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Chinas Publikations-Basar

Wer als Wissenschaftler Karriere machen will, muss Publikationen vorweisen können. In China gibt es dafür einen regen Markt. Michael Gessat über neue Erkenntnisse über die Redlichkeit der Wissenschaft im Reich der Mitte.

Michael Gessat im Gespräch mit Ralf Krauter | 29.11.2013
    Ralf Krauter: Überschrieben ist der Artikel mit „China’s Publication Bazaar“ - die Autorin Mara Hvistendahl, die als Korrespondentin und Redakteurin in Schanghai arbeitet, ist, unterstützt von einem Mitarbeiterteam, fünf Monate lang verdeckt und investigativ unterwegs gewesen auf Chinas Publikations-Basar; als angebliche Wissenschaftlerin mit der Absicht, die eigene Publikationsliste so etwas aufzuhübschen - gegen Bares.
    Nun ist die Anzahl der wissenschaftlichen Veröffentlichungen in China ja in den letzten Jahren stetig und mit einer erstaunlichen Rate angestiegen - geht es also dabei nicht immer mit rechten Dingen zu?
    Michael Gessat: Das ist jedenfalls der Eindruck, der sich nach den Recherchen der Autorin hier recht zwingend ergibt und sozusagen die Kernaussage des Science-Artikels - zum einen stößt man beim Surfen in chinesischen Blogs oder sozialen Netzwerken recht schnell auf Anzeigen, die Hilfestellung beim Publizieren offerieren, oder man wird mit einer Suchmaschinenanfrage nach „SCI Paper editing“ schnell fündig - SCI steht für den „Science Citation Index“ der Agentur Thomson Reuters - das ist eine Zitationsdatenbank auf Basis von renommierten Fachblättern und sozusagen die Währungstabelle des „Impact Factors“.
    Krauter: Was gibt es denn alles zu kaufen auf dem angeblichen „Publikationsbasar“?
    Gessat: Eigentlich alles, was das Herz begehrt - angefangen von kompletten wissenschaftlichen Publikationen, die man dann unter eigenem Namen einreichen kann - eine relativ gebräuchliche Methode soll dabei sein, Papiere, die bislang nur in chinesischer Sprache und in chinesischen Magazinen veröffentlich waren, in englischer Sprache bei einem ahnungslosen anderen Blatt einzureichen - Textrecycling also. Das könnte unter ungünstigen Umständen auffliegen - richtig elegant ist dagegen, sich eine Haupt- oder Ko-Autorenschaft zu erkaufen - und zwar von einem Text, den ein renommiertes Blatt schon so gut wie angenommen hat - das ist dann auch schon mal etwas teurer, die recherchierte Preisspanne reichte von 1600 bis 26300 US-Dollar.
    Krauter: Wie geht das denn mit dem Autorenschaft-Kaufen bei schon akzeptierten Publikationen?
    Gessat: Das geht, weil bei einer schließlich publizierten Arbeit, bei der Endfassung durchaus noch andere oder neue Autorennamen auftauchen können im Vergleich zu der anfangs eingereichten Version - dazwischen findet schließlich der Peer-Review-Prozess statt, bei dem die Gutachter durchaus auch einmal Fragen an die Wissenschaftler stellen können, die dann möglicherweise ein neu hinzugezogener Kollege des publizierenden Teams beantwortet, wo man Ergänzungen nachreicht - es gibt also theoretisch plausible Erklärungen für das Auftauchen von neuen Autoren, aber logischerweise auch ein naheliegendes Missbrauchspotenzial. Apropos "theoretisch plausible Erklärungen" - praktisch alle der von der Science-Autorin untersuchten 27 Anbieter segelten unter der Flagge von Publikations-Dienstleistern, die also etwa Hilfestellung beim Übersetzen ins Englische, beim Gegenlesen und Formatieren des Papers und bei der Erfüllung von Einreich-Formalitäten offerieren - also mit einer "Aura der Legitimität". Solche Angebote finden sich aber wohlgemerkt auch bei Google von europäischen Anbietern, nicht nur in der chinesischen Suchmaschine Baidu.
    Krauter: Stellt sich natürlich die Frage, ob das Ganze eigentlich ein spezifisch chinesisches Problem ist…
    Gessat: Die stellt sich, und im Artikel, an dessen Recherche ja sehr viele chinesische Insider mitgewirkt haben, auch viele chinesische Magazinherausgeber befragt wurden, wird betont, dass der Publikationsdruck und auch die Orientierung am Impact Factor, an der puren Bewertungszahl in China extrem hoch sei, die Mogel-Methoden seien ein offenes Geheimnis - aber ohne den Nachweis von soundso viel veröffentlichen Papieren bekäme man schlichtweg keine Stelle. Bei der starken Orientierung am Impact Factor, an der puren Bewertungszahl mag vielleicht noch eine gewisse kulturelle Tradition des ritualisierten Prüfungssystems für Beamte in der chinesischen Geschichte hineinschwingen - aber so ganz anders sieht der Druck und der sehr direkte Zusammenhang von hochkarätigen Publikationen und gut dotierten Forschungsposten auch hier im Westen nicht aus - vor ein paar Wochen gab es dazu ja eine Veröffentlichung in "Nature", in der vom "goldenen Club" der Science und Nature-Autoren die Rede ist - insofern würde ich also auch für hiesige Publikationen gelegentliche Inhalts- oder Autor-Patenschaften nicht ausschließen wollen, auch hier gibt es viel zu gewinnen und fast nichts zu verlieren - außer halt die Redlichkeit der Wissenschaft.

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