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Wolkenkraftwerksheim

Weil sie kräftig klimaschädliches Kohlendioxid in die Luft blasen, haben Kohle-Kraftwerke eigentlich keine Zukunft mehr. Doch es scheint eine lebensverlängernde Maßnahme für die fossil befeuerten Großanlagen zu geben: Die Energiekonzerne wollen ihre Meiler mit CCS ausrüsten, mit "Carbon Capture & Storage". Doch ob es dazu kommt, ist zweifelhaft.

Von Volker Mrasek | 27.09.2009
    "Wir sind jetzt hier auf dem Speichergelände, draußen bei den Ober-Tage-Anlagen, wie wir das nennen. Was man hier über die Geländegrenzen auch von der Straße aus wahrnehmen kann, sind letztendlich die Tankanlagen für das CO2. Also zwei große, aufrecht stehende Zylinder, die jeweils 50 Tonnen Kohlendioxid fassen."

    "Der Füllstand liegt bei 19 Tonnen und 350 Kilo. Also, ein bisschen weniger als die Hälfte. Für sechs Stunden können wir damit den Betrieb fahren."

    Ketzin in Brandenburg. Ein ruhiger Flecken, rund 20 Kilometer westlich von Potsdam, im Süden des Havellandes. Am Ortsrand Äcker, eine Umspannstation, die Gärbottiche einer Biogas-Anlage, ein paar flache Bürohäuser – und die beiden strahlendweißen Zwillingstanks. Rund 15 Meter ragen die Gas-Behälter in die Höhe. Doch das ist nicht der Grund, warum man von einem "Leuchtturm-Projekt" sprechen kann.

    Ketzin ist der Ort in Deutschland, in dem das Treibhausgas Kohlendioxid erstmals testweise im Untergrund versenkt und eingelagert wird, unter wissenschaftlicher Leitung des Deutschen Geoforschungszentrums GFZ im benachbarten Potsdam. Für den Injektionsbetrieb verantwortlich ist Fabian Möller...

    "Alles, was letztendlich hier an der Oberfläche ist, ist nur dazu da, dass die Forscher praktisch im Untergrund tatsächlich das Geschehen beobachten können. Es gibt hier also einen Container, und in diesem Container laufen die Messkabel auf. Dort sind PCs installiert, die also halbautomatisch die Daten erfassen. Und von Zeit zu Zeit kommen dann die Wissenschaftler her, arbeiten aber überwiegend in Potsdam."

    In Ketzin wurde schon zu DDR-Zeiten Erdgas im Untergrund gespeichert. In einer porösen Sandsteinschicht in rund 400 Metern Tiefe. Heute rollen hier täglich Tank-Lastwagen mit Kohlendioxid an. Ihre Fracht wird in die beiden Vorratsspeicher umgepumpt und von dort über eine Tiefbohrung in den Untergrund verpresst. Andreas Mathwich, Elektroniker beim Anlagenbetreiber, der Verbundnetz-Gas AG, deutet auf Hinweisschilder an den silbern glänzenden Außenleitungen. Sie warnen vor Kaltverbrennungen beim Berühren der Edelstahlrohre:

    "Wenn betankt wird, werden die glatten offenen Rohre hier befüllt von minus 30 Grad kaltem CO2 in flüssiger Form. Das macht die Rohre schnell eiskalt. Es bildet sich Eis auf den Rohren in wenigen Minuten, selbst an den heißesten Tagen im Sommer."

