Als die Sozialhilfe in den 60er Jahren aus der Taufe gehoben wurde, da war sie als letztes soziales Netz für wenige Menschen in Not gedacht. Inzwischen gibt es dauerhaft fast 2,7 Millionen Sozialhilfe-Empfänger. Laut Armutsstudie von Caritas und Diakonischem Werk leben rund zehn Prozent der Bevölkerung in Armut. Weitere 20 Prozent der Bevölkerung existieren demnach nur knapp über der Sozialhilfeschwelle. Das sind Menschen, die im sogenannten prekären Wohlstand leben. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands:
Es sind vor allen Dingen geringfügig verdienende Menschen mit sehr vielen Kindern. Das heißt, wo durchaus ein normaler Verdienst da ist in Anführungsstrichen, auf Grund der großen Kinderzahl insbesondere aber auch der damit verbundenen hohen Mietzahlungen, das Geld dann doch relativ knapp wird, um über den Monat zu kommen. Das sind die Hauptpersonenkreise bei denen man von prekärem Wohlstand in aller Regel spricht.
Laut Armutsforscher ist das charakteristische Bild der Armut in Deutschland vom Wandel geprägt: Wer heute noch in sicheren sozialen Verhältnissen lebt, kann morgen schon durch Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Scheidung von Armut bedroht sein, sagt Walter Hanesch von der Fachhochschule Darmstadt, einer der bekanntesten deutschen Armutsforscher:
Viele Menschen in unserer Gesellschaft sehen für sich keine Notwendigkeit sich mit dem Thema Armut zu beschäftigen, weil sie davon ausgehen in gesicherten Verhältnissen zu leben. Diese Vorstellung ist aber nicht zu vereinbaren mit dem beschleunigten sozialen Wandel, mit dem wir heute konfrontiert sind. Insofern gehen wir gerade auch in den kommenden Jahren auf eine Entwicklung zu, in der das Risiko zumindest zeitweilig mit Armut konfrontiert zu werden sich in der Gesellschaft sehr viel breiter streut, als wir das bisher gewohnt waren. Insofern betrifft dieses Thema sehr viel mehr Menschen als das auf den ersten Blick zur Kenntnis nehmen wollen.
Zum Beispiel Akademiker: Wie sich die Geld-Sorgen klammheimlich in das Leben und den Alltag einschleichen können, das zeigt das Beispiel eines Akademiker-Paares aus Köln. Nach dem Studium haben die beiden zwei Kinder bekommen und sich fortan mit Jobs mehr oder minder über Wasser gehalten – immer am Rande des Existenzminimums:
Das war ganz extrem, das hat extrem den Alltag bestimmt. Also ich war sehr stark auf die Unterstützung meiner Eltern angewiesen. Also ich hätte sonst gar nichts zu essen einkaufen können. Ich hatte nicht mal ein paar Socken, die zusammenpassen. Ich hatte nur Kleidung, die ich geerbt hatte und wenn dann dummer Weise schon wieder die Kinderfüße wuchsen, dann musste ich wirklich rumfragen im Kinderladen, ob noch jemand was übrig hätte. Oder überhaupt das Problem der Kleidung, wo gab es wieder was zu erben für die Kinder? Ja das war schon ziemlich speziell.
Ohne die kleinen finanziellen Spritzen ihrer Eltern wäre die Kölnerin mit dem Geld nicht immer ausgekommen. Sozialhilfe hat sie allerdings nie beantragt:
Das hätten wir sicherlich in Anspruch nehmen können, weil wir wirklich sehr wenig Geld hatten. Das haben wir nicht gemacht und hätte ich jetzt auch nicht vertretbar gefunden mit zwei Eltern, die beide studiert haben. Also wenn es so weit gekommen wäre, das hätte ich nicht guten Gewissens machen können.
Heute lebt die Künstlerin getrennt von ihrem Mann. Sie versucht nun alleine, Kinder, Haushalt und Malerei miteinander zu verbinden. Eine erhebliche Kraftanstrengung. Obwohl sie ihre beiden Kinder keinesfalls missen möchte, kamen - wie in so vielen Haushalten - mit den Kindern auch die Geldsorgen in ihr Leben – und die werden ihr wohl auch erhalten bleiben:
Jetzt führen wir immer noch ein Dasein, das schon vom finanziellen her ziemlich begrenzt ist und für mich ist natürlich ein ganz großes Problem die Altersabsicherung. Also für das Aufziehen der Kinder und für das relativ wenige Geld, das ich verdient habe bisher in meinem Leben, gibt es natürlich nicht viel Rente. Da muss ich eben sehen, wie ich das dann jetzt - sozusagen in der zweiten Hälfte meines Lebens - dann hinkriege für mein Alter dann vorzusorgen.
Alleinerziehende, Ausländer und alte Menschen haben ein erhöhtes Armutsrisiko. Von den fast 2,7 Millionen Sozialhilfeempfängern sind rund ein Fünftel Ausländer, etwa eine Million Kinder beziehen Sozialhilfe. Zahlen, die den Reformbedarf in der Sozialhilfe belegen, meint der Präsident vom Deutschen Städte und Gemeindebund in Berlin, Gerd Landsberg:
Wir haben im Moment Sozialhilfekosten von 23,9 Milliarden Euro für die Städte und Gemeinden´. Und da zeigt sich, dass der Anstieg dramatisch war. Das ist in den letzten 10 Jahren um insgesamt 30 Prozent gestiegen. Die Tendenz ist zu befürchten, wird weiter steigen, da ja auch die Arbeitslosigkeit nicht zurückgeht.
