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"Wir möchten das nur auf einem höheren wissenschaftlichen Qualitätslevel sehen"

Medizin.- Die sogenannte Tiefenhirnstimulation wird unter anderem bei Menschen eingesetzt, die unter starken Zwangshandlungen leiden. Professor Thomas Schläpfer, Psychiater an der Uniklinik Bonn, kritisiert, dass diese Methode bei Psychiatriepatienten tendenziell zu häufig zur Anwendung komme.

Thomas Schläpfer im Gespräch mit Ralf Krauter |
    Ralf Krauter: Im Oscar-prämierten Film "Besser geht's nicht" spielt Jack Nicholson einen zynischen Griesgram, der unter Zwangsneurosen leidet. Er vermeidet um jeden Preis, auf Pflasterfugen zu treten und benutzt zum Händewaschen jedes Mal ein neues Stück Seife. Menschen mit deutlich schwereren Zwangsstörungen landen oft in der Psychiatrie. Und wenn dann auch noch alle Medikamente versagen, bleibt als letzte Hoffnung nur noch die sogenannte Tiefenhirnstimulation, bei der Elektroden ins Gehirn implantiert werden. Aber Chancen und Risiken dieser Therapie sind bislang nur unzureichend erforscht. Insbesondere in den USA sollten die Regeln für die Anwendung deshalb verschärft werden. Das zumindest fordern Experten jetzt im Fachmagazin "Health Affairs". Professor Thomas Schläpfer ist einer davon. Er ist Vize-Direktor der Klinik für Psychiatrie der Uniklinik Bonn und jetzt am Telefon. Herr Schläpfer, um was für Patienten genau geht es Ihnen und Ihren Kollegen?

    Thomas Schläpfer: Es geht hier um Patienten mit schwersten behandlungsresistenten Zwangsstörungen - Störungen, bei denen Patienten gezwungen sind, irgendwelche, auch sinnlose Handlungen immer wieder zu machen oder Gedanken zu haben, die intrusiv einschießen, die sie massiv belasten und ihre Lebensqualität beinträchtigen. Zwangsstörungen sind relativ häufig. Sie kommen bei etwa vier Prozent aller Menschen vor. Und schwerst therapieresistente gibt es dann bei vielleicht zehn Prozent dieser Patienten. Zwangsstörungen werden sehr gut behandelt mit Psychotherapie und auch mit Medikamenten. Aber es gibt Patienten, die nicht darauf ansprechen. Dort gibt es relativ neue Daten aus den USA, Frankreich und auch in Köln wurde eine wichtige Studie dazu gemacht, die bei schwerst behandlungsresistenten Patienten die tiefe Hirnstimulation untersucht haben.

    Krauter: Da werden Elektroden ins Gehirn der Patienten implantiert?

    Schläpfer: Das ist richtig, das klingt sehr erschreckend, aber denken Sie daran, dass Patienten mit der Parkinsonschen Störung das fast als Therapie der Wahl haben. Über 80.000 Patienten weltweit wurden mit einer solchen tiefen Hirnstimulation behandelt. Neu ist die Anwendung bei psychiatrischen Erkrankungen wie Zwangsstörungen oder Depressionen.

    Krauter: Sie kritisieren jetzt in dem Artikel, den sie publizierten, dass dieses Verfahren, die Tiefenhirnstimulation, speziell bei Psychiatriepatienten, also bei ganz schweren Fällen, tendenziell zu häufig eingesetzt wird. Über welche Fallzahlen reden wir da?

    Schläpfer: Wir kritisieren nicht, dass es zu häufig eingesetzt wird, wir kritisieren lediglich die Tatsache, dass das ohne ganz sorgfältige Abklärung vom Wirkungs- und Nebenwirkungspotenzial gemacht wird. Wenn Sie ein neues Medikament oder eine neue Methode einsetzen wollen, müssen Sie Daten vorlegen zur Effizienz und zur Nebenwirkungshäufigkeit. In Amerika gibt es jetzt ein Verfahren, wo man für sogenannte orphan diseases - also ganz seltene Krankheiten - Methoden anwenden kann, ohne eine solche sorgfältige Prüfung. Und dort haben wir uns Sorgen gemacht, dass das vielleicht ein bisschen schnell war. Und gerade dieser Einsatz bei psychiatrischen Patienten ist jetzt etwas revolutionäres, etwas ganz, ganz wichtiges, wo man ganz spezielle Vorsicht anwenden muss bei der Entwicklung der Methoden.