    In Ketzin soll demonstriert werden, ob man Kohlendioxid in porösen Tiefengesteinen dauerhaft verschwinden lassen kann. Davon abhängig ist letztlich nicht mehr und nicht weniger als die Zukunft von Kohle-Kraftwerken. In vielen Ländern dominieren sie nach wie vor den Energiesektor. In Deutschland hat Kohle einen Anteil von rund 50 Prozent an der Stromerzeugung. Doch in Zeiten der Klimaerwärmung hat der Brennstoff einen entscheidenden Nachteil: Als fossiler Energieträger produziert er große Mengen CO2 – jenes Treibhausgas, dessen Emissionen in den kommenden Jahren und Jahrzehnten drastisch vermindert werden sollen. Kohle-Kraftwerke und Klimaschutz – das passt nicht zusammen. Der Stuttgarter Energiesystemanalytiker und Fachgutachter Joachim Nitsch:

    "In unseren Bilanzrechnungen für die anzustrebenden CO2-Minderungsziele, die sich ja die Bundesregierung gesetzt hat, ist das Kontingent zulässiger Kohlekraftwerke jetzt mit etwa neun bis zehn Gigawatt Neubauleistung, die jetzt im Bau ist oder schon im Betrieb, eigentlich erschöpft. Wenn wir mehr dazubauen, werden wir die CO2-Minderungsziele, die wir uns gesetzt haben, zumindest im Strombereich verfehlen."

    Doch es scheint einen Ausweg aus diesem Dilemma zu geben. Die Energiekonzerne hoffen auf weitgehend "CO2-freie" Kohle-Kraftwerke. Dazu wollen sie den Großteil des Kohlendioxids aus dem Abgas herausfiltern und so der Atmosphäre vorenthalten. Erste Pilotanlagen sind im Bau, nicht nur in Deutschland, sondern auch in einem Schwellenland wie China. Das Ganze nennt sich Carbon Capture & Storage oder kurz CCS. Für den Essener Energieversorger RWE koordiniert der Geologe Thomas Thielemann Forschung und Entwicklung auf diesem Gebiet:

    "Unser Ziel ist, 90 Prozent der derzeitigen Emissionen eines Kohle-Kraftwerkes, eventuell sogar mehr als 90 Prozent, abzuscheiden und im Untergrund zu speichern. Und wenn wir da einen guten Teil der Kraftwerke ausrüsten oder nachrüsten, haben wir sehr wohl die Möglichkeit, die wichtigen Klimaschutzziele zu erreichen.""

    Das Konzept ist inzwischen einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Durch das vorerst gescheiterte CCS-Gesetz, das der Bundestag nicht verabschiedet hat. Es sollte dem Kraftwerks-CO2 frühzeitig Speicherraum unter Tage sichern.

    In Ketzin läuft der Probebetrieb unter den Augen von Geo-Ingenieur Fabian Möller inzwischen seit über einem Jahr:

    "Wir bekommen also CO2 flüssig geliefert, von einer Produktionsanlage in Leuna. Es ist ja also noch kein Kraftwerks-CO2 auf dem Markt verfügbar. Und dieses CO2 erhitzen wir dann und bringen es auf den notwendigen Druck, um es dann mittels einer Tiefbohrung nach 630 Metern Tiefe zu verpressen. Später, wenn das zur industriellen Anwendung käme, würde man das CO2 per Pipelines am Speicherstandort erhalten."

    Möller wählt bewusst den Konjunktiv. Denn ob CCS-Kohlekraftwerke eines Tages wirklich gebaut werden und ihr CO2 im Tiefengestein verklappen, das ist gar nicht sicher. Schon heute - noch vor dem Start der Pilot- und Testphase – gibt es Einwände gegen die Technologie. Weil noch etliche Jahre vergehen werden, bis sie überhaupt zu einer nennenswerten Reduktion der CO2-Emissionen führen kann. Dabei mahnt die Wissenschaft immer mehr zur Eile, um die schlimmsten Folgen des Klimawandels noch zu verhindern. Olav Hohmeyer, Professor für Energie- und Ressourcenwirtschaft an der Universität Flensburg und Mitglied im Umwelt-Sachverständigenrat der Bundesregierung:

    "CCS hat bis 2030 einen fast an Null grenzenden Beitrag zur Lösung des Problems. Das hängt an der Capture-Technologie im Kraftwerk. Die Experten gehen davon aus, daß Sie das vor 2020 sowieso kommerziell verfügbar nicht kaufen können. Wahrscheinlich erst 2025. Deswegen ist der Beitrag bis 2030 so gering.""