Die Kommunen stöhnen unter der Last der steigenden Sozialhilfekosten.
Man kann sicherlich sagen, dass die Sozialhilfe sich zum Mühlstein am Hals der Kommunen entwickelt hat. Wenn sie das vergleichen mit den Gewerbesteuereinnahmen, die ja auch dramatisch weggebrochen sind, sind teilweise die Sozialhilfekosten höher in ihrer Gesamtheit als die Einnahmen aus der Gewerbesteuer.
Die Folge: Viele Städte und Kommunen sind Pleite. Darüber gibt es allerdings keine Statistiken. Noch einmal Gerd Landsberg:
Man kann aber sagen, dass es faktisch keine Städte mehr gibt, die ohne Kredite ihre Haushalte ausgleichen können. In Nordrhein-Westfalen haben wir Zahlen inzwischen von über 75 Prozent. Das heißt, wir sind in der Situation, dass Kommunen nicht nur Sozialhilfekosten sondern insbesondere jetzt auch schon Personalkosten über so genannte Kassenkredite teilweise finanzieren müssen. An sich ist die Funktion eines Kassenkredits nur eine vorübergehende Kredit-Aufnahme für ein vorübergehenden Engpass. Das sind längst Dauerkredite geworden.
Viele Politiker und Experten halten eine Reform der Sozialhilfe für dringend notwendig. So schreibt zum Beispiel der Forschungsdirektor für Sozialpolitik am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, Gert Wagner:
In ihrer aktuellen Form ist die Sozialhilfe nicht mehr tragbar, weil sie das Anspruchsdenken fördert.
Das belegt auch ein Rechenbeispiel aus dem kürzlich bekannt gewordenen Reformpapier des Bundeskanzleramtes. Danach bekommt eine Familie mit drei Kindern rund 1850 Euro Sozialhilfe, wenn die Eltern nicht arbeiten. Würde der Vater zum Beispiel als Hilfsarbeiter den typischen Niedriglohn von 1300 Euro bekommen, läge das Nettoeinkommen der Familie mit Kindergeld und Wohngeld bei 1750 Euro. Die Familie hätte also 100 Euro weniger in der Tasche, wenn der Vater arbeiten würde. Lohnen würde sich die Arbeit des Vaters für die Familie erst ab einem Bruttolohn von 1500 Euro. Deshalb heißt es in dem Reformpapier der Bundesregierung:
Es ist wirtschaftlich sinnvoll, dass Arbeitslose für die Aufnahme einer Arbeit finanziell nicht bestraft werden.
Dies sei aber gegenwärtig noch zu häufig der Fall, heißt es in dem Papier weiter. Zu diesem Ergebnis ist auch die Hartz-Kommission gekommen. Sie fordert deshalb, wer erwerbsfähig ist, soll keine Sozialhilfe mehr bekommen, sondern eine neue Form des Arbeitslosengeldes, das so genannte Arbeitslosengeld II. Da sollen künftig jene betroffen sein, die bisher steuerfinanzierte Arbeitslosenhilfe bezogen haben und erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger sind. Gerd Landsberg:
Wir würden uns einer Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe nicht verschließen. Wir erwarten allerdings, dass es dann ein eigenes, vom Bund finanziertes Leistungsgesetz gibt, in dem jedenfalls die erwerbsfähigen Sozialhilfe-Empfänger finanziert werden. Das ist auch gerechtfertigt, denn die Sozialhilfe hat in ihrer Ursprungsfunktion nur die Aufgabe gehabt in Einzelfällen zu helfen. Inzwischen ist es ein Massenphänomen: Wir haben 2,7 Millionen Menschen, die Leistungen aus der Sozialhilfe beziehen. Das ist eine Bundes-Aufgabe und keine kommunale Aufgabe.
Auch Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband würde einer solchen Zusammenlegung zustimmen – vorausgesetzt: sie wird vernünftig umgesetzt:
Vernünftig wäre es dann gestaltet, wenn erstens die Zuständigkeit für diesen Personenkreis bei der Arbeitsverwaltung liegt und nicht bei den Sozialämtern, Deshalb weil diesen Personen nichts fehlt außer Arbeit. Vernünftig wäre es auch dann, wenn hier ein Niveau beschritten würde, das oberhalb der Sozialhilfe liegt. Das heißt, dass dieses Arbeitslosengeld II wie es ja auch häufig genannt wird, sich auch wirklich abhebt von der Sozialhilfe in der Tat, dann könnte man von so etwas sprechen, wie einer Grundsicherung für Arbeitslose und das wäre sicherlich sozialpolitisch ein Schritt nach vorne.
Dennoch: Bei der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe wird es sicherlich auch Versuche geben, die Kosten zu drücken – etwa indem man die Arbeitslosenhilfe kürzt oder die Kosten vom Bund auf die Gemeinden verschiebt:
Und die Arbeitsämter von Personen etwa ein bis zwei Millionen zu entlasten, indem man sie den Kommunen übergibt. Diese Versuche wird es geben. Doch bin ich relativ zuversichtlich, auf Grund der Ankündigungen, die Herr Clement auch dazu gemacht hat, dass dieser Weg nicht beschritten wird, dass man der Versuchung bundesseitig widersteht und tatsächlich diese Zusammenlegung nutzt, um strukturell etwas Neues zu machen, nämlich etwa 600. bis 700.000 Arbeitslose aus der Sozialhilfe herauszuholen und sie dahin zu geben, wo sie hingehören, nämlich in die Arbeitsverwaltung.
