Donnerstag, 28. März 2024

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Wolfgang Bosbach zur Flüchtlingspolitik
"Ein Drittel der Unionsfraktion will eine Kurskorrektur"

Der CDU-Abgeordnete Wolfgang Bosbach bestätigt im Deutschlandfunk, was von anderen Unionskollegen bisher abgestritten wurde: Es habe in der CDU-/CSU-Fraktion eine Unterschriftenliste für einen Kurswechsel gegeben. Der Widerstand gegen Merkels Flüchtlingspolitik wachse.

Wolfgang Bosbach im Gespräch mit Christiane Kaess | 15.01.2016
    Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach.
    Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach. (pa/dpa/Wolf)
    In der Unionsfraktion im Bundestag gibt es nach Angaben des CDU-Abgeordneten Bosbach wachsende Zweifel an der Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel.
    Der Innenpolitiker sagte im Deutschlandfunk, zwar stehe die Mehrheit der Fraktion hinter der Parteivorsitzenden. Grob ein Drittel der Unionsabgeordneten sei inzwischen aber skeptisch und erwarte eine Kurskorrektur. Bosbach bestätigte, dass es eine Unterschriftensammlung in der Fraktion gegen Merkels Flüchtlingspolitik gegeben habe. Diese sei aber abgebrochen worden, um einen -Zitat - "Showdown" zu vermeiden.
    Der CDU-Abgeordnete Kiesewetter warnte vor Populismus. Er argumentierte, mit dem verabschiedeten Asylpaket und den geplanten Verschärfungen habe man bereits die nötigen Instrumente geschaffen, deren Umsetzung aber Zeit brauche.
    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Eine Unterschriftenliste soll es gewesen sein, auf der fraktionsinterne Kritiker in der Union ihrem Unmut über die Flüchtlingspolitik Luft machen wollten. Mittlerweile ist nur noch von einem Brief die Rede, in dem einzelne Abgeordnete Angela Merkel ihre Sorge über die aktuelle Flüchtlingspolitik schriftlich überbringen wollen. Und auch aus der SPD heraus äußern sich prominente Stimmen kritisch.
    Mitgehört hat der Unions-Abgeordnete Wolfgang Bosbach. Er ist im Bundestag Mitglied im Innenausschuss. Guten Tag, Herr Bosbach.
    Wolfgang Bosbach: Guten Tag, Frau Kaess.
    Kaess: Erst hieß es, eine Unterschriftenliste gegen Merkels Flüchtlingspolitik gebe es. Das wurde dann, wir haben es gerade gehört, vom innenpolitischen Sprecher Stephan Mayer im Deutschlandfunk dementiert. Unions-interne Kritiker wollen jetzt wohl einen Brief an Frau Merkel schreiben und die Unterstützer des Merkel-Kurses, die werfen wiederum den Kritikern Populismus vor. Was ist da los in der Unions-Fraktion?
    Bosbach: Es gibt wachsende Zweifel in der Unions-Fraktion, ob wir tatsächlich das schaffen können, was wir angesichts der Flüchtlingskrise unbedingt schaffen müssten, nämlich schnelle Verfahren, damit Klarheit herrscht, wer wird anerkannt und bekommt eine Bleibeperspektive, wer wird als Asylsuchender abgelehnt und muss wieder in das Heimatland zurückkehren, angemessene winterfeste Unterkünfte, eine gelungene erfolgreiche Integration in die Gesellschaft und auf den Arbeitsmarkt. Das wäre das, was wir schaffen müssen. Stellt sich die Frage, können wir das tatsächlich schaffen, wenn die hohen Zugangszahlen so bleiben. Die sind deutlich zurückgegangen, aber selbst wenn "pro Tag" nur weiterhin zwischen 3.000 und 3.500 Flüchtlinge kämen, wären das wiederum eine Million in diesem Jahr.
    Kaess: Herr Bosbach, wir können gerne gleich noch über diese Inhalte tiefer sprechen. Ich möchte noch mal kurz zurück zu der Stimmung in der Unions-Fraktion. Sie sagen, das ist stärker geworden. Es war für uns in den letzten Tagen nicht einfach, zu diesem Thema Interview-Partner zu finden aus dem Lager der Merkel-Kritiker. Werden die Kritiker unter Druck gesetzt?
    Bosbach: Das wird auch der Fall sein wegen der von Ihnen gewählten Formulierung Merkel-Kritiker. Ich kenne sehr viele und zu denen gehöre ich auch, die einen hohen Respekt haben vor der Arbeit der Bundeskanzlerin und der Parteivorsitzenden und auch eine hohe persönliche Sympathie, die aber fürchten, dass wir nicht nur herausgefordert sind, sondern dass wir auch überfordert werden. Viele Kommunen sind bei der Unterbringung an den Grenzen ihrer Möglichkeiten angelangt. Sagt man das aber, dann wird nicht inhaltlich sachlich debattiert; dann geht es sofort auf die persönliche Ebene: Ach so, Sie haben was gegen die Bundeskanzlerin. Und das machen viele nicht mehr mit.