    So steht es auch im jüngsten Welt-Klimabericht der Vereinten Nationen, an dem Hohmeyer als einer der Hauptautoren mitgeschrieben hat. Mittlerweile geht die Kritik an dem Überlebenskonzept für fossile Kohle-Meiler aber noch tiefer. Es mehren sich Stimmen, die sagen, CCS werde vermutlich überhaupt nicht kommen. Weil Strom aus Kohle im entscheidenden Moment teurer sein werde als Strom aus erneuerbaren Energieträgern, produziert von Windturbinen, Photovoltaik-Anlagen oder Sonnen-Kraftwerken. Der Leiter der Forschungsgruppe "Zukünftige Energiestrukturen" am Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt und Energie, Manfred Fischedick:

    "Die fossilen Energieträger werden tendenziell mit sehr hoher Sicherheit teurer werden. Auf der anderen Seite wissen wir mit hoher Wahrscheinlichkeit, daß die erneuerbaren Energien noch hohe Kostenreduktions-Potenziale versprechen. Insofern wird diese Kostenkurve nach unten gehen. Und es wird über kurz oder lang dann zu einem Schnittpunkt kommen. Ich würde sagen, daß der Schnittpunkt für viele erneuerbare Energietechnologien wahrscheinlich deutlich vor 2030 liegen wird, so daß bei Neubaumaßnahmen durchaus die Frage erlaubt ist, ob man nicht gleich in den Ausbau erneuerbarer Energien geht.""

    Zu ähnlichen Ergebnissen kommt Joachim Nitsch in den Zukunftsszenarien, die er unter anderem für das Bundesumweltministerium erstellt hat:

    "Wenn alle Welt auf Kohle setzt, wird, wie wir das ja auch schon gesehen haben, der Kohlepreis in die Höhe gehen. Wir haben in unseren Szenarien solche Steigerungen drin. Und das schlägt dann eben durch, zusammen mit der weiteren Verteuerung durch die Zusatztechnik - Abspeicherung von CO2, Transport des CO2, Speicher-Erschließung. Daß ich keine Marktchancen sehe, selbst für eine erfolgreich demonstrierbare CO2-Abscheidung."

    Am Forschungsstandort Ketzin ruht der Injektionsbetrieb vorübergehend. Spezialisten aus Rumänien sind angereist, es läuft eine besondere Messkampagne. Fabian Möller steuert eine der drei Tiefenbohrungen an. Dort hat ein großer Teleskop-Kran Stellung bezogen. Über die Umlenkrolle an der Spitze seines Auslegers läuft ein dickes Stahlseil und verschwindet gut fünfzehn Meter tiefer im Bohrloch. Daran hängen Geo-Mikrofone. Möller:

    "Letztendlich haben wir hier zwei Kräne. Und in einem Bohrloch ist also eine seismische Quelle, die Schallwellen erzeugt. Und im anderen Bohrloch sind also die Mikrofone. Und diese Kräne halten die Umlenkrollen, über die diese Messinstrumente in den Bohrlöchern drinhängen."

    Das knatternde Geräusch stammt von einem Kompressor. Er erzeugt Druckluft für eine Hydraulikpumpe. Und diese wiederum eine so genannte Druckschleuse. Damit das Bohrloch auch dann hermetisch abgedichtet bleibt, wenn die Mikrofone in die Tiefe hinabgelassen werden. Möller:

    "Jetzt wird hier gleich die Winde angeschaltet, die also dieses Messkabel bewegt. Das ist also das Prinzip dieser Cross-hole-Seismik, so nennt man das. Also zwischen zwei Löchern spanne ich da eine seismische Ebene auf, schicke den Schall dadurch. Und um das gut zu tun, verändere ich also im Loch die Positionen von Mikrofonen und Schallquellen. Und das tue ich über diese Winde. Da hängt also das Kabel dran, und das bewege ich auf und ab."

