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"Wir wollen es noch einmal richtig krachen lassen"

Die legendäre Ska-Punk-Band "The Specials" aus London ist auf Abschiedstournee. Diese Woche ist sie auch in Deutschland. Sänger Terry Hall spricht im Corso-Gespräch über Depressionen, Anarchie und darüber, warum er stolz darauf ist, dass seine Kinder von der Schule geflogen sind.

Terry Hall im Gespräch mit Amy Zayed |
    Amy Zayed: Die Specials haben in einer Zeit Musik gemacht, in der Punk nicht Musik, sondern eine regelrechte Ideologie war. Ihre Musik hat London und vielleicht auch die Welt popkulturell ein wenig verändert. Denken Sie, dass die Specials heute noch etwas bewegen können?

    Terry Hall: Natürlich geht das. Es kommt auf die Lebenseinstellung an. Natürlich ist es nicht mehr das Gleiche, wie mit 19 eine Band zu gründen. Heute bin ich 52, und natürlich ist da ein Unterschied in der Herangehensweise. Früher wollte ich selbst rebellieren, aber heute möchte ich, dass meine Kinder und alle anderen Kids rebellieren. Ich bin stolz auf meine Kinder, weil sie genau das tun.

    Zayed: Was genau macht Sie so stolz?

    Hall: Sie wurden beide mit 14 von der Schule geschmissen! Das ist großartig! Das ist schon mal ein guter Anfang! Und sie haben es trotzdem geschafft. Sie machen was sie wollen.

    Zayed: Andere Väter fänden das nicht so gut, wenn ihre Kinder von der Schule fliegen. Was finden sie so toll daran?

    Hall: Es ist eine Art Ausbildung. Sogar die beste Ausbildung, die man bekommen kann. Naja, vielleicht nicht für jeden. Aber es ist faszinierend für mich zu sehen, wie ähnlich mein Lebensweg dem meiner Kinder ist. Weil sie genau wie ich merken: Vielleicht gibt es keine tolle Zukunft, aber dann muss man sich eben selbst eine schaffen.

    Zayed: Aber ist das wirklich so? Anarchie funktioniert doch heute gar nicht mehr so wie in den 70ern. Gibt es heute in unserer Konsumgesellschaft überhaupt noch irgendetwas, wogegen man rebellieren könnte? Oder ist es gerade dass wogegen man rebellieren sollte?

    Hall: Klar gibt es Unterschiede. Aber im Grunde genommen ist es doch ähnlich. Lassen Sie mich nachdenken. Wogegen haben wir rebelliert? Arbeitslosigkeit zum Beispiel. Nicht so sehr gegen die Tatsache, dass wir aus der Arbeiterklasse waren, denn darauf waren wir ja stolz Aber eigentlich haben Sie recht. Es gibt wenig, wogegen man heutzutage rebellieren kann. Und wenn man rebelliert, tut man das eher in sozialen Netzwerken als auf der Straße. Und das ist für mich keine richtige Rebellion.

    Zayed: Aber noch mal zu meiner Anfangsfrage: Denken Sie, dass Musik heute Menschen noch so zum Rebellieren bringen könnte wie damals?

    Hall: Es geht. Es ist nur sehr viel schwieriger. Früher hatte man viel weniger Optionen als heute. Heute interessiert einen Musiker nur noch, ob seine Band genug Klicks auf Youtube bekommen hat. Früher konnte man die Leute einfacher begeistern mit Musik.

    Zayed: Die Specials klangen auf der einen Seite immer typisch englisch, andererseits aber durch die Ska-Einflüsse auch sehr international. Und diese Mischung zieht sich auch durch Ihre Solomusik. Sie haben 2003 auch mal ein Album mit arabischen Musikern aufgenommen. Woher kam die Idee dazu?

    Hall: Die Idee kam mir nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Ich hab mit einigen Kids gesprochen, die ich kannte. Das waren Araber und Moslems, und mir ist aufgefallen, wie diese Leute nach den Anschlägen behandelt wurden, und immer wieder in diesen radikalislamischen Topf geworfen wurden. Und ich hab mit diesen Kids auch über meinen Hintergrund gesprochen. Ich bin Jude, und wir stellten fest, wie viele Gemeinsamkeiten es zwischen dem Islam und dem Judentum gibt. Aber nicht nur da, auch in der Kultur. Und da habe ich ein paar Musiker zusammengetrommelt, und wir haben angefangen eine Entdeckungsreise durch die arabische Musik zumachen. Aber auch jüdische Einflüsse sind drin. Einfach alles gemischt. Und es hat Spaß gemacht.

    Zayed: Das ist auch eine Art Rebellion oder?

    Hall: Genau. Es war unglaublich. Diese ganze Geschichte um den 11. September wurde von den Medien so aufgebauscht. Und wird es immer noch! Tausende von Verschwörungstheorien etc. Einerseits ist diese Geschichte für mich faszinierend. Aber andererseits ist uns, glaube ich, gar nicht klar, wie viele Menschenleben immer noch von diesem Ereignis beeinflusst sind.
    Zayed: Bringen Sie zur Tour ein neues Album raus?

    Hall: Nein. Wir spielen unsere ersten zwei Alben durch. Es ist unsere Abschiedstour. Es ist einfach Zeit Danke und Auf Wiedersehen zu sagen.

    Zayed: Warum?

    Hall: Weil wir andere Dinge tun wollen. Ich will ganz bestimmt was anderes machen. Eine Band erfordert unglaublich viel Zeit. Und ich möchte meine Zeit anderen Dingen widmen.

    Zayed: Was zum Beispiel möchten sie gern machen?

    Hall: Auf keinen Fall wieder in einer Band sein.

