Aber man sollte diese Erfolge jetzt nicht kaputtmachen, indem man uns wieder sozusagen in das alte etatistsiche System zurückführt.

    Pfister: Das war die Umschreibung von Bernhard Kempen, Präsident des deutschen Hochschulverbandes für den Umstand, dass die nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerin Svenja Schulze noch mehr Mittel an den Hochschulen leistungsorientiert vergeben will. Danke, Herr Kempen, für die Einschätzungen!

    Kempen: Gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.