    Mikrofone und Schallquellen lassen die Forscher dabei bis in die Gesteinsformation hinab, in der sie das Kohlendioxid deponieren. Zusätzlich haben sie ein Netz aus Elektroden in der Tiefe installiert, für ergänzende elektrische Feldmessungen in ihrem CO2-Reservoir. Es ist ein sogenanntes salines Aquifer: eine Schicht aus porösem Sandstein. Fabian Möller:

    "Ein richtig festes Gestein, was ursprünglich mit Salzwasser gefüllt ist. Und dieses Salzwasser hat eine sehr gute elektrische Leitfähigkeit. Wir verdrängen das Salzwasser partiell aus den Poren, die im Sandstein sind. Und diese Poren werden dann mit CO2 gefüllt. Und CO2 hat eine sehr schlechte elektrische Leitfähigkeit.Und da sieht man also einen guten Kontrast."

    Saline Aquifere gibt es vor allem in Norddeutschland. Die porösen Sandsteinformationen haben ein enormes Speichervolumen und gelten im Prinzip als gasdicht. Denn sie liegen unter undurchlässigen Deckgesteinen. In Ketzin ist das eine Schicht aus Ton. Doch ob auch verpresstes Kohlendioxid dauerhaft eingekerkert bleibt, ist laut Möller noch nicht klar:

    "Wir haben hier ein Salzwasser im Untergrund vorliegen. Wenn man CO2 in Wasser löst, das kennen Sie von ihrem CO2-Sprudler zuhause, dann bildet sich Kohlensäure. Und diese Kohlensäure kann das Gestein umbilden. Das ist der große Unterschied bei der Speicherung von CO2 zu Erdgasspeicherung, die also seit Jahrzehnten Stand der Technik ist."

    Mineralumbildungen könnten die Poren im Sandstein verstopfen. Dann wäre das Speichervolumen für Kohlendioxid kleiner als erhofft. Es könnte aber auch zu chemischen Reaktionen mit dem Deckgestein kommen. Und im schlimmsten Fall wird die Untertage-Deponie doch undicht und das CO2 findet wieder Wege zurück an die Oberfläche.

    "Wenn ja, welche Reaktionen sind das? Wie schnell laufen solche Reaktionen ab? Das ist wissenschaftlich noch die Frage und muss erörtert werden."

    Die Deponierung im Untergrund; der vorhergehende Transport des Kohlendioxids zum Speicherort; seine Verflüssigung; aber natürlich auch der technische Aufwand im Kraftwerk, um das Treibhausgas abzuscheiden – all das kostet zusätzliche Energie. Große Mengen zusätzlicher Energie. CCS würde dazu führen, daß der Wirkungsgrad von Kohle-Kraftwerken stark zurückgeht – um acht bis zehn Prozent. Das heißt: CCS-Kraftwerke bräuchten viel mehr Brennstoff als heutige Anlagen, um dieselbe Menge Strom zu erzeugen. Experten schätzen den zusätzlichen Kohle-Bedarf auf rund 40 Prozent. Womit man zu einer entscheidenden Frage kommt: Wie lange halten die globalen Kohle-Reserven eigentlich noch?

    "In den letzten drei, vier Jahren ist ein knappes Dutzend Studien zur Reichweite der Kohle-Vorräte veröffentlicht worden. Fast alle sind sehr pessimistisch und kommen zu dem Schluss, daß die kommerziell abbaubaren Reserven stark überschätzt wurden. Die globale Kohle-Produktion könnte ihren Höhepunkt vielleicht schon zwischen 2025 und 2035 erreichen."

