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"Wir gehen zum Teufel"

Die Einsparungen Griechenlands treffen die, die ohnehin kaum etwas haben, Rentner und Geringverdiener. Die großen Fische sind den Behörden längst durch die groben Steuermaschen. Odysseas Apostolou, Kapitän einer Fähre, kann als "kleiner Fisch" davon ein Lied singen.

Von Knut Benzner | 10.02.2012
    Elf Personen verlassen das Schiff, drei steigen zu.

    45 Minuten dauert die Fahrt.

    Der Kapitän. Odysseas Apostolou.

    Odysseas - wie Odysseus, sagt er: Homers Odysseus sei 20 Jahre verschollen gewesen. Er sei noch immer heil nach Hause gekommen. Odysseas fährt seit 15 Jahren immer dieselbe Strecke: Piräus – Salamis und zurück. Sein Schiff heißt Konstandis, er hat es selbst gebaut.

    Auf der Brücke stehen drei Aschenbecher, eine Thermoskanne, ein Fernglas und natürlich: das Funksprechgerät.

    Sein Beruf, sagt Apostolous, hat sich verändert. Völlig verändert.

    "Die Kosten sind gestiegen, der Diesel ist teurer geworden, die Steuern sind kaum noch zu bezahlen, die Passagiere bleiben aus. Die Krise."

    Der Preis pro Liter Diesel? Fast verdoppelt. Die Steuerlast – fast verdreifacht. Die Passagiere? Wer nimmt morgens noch die Fähre, wenn er keine Arbeit mehr hat? Odysseas lässt den Handelshafen der großen Reedereien hinter sich und deutet steuerbord auf alte Industrieanlagen.

    Da vorne, sagt Odysseas Apostolou, sehen sie eine Industriebrache, 250 Hektar, eine ziemlich große Fläche. Unlängst hatte jemand die Idee, hier einen großen Büropark für die griechischen Reedereien zu errichten, die jetzt im Ausland ihren Sitz haben. Hier hätten sie doch Platz genug. Aber die wirtschaftlichen Perspektiven sind zu unsicher in Griechenland. Niemand will hier jetzt investieren. Genaugenommen sei ganz Griechenland eine einzige riesige Brache.

    Die Reedereien sind schon lange weg. Ihre Schiffe fahren unter fremden Flaggen. Das weiße Kreuz auf blauem Grund, der ganze Stolz der griechischen Seefahrernation, ist auf den Weltmeeren fast nicht mehr zu sehen.

    Verschwunden wie Verschollene. Das ganze Land: Kein Kurs, keine Peilung, keine Orientierung
    Sein Bootsmann Jorgos kommt.

    "Wir gehen zum Teufel."

    Die Politiker?

    Verräter, sagt auch Odysseas Apostolou, der Kapitän.

    "Wir trauen niemandem mehr, egal ob von einer großen oder einer kleinen Partei. Kein Vertrauen mehr."

    Jorgos, der Bootsmann:

    Ich habe, so Jorgos, beim letzten Mal Giorgios Papandreous Pasok gewählt. Der hatte uns versprochen: Es gibt mehr Geld.

    Wir hatten gehofft, sagt der Kapitän, dass sich etwas ändert, dass es wieder aufwärtsgeht – gar nicht einmal wegen persönlicher Vorteile. Sondern wegen Griechenland. Die, die zur Wahl gehen, weil sie an sich selber denken, sind die Beamten, die nur deshalb eine bestimmte Partei wählen, weil sie dann eine Stelle in irgendeinem Amt bekommen.

    Es ist nicht gelogen, sagt Odysseas: Sie stellen ihre eigenen Kinder ein. Sie versorgen erst ihre Familien. Dann ihre Freunde. Dann ihre Parteigänger. Da hat einer alleine keine Chance. Das war immer so. Das ist das System. Weshalb sollte es jetzt anders werden?

    Eine Fahrt mit Odysseas Apostolou kostet zwei Euro 60. Das ist nicht viel.

    Für die Arbeiter, sagt er, ist es zu viel. Sie haben nichts mehr. Es reicht noch nicht einmal mehr für eine Fahrt von Piräus nach Salamis. Und dabei ist er mit dem Fahrpreis schon um zehn Cent heruntergegangen.

    Die nächsten Wahlen könne man schon jetzt vergessen. Ganz egal, wer an die Regierung kommt: Er wird keinen Spielraum haben. Griechenland hat nichts mehr zu entscheiden. Das tun andere.

    Im Hafen von Piräus macht Odysseas seine Konstandis fest. Odysseus war 20 Jahre verschollen. Odysseas ist noch immer heil nach Hause gekommen.