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Wolfgang Sawallisch dirigiert das Bayerische Staatsorchester

Es ist fast ein Jahr her, da feierte man im Rahmen der Münchner Opern-Festspiele den

Von Ludwig Rink | 20.06.2004
    80. Geburtstag eines Mannes, dessen Name jahrelang mit der Musikgeschichte der Bayerischen Hauptstadt verknüpft war: Wolfgang Sawallisch. Jetzt liegt bei Farao classics der Mitschnitt dieser musikalischen Geburtstagsfeier vor: Der Maestro dirigiert das Bayerische Staatsorchester, dem er jahrelang als Chef verbunden war, und auf dem Programm stehen die 1. Sinfonie von Samuel Barber und die 4. Sinfonie von Robert Schumann.

    • Musikbeispiel: Robert Schumann - 1. Satz, Mitte (Ausschnitt) aus: Sinfonie Nr. 4

    Ein Bindeglied zwischen Barbers Sinfonie und der Vierten von Schumann besteht in der Absicht beider Komponisten, hier jeweils eine Sinfonie in einem Satz zu schreiben. Außerdem stehen, was die Biografie Sawallischs angeht, die beiden Stücke für zwei wichtige Pole seines künstlerischen Schaffens: hier die deutsche Romantik, da die klassische Moderne, die Sawallisch nach der Nazi-Zeit wie so viele andere fast staunend nach und nach kennen lernte, wobei ihn speziell die amerikanische Moderne dann seit 1993 als Chefdirigent des Philadelphia Orchestra beschäftigt haben dürfte.

    • Musikbeispiel: Samuel Barber - Langsamer Teil aus: First Symphony in one movement, op. 9

    Sawallischs Musikalität fiel auf, als er als Fünfjähriger bei einem Besuch in Wuppertal-Elberfeld in der Wohnung seines Großvaters einen Flügel entdeckte und dem großen schwarzen Instrument, während die Familie noch bei Tisch saß, schon bald die Melodien der ihm bekannten Kinderlieder entlockte. Von da an erhielt er zuhause in München Klavierunterricht, übte mit Begeisterung und gewann mit 10 Jahren und dem As-Dur Impromptu von Schubert seinen ersten Klavierwettbewerb. Als Vierzehnjähriger lernte er die begleitende Funktion von Musik und viel Repertoire kennen, als er für 5 Mark pro Sendung die Kinderturnstunde des damals noch weitgehend live sendenden Rundfunks mit Walzer, Polka und Mazurka gestaltete. Ein Opernbesuch brachte den Entschluss, später einmal Dirigent zu werden, und schon lange vor dem Abitur lernte Sawallisch auf privater Basis bei einem Hochschulprofessor Dinge wie Harmonielehre, Kontrapunkt, Kompositionslehre, Formenlehre und vor allem Partiturspielen. Er hörte Wilhelm Furtwängler bei Gastspielen mit den Berliner Philharmonikern, erlebte sogar noch eine Mozartopernaufführung mit Richard Strauss am Pult. Den Krieg überlebte er vermutlich nur deshalb, weil seine Einheit just zu dem Zeitpunkt, als er zu einer Konzerttournee für Kriegsversehrte abgezogen war, nach Russland verlegt wurde und er bei der Rückkehr nur die leere Kaserne wiederfand. Nach 45 wollte er sich ordentlich im 1. Semester an der Münchener Musikhochschule einschreiben, doch man steckte ihn gleich in die Abschlussklasse der Dirigenten-Ausbildung, und schon nach einem Vierteljahr machte er seinen Abschluss.