Das entspräche dann auch einer jahrelange Forderung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes:
Wir halten diesen Schritt für zwingend notwendig, um Bewegung in die erstarrten Systeme zu bekommen.
Eine Neuerung gibt es bereits seit Beginn diesen Jahres: Das "Gesetz über die bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung." Das erklärte Ziel des Gesetzgebers: Die Grundsicherung soll verdeckter Altersarmut entgegenwirken. Denn viele alte Menschen haben bislang den Weg zum Sozialamt gescheut, weil sie befürchteten, ihre Kinder könnten zum Unterhalt herangezogen werden. Das ist nunmehr nur noch der Fall, wenn die Kinder über 100.000 Euro im Jahr verdienen.
Anspruch auf Grundsicherung hat, wer weniger als 845 Euro Rente im Monat bekommt. Die Grundsicherung liegt um 15 Prozent über dem Regelsatz der Sozialhilfe. Das heißt, anspruchsberechtigte Rentner haben mit der Grundsicherung künftig 43,95 Euro mehr in der Tasche.
Auch wenn die Grundsicherung für den einzelnen Rentner nicht sehr viel mehr Geld bedeutet, ist sie für die Kommunen in jedem Fall mit neuen Kosten verbunden. Allein in der Millionen-Stadt Köln, schätzen die Mitarbeiter des Sozialamtes, werden rund 5.000 bis 7.000 ältere Bürger zusätzlich auf die Stadt zukommen, die bislang keine Sozialhilfe beantragt haben. Gerd Landsberg vom Deutschen Städte- und Gemeindebund ist deshalb gegen diese Grundsicherung:
Wir haben gesagt, wenn wir so etwas tun, muss der Grundsatz gelten: Wer bestellt, bezahlt! Dann mag der Bund dieses auch finanzieren. Der Bund hat nun aber nicht den Kommunen Geld bereitgestellt, sondern den Ländern und zwar eine Summe von etwa 300 Millionen Euro. Dieses Geld ist damit keineswegs automatisch bei den Kommunen. Im Übrigen ist dieses Geld aus unserer Sicht nicht ausreichend. Wir gehen davon aus, dass die Kosten sehr viel höher sind, die Schätzungen belaufen sich auf 1 Milliarde bis 1,5 Milliarden und wir halten das auch politisch für den falschen Ansatz.
Für Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband ist die Alters-Grundsicherung dagegen...
... ein ganz kleines Schrittchen in die richtige Richtung. Altersgrundsicherung heißt ja eben nicht anderes, als dass die Rentenversicherungsträger über diese Sozialhilfeleistung für alte Menschen informieren, dass sie die Anträge entgegen nehmen, sie weiterleiten an die Sozialämter. Bei der ersten Rückfrage ist der alte Mensch aber wieder im Sozialamt, da muss man sich nichts vormachen. Insofern ist es ein kleines Schrittchen in die richtige Richtung, unterstützenswert, aber dringend ausbaubedürftig.
Denn neben der Grundsicherung haben viele alte Menschen auch weiterhin Anspruch auf einmalige Beihilfen nach dem Bundessozialhilfegesetz. Dem Paritätischen Wohlfahrtsverband ist die Alters-Grundsicherung nicht weitreichend genug. Um Armut einzudämmen, fordert der Dachverband eine weitreichende steuerfinanzierte Grundsicherung. Die Idee geht davon aus, dass keiner zum Sozialamt gehen muss, nur weil ihm Arbeit fehlt, er alt ist oder weil er viele Kinder hat:
Auf das Sozialamt gehört nur derjenige und dort muss er auch seine Hilfe erhalten, weil er sich in einer besonderen schwierigen Lebenslage befindet. Im Umkehrschluss: Steuer-finanzierte Grundsicherung heißt, dass in den Systemen, die jetzt da sind, Arbeitslosenversicherung und Rentenversicherung aber auch Kindergeld, jeweils ein bedarfsdeckender Sockel eingezogen wird für all diejenigen die in Armut fallen würden, selbst wenn sie eben Arbeitslosengeld bekommen oder Rentenversicherungsleistungen erhalten. Dann wird steuerfinanziert aufgestockt auf ein Niveau, von dem man menschenwürdig leben kann und das ganze nennt sich steuerfinanzierte Grundsicherung ist im Übrigen eigentlich ein äußerst schlichtes Modell.
Bedenken und Widerstände gegen die steuerfinanzierte Grundsicherung kommen vor allem aus den Institutionen der sozialen Sicherungssysteme selbst. So befürchten die Rentenversicherungsträger zum Beispiel:
Wenn wir erst mal einen steuerfinanzierten Sockel drin haben in der Rentenversicherung, wer garantiert uns, dass dann nicht die eigentliche Rentenleistung immer mehr abgeschmolzen wird bis zu diesem Sockel? Das gleiche sagen die Träger des Arbeitslosengeldes und diese Ängste sind natürlich nicht ganz unberechtigt. Natürlich ist dann, wenn erst mal einen armutsfestes Netz in den Systemen hat, die Versuchung groß, aus haushaltspolitischen Gründen dann runter zu fahren auf dieses Netz. Aber ich denke das die Befürchtungen aller Art im Moment nicht davon abhalten sollten notwendige Schritte einfach zu vollziehen und es ist notwendig, dass wir die Sozialämter von mindestens eins bis 1,5 Millionen entlasten sonst bricht auch dieses System zusammen.