    Zayed: Irgendein besonderes Hobby, dem sie frönen wollen? Kunst?

    Hall: Ich male gern. Aber am meisten freue ich mich darauf, Zeit mit meiner Familie zu verbringen. Und wenn man auf Tour ist, hat man eben keine Zeit für seine Familie. Ich trinke seit zehn Jahren keinen Alkohol mehr. Und ich hab auch nie harte Drogen genommen. Aber dieses Reisen ist einfach unglaublich ermüdend. Ich bin der Jüngste in der Band, und ich bin schon 52. Wir sind einfach alt und müde. Aber wir wollen es noch einmal richtig krachen lassen, und dann sehen wir was danach passiert.

    Zayed: Es gibt im Moment ganz viele britische Musiker, die ihre Liebe zur Malerei entdecken. Sie und Paul Simonon sind nur zwei Beispiele. Ist das gerade so etwas wie ein Trend?

    Hall: Ich weiß nicht, wie es bei anderen ist, aber für mich war es das einzige Mittel mit Leuten zu kommunizieren, als ich krank war. Ich litt an Depressionen. Ich konnte nicht anders kommunizieren, und durch das Malen konnte ich meine Gefühle ausdrücken. Es ist die einfachste Art das zu tun, und seitdem mach ich es halt gern.

    Zayed: Ich war mir nicht sicher, ob ich mit Ihnen darüber sprechen sollte, vor allem, weil ich nicht wusste, wie man über Ausweglosigkeit und Hoffnungslosigkeit sprechen kann, die vollkommen im Gegensatz zu Ihrer Musik steht?

    Hall: Genau das ist es ja. Diese Hoffnungslosigkeit macht einen fertig. Man glaubt an nichts mehr. Und ich kann von Glück sagen, dass ich eine Familie habe, die das ertragen und mir geholfen hat. Ich schaffe es heute auch nur, weil ich eben sehr starke Medikamente nehme. Endlich! Nach sechs Jahren kann ich sagen, dass es funktioniert, wie es sollte. Die Medikamente helfen mir einfach zu funktionieren. Auch wenn ich morgens aufstehe, und gar nichts mache, funktioniere ich trotzdem ohne etwas zu tun. Ich hab die Wahl etwas zu tun, oder nicht. Früher hatte ich keine Wahl. Es gab nur Schwärze und Hoffnungslosigkeit.

    Zayed: Ich stelle mir genau das am schlimmsten vor. Diese Dunkelheit.

    Hall: Es ist so schwer, dieses Gefühl zu erklären, weil man selbst am allerwenigsten versteht, was passiert. Ich hab mich damals manchmal vier Wochen isoliert, und es nicht mal gemerkt. Ich hab nicht mal gewusst, was ich während der Zeit gemacht habe. Jetzt gibt es immer mal Höhen und Tiefen, aber die Medikamente halten alles zusammen. Ich merke, wie die Chemie meines Körpers darauf reagiert. Heute würde eine Tiefphase vielleicht ein, zwei Tage dauern, und nicht gleich einen ganzen Monat. Ich hab gelernt ganz einfache Dinge im Leben zu schätzen. Dinge, die mir sehr wichtig geworden sind. Wie zum Beispiel Familie und Freunde und gutes Essen. Ganz einfach Dinge, die einem wenn's einem schlecht geht, vollkommen egal sind.

    Zayed: Wenn es so etwas gäbe, wie die Liga außergewöhnlichen Ladies und Gentlemen der Popkultur, könnte man die Specials dazuzählen, weil sie mit ihrer Musik den damaligen Zeitgeist vertont haben. Woher wussten Sie damals, wie das geht?

    Hall: Ich wusste es eben nicht, und genau deshalb hat's funktioniert. Diese Band mit 18 zu gründen war nichts, was ich mir ausgesucht habe. Es hat mich ausgesucht. Wir sind alle in einem sozialen Umfeld aufgewachsen, in dem wir uns vor allem nach Akzeptanz gesehnt haben. Also wollten wir etwas schaffen, womit wir das zum Ausdruck bringen konnten. Ich hasse dieses ganze Schwarz-Weiß-Klischee. Aber damals war allein die Tatsache, zwei Schwarze und einen Weißen auf einer Bühne zu sehen, für viele Leute irritierend. Und das hatte nichts mit Political Correctness zu tun. Das war unsere Lebenseinstellung. Wir wollten einfach sagen: Entweder ihr seid für oder gegen uns! Akzeptiert uns einfach so wie wir sind, oder lasst es!

    Zayed: Denken Sie, dass sich London geändert hat, sei es zum Guten oder zum Schlechten? Denn London war ja in den Texten immer Ihre Inspiration.

    Hall: Ich weiß nicht recht. Es gibt einige Dinge, die sich überall ändern. Aber eigentlich hab ich nicht das Gefühl, dass sich viel geändert hat. Ich weiß, dass viele behaupten, London sei ein internationaler Schmelztiegel, aber das ist Blödsinn, weil alle doch nur in Gettos leben. Das fängt in den Schulen schon an. Ein wirklicher Dialog kann nämlich nur in den Schulen stattfinden, wenn tatsächlich alle Nationalitäten etwas zusammen unternehmen. Aber andererseits glaube ich, dass London immer noch toleranter ist als andere europäische Städte. In Paris ist es mir ganz besonders aufgefallen, wie sehr die Ausländer dort vollkommen abgespaltet werden. Ebenso schlimm ist es in Amerika. Aber mir ist erst klar geworden, wie tolerant wir wirklich sind, seit ich in anderen Ländern war, und gesehen hab, dass es tatsächlich noch schlimmer geht.

    Zayed: Vielen Dank für das Gespräch.

    Hall: Ich habe zu danken.