    Kaess: Okay. - Dann bleiben wir bei der genaueren Formulierung und sagen, die Kritiker am Kurs der Bundeskanzlerin, wenn es um die Flüchtlingspolitik geht.
    Bosbach: Ja.
    "Ein Drittel unterstützt den Kurs, ein Drittel verlangt Kurskorrektur"
    Kaess: Am Dienstag in der Fraktionssitzung soll es nach Teilnehmerangaben sehr kontroverse Diskussionen über die Flüchtlingspolitik gegeben haben. Dennoch sagt Unions-Fraktionschef Volker Kauder, es steht eine klare Mehrheit der Unions-Fraktion hinter dem Kurs von Angela Merkel. Stimmt das?
    Bosbach: Ja! Da hat er recht. Wir führen ja diese Debatten, die Sie gerade zutreffend beschrieben haben, nicht erst seit den dramatischen Vorfällen von der Silvesternacht in Köln und anderen Großstädten. Wir diskutieren über das Thema schon seit Herbst vergangenen Jahres intensiv und leidenschaftlich in der Fraktion. Es ist jetzt vielleicht nicht immer jeweils genau ein Drittel, aber grob gezeichnet ein Drittel der Fraktion unterstützt den Kurs der Bundeskanzlerin aus voller Überzeugung. Ein Drittel ist eher skeptisch, wie von mir gerade geschildert, und verlangt oder erwartet eine Kurskorrektur. Und dann gibt es noch ein Drittel. Es gibt viele Kolleginnen und Kollegen, die sagen, ja, ich teile eure Sorgen, aber da jeder Antrag mit der Aufforderung einer Kurskorrektur als Misstrauenserklärung gegenüber der Bundeskanzlerin interpretiert werden würde, ist es für uns wichtig, dass wir zusammenbleiben, dass wir uns nicht auseinanderdividieren lassen, und deshalb unterstützen sie diesen Kurs, auch wenn viele Zweifel haben.
    Kaess: Warum ist aus der Unterschriftenliste ein Brief geworden?
    Bosbach: Es sind zunächst Unterschriften gesammelt worden. Ich bin selber gebeten worden, den Text zu unterschreiben. Und dann hat es genau aus dem gerade erwähnten Grund viele gegeben, die gesagt haben, ja, wir halten das für richtig, wir möchten aber nicht Ende Januar - ich sage es jetzt mal mit meinen Worten - so eine Art Showdown in der Fraktion herbeiführen. Zumal wir ja auch einen Beschluss des Bundesparteitages aus Karlsruhe haben, wir möchten zunächst einmal der Kanzlerin unsere Sorgen noch einmal in aller Ausführlichkeit vortragen, insbesondere ob es tatsächlich realistisch ist anzunehmen, dass es in den nächsten Wochen, in absehbarer Zeit schon tatsächlich zu einer gerechten Lastenverteilung bei der Aufnahme der Flüchtlinge in der Europäischen Union kommt, bevor wir eine strittige Abstimmung in der Fraktion machen.
    Kaess: Und wie viel Zeit hat Angela Merkel noch bis zu diesem Showdown?
    Bosbach: Ich hoffe nicht, dass wir zu einem Showdown kommen werden, auch wenn es immer bestritten wird. Es weiß doch jeder, dass es so ist. Wir nehmen doch laufend Kurskorrekturen vor. Das Asylverfahren-Beschleunigungsgesetz - natürlich ist das eine Kurskorrektur. Die Erweiterung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten - natürlich ist das eine Kurskorrektur.
    Bosbach forderte strikte Anwendung geltendes Rechts
    Kaess: Aber wenn ich da mal kurz einhaken darf, Herr Bosbach? Das ist ja genau das, was die Unterstützer des Merkel-Kurses den Kritikern vorwerfen, es wird ja ständig was getan, wir haben die Verschärfung im Asylpaket eins und jetzt soll das Asylpaket zwei kommen. Was wollen Sie eigentlich noch mehr?
    Bosbach: Die strikte Anwendung des geltenden Rechtes. Ich bin selbst überrascht, dass man sich heute dafür rechtfertigen muss, wenn man darauf Wert legt, dass doch nicht auf Dauer von einer Ausnahmevorschrift Gebrauch gemacht wird, nämlich vom Paragrafen 18 Absatz vier des Asylgesetzes. Man kann diese Vorschrift anwenden in einer bestimmten Situation zur Vermeidung einer humanitären Härte, Beispiel Aufnahme von Flüchtlingen aus Ungarn Anfang September, oder für einen eng begrenzten Zeitraum. Aber man kann doch nicht durch bloße Anordnung eines Ministers, ohne parlamentarische Debatte oder Entscheidung, das gesamte Recht im Übrigen für einen unabsehbar langen Zeitraum suspendieren, und es geht um die Anwendung des geltenden Rechtes und es geht um die Beantwortung der Frage, und das ist der eigentlich entscheidende Punkt:
    Erfüllen sich die Erwartungen, die die Bundesregierung hat, sichere EU-Außengrenzen, die illegale Migration unmöglich machen oder erheblich erschweren, gerechte Verteilung bei der Aufnahme von Flüchtlingen in den 28 Ländern der Europäischen Union. Und da wachsen Zweifel, dass das in absehbarer Zeit Realität wird.