Eine solche steuerfinanzierte Grundsicherung würde ungefähr zwei bis drei Milliarden Euro zusätzlich kosten. Gerd Landsberg vom Deutschen Städte und Gemeindebund hält die Idee angesichts der Haushalts-Löcher deshalb auch nicht für finanzierbar. Er plädiert viel mehr dafür, vor allem gegen die hohe Arbeitslosigkeit und ihre Folgekosten anzugehen, etwa in dem man den Niedriglohnsektor ausbaut. Denn hierzulande sind in diesem Bereich nur etwa 13 Prozent der Beschäftigten tätig. In den USA arbeiten dagegen rund 26 Prozent aller Beschäftigten im Niedriglohnsektor, erklärt Landsberg. Um den Arbeitsmarkt insgesamt wieder flott zu machen, sei es notwenig endlich einige heilige Kühe zu schlachten. Dazu gehört seiner Ansicht nach der Ausbau des Niedriglohnsektors ebenso wie die Arbeitsverwaltung selbst. Die könnte zum Beispiel viel effizienter vermitteln, wenn sie enger mit den kommunalen Sozialämtern zusammenarbeiten würde:
Wir haben zum Beispiel gesagt, es ist richtig, Job-Center auf zu machen. Wir brauchen eine Betreuung aus einer Hand. Wir haben im Moment ein Verhältnis teilweise in den größeren Städten bei den Arbeitsämtern von 1 zu 700. Das heißt, ein Arbeitsamt-Mitarbeiter, der kann natürlich gar nicht vermitteln, das sind viel zu viele. Bei den Sozialhilfeempfängern haben wir ein Verhältnis 1 zu 150. Und so ist es den Kommunen gelungen in der Vergangenheit etwa 400.000 Sozialhilfeempfänger in Beschäftigung zu bringen. Hier müssen wir mutige und neue Ansätze gehen und das muss man auch mal ganz offen sagen, dafür sorgen, dass es auch im Niedriglohnbereich für jemanden interessant ist eben nicht Sozialhilfe zu beziehen, sondern diesen niedrig entlohnten Job zu machen.
Unter dem Stichwort "Hilfe zur Arbeit" bezuschussen viele Kommunen Arbeitgeber, die Sozialhilfeempfänger beschäftigen. Doch diese freiwilligen Fördermaßnahmen können sich etliche Städte und Gemeinden angesichts der leeren Kassen nicht mehr leisten. Und da beißt die Katze sich dann in den Schwanz. Denn ohne solche Maßnahmen steigt die Zahl der Langzeitarbeitslosen wieder an – und damit auch die Kosten für die Sozialhilfe.
Auf der Ausgaben-Seite ist für die Kommunen die Sozialhilfe der entscheidende Faktor. Wenn wir hier spürbar durch ein Bundes-Leistungsgesetz entlastet werden, haben wir Spielräume, zum Beispiel für die notwendigen Investitionen, die dann wieder Arbeitsplätze vor Ort schaffen.
Zudem fordert Gerd Landsberg die Pauschalierung der Sozialhilfe.
Schluss mit diesen ganzen Einzelleistungen, mit der Schultüte, mit den Schuhen, mit der Familienfeier, eine pauschalierte Leistung, über deren Höhe muss man natürlich reden und mit dem Geld muss er auskommen, wie das ja bei jedem normalen Erwerbstätigen auch ist.
In einem Modelprojekt macht die Stadt Kassel seit einem Jahr gute Erfahrungen mit solchen Pauschalen: Der Sozialhilfeempfänger wird selbständiger und das Sozialamt erheblich entlastet. Neben der Pauschalierung lautet eine weitere Forderung der Kommunalen Spitzenverbände:
Heraus mit den Kindern aus der Sozialhilfe!
Kinder, so die Forderung sollten ein eigenes Leistungsgeld bekommen, das höher ist als das Kindergeld. Der Grund:
Das Lohnabstandsgebot wird häufig dadurch verringert, dass Sozialhilfeempfänger viele Kinder haben und sich das Arbeiten dann gar nicht lohnt. In dem Moment, wo ich die Kinder dann da raus habe, lohnt sich das auch im Niedriglohnbereich. Und wir brauchen einen echten Bürokratieabbau und zwar einen, der wirklich gewollt ist. Das wäre ein ganz wichtiger Appell an den Gesetzgeber.
Eine Forderung der sich viele Sozialexperten anschließen. Seit über zehn Jahren werden grundlegende Reformen im Bereich der sozialen Sicherungssysteme gefordert und diskutiert. Geschehen ist bislang wenig. Statt dessen leben immer mehr Familien mit Kindern im sogenannten prekärem Wohlstand, knapp über der Armutsgrenze. Sie bekommen jede Preissteigerung, jede Mieterhöhung und jede Anhebung von Sozialversicherungsbeiträgen sofort massiv zu spüren.
Was von dem jüngsten Reformpapier der Bundesregierung übrig bleibt, wie viel "Hartz" tatsächlich umgesetzt wird und was die Rürup-Kommission empfehlen wird, das steht noch in den Sternen. Für Sozialexperte Ulrich Schneider allerdings ist klar:
Bei der jetzigen Reform muss zentral im Mittelpunkt stehen, dass die tradierten Sicherungssysteme, Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung, armutsfest gemacht werden, steuerfinanziert durch einen vernünftigen Bedarfs- und Einkommensorientierten Sockel und damit die Sozialämter endlich von Personenkreisen entlastet werden, mit denen sie eigentlich gar nichts zu tun haben.