    Krauter: Wie viele Fälle aus den USA sind bekannt, wo das schon gemacht worden ist?

    Schläpfer: In den USA wurden ungefähr 50 Patienten behandelt, unter dieser neuen Indikationsstellung sind zehn Patienten, das sind sehr wenig. Aber diese Patienten können grundsätzliche außerhalb von klinischen Studien behandelt werden. Und das macht uns ein bisschen Sorgen, weil außerhalb von klinischen Studien gibt es keinen Publikationszwang. Da erfährt man nicht, wie die Resultate sind. Und das macht etwas Sorgen.

    Krauter: Die FDA, die amerikanische Zulassungsbehörde, ist ja eigentlich bekannt für relativ strikte Vorgaben. Wie genau kam es dazu, dass eine spezielle Ausnahmeregel, die jetzt im Prinzip häufiger angewendet wird, als man ursprünglich gedacht hatte, als man dieses Gesetzt so erlassen hat?

    Schläpfer: Die amerikanische Behörde ist in der Tat sehr strikt, aber kann natürlich nur strikt sein aufgrund von Zulassungsbestimmungen. Und es gibt diese sogenannte HDE, Humanitarian-Device-Exemption-Bestimmung für sogenannte orphan diseases. Die kann man nicht strikter anwenden. Und wir glauben, dass das hier falsch angelegt ist, weil Zwangserkrankungen keine orphan diseases sind, sondern potenziell häufig vorkommen und wir gerade bei diesen Indikationen mehr Daten haben sollten. Und vielleicht ist es ganz wichtig zu bemerken: Wir wenden uns in keiner Art und Weise gegen die Entwicklung der Tiefenhirnstimulation für psychiatrische Erkrankungen. Das ist jetzt was sehr wichtiges, und alle Autoren möchten genau dieses Anliegen befördern - aber mit mehr Vorsicht. Deshalb dieses etwas kritische Paper, was sich in keiner Art und Weise gegen die Herstellerfirma wendet, sondern gegen die Zulassungsbestimmungen.

    Krauter: Gab's schon Reaktionen aus den USA? Das klingt ja, als ob Sie da möglicherweise in ein Wespennest gestochen haben - es geht ja auch um Geld, um Unternehmen, die mit solchen Geräten viel Geld verdienen wollen. Wie waren die Reaktionen bislang?

    Schläpfer: Ja, es gab sehr viele Reaktionen, ein paar wenige positive und auch einige sehr negative, wo uns vorgeworfen wird, dass wir Patienten, die unter schwersten Störungen leiden, mit unserem Vorschlag eine Therapiemethode vorenthalten wollen. Aber genau das wollen wir nicht. Wir möchten das nur auf einem höheren wissenschaftlichen Qualitätslevel sehen.

    Krauter: Welche Implikationen hat das Ganze in Europa? Wie ist denn hier der Stand der Verfahren, über die wir jetzt gesprochen haben?

    Schläpfer: In Europa hinken wir ein bisschen nach, was die Anwendung dieser Forschung dieser Verfahren angeht. Zumindest in Deutschland ist es auch einfacher, in Einzelfällen solche Therapien anzuwenden am Menschen. Aber selbstverständlich wird die Diskussion aus den USA auch Implikationen haben für die Zulassungspraxis in Europa. Und ich denke, das ist gut. Wir möchten nicht die Anwendung der Methoden verhindern, sondern dafür sorgen, dass es mit höchster Sorgfalt geprüft wird. Gerade bei schwerkranken, psychiatrischen vulnerablen Patientenpopulationen.