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Wo der Pfeffer wächst

Nicht ohne Grund werden die Berge des südindischen Kerala auch Cardamom-Berge genannt. Die hellgrüne Pflanze mit den schönen Kapseln wuchert überall am Wegesrand, und die Inder sind stolz auf ihren König der Gewürze. Die südindische Gegend hat einen riesigen Gewürzgarten zu bieten: Der Pfeffer wächst hier schon immer.

Von Julia Nether |
    Im dichten Grün, zwischen Palmen und Farnen zirpen die Grillen. Wir sind unterwegs in den Hügeln von Munnar, im Hinterland von Kerala. Die Gegend ist ein riesiger Gewürzgarten: Vanille, Ingwer, Zimt. Kaffee, Tee, Pfeffer - was hier wächst, betört die Sinne. Tommy, unser Gastgeber, zeigt uns die duftenden Gewürze.

    Das ist Cardamom, sagt Tommy, und zeigt auf den Strauch mit den langen, schmalen Blättern. Cardamom macht den Atem frisch. Deshalb servieren Inder die grünen Kapseln gerne nach den Mahlzeiten. Außerdem schmeckt Cardamom im Speiseeis, im Tee und in Süßwaren. Überall am Wegesrand wuchert die hellgrüne Pflanze. Nicht umsonst werden die Berge auch Cardamomberge genannt. Auf dieses edle Gewürz sind die Inder besonders stolz.

    Cardamom ist der König der Gewürze, sagt Tommy, deshalb achten alle ganz besonders auf die Schönheit der Kapseln. Würde man sie in der Sonne trocknen, würden sie ihre grüne Farbe verlieren. Deshalb werden sie 36 Stunden lang in einem Lagerraum bei heißer Luftzufuhr getrocknet.

    Tommy kennt sich aus mit Gewürzen. Er baut selbst welche an, auf seiner kleinen Plantage. Eine Gärtnerei gehört ihm auch. Seit 15 Jahren wohnt er mit seiner Frau und seinen drei Söhnen ein paar Kilometer außerhalb von Munnar. Seit Neuestem vermietet er Zimmer an Touristen. Frühstück, Mittag- und Abendessen im Kreise der Familie inklusive. Dazu frisch gebrühten Kaffee aus den Bohnen des eigenen Kaffeebaums. Rosegardens heißt Tommys Anwesen. Vor dem Haus blühen Rosen, Nelken und Hibiskus, auf der Plantage hinter dem Haus schlängeln sich zwischen Bananenstauden und Mangobäumen die Pfefferpflanzen in die Höhe.

    Pfeffer ist ein Parasit, erklärt Tommy, und zeigt nach oben. Um gut zu gedeihen, braucht die Pflanze einen Baum mit einem langen Stamm, an dem sie hochklettern kann. Die grünen Pfefferkörner werden in der Sonne getrocknet bis sie schwarz sind. Pfeffer wächst in den Bergen von Kerala schon immer. Gehandelt wurde damit aber erst, als die Araber und später die Portugiesen und Briten das Land besetzten.

    Auch Tommy verkauft seinen Pfeffer, an Händler und an Touristen. Die Säcke in seinem Lager sind bis an den Rand gefüllt. Pfeffer ist schwierig zu ernten, erklärt Tommy, man braucht eine lange Leiter, weil er bis in die Wipfel der höchsten Bäume klettert. Die Leitern sind aus Bambus, und der Bambuspreis steigt, wenn im Januar und Februar die Pfefferernte beginnt.

    Mit einer Motor-Rikscha haben wir uns nach Munnar fahren lassen. Ein Brite hat die kleine Stadt Mitte des 19. Jahrhunderts gegründet. Schnell wurde Munnar eine beliebte Sommerresidenz der britischen Kolonialherren. Während unten im flachen Land das Thermometer gerne auf 40 Grad klettert, ist die Luft hier oben angenehm frisch. In dem Städtchen herrscht geschäftiges Treiben.

    Händler bieten in den kleinen Läden entlang der Hauptstraße Vanilleschoten, Cardamomkapseln oder Pfefferkörner an. Und natürlich Tee, denn Munnar ist ein wichtiges Teeanbaugebiet in Indien. Die Briten haben die Pflanze aus China und Nordindien importiert und hier angepflanzt. Munnar ist quasi auf Plantagen gebettet. Die Sträucher sind feinsäuberlich in Hüfthöhe zurechtgestutzt, von weitem sieht aus als würden lauter flauschige, grüne Kissen auf den Hügeln liegen.

    Die Teepflanze ist eigentlich ein Baum, erklärt Sammy Davis. Um die Ernte zu erleichtern, wurde der Baum zum Busch geschnitten. Sammy ist stellvertretender Manager in einer der vielen Teeplantagen rund um Munnar. 115 Hektar groß ist seine Plantage. 120 Arbeiter arbeiten permanent für ihn, über 100 helfen zweitweise aus. Das macht also bis zu 250 Arbeiter pro Tag.

    Zur Ernte schneiden die Teepflücker jene Blätter, die aus den akkurat geschnittenen Sträuchern oben herausspitzen, ab. An der Schere ist ein Sack befestigt, in den die Teeblätter automatisch hineinfallen. 100 Kilogramm kann ein Pflücker pro Tag schaffen.