Es sind vor allen Dingen geringfügig verdienende Menschen mit sehr vielen Kindern. Das heißt, wo durchaus ein normaler Verdienst da ist in Anführungsstrichen, auf Grund der großen Kinderzahl insbesondere aber auch der damit verbundenen hohen Mietzahlungen, das Geld dann doch relativ knapp wird, um über den Monat zu kommen. Das sind die Hauptpersonenkreise bei denen man von prekärem Wohlstand in aller Regel spricht.
Laut Armutsforscher ist das charakteristische Bild der Armut in Deutschland vom Wandel geprägt: Wer heute noch in sicheren sozialen Verhältnissen lebt, kann morgen schon durch Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Scheidung von Armut bedroht sein, sagt Walter Hanesch von der Fachhochschule Darmstadt, einer der bekanntesten deutschen Armutsforscher:
Viele Menschen in unserer Gesellschaft sehen für sich keine Notwendigkeit sich mit dem Thema Armut zu beschäftigen, weil sie davon ausgehen in gesicherten Verhältnissen zu leben. Diese Vorstellung ist aber nicht zu vereinbaren mit dem beschleunigten sozialen Wandel, mit dem wir heute konfrontiert sind. Insofern gehen wir gerade auch in den kommenden Jahren auf eine Entwicklung zu, in der das Risiko zumindest zeitweilig mit Armut konfrontiert zu werden sich in der Gesellschaft sehr viel breiter streut, als wir das bisher gewohnt waren. Insofern betrifft dieses Thema sehr viel mehr Menschen als das auf den ersten Blick zur Kenntnis nehmen wollen.
Zum Beispiel Akademiker: Wie sich die Geld-Sorgen klammheimlich in das Leben und den Alltag einschleichen können, das zeigt das Beispiel eines Akademiker-Paares aus Köln. Nach dem Studium haben die beiden zwei Kinder bekommen und sich fortan mit Jobs mehr oder minder über Wasser gehalten – immer am Rande des Existenzminimums:
Das war ganz extrem, das hat extrem den Alltag bestimmt. Also ich war sehr stark auf die Unterstützung meiner Eltern angewiesen. Also ich hätte sonst gar nichts zu essen einkaufen können. Ich hatte nicht mal ein paar Socken, die zusammenpassen. Ich hatte nur Kleidung, die ich geerbt hatte und wenn dann dummer Weise schon wieder die Kinderfüße wuchsen, dann musste ich wirklich rumfragen im Kinderladen, ob noch jemand was übrig hätte. Oder überhaupt das Problem der Kleidung, wo gab es wieder was zu erben für die Kinder? Ja das war schon ziemlich speziell.
Ohne die kleinen finanziellen Spritzen ihrer Eltern wäre die Kölnerin mit dem Geld nicht immer ausgekommen. Sozialhilfe hat sie allerdings nie beantragt:
Das hätten wir sicherlich in Anspruch nehmen können, weil wir wirklich sehr wenig Geld hatten. Das haben wir nicht gemacht und hätte ich jetzt auch nicht vertretbar gefunden mit zwei Eltern, die beide studiert haben. Also wenn es so weit gekommen wäre, das hätte ich nicht guten Gewissens machen können.
Heute lebt die Künstlerin getrennt von ihrem Mann. Sie versucht nun alleine, Kinder, Haushalt und Malerei miteinander zu verbinden. Eine erhebliche Kraftanstrengung. Obwohl sie ihre beiden Kinder keinesfalls missen möchte, kamen - wie in so vielen Haushalten - mit den Kindern auch die Geldsorgen in ihr Leben – und die werden ihr wohl auch erhalten bleiben:
Jetzt führen wir immer noch ein Dasein, das schon vom finanziellen her ziemlich begrenzt ist und für mich ist natürlich ein ganz großes Problem die Altersabsicherung. Also für das Aufziehen der Kinder und für das relativ wenige Geld, das ich verdient habe bisher in meinem Leben, gibt es natürlich nicht viel Rente. Da muss ich eben sehen, wie ich das dann jetzt - sozusagen in der zweiten Hälfte meines Lebens - dann hinkriege für mein Alter dann vorzusorgen.
Alleinerziehende, Ausländer und alte Menschen haben ein erhöhtes Armutsrisiko. Von den fast 2,7 Millionen Sozialhilfeempfängern sind rund ein Fünftel Ausländer, etwa eine Million Kinder beziehen Sozialhilfe. Zahlen, die den Reformbedarf in der Sozialhilfe belegen, meint der Präsident vom Deutschen Städte und Gemeindebund in Berlin, Gerd Landsberg:
Wir haben im Moment Sozialhilfekosten von 23,9 Milliarden Euro für die Städte und Gemeinden´. Und da zeigt sich, dass der Anstieg dramatisch war. Das ist in den letzten 10 Jahren um insgesamt 30 Prozent gestiegen. Die Tendenz ist zu befürchten, wird weiter steigen, da ja auch die Arbeitslosigkeit nicht zurückgeht.
Die Kommunen stöhnen unter der Last der steigenden Sozialhilfekosten.