    Richard Heinberg arbeitet am Post Carbon Institute in Sonoma County in Kalifornien. Der US-Dozent hat mehrere Bücher zu Energiefragen veröffentlicht. In seinem jüngsten geht er ausführlich auf die genannten Studien zur begrenzten Reichweite der Kohle-Reserven ein ...

    "Diese Studien wecken ernsthafte Zweifel an dem ganzen CCS-Projekt für Kraftwerke. Noch während wir diese Technologie entwickeln, wird Kohle den Gipfel seiner Förderung erreichen und sich verknappen. Kohlestrom wird dann so teuer, daß er nicht mehr wettbewerbsfähig ist im Vergleich zu alternativen Energiequellen wie Wind und Sonne."

    Der bayerische Physiker Werner Zittel gehört zu den Wissenschaftlern, die vor zwei Jahren erste kritische Bestandsaufnahmen vorlegten. Er befasst sich schon länger mit Fragen der zukünftigen Energieversorgung, bei der Ludwig-Bölkow-Systemtechnik GmbH in Ottobrunn. Zittel verweist darauf,

    "daß die Kohle-Reserven über die letzten Jahrzehnte deutlich nach unten korrigiert wurden."

    Nach Lesart der Lagerkundler gibt es zwei Sorten von Kohle-Vorkommen: Ressourcen und Reserven. Ressourcen sind praktisch alle in der oberen Erdkruste vorhandenen Kohleflöze, Reserven dagegen nur die, die sich nach heutigen Maßstäben wirtschaftlich abbauen lassen. Wenn es um die Versorgungssicherheit geht, sind also Kohle-Reserven die entscheidende Größe. Wie sie sich entwickeln, das verfolgt seit Jahrzehnten der World Energy Council, der Welt-Energierat, mit Sitz in London. Werner Zittel:

    "Als ein Indikator wird da oft genannt die sogenannte statische Reichweite. Also: Wie lange reichen Kohle-Reserven bei konstanter Förderung? Im letzten veröffentlichten Bericht vom World Energy Council, da reicht es für etwa 120 Jahre noch, die Kohle-Reserven. Im Jahr davor waren es noch 140 Jahre. Etwa zehn Jahre davor waren es noch über 200 Jahre. In den 80er Jahren waren es noch 1000 Jahre."

    Der Trend ist eindeutig: Die tatsächlich förderbaren Kohlemengen werden von Jahr zu Jahr nach unten revidiert, aus Ressourcen doch nicht in dem Maße Reserven, wie man sich das in der Vergangenheit ausgemalt hat. Analytiker wie Richard Heinberg und Werner Zittel gehen fest davon aus, daß dieser Trend anhält und sich bald zuspitzt – bis der Höhepunkt der globalen Kohle-Produktion überschritten ist und Versorgungsengpässe auftreten. Es gibt nur zwei aktuelle Studien, die ein anderes Szenario entwerfen. Beide stammen aus der Feder von Mitarbeitern der BGR, der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover. Einer der Autoren ist Thomas Thielemann, heute bei RWE Power:

    "Also, mein deutliches Statement ist: Peak Coal wird es nicht geben,"

    Jedenfalls nicht vor dem Jahr 2100, wie es in den Studien aus der BGR heißt. Thielemann:

    "Ganz druckfrisch im Moment die sogenannte Energiestudie der BGR. Man hat zum Beispiel bei China festgestellt, daß, obwohl China jedes Jahr ja große Mengen an Steinkohle fördert - etwa 2,5 Milliarden Tonnen im Jahr, das ist fast die Hälfte der weltweiten Jahresproduktion –, da haben trotzdem in den letzten Jahren die Steinkohle-Reserven zugenommen."

