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Wissen wollen, was drin ist

Ob Trauben, Paprika oder Tomaten: Immer wieder landet Obst und Gemüse auf unserem Tisch, das mit Pestiziden belastet ist. Welche Pflanzenschutzmittel in Zukunft überhaupt noch zugelassen und wie sie verwendet werden dürfen, dazu werden gerade neue EU-Vorschriften erarbeitet. Doch die Pläne, die in Brüssel diskutiert werden, sorgen für ziemlichen Streit. Vom Zaun gebrochen hat ihn der Umweltausschuss des EU-Parlaments mit der Europaabgeordneten der Grünen, Hiltrud Breyer.

Von Mirjam Stöckel |
    Ein kleiner Supermarkt am EU-Parlament in Brüssel. Hier kauft die Abgeordnete Hiltrud Breyer immer wieder mal ein. Und hier haben Umweltschützer vor kurzem Aprikosen, Trauben und Orangen mit zu hohen Pestizidrückständen gefunden. In Erdbeeren haben sie sogar ein Mittel entdeckt, das überhaupt nicht erlaubt ist in Europa. Hiltrud Breyer steht am Obststand. In ihrer Hand: ein Apfel. Und im Bauch: ein mulmiges Gefühl:

    "Ich bin mir unsicher, was in diesem Apfel ist, wie er behandelt worden ist. Und genau dieses Gefühl, denke ich, haben viele Verbraucherinnen und Verbraucher auch. Wir verlassen uns zwar drauf, dass der Apfel in Ordnung ist. Letztendlich haben wir überhaupt keine Informationen, aus welchem Land er kommt, mit welchen Pestiziden er behandelt ist. Und das würde ich gerne ändern."

    Deshalb will Hiltrud Breyer ihren Einfluss auf die neue EU-Gesetzgebung nutzen: Sie ist Berichterstatterin für die Neuregelung der Pestizidzulassung. Und das heißt: Sie bereitet die Abstimmungsvorlage für ihre Parlamentskollegen vor. Und in dem Papier fordert sie, dass Bauern für jedes landwirtschaftliche Erzeugnis in Zukunft einen Pestizidpass ausstellen müssen - für den Groß- und Einzelhandel. Als vertrauensbildende Maßnahme sozusagen:

    "Konkret würde das bedeuten, dass aufgelistet wird, mit welchen Pestiziden dieser Apfel behandelt worden ist. Findet dann der Groß- und Einzelhandel darüber hinaus Pestizide, dann weiß er: Das ist kein vertrauenswürdiger Lieferant. Und er kann sich an jemand anderes wenden. "

    Ein Schritt zu mehr Durchblick und mehr Sicherheit für die Kunden, argumentiert Breyer. Der Umweltausschuss im EU-Parlament hat ihr schon zugestimmt. Weniger begeistert dagegen: der Dachverband der europäischen Bauern und ihrer Genossenschaften. Roxane Feller ist dessen Pestizid-Fachfrau:

    "Das ist zwar eine originelle Idee, aber sie ist schwer zu verwirklichen. Stellen Sie sich vor: Ein Bauer verwendet ein bestimmtes Pestizid und muss jetzt an jedem einzelnen Korn, das er verkauft, kenntlich machen, welche Pestizide er benutzt hat. Wir wissen doch genau, dass sich die Körner in den Silos vermischen. Ich würde also wirklich gerne wissen, wie man dieses Prinzip in die Tat umsetzen soll. "

    Nicht nur die Abnehmer, auch die Nachbarn müssen über Pestizideinsätze Bescheid wissen, fordern Hiltrud Breyer und der Umweltausschuss. Jeder Bauer soll seine Nachbarn im Voraus über geplante Pestizideinsätze auf seinen Feldern oder Weinbergen informieren. Unnötige Panikmache, findet Roxane Feller - denn europäische Pflanzenschutzmittel seien getestet und für sicher befunden:

    "Wir müssen doch realistisch bleiben: Ein Landwirt lebt nicht in der Stadt. Die Leute kennen sich doch. Warum braucht man denn amtliche Vorschriften für etwas, das sich ganz von alleine regelt durch gute Nachbarschaft und vielleicht die Behörden vor Ort?
    Das geht doch ganz einfach durch Dialog - und nicht immer durch Riesengesetze. Und der Landwirt wäre dann auch viel offener und dazu bereit, zu informieren und seinen Nachbarn ihre Bedenken zu nehmen. "

    Hiltrud Breyer überzeugt dieser Einwand nicht. Per E-Mail oder auf Infotafeln zum Beispiel könnte der Landwirt seinen Pestizideinsatz ankündigen:

    "Wir haben derzeit in Deutschland einen Bioboom. Das zeigt ja auch eine Vertrauenskrise gegenüber traditionellem Landbau. Und dieses "Sich-dagegen-wehren", dass es zu mehr Transparenz kommt, zu mehr Informationspflicht, das schafft doch noch mehr Misstrauen bei der Bevölkerung."

    Ende Oktober entscheiden die EU-Abgeordneten endgültig über Breyers Vorschläge. Unterstützung kommt bislang von den Sozialdemokraten, Widerstand aber von vielen Konservativen. Es könnte also knapp werden. Und dann sind da ja auch noch die EU-Minister. Erst wenn auch die abgestimmt haben - erst dann steht fest, ob die Informationspflicht vor Sprühaktionen und der Pestizidpass für Obst und Gemüse in Europa tatsächlich kommen.