Man kann sicherlich sagen, dass die Sozialhilfe sich zum Mühlstein am Hals der Kommunen entwickelt hat. Wenn sie das vergleichen mit den Gewerbesteuereinnahmen, die ja auch dramatisch weggebrochen sind, sind teilweise die Sozialhilfekosten höher in ihrer Gesamtheit als die Einnahmen aus der Gewerbesteuer.
Die Folge: Viele Städte und Kommunen sind Pleite. Darüber gibt es allerdings keine Statistiken. Noch einmal Gerd Landsberg:
Man kann aber sagen, dass es faktisch keine Städte mehr gibt, die ohne Kredite ihre Haushalte ausgleichen können. In Nordrhein-Westfalen haben wir Zahlen inzwischen von über 75 Prozent. Das heißt, wir sind in der Situation, dass Kommunen nicht nur Sozialhilfekosten sondern insbesondere jetzt auch schon Personalkosten über so genannte Kassenkredite teilweise finanzieren müssen. An sich ist die Funktion eines Kassenkredits nur eine vorübergehende Kredit-Aufnahme für ein vorübergehenden Engpass. Das sind längst Dauerkredite geworden.
Viele Politiker und Experten halten eine Reform der Sozialhilfe für dringend notwendig. So schreibt zum Beispiel der Forschungsdirektor für Sozialpolitik am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, Gert Wagner:
In ihrer aktuellen Form ist die Sozialhilfe nicht mehr tragbar, weil sie das Anspruchsdenken fördert.
Das belegt auch ein Rechenbeispiel aus dem kürzlich bekannt gewordenen Reformpapier des Bundeskanzleramtes. Danach bekommt eine Familie mit drei Kindern rund 1850 Euro Sozialhilfe, wenn die Eltern nicht arbeiten. Würde der Vater zum Beispiel als Hilfsarbeiter den typischen Niedriglohn von 1300 Euro bekommen, läge das Nettoeinkommen der Familie mit Kindergeld und Wohngeld bei 1750 Euro. Die Familie hätte also 100 Euro weniger in der Tasche, wenn der Vater arbeiten würde. Lohnen würde sich die Arbeit des Vaters für die Familie erst ab einem Bruttolohn von 1500 Euro. Deshalb heißt es in dem Reformpapier der Bundesregierung:
Es ist wirtschaftlich sinnvoll, dass Arbeitslose für die Aufnahme einer Arbeit finanziell nicht bestraft werden.
Dies sei aber gegenwärtig noch zu häufig der Fall, heißt es in dem Papier weiter. Zu diesem Ergebnis ist auch die Hartz-Kommission gekommen. Sie fordert deshalb, wer erwerbsfähig ist, soll keine Sozialhilfe mehr bekommen, sondern eine neue Form des Arbeitslosengeldes, das so genannte Arbeitslosengeld II. Da sollen künftig jene betroffen sein, die bisher steuerfinanzierte Arbeitslosenhilfe bezogen haben und erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger sind. Gerd Landsberg:
Wir würden uns einer Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe nicht verschließen. Wir erwarten allerdings, dass es dann ein eigenes, vom Bund finanziertes Leistungsgesetz gibt, in dem jedenfalls die erwerbsfähigen Sozialhilfe-Empfänger finanziert werden. Das ist auch gerechtfertigt, denn die Sozialhilfe hat in ihrer Ursprungsfunktion nur die Aufgabe gehabt in Einzelfällen zu helfen. Inzwischen ist es ein Massenphänomen: Wir haben 2,7 Millionen Menschen, die Leistungen aus der Sozialhilfe beziehen. Das ist eine Bundes-Aufgabe und keine kommunale Aufgabe.
Auch Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband würde einer solchen Zusammenlegung zustimmen – vorausgesetzt: sie wird vernünftig umgesetzt:
Vernünftig wäre es dann gestaltet, wenn erstens die Zuständigkeit für diesen Personenkreis bei der Arbeitsverwaltung liegt und nicht bei den Sozialämtern, Deshalb weil diesen Personen nichts fehlt außer Arbeit. Vernünftig wäre es auch dann, wenn hier ein Niveau beschritten würde, das oberhalb der Sozialhilfe liegt. Das heißt, dass dieses Arbeitslosengeld II wie es ja auch häufig genannt wird, sich auch wirklich abhebt von der Sozialhilfe in der Tat, dann könnte man von so etwas sprechen, wie einer Grundsicherung für Arbeitslose und das wäre sicherlich sozialpolitisch ein Schritt nach vorne.
Dennoch: Bei der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe wird es sicherlich auch Versuche geben, die Kosten zu drücken – etwa indem man die Arbeitslosenhilfe kürzt oder die Kosten vom Bund auf die Gemeinden verschiebt:
Und die Arbeitsämter von Personen etwa ein bis zwei Millionen zu entlasten, indem man sie den Kommunen übergibt. Diese Versuche wird es geben. Doch bin ich relativ zuversichtlich, auf Grund der Ankündigungen, die Herr Clement auch dazu gemacht hat, dass dieser Weg nicht beschritten wird, dass man der Versuchung bundesseitig widersteht und tatsächlich diese Zusammenlegung nutzt, um strukturell etwas Neues zu machen, nämlich etwa 600. bis 700.000 Arbeitslose aus der Sozialhilfe herauszuholen und sie dahin zu geben, wo sie hingehören, nämlich in die Arbeitsverwaltung.