    Die weltweiten Steinkohle-Ressourcen veranschlagt die Bundesanstalt mit rund fünf Billionen Tonnen. Sie sind damit fünfmal größer als die von Braunkohle, die ohnehin viel energieärmer ist. Die BGR unterstellt, daß ein Zehntel der gesamten Steinkohle-Vorkommen in nutzbare Reserven überführt werden kann. Und kommt so zu dem Schluss, daß Ende des Jahrhunderts noch genügend Kohle vorhanden sein wird, um den Weltbedarf zu decken. Für Werner Zittel ist dieses Modell unrealistisch:

    "Herr Thielemann und ähnliche Leute, die sehen das sehr optimistisch immer. Die nehmen immer eine Ressourcen-Zahl und sagen: Ja, ist ja kein Problem! Nur sage ich aber: Die Ressource ist eine ganz, ganz weiche Zahl. Die sagt vielleicht, mit fünf Prozent Wahrscheinlichkeit hat das auch eine Chance, gefördert zu werden. Oder umgekehrt: Mit einer viel, viel größeren Wahrscheinlichkeit wird das nicht gefördert werden."

    Zittel übertreibt nicht. Die Zahl ist aus der verwandten Erdöl-Branche entliehen. Dort sieht man bei möglichen Reserven tatsächlich nur eine Chance von 1:20, daß sie jemals angezapft werden. Ihre Erschließung wird sich auch in Zukunft kaum rentieren. Bei der Kohle ist das genau so. Die noch unberührten Lagerstätten sind zu klein oder zu weit weg; sie liegen zu tief oder enthalten nur minderwertige Kohle. Zittel:

    "Ein Beispiel will ich nennen: Indien gehört zu den kohlereichsten Ländern der Welt. Etwa 90 Milliarden Tonnen Kohle-Reserven waren ausgewiesen. Die sind im letzten World-Energy-Council-Report um fast 50 Prozent abgewertet worden, weil dort die Kohle einen hohen Aschegehalt hat, das heißt, das ist eine sehr minderwertige Qualität. Und diese Unterschiede, die bleiben bei der reinen Reserven-Betrachtung meistens außen vor."

    Schon heute geht hochwertige Kohle zur Neige. In den USA nehmen die Produktionsmengen zwar weiter zu. Doch gemessen am Energiegehalt der Kohle ist die Förderquote seit zehn Jahren rückläufig – weil hochwertige Steinkohle-Vorkommen allmählich erschöpft sind und die Branche auf energiearme Braunkohle ausweichen muss. Die USA sind inzwischen von einem Kohle-Exporteur zum Kohle-Importeur geworden. Genauso wie China, der energiehungrigste Staat der Erde. Den früheren BGR-Geologen Thomas Thielemann beunruhigt das nicht. Er verweist auf andere Länder, die in die Bresche springen können:

    "Indonesien ist da sehr prädestiniert. Und wenn wir noch weiter gucken, nach Australien. Da haben wir ebenfalls große Kohlelagerstätten. So daß man sich dort vorstellen kann, daß sehr viel Steinkohle aus Indonesien und Australien nach China exportiert wird. Und dort also den möglichen Flaschenhals, der sich bei großen wirtschaftlichen Wachstumsraten in den nächsten Jahren auftun könnte, füttern, abdecken kann."

    Im Gemeinsamen Forschungszentrum der EU-Kommission ist man anderer Meinung. Dessen Institut für Energie im niederländischen Petten hat ebenfalls einen Report zur Zukunft der Kohle vorgelegt. Daß China und die USA als Exportländer ausfallen, sehen die Autoren sehr kritisch. Zitat:

    Das Gros von Kohle-Produktion und –export konzentriert sich auf wenige Länder. Das erhöht das Risiko für Marktverwerfungen. Schon jetzt steigen die Kosten der Kohleproduktion auf der ganzen Welt ständig, weil es immer schwieriger wird, neue Lagerstätten zu erschließen. Die aktuellen Trends sind besorgniserregend. Sie lassen einen starken Anstieg der Welt-Kohlepreise in den nächsten Jahrzehnten erwarten.

    "So, wir schließen jetzt das Ventil. Damit der Druck in der Bohrung konstant bleibt. Danach entlüften wir unsere Schmierfett-Vorrichtung und können sie vom Bohrkopf trennen."