    Die Arbeiter wohnen mit ihren Familien in einfachen Häusern, am Rand der Plantage, die Kinder spielen Cricket, den Nationalsport der Inder. In kleinen Tempeln brennen Räucherstäbchen. Die Berggipfel sind wie fast jeden Tag wolkenverhangen, plötzlich zieht ein Gewitter auf. Wenn es in Indien regnet, dann heftig und stundenlang. Wir haben Zeit und warten in der Teestube, bis der Regen aufhört.

    Am nächsten Tag nehmen wir den Bus hinunter ins flache Land. Unser Ziel: die Backwaters – ein Netz von Kanälen, Flüssen und Seen, das gleich hinter der Küste beginnt und sich ins Landesinnere zieht. Früher wurden der Tee und die Gewürze, die rund um Munnar angebaut werden, mit Booten auf den Backwaters bis in die Großstadt Cochi transportiert. Doch mittlerweile ist der Transport auf der Straße lukrativer.

    Die Inder haben die alten Kähne umgebaut - zu wunderschönen Hausbooten, in denen sie Touristen durch die Backwaters schippern. Am Hafen von Allepey haben wir die Qual der Wahl. Wir entscheiden uns für ein kleineres Boot, das ohne goldene Kronleuchter und Teppiche auskommt, dafür aber einen frisch gewienerten Parkettboden hat. Captain Rajee begrüßt uns.

    Sein Boot heißt Damodar, das ist auch der Name seines Großvaters. Allein in Allepey gibt es über 500 Hausboote. Rajee hat sein Boot liebevoll umgebaut: Das Dach ist aus Bambus und Korb geflochten, vorne am Bug liegt ein breites Polster für die sonnenhungrigen Gäste, es gibt ein Schlafzimmer mit Moskitonetz gegen die Fliegen und sogar ein kleines Bad mit Toilette. Zwei Passagiere, drei Mann Besatzung: der Koch, der Steuermann und der Captain.

    Gemächlich tuckert das Boot übers Wasser. Auf den schmalen Landstreifen zwischen den Kanälen geht das Leben seinen alltäglichen Gang. Das meiste spielt sich im Wasser ab. Die Frauen waschen die Wäsche und klopfen sie aus, nach dem Essen spülen sie das Geschirr, die Männer schrubben sich mit Seife ab, die Kinder schwimmen und spielen im Wasser.

    Viel Platz haben die Menschen nicht zwischen all dem Wasser. Ein Haus reiht sich an das andere, dazwischen ein paar Zentimeter Wiese, auf der Kühe grasen und Enten schnattern. Die Häuser sind zwar einfach, aber sie haben Strom und oft auch Telefon, selbst auf den allerschmalsten Landstreifen ragen die Masten zwischen den Kokospalmen empor. 200.000 Menschen leben in den Backwaters. Wer kein Hausboot besitzt, arbeitet meist auf einem der vielen Reisfelder.

    Das alles sind Reisfarmen, sagt Rajee, wenn die Männer dort keine Arbeit finden, dann gehen sie fischen, aber es gibt kaum noch Fische im Wasser. Als er klein war, konnte er viele Fische im Wasser sehen, aber wenn er jetzt seine Augen öffnet, sieht er nichts mehr.

    Sieben Männer stehen in einem schmalen Kahn und ziehen ein großes Netz empor, ein paar winzige Fische sind hängen geblieben, kein großer Fang. Die Backwaters sind verschmutzt, durch die Chemikalien auf den Reisfeldern und durch den Tourismus mit den Hausbooten. Deshalb gibt es keine Fische mehr, sagt Rajee. Für eine Stunde Arbeit bekommen die sieben Männer 50 Rupien, das ist ein Euro. Fischen lohnt sich nicht mehr, nur noch für das tägliche Brot.

    Rajee weiß, dass auch er mit seinem Hausboot zur Wasserverschmutzung beiträgt. Doch was soll er machen, schließlich verdient er so wenigstens etwas Geld. Nach sechs Stunden Fahrt, vorbei an Häusern, Tempeln und Reisfeldern, legen wir an, unter Kokospalmen. Die Sonne wandert langsam gen Horizont. In der Bordküche bereitet der Koch unser Abendessen zu. Es duftet nach Curry und Kokosmilch.

    Rajee serviert uns typisches Essen aus Kerala: Reis, Kohl, Bohnen, Ocraschoten - und Fisch aus den Backwaters, lecker und frisch. Ganz ausgestorben ist der Fisch also doch noch nicht. Und über die Wasserverschmutzung machen wir uns jetzt lieber auch keine Gedanken. Gut schmeckt der Fisch auf jeden Fall. Nach dem Essen legen wir uns auf die große Matratze ganz vorne am Boot und blicken in den Sternenhimmel, bevor wir uns in die Kajüte verziehen.

    Am nächsten Tag wachen wir um sieben Uhr morgens auf und gehen an Deck. In den Backwaters hat der Tag schon längst begonnen. Die Frauen sind schon wieder mit ihrer täglichen Hausarbeit beschäftigt: Wäschewaschen. Die Männer fahren mit ihren Booten zum Fischen oder warten auf die öffentliche Fähre, die sie zu einem der Reisfelder bringt.

    Captain Rajee bringt uns zurück in den Hafen. Sein Boot, die Damodar, ist für diesen Tag noch nicht gebucht. Das Hausbootbusiness ist hart, sagt er. Zu viele Anbieter, zu viel Konkurrenz. Doch er ist froh, dass er seinen ehemaligen Lastkahn zum Hausboot umgebaut hat und jeden Tag durch die einmalige Landschaft der Backwaters fahren kann. Er mag die Schönheit der Landschaft, sagt er. Die Backwaters könnte er niemals verlassen.