    "Sehr aufnahmefreundliche Länder machen dicht "
    Kaess: Und die Unterstützer des Merkel-Kurses auf der anderen Seite, die werfen genau den Kritikern hier vor, da bräuchte man einfach mehr Geduld, eine europäische Lösung, die braucht eben Zeit.
    Bosbach: Ich fürchte, dass die europäische Lösung sehr, sehr lange Zeit dauern wird, denn die Länder um uns herum sind nicht aufnahmebereiter geworden; sie schlagen genau den entgegengesetzten Kurs ein. Für diese Argumentation hätte ich Verständnis, wenn jetzt ein Land nach dem anderen sagen würde, ja, wir müssen uns öffnen, wir müssen helfen. Wir erleben das Gegenteil! Liberale, sehr aufnahmefreundliche Länder machen dicht. Das gilt für Schweden, Dänemark sehr restriktiv. Das heißt, im Moment kenne ich kein anderes Land in der Europäischen Union, das diesen Kurs hat, den die Bundesrepublik Deutschland fährt, und es wäre für mich eine schöne Überraschung, wenn sich der Kurs der anderen 27 Länder ändern würde.
    Kaess: Aber bei den Vorschlägen, Flüchtlinge abzuweisen, da kommen ja immer abenteuerlichere Ideen zutage, wenn man mal hört, dass der CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer dafür plädiert, straffällige Flüchtlinge, ohne Gerichtsverfahren abzuschieben, und dann sagen die Unterstützer des Merkel-Kurses, da ist einfach nur noch reiner Populismus im Spiel. Ist das nicht zurecht?
    Bosbach: Andreas Scheuer hat ja noch hinzugefügt, wenn der Sachverhalt klar ist, wenn es nicht strittig ist und der Sachverhalt erst aufgeklärt werden muss. Dass Andreas Scheuer den Rechtsstaat nicht außer Kraft setzen will, das kann man ruhig unterstellen.
    Kaess: Das hört sich so an in dem Moment.
    Bosbach: Ja dann müssen Sie mit Herrn Scheuer sprechen. Er wird jedenfalls verkürzt wiedergegeben.
    Kaess: Herr Bosbach, wie ehrlich muss denn die CDU auch mit sich selber sein? Wir haben heute gehört, dass sich Altbundeskanzler Gerhard Schröder zu Wort gemeldet hat, und er sagt, ein zentrales Versäumnis der CDU, dass ein Einwanderungsgesetz stets abgelehnt worden sei, das sei eigentlich die Hauptursache. Da wurde schlicht die Realität ignoriert mit der Folge, dass jetzt hunderttausende Flüchtlinge rechtlich in ein Asylverfahren gepresst werden, weil man keine Kontingente über ein Einwanderungsgesetz definiert hat. Ist es tatsächlich das Versäumnis der CDU in der Vergangenheit, das sie jetzt einholt?
    Bosbach: Da hat der Altkanzler aus zwei Gründen erkennbar unrecht. Erstens: Wir haben ein Zuwanderungsgesetz. Das stammt übrigens aus rot-grüner Zeit.
    Kaess: Aber ohne Kontingente.
    Bosbach: Ohne Kontingente, aber mit Resettlement-Programmen und der Möglichkeit zu Kontingenten. Die Möglichkeiten sind ja im Gesetz vorgesehen. Dieses Gesetz hat den Zweck - das steht im Paragrafen 1 - Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung. Im Moment gelingt uns beides nicht. Gerhard Schröder glaubt offensichtlich, hätte man damals Kontingente beschlossen, würden diejenigen, die nicht unter das Kontingent fallen, selbstverständlich in ihren Heimatländern bleiben. Dafür gibt es überhaupt keinen Anhaltspunkt.
    Wer sich auf den Weg machen möchte, weil er flieht vor politischer Verfolgung, vor Krieg oder Bürgerkrieg, oder weil er die Hoffnung aufgegeben hat, aus den großen zentralen Aufnahmelagern der Krisenregionen jemals wieder nach Hause zurückkehren zu können, werden diese Menschen tatsächlich dort bleiben, wenn sie nicht in ein Kontingent, ein Aufnahmekontingent der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen werden.
    Kaess: ... sagt Wolfgang Bosbach, Unions-Abgeordneter im Bundestag, und er ist dort Mitglied im Innenausschuss. Danke für das Gespräch, Herr Bosbach.
    Bosbach: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.