Das entspräche dann auch einer jahrelange Forderung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes:
Wir halten diesen Schritt für zwingend notwendig, um Bewegung in die erstarrten Systeme zu bekommen.
Eine Neuerung gibt es bereits seit Beginn diesen Jahres: Das "Gesetz über die bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung." Das erklärte Ziel des Gesetzgebers: Die Grundsicherung soll verdeckter Altersarmut entgegenwirken. Denn viele alte Menschen haben bislang den Weg zum Sozialamt gescheut, weil sie befürchteten, ihre Kinder könnten zum Unterhalt herangezogen werden. Das ist nunmehr nur noch der Fall, wenn die Kinder über 100.000 Euro im Jahr verdienen.
Anspruch auf Grundsicherung hat, wer weniger als 845 Euro Rente im Monat bekommt. Die Grundsicherung liegt um 15 Prozent über dem Regelsatz der Sozialhilfe. Das heißt, anspruchsberechtigte Rentner haben mit der Grundsicherung künftig 43,95 Euro mehr in der Tasche.
Auch wenn die Grundsicherung für den einzelnen Rentner nicht sehr viel mehr Geld bedeutet, ist sie für die Kommunen in jedem Fall mit neuen Kosten verbunden. Allein in der Millionen-Stadt Köln, schätzen die Mitarbeiter des Sozialamtes, werden rund 5.000 bis 7.000 ältere Bürger zusätzlich auf die Stadt zukommen, die bislang keine Sozialhilfe beantragt haben. Gerd Landsberg vom Deutschen Städte- und Gemeindebund ist deshalb gegen diese Grundsicherung:
Wir haben gesagt, wenn wir so etwas tun, muss der Grundsatz gelten: Wer bestellt, bezahlt! Dann mag der Bund dieses auch finanzieren. Der Bund hat nun aber nicht den Kommunen Geld bereitgestellt, sondern den Ländern und zwar eine Summe von etwa 300 Millionen Euro. Dieses Geld ist damit keineswegs automatisch bei den Kommunen. Im Übrigen ist dieses Geld aus unserer Sicht nicht ausreichend. Wir gehen davon aus, dass die Kosten sehr viel höher sind, die Schätzungen belaufen sich auf 1 Milliarde bis 1,5 Milliarden und wir halten das auch politisch für den falschen Ansatz.
Für Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband ist die Alters-Grundsicherung dagegen...
... ein ganz kleines Schrittchen in die richtige Richtung. Altersgrundsicherung heißt ja eben nicht anderes, als dass die Rentenversicherungsträger über diese Sozialhilfeleistung für alte Menschen informieren, dass sie die Anträge entgegen nehmen, sie weiterleiten an die Sozialämter. Bei der ersten Rückfrage ist der alte Mensch aber wieder im Sozialamt, da muss man sich nichts vormachen. Insofern ist es ein kleines Schrittchen in die richtige Richtung, unterstützenswert, aber dringend ausbaubedürftig.
Denn neben der Grundsicherung haben viele alte Menschen auch weiterhin Anspruch auf einmalige Beihilfen nach dem Bundessozialhilfegesetz. Dem Paritätischen Wohlfahrtsverband ist die Alters-Grundsicherung nicht weitreichend genug. Um Armut einzudämmen, fordert der Dachverband eine weitreichende steuerfinanzierte Grundsicherung. Die Idee geht davon aus, dass keiner zum Sozialamt gehen muss, nur weil ihm Arbeit fehlt, er alt ist oder weil er viele Kinder hat:
Auf das Sozialamt gehört nur derjenige und dort muss er auch seine Hilfe erhalten, weil er sich in einer besonderen schwierigen Lebenslage befindet. Im Umkehrschluss: Steuer-finanzierte Grundsicherung heißt, dass in den Systemen, die jetzt da sind, Arbeitslosenversicherung und Rentenversicherung aber auch Kindergeld, jeweils ein bedarfsdeckender Sockel eingezogen wird für all diejenigen die in Armut fallen würden, selbst wenn sie eben Arbeitslosengeld bekommen oder Rentenversicherungsleistungen erhalten. Dann wird steuerfinanziert aufgestockt auf ein Niveau, von dem man menschenwürdig leben kann und das ganze nennt sich steuerfinanzierte Grundsicherung ist im Übrigen eigentlich ein äußerst schlichtes Modell.
Bedenken und Widerstände gegen die steuerfinanzierte Grundsicherung kommen vor allem aus den Institutionen der sozialen Sicherungssysteme selbst. So befürchten die Rentenversicherungsträger zum Beispiel:
Wenn wir erst mal einen steuerfinanzierten Sockel drin haben in der Rentenversicherung, wer garantiert uns, dass dann nicht die eigentliche Rentenleistung immer mehr abgeschmolzen wird bis zu diesem Sockel? Das gleiche sagen die Träger des Arbeitslosengeldes und diese Ängste sind natürlich nicht ganz unberechtigt. Natürlich ist dann, wenn erst mal einen armutsfestes Netz in den Systemen hat, die Versuchung groß, aus haushaltspolitischen Gründen dann runter zu fahren auf dieses Netz. Aber ich denke das die Befürchtungen aller Art im Moment nicht davon abhalten sollten notwendige Schritte einfach zu vollziehen und es ist notwendig, dass wir die Sozialämter von mindestens eins bis 1,5 Millionen entlasten sonst bricht auch dieses System zusammen.
