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"Wir nehmen einen Schrottsong und machen was Gutes draus"

Eine bunte Truppe unter dem Namen "Der Familie Popolski" macht seit einigen Jahren deutsche Bühnen unsicher. Der Kopf dieses Musikkabaretts ist Achim Hagemann. Er hat neben Hape Kerkeling Klavier gespielt, Filmmusikkomponiert und arbeitete am Musical "Kein Pardon".

Achim Hagemann im Gespräch mit Adalbert Siniawski | 20.09.2011
    Adalbert Siniawski: Wie geht die Geschichte um geklaute internationale Popsongs, die in Wahrheit ja aus Polen stammen, denn weiter?

    Achim Hagemann: Die Geschichte geht so weiter, dass wir erschreckt feststellen, dass nicht nur die polnische Popmusik geklaut ist, sondern auch die großen Kinofilme geklaut sind, wie zum Beispiel "A-polka-lypse now", ein Film über die Polka-Kriege, dann haben wir "Polkerei auf der Bounty", wir haben einen alten Film entdeckt und wir entdecken, dass unser Opa "Peter und der Wolf" geschrieben hat und spielen es zum ersten Mal in der Originalversion.

    Siniawski: Jedes Familienmitglied hat einen eigenen Charakter und eine spezielle Vorgeschichte. Da gibt es zum Beispiel Bogdan, der ein Faible fürs Heimwerken hat, oder die "Rote Dorota", die die Männer verrückt macht. Wie entstand eigentlich die Welt der Familie Popolski, haben Sie in Polen recherchiert?

    Hagemann: Recherchiert insofern nicht, als dass meine damalige Freundin aus Zabrze kam und mit ihrer ganzen Familie nach Köln rübergezogen ist, mit Onkeln und Tanten. Ich also in der Gegend von Köln mir nichts dir nichts in polnischen Familienfeiern drinhing und da den Akzent kennenlernte, die Wodka-Bräuche und Heimatgeschichten. Und die Rollen der einzelnen Familienmitglieder, die sind im Grunde im Laufe der Zeit entstanden. Man gibt am Anfang ein grobes Rollenprofil und dann wird viel improvisiert und ausprobiert und so entwickelt jeder seine Rolle mit auf der Bühne.

    Siniawski: Sie und ihre Kollegen mussten ja sicherlich diese polnischen oder manchmal auch pseudo-polnischen Eigenarten und die Sprache sich antrainieren – obwohl manche Worte, die auf der Bühne fallen ja tatsächlich polnisch klingen – war das eigentlich schwer, sich in diese Welt hineinzuversetzen, haben Sie lange geprobt?

    Hagemann: Es war schwer die Sprache so zu können, dass Polen in Publikum auch wirklich erkennen, dass das echtes Polnisch ist. Mein schwierigster Satz, an dem ich fast verzweifelt bin, war: "A teraz wszyscy razem!" Bis ich dieses wszyscy…

    Siniawski: Das heißt?

    Hagemann: Was man sagt: "und jetzt alle zusammen!", was man so sagt, wenn alle zusammen singen sollen. Da habe ich die polnischen Konsonanten kennengelernt, von ihrer harten Seite. Wir haben aber polnische Freunde, die uns kontrollieren, die uns auch die Texte übersetzen und auch gucken, ob wir noch richtig polnische sprechen auf der Bühne, weil wir gesagt haben, das wenige, was wir sprechen, soll zumindest halbwegs richtig sein.

    Siniawski: Und Sie als Pavel Popolski, Sie sitzen am Schlagzeug während der Show, führen durch den Abend und sind das "Oberhaupt der Familie", wie es heißt. "Sein Wort gilt, sein Wille geschieht." Sind sie auch in der Vorbereitung der Shows das Oberhaupt?

    Hagemann: Die Texte schreibe ich in der Tat selber, zusammen mit dem Co-Autor Hans Wollrath. Die Musik ist Teamwork, wir haben viele begabte Musiker, die in unterschiedlichen Stilen bevorzugt zu Hause sind – wir haben bei uns die Rock-Fraktion, die Jazz-Fraktion, die klassische Fraktion. Und jeder schlägt was vor, es wird geprobt und dann kurz vorm Auftritt erst entschieden, was man spielt. Für das neue Programm ist geplant auch mal eine flexible Nummer mit ins Programm zu nehmen, die jeden Abend anders ist.