    • Musikbeispiel: Robert Schumann - 2. Satz aus: Sinfonie Nr. 4

    Sawallisch hatte bei seinem ersten Engagement am Augsburger Theater viel zu tun: als Korrepetitor und nach und nach auch als Dirigent. Sein Repertoire vergrößerte sich von Tag zu Tag, denn damals stand montags Lehar, dienstags Strawinsky und mittwochs Wagner auf dem Programm, Oper, Operette und Ballett – im Dezember 1949 waren es z.B. einmal 32 Vorstellungen in 31 Tagen. Bei der Totenfeier für Furtwängler 1954 in Berlin dirigierte er die Philharmoniker und lernte Oscar Fritz Schuh, damals Direktor des "Theaters am Kurfürstendamm", kennen. Der versprach ihm spontan, ihn als musikalischen Leiter zu verpflichten, sollte man ihm einmal die Leitung eines Opernhauses übertragen. Das wurde dann 1960 in Köln Realität, doch zuvor legte Sawallisch noch in Aachen eine wichtige Zwischenstation ein, wo auch Karajan und Fritz Busch ihre Karriere begonnen hatten. Dort musizierte Sawallisch erstmals mit Berühmtheiten wie Gieseking oder David Oistrach. Dort wurde 1955 auch Wolfgang Wagner bei einer Aufführung des "Tristan" auf ihn aufmerksam und lud ihn für zwei Jahre später nach Bayreuth ein, wo er dann sechs Jahre lang dirigierte. Gleichzeitig knüpfte er enge Bande zur Mailänder Scala, wo er ebenfalls Wagners Opern, aber auch Richard Strauss dirigierte. Parallel zur Chefposition in Köln übernahm Sawallisch dann auch die Wiener Symphoniker und die Hamburger Philharmonie. Vollends global wurde seine Tätigkeit 1964, als er erstmals und dann immer wieder auch in Japan dirigierte und mit den dortigen Orchestern nach und nach die neu erbauten, riesigen Konzertsäle einweihte. 1968 erfüllte sich sein langjähriger Traum: Er wurde in München Nachfolger von Joseph Keilberth, bald darauf neuer Generalmusikdirektor und übernahm später zehn Jahre lang auch die Intendanz der Bayerischen Staatsoper. 1987 präsentierte Sawallisch dort in nur 10 Tagen den gesamten Wagnerschen Ring in einer Neuproduktion aller vier Werke, 1988 folgte ein bisher einmaliger Richard-Strauss-Zyklus mit den 16 Bühnenwerken des Komponisten, eine andere Saison erregte mit einer Serie von Musiktheaterwerken des 20. Jahrhunderts Aufsehen. 1992 legte Sawallisch nach 22 Jahren seine Ämter nieder – er wollte von nun an vor allem Konzerte dirigieren. Mit seinem langjährigen Partner, dem Bayerischen Staatsorchester, feierte er aber dann im vergangenen Sommer auch seinen 80. Geburtstag, und die vorliegende neue CD dokumentiert dieses Konzert.

    • Musikbeispiel: Robert Schumann - 3. Satz, Mitte aus: Sinfonie Nr. 4,

    Diese Aufnahme von Schumanns 4. Sinfonie mit dem Bayerischen Staatsorchester unter der Leitung von Wolfgang Sawallisch vermittelt unüberhörbar die Aura des Opernhauses. Das mag am Aufnahmeort liegen, dem Münchner Nationaltheater mit seiner ganz speziellen Akustik. Es liegt aber auch an der Art und Weise des Zupackens: hier bewegen sich die Musiker von Thema zu Thema in der Art und Weise, wie sie sonst von Auftritt zu Auftritt, von Szene zu Szene überleiten, sei es in fließenden Verbindungen oder dramatischen Kontrasten. Und dann kommen sozusagen die Soli, seien es Streicher oder Holzbläser, Hörner oder Blech. Formal und vor allem auch in der Klangbalance ist Klarheit das Ziel, nicht halliger Sound oder Breitwand-Opulenz, sondern Durchsichtigkeit und Konturenschärfe. Dies bekommt gerade Schumanns Vierter besonders gut, denn sie ist nicht, wie sonst üblich, in einzelne abgeschlossene Sätze unterteilt, sondern durchkomponiert. Zwar lassen sich die klassischen vier Sinfonie-Teile auch hier durchaus noch verfolgen: rascher Sonatenhauptsatz mit langsamer Einleitung als Beginn und Finale, der zweite Satz langsam, hier als Romanze angelegt, an dritter Stelle ein lebhaftes Scherzo. Aber die Form-Erwartungen werden nicht immer erfüllt, oft drängt es einfach weiter, Reprisen fallen weg, Schlusswendungen und Tonartbestätigungen unterbleiben, kurz: es ist ein bisschen so, wie in einer Opernaufführung mit Kürzungen, mit "Strichen", die fast auf Zuruf durchgeführt werden. Damit das Werk bei aller Offenheit nicht zerfällt, hat Schumann ein ausgeklügeltes Beziehungssystem melodisch-thematischer Art quer durch die ganze Sinfonie gelegt: Was auf den ersten Blick vielleicht nur wie romantisches Schwelgen in einer Vielzahl von Einfällen und unterschiedlichen Gedanken erscheinen mag, stellt sich bei genauerem Hinhören als ein Netz von Themenverwandtschaften heraus, wo eine ständige Weiterentwicklung stattfindet, wo aus zunächst nur beiläufig geäußertem nach und nach ein Hauptgedanke wird.

    • Musikbeispiel: Robert Schumann - 4. Satz, Ende aus: Sinfonie Nr. 4

    In unserer Sonntags-Sendereihe "Die neue Platte" hörten Sie heute den Mitschnitt eines Geburtstagskonzertes mit und für Wolfgang Sawallisch. Auf CD gebannt hat es die Firma Farao; zu hören sind Barbers 1. Sinfonie und die 4. Sinfonie von Robert Schumann.



    Titel: Samuel Barber: First Symphony/Robert Schumann: Symphony Nr. 4
    Orchester: Bayerisches Staatsorchester
    Leitung: Wolfgang Sawallisch
    Label: Farao classics
    Labelcode: LC 3740
    Bestellnr.: S 108.019