    Auf dem Forschungsgelände in Ketzin sind die Messarbeiten abgeschlossen. Bis in 800 Meter Tiefe haben die rumänischen Gast-Ingenieure ihre Geo-Mikrofone hinabgelassen und den Untergrund ausgehorcht. Jetzt werden sie wieder an die Oberfläche geholt, eingekapselt in großen Metall-Kartuschen, die wie Perlen an einer Kette aufgereiht sind. Für Fabian Möller vom Deutschen Geoforschungszentrum ist es noch zu früh, um sagen zu können, ob man CO2 aus Kohle-Kraftwerken wirklich dauerhaft im tiefen Sandstein deponieren könnte:

    "Wir haben jetzt erfolgreich 18.000 Tonnen CO2 in den Untergrund verbracht. Zusammenfassend kann man eigentlich sagen, daß die Injektion sehr sicher und sehr gut abläuft. Unsere Vorstellung ist, daß wir in fünf bis zehn Jahren tatsächlich sichere Antworten auf alle offenen Fragen haben werden.""

    Poröse Sandstein-Formationen existieren vor allem in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Thomas Thielemann vom Energiekonzern RWE kennt die aktuellen Schätzungen. Demnach wäre in diesen salinen Aquiferen Platz für zehn bis 30 Milliarden Tonnen Kohlendioxid.

    "Wir haben jährlich Emissionen aus den fossil befeuerten Kraftwerken in Deutschland. Wenn man dieses CO2, 350 Millionen Tonnen im Jahr etwa, nun komplett im Untergrund speichern würde, würde also diese große Speicherkapazität für viele Jahrzehnte ausreichen."

    Das sei zu voreilig, meint dagegen der Sachverständigenrat für Umweltfragen. Der SRU hat kürzlich eine Stellungnahme abgegeben, zum geplanten CCS-Gesetz der letzten Bundesregierung. Darin verweist er auf den Welt-Klimarat. Der geht davon aus, daß es nach 2050 notwendig sein wird, Kohlendioxid wieder aus der Atmosphäre zu entfernen, um das Klima zu stabilisieren. Dann, so SRU-Mitglied Olav Hohmeyer, müsste man negative Emissionen fabrizieren. Das funktioniert so: Man nimmt Bäume, läßt sie Zeit ihres Lebens CO2 aufnehmen, verfeuert dann Rinde und Restholz in Biomasse-Kraftwerken und fängt das dabei wieder freigesetzte CO2 auf. Auch dafür bräuchte man Speicherplatz in den tiefen Sandsteinschichten Norddeutschlands. Hohmeyer:

    "Wenn wir die jetzt aber zwischen 2020 und 2050 mit Kohle-CCS vollstopfen, dann ist bei uns 2070 schon gar nichts mehr vorhanden."

    Statt den Betreibern von Kohlekraftwerken schon heute Speicherraum zu reservieren, empfehlen die Umweltweisen erst einmal ein Forschungsgesetz. Es müsse zunächst geklärt werden, wie groß die Aufnahmekapazität der Tiefengesteine genau ist. Und wie es mit möglichen Nutzungskonflikten aussieht. Denn auch künftige Geothermie-Kraftwerke würden ihr Prozesswasser in tiefe Aquifere pumpen, damit es sich dort aufheizt. Und Windpark-Betreiber hoffen auf unterirdische Kavernen für Druckluft. Man erzeugt sie, wenn Wind im Überschuss vorhanden ist, und kann sie, wenn Flaute herrscht, wieder in Strom umwandeln. Politischer Streit um die Nutzung potentieller Untertage-Deponien ist bereits entbrannt. Die Windkraft-Branche hat ein erstes Druckluft-Projekt beantragt, in der Nähe von Brunsbüttel an der Elbe. Mit gutem Grund, wie Energiewirtschaftler Olav Hohmeyer meint:

    "Die Druckluftspeicher würden da hervorragend passen, weil wir in Brunsbüttel mit großen Leitungen aus dem Offshore-Windenergiebereich an Land kommen."