    Siniawski: Und was wird das wohl sein?

    Hagemann: Das wird der "Hit des Tages" sein. Und wir nehmen dann tatsächlich gerade eine aktuelle Nummer Eins und machen aus der eine Nummer.

    Siniawski: Also eine verpolnischte Version.

    Hagemann: So ist es.

    Siniawski: Sie haben es schon angesprochen, verschiedene Musikstile, die da auf die Bühne kommen. Die Polka-Rhythmen reißen mit, zu Beginn trinken Sie mit dem Publikum gemeinsam Wodka, die Zuschauer lernen ein paar Vokabeln Polnisch. Wer sitzt da eigentlich im Publikum?

    Hagemann: Zu unserer großen Freude mittlerweile 10 bis 20 Prozent polnischstämmiges Publikum, also Leute, die aus Polen kommen aber in Deutschland wohnen. Die kommen auch sehr selbstbewusst mit Fahnen und T-Shirts und Polska-Mützen. Ansonsten sicherlich viele Musik-Freaks, die die Band mögen, als dann auch viele Leute, die die Comedy mögen. Wir haben festgestellt, wir haben ein sehr breites Publikum, was rauf geht bis 70 Jahre und was anfängt bei 6 Jahren.

    Siniawski: Sie spielen tatsächlich mit den Klischees. Pavel Popolski, die Figur, die Sie ja auf der Bühne sind, trägt einen dicken Schnurrbart, biedere 70er-Jahre-Kleidung und spricht mit einem derben polnischen Akzent…

    Hagemann: …so ist der, eine derbe polnische Akzent, aber mit eine gewisse Charme muss man sagen.

    Siniawski: Dieser Charme, erweckt der auch die Polen oder gibt es auch negative Reaktionen von polnischer Seite?

    Hagemann: Die gibt es… gab es vielleicht am Anfang, als die Leute noch vermutet haben, wir hauen wieder in die gleiche Autoklauer-Kerbe rein, die man eigentlich ansonsten immer antrifft, wenn in der Comedy von Polen die Rede ist. Mittlerweile sind die Reaktionen viel freundlicher – auch von offizieller Stelle. Das heißt, sogar der polnische Botschafter in Deutschland hat sich schon geäußert zu den Popolskis, was wir natürlich super fanden, - und zwar positiv…

    Siniawski:…und zwar positiv, genau, das wollte ich gerade fragen.

    Hagemann: Und auch die Bürgermeisterin von Zabrze hat sich schon geäußert, also wir haben es mittlerweile geschafft, dass man erkennt, dass wir das Programm nicht machen, um die Polen zu dissen, dann könnten wir’s uns einfacher machen, sondern in unserer Wahrnehmung ist der Kern des Polen-Klischees umgedreht, nämlich: Der klauende Pole ist bei uns der, dem erst einmal alles geklaut wird. Und das, glaube ich, finden die Polen auch lustig.

    Siniawski: Neben Wodka, Schnurrbart und 70er-Jahre-Klamotten.

    Hagemann: Die Wodka-Witze wären noch viel mehr, wenn ich auf meine polnischen Freunde gehört hätte, weil die hatten so unendlich viele Wodka-Witze, dass man irgendwann mal sagen musste: Wir müssen einfach mal irgendwann auch mal aussteigen und mal Musik spielen, wir können nicht alle erzählen.

    Siniawski: Ist der Wodka eigentlich echt, den Sie auf der Bühne trinken?

    Hagemann: Natürlich ist der echt, wir sind regelmäßig hackedicht nach der Konzert!

    Siniawski: Auch Steffen Möller, der Autor von "Viva Polonia", macht mit seiner Erfahrung in Polen und mit den Klischees ein äußerst erfolgreiches Programm. Warum eignet sich das Polen-Thema so gut für Comedy?

    Hagemann: Deutsch-türkische Comedy ist viel, viel weiter vertreten. Also ich bin noch gar nicht der Überzeugung, dass das noch… ich finde, es könnte noch ausgebaut werden.

    Siniawski: Sie sind von Haus aus eigentlich Musiker, Sie haben Musik studiert – am Klavier und am Schlagzeug. Ist es da nicht langweilig, nur bekannte Songs zu covern?