Eine solche steuerfinanzierte Grundsicherung würde ungefähr zwei bis drei Milliarden Euro zusätzlich kosten. Gerd Landsberg vom Deutschen Städte und Gemeindebund hält die Idee angesichts der Haushalts-Löcher deshalb auch nicht für finanzierbar. Er plädiert viel mehr dafür, vor allem gegen die hohe Arbeitslosigkeit und ihre Folgekosten anzugehen, etwa in dem man den Niedriglohnsektor ausbaut. Denn hierzulande sind in diesem Bereich nur etwa 13 Prozent der Beschäftigten tätig. In den USA arbeiten dagegen rund 26 Prozent aller Beschäftigten im Niedriglohnsektor, erklärt Landsberg. Um den Arbeitsmarkt insgesamt wieder flott zu machen, sei es notwenig endlich einige heilige Kühe zu schlachten. Dazu gehört seiner Ansicht nach der Ausbau des Niedriglohnsektors ebenso wie die Arbeitsverwaltung selbst. Die könnte zum Beispiel viel effizienter vermitteln, wenn sie enger mit den kommunalen Sozialämtern zusammenarbeiten würde:
Wir haben zum Beispiel gesagt, es ist richtig, Job-Center auf zu machen. Wir brauchen eine Betreuung aus einer Hand. Wir haben im Moment ein Verhältnis teilweise in den größeren Städten bei den Arbeitsämtern von 1 zu 700. Das heißt, ein Arbeitsamt-Mitarbeiter, der kann natürlich gar nicht vermitteln, das sind viel zu viele. Bei den Sozialhilfeempfängern haben wir ein Verhältnis 1 zu 150. Und so ist es den Kommunen gelungen in der Vergangenheit etwa 400.000 Sozialhilfeempfänger in Beschäftigung zu bringen. Hier müssen wir mutige und neue Ansätze gehen und das muss man auch mal ganz offen sagen, dafür sorgen, dass es auch im Niedriglohnbereich für jemanden interessant ist eben nicht Sozialhilfe zu beziehen, sondern diesen niedrig entlohnten Job zu machen.
Unter dem Stichwort "Hilfe zur Arbeit" bezuschussen viele Kommunen Arbeitgeber, die Sozialhilfeempfänger beschäftigen. Doch diese freiwilligen Fördermaßnahmen können sich etliche Städte und Gemeinden angesichts der leeren Kassen nicht mehr leisten. Und da beißt die Katze sich dann in den Schwanz. Denn ohne solche Maßnahmen steigt die Zahl der Langzeitarbeitslosen wieder an – und damit auch die Kosten für die Sozialhilfe.
Auf der Ausgaben-Seite ist für die Kommunen die Sozialhilfe der entscheidende Faktor. Wenn wir hier spürbar durch ein Bundes-Leistungsgesetz entlastet werden, haben wir Spielräume, zum Beispiel für die notwendigen Investitionen, die dann wieder Arbeitsplätze vor Ort schaffen.
Zudem fordert Gerd Landsberg die Pauschalierung der Sozialhilfe.
Schluss mit diesen ganzen Einzelleistungen, mit der Schultüte, mit den Schuhen, mit der Familienfeier, eine pauschalierte Leistung, über deren Höhe muss man natürlich reden und mit dem Geld muss er auskommen, wie das ja bei jedem normalen Erwerbstätigen auch ist.
In einem Modelprojekt macht die Stadt Kassel seit einem Jahr gute Erfahrungen mit solchen Pauschalen: Der Sozialhilfeempfänger wird selbständiger und das Sozialamt erheblich entlastet. Neben der Pauschalierung lautet eine weitere Forderung der Kommunalen Spitzenverbände:
Heraus mit den Kindern aus der Sozialhilfe!
Kinder, so die Forderung sollten ein eigenes Leistungsgeld bekommen, das höher ist als das Kindergeld. Der Grund:
Das Lohnabstandsgebot wird häufig dadurch verringert, dass Sozialhilfeempfänger viele Kinder haben und sich das Arbeiten dann gar nicht lohnt. In dem Moment, wo ich die Kinder dann da raus habe, lohnt sich das auch im Niedriglohnbereich. Und wir brauchen einen echten Bürokratieabbau und zwar einen, der wirklich gewollt ist. Das wäre ein ganz wichtiger Appell an den Gesetzgeber.
Eine Forderung der sich viele Sozialexperten anschließen. Seit über zehn Jahren werden grundlegende Reformen im Bereich der sozialen Sicherungssysteme gefordert und diskutiert. Geschehen ist bislang wenig. Statt dessen leben immer mehr Familien mit Kindern im sogenannten prekärem Wohlstand, knapp über der Armutsgrenze. Sie bekommen jede Preissteigerung, jede Mieterhöhung und jede Anhebung von Sozialversicherungsbeiträgen sofort massiv zu spüren.
Was von dem jüngsten Reformpapier der Bundesregierung übrig bleibt, wie viel "Hartz" tatsächlich umgesetzt wird und was die Rürup-Kommission empfehlen wird, das steht noch in den Sternen. Für Sozialexperte Ulrich Schneider allerdings ist klar:
Bei der jetzigen Reform muss zentral im Mittelpunkt stehen, dass die tradierten Sicherungssysteme, Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung, armutsfest gemacht werden, steuerfinanziert durch einen vernünftigen Bedarfs- und Einkommensorientierten Sockel und damit die Sozialämter endlich von Personenkreisen entlastet werden, mit denen sie eigentlich gar nichts zu tun haben.