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Wo ist der Frieden? Wo ist die Demokratie? Der palästinensische Witz:Kritik, Selbstkritik und Überlebenshilfe

In Palästina gibt es ein Sprichwort, das sagt: "Der Geruch eines Ehemannes ist besser als gar kein Ehemann." Es beschreibt treffend die patriarchale Tradition, nach der eine Frau unverheiratet nichts wert ist. Deutsche Feministinnen haben diese Sichtweise karikiert mit der Feststellung: "Eine Frau ohne Mann ist wie ein Fisch ohne Fahrrad." Das soll nun aber keineswegs andeuten, dass die Palästinenser keinen Humor hätten und ihre eigenen Traditionen und gesellschaftlichen Zustände nicht ebenso spitzzüngig aufspießen können. Bestes Beispiel ist die folgende Sottise über das Warten auf einen eigenen palästinensischen Staat: Statt "Der Geruch eines Ehemannes ist besser als gar kein Ehemann," heißt es nun: "Der Geruch eines Staates ist besser als gar kein Staat."

Beate Hinrichs |
    Nachzulesen sind palästinensische Witze und Anekdoten wie diese in dem unterhaltsamen Bändchen "Wo ist der Frieden? Wo ist die Demokratie?" Das Umschlagphoto zeigt eine mit der Keffiya, dem schwarz-weißen Palästinensertuch, vermummte Person, die durch ein Fernglas schaut - vermutlich auf der vergeblichen Suche nach Frieden und Demokratie.

    Eines wird damit schon auf dem Cover deutlich: Auch in gewalttätigen Krisensituationen, wie derzeit im Nahen Osten, blüht der Humor. Die Witze werden nur deftiger und zynischer - Galgenhumor eben. Die Autoren Sharif Kanaana und Pierre Heumann bringen es auf die schlichte Formel: "Schlechte Zeiten bringen gute Witze hervor". Das gilt um so mehr, als Witze überall dort ein willkommenes Ventil sind, wo Presse- und Meinungsfreiheit unterdrückt werden.

    Sharif Kanaana ist Professor für Ethnologie an der Universität Bir Zeit in der Westbank und hat seit Mitte der achtziger Jahre palästinensische Witze und Anekdoten gesammelt. Gemeinsam mit seinem Co-Autor Pierre Heumann, dem Nahostkorrespondenten der Schweizer Weltwoche, hat er aus seinem Fundus von mehreren Tausend Geschichten rund 200 ausgewählt und in den politischen Zusammenhang gestellt, in dem sie entstanden sind.

    So schreiben die Autoren ganz nebenbei die Chronologie der vergangenen fünfzehn Jahre im Nahen Osten - aus der Sicht der Palästinenser. Und die ziehen wirklich alles durch den Kakao, respektive durch den arabischen Mokka: Die israelische Besatzung natürlich und die Nahostverhandlungen, vor allem aber ihre eigene politische Führung und ihren Rumpfstaat, der einem mottenzerfressenen Flickenteppich gleicht. Das pointiert der folgende Witz:

    In Jericho wird eine moderne Autofabrik gebaut. Die Fahrzeuge mit dem Label 'Made in Palestine' weisen jedoch eine Besonderheit auf. Sie haben lediglich zwei Gänge. 'Warum?' wundert sich ein europäischer Manager, der beim Aufbau der Fabrik hilft. [Antworten die Palästinenser:] 'Mehr brauchen wir nicht. Im zweiten Gang sind wir bereits außerhalb des Landes.'

    Bei weitem das beliebteste Ziel des Spottes ist Yassir Arafat. Nach einer Umfrage vom Januar 2001 vertraut nur noch ein Viertel der Palästinenser ihrem Präsidenten. Das spiegelt sich in der rhetorischen Frage: "Wieviel versteht Arafat von Politik? So viel wie er Englisch kann." Die Palästinenser bringen aber allen Beteiligten im nahöstlichen Verhandlungsprozeß großes Mißtrauen entgegen. Nach den gescheiterten Camp David-Verhandlungen zwischen Yassir Arafat, Ehud Barak und Bill Clinton im Herbst 2000 kulminiert das in der Anekdote:

    An einem Zeitungsstand, wo normalerweise die populären Zeitungen 'Al Quds' (Jerusalem) und 'El Shaa'b' (Das Volk) zu kaufen sind, [fragt ein Kunde]: 'Haben Sie 'Jerusalem?'' - 'Nein, 'Jerusalem' ist bereits ausverkauft. Wir verkaufen nur noch 'Das Volk.'

    Die Witze als Selbstkritik und Krisenbewältigung machen auch vor Selbstmordattentätern nicht halt. Und als die Ostfriesen Palästinas gelten die Bewohner von Hebron. Erzählt wird etwa von dem Mann aus Hebron, der in einem israelischen Restaurant einen Selbstmordanschlag verüben will. Er wartet, bis das Lokal randvoll mit Gästen ist - dann zieht er ein Messer und bringt sich um.

    Bemerkenswert ist, dass es kaum rassistische Witze über Israelis gibt. Veralbert werden hauptsächlich die, mit denen Palästinenser täglich konfrontiert sind: Die als tolpatschig geltenden israelischen Soldaten. Beispiel: "Die Israelis bezeugen, nur in die Luft zu schießen. Weshalb treffen sie uns trotzdem? Weil wir Palästinenser fliegen." Solche Witze belegen in den Augen der Autoren, dass der Nahostkonflikt nicht primär ethnisch begründet ist, sondern im gemeinsamen Anspruch auf das selbe Land wurzelt.

    Das mit Glossar und Zeittafel versehene Bändchen ist also auf leichte und anregende Art auch lehrreich. Für die Autoren ist das ein Stück Völkerverständigung. Denn manche Witze wirken nur dann komisch, wenn die Leser sich in die Situation der Palästinenser hineinversetzen. "Das hingegen" - so die Autoren - "ist just die Absicht des Buches."