    Hagemann: Es ist insofern nicht langweilig, weil unser Prinzip ja sehr oft ist: Wir nehmen einen Schrottsong und machen was Gutes draus.

    Siniawski: Können Sie ein Beispiel geben?

    Hagemann: Ich könnte ein Beispiel geben und sagen: "Cheri, Cheri Lady" ist im allgemeinen Empfinden der Menschen nicht gerade ein Meisterwerk, aber…

    Siniawski: Vier Akkorde sollen’s ja nur sein, ne?

    Hagemann: Vier Akkorde – und datt is noch übertrieben. Aber: Am Ende haben wir daraus eine Version, die sich ein bisschen anhört wie Red Hot Chili Peppers, und es gibt von den Leuten, die ins Konzert gekommen sind, wenige, die sagen, das wäre Käse. Das ist schon eine Herausforderung, aus den Liedern etwas anderes zu machen.

    Siniawski: Bekannt geworden sind Sie in der Sendung "Total normal", wo Sie an der Seite von Hape Kerkeling am Klavier saßen. Dann sind Sie beide getrennte Wege gegangen. Warum dann die Trennung nach diesem Erfolg Anfang der 90er-Jahre?

    Hagemann: Ja, das war zu dem Zeitpunkt schon eine lange Zeit, die wir zusammen auf Tournee waren und diese Fernsehshow gemacht hatten. Wir hatten am Ende noch einen Kinofilm gemacht, "Kein Pardon". Und ich hatte zu dem Zeitpunkt mein Musikstudio fertig und den großen Wunsch, jetzt mal Musik zu machen und mal wieder raus aus der Comedy-Szene – das war damals mein Wunsch. Und so habe ich mich dann entschlossen, nach dem Kinofilm die Segel zu streichen und das gemeinsame Projekt quasi zu verlassen. Und bin dann in die Filmmusikszene gegangen und habe als erstes direkt ein sehr schönes Angebot vom WDR bekommen: "Der kleine Vampir", dafür die Musik zu schreiben. Und das war ein toller Einstieg und das war. sagen wir mal, mein Wunsch, in diese Richtung zu gehen.

    Siniawski: Grimme-Preis-nominiert, muss man dazu sagen.

    Hagemann: Ja, da habe ich ihn sogar bekommen. Für die Popolski-Show sind wir nur nominiert gewesen, aber für den "Kleinen Vampir" habe ich tatsächlich den Grimme-Preis aus bekommen. War ein toller Start, muss man sagen!

    Siniawski: Jetzt auch aktuell kommt Kerkelings Film "Kein Pardon" auf die Bühne, nämlich als Musical, und da schreiben Sie die Musik dazu. Wie war die Zusammenarbeit mit ihm an diesem Projekt?

    Hagemann: Die Zusammenarbeit ist dann immer so: Man trifft sich, macht eine Flasche Rotwein auf, redet zwei Stunden übers Leben und dann macht man Musik. Das hat sich als Arbeitsweise die letzten Jahre bewährt, und ich glaube, das ist am Ende dann doch erstaunlich ergebnisorientiert.

    Siniawski: Na, wenn wir schon beim Ergebnis sind: Was darf der Zuschauer oder beziehungsweise Zuhörer erwarten vom Musical "Kein Pardon"?

    Hagemann: Ich glaube, dass wir das große Glück haben, mit Dirk Bach und noch wirklich einigen weiteren Darstellern des Ensembles absolute Volltreffer zu haben. Und ich glaube, es wird ein sehr lustiges, ein sehr komisches Musical. Und ich hoffe, dass die Leute es auch so komisch finden.

    Siniawski: Und natürlich ist Achim Hagemann weiterhin mit seiner energiegeladenen Comedy-Musik-Show "Der Familie Popolski" auf der Bühne zu sehen. Herr Hagemann: Dziekuje bardzo!

    Hagemann: Prosze bardzo! Ich habe mich sehr gefreut, heute hier zu sein, und ich muss sagen: na zdrowko! Hoch der Tassen! Man hätte etwas mehr Wodka trinken können während der Interview, da ist der einzige Kritikpunkt, was ich habe. Aber ich stoße noch einmal kurz an. Dziekuje bardzo, sage ich ebenfalls, na zdrowko!

    Siniawski: Na zdrowko!

    Hagemann: Kippst du der!