    Doch die Landesregierung von Schleswig-Holstein hat die Anträge abgelehnt. Weil es, so das Wirtschaftsministerium, einen Nutzungsvorrang für CCS gebe. Bei Hohmeyer stößt das auf Unverständnis. Aus Sicht des Umwelt-Sachverständigen ist es...

    "völliger Unsinn, daß ich mit einer kurzfristigen Übergangsstrategie, CCS mit Kohle, daß ich dafür den Ausbau der Regenerativen behindere, die ich langfristig brauche. Das passt gar nicht."

    Hohmeyer meint das grundsätzlich.über den politischen Streit- und Einzelfall Brunsbüttel hinaus. Selbst mit CO2-Abscheidung passten Kohle-Kraftwerke nicht mehr in die künftige Energie-Landschaft. Der Flensburger Umwelt-Sachverständige betont noch einmal, ...

    "daß wir auf Dauer nur eine klimaverträgliche Stromversorgung hinbekommen, wenn wir die 100 Prozent auf regenerative Energiequellen abstützen. Aber Carbon Capture and Storage - diese Technologie führt zu den falschen Kraftwerksbauten. Im Strombereich bekommen wir extrem starke ökonomische Anreize für die Akteure, den Ausbau der Regenerativen möglichst lange hinauszuzögern. Wenn Sie jetzt ein Kraftwerk bauen, das wollen Sie 45 Jahre betreiben."

    Wenn immer mehr Windräder und Solar-Module in Deutschland ans Netz gehen, sind klassische Grundlast-Kraftwerke, die rund um die Uhr laufen, ohnehin nicht mehr gefragt. Denn die Erneuerbaren Energien fluktuieren in ihrer Einspeisung, wie man sagt. Sie liefern nur dann Strom, wenn der Wind weht beziehungsweise die Sonne scheint. Also braucht man zusätzlich Kraftwerke, die in der Zwischenzeit Elektrizität bereitstellen. Und die, wie der Stuttgarter Gutachter Joachim Nitsch erläutert, im Zweifelsfall sehr schnell einspringen müssen, um Stromlücken zu vermeiden.

    "Aus unserer Sicht kommen dafür insbesondere dann flexible und hocheffiziente Gas-Kraftwerke noch in Frage. Mit Gas kann ich natürlich Kraftwerke sehr viel schneller hochfahren. Ich muss nicht große Dampfkessel anheizen. Ich muss nicht Dampferzeuger anheizen. Ich kann mit dem Gas auf die Gasturbine gehen. Und bin teilweise im Sekunden-, Minutenbereich oben. Zum anderen sind die Investitionskosten dieser Kraftwerke deutlich geringer als von Grundlast-Kraftwerken, das heißt sie sind weniger empfindlich gegen einen Rückgang der Auslastung."

    Aber läßt sich das, was aus Klimaschutzgründen wünschenswert wäre, auch realenergiepolitisch umsetzen? Und hat nicht RWE-Geologe Thomas Thielemann recht, wenn er feststellt:

    "Wir haben mit der Braunkohle einen heimischen Rohstoff. Und diese Grundlast-Kraftwerke bieten natürlich Versorgungssicherheit, das heißt, sie bieten wirklich an, 24 Stunden, sieben Tage die Woche den Strom zu liefern, den das Netz gerade benötigt."

    Selbst Manfred Fischedick vom nicht gerade als industrienah verschrieenen Wuppertal-Institut meldet grundlegende Zweifel an:

    "Also, man kann sich das Leben nicht so leicht machen und sagen: Wir steigen aus der Kohle aus und steigen dafür in Gas ein. Das hätte genau den Effekt, daß wir vielleicht für den Klimaschutz einen Beitrag leisten, ja, auf der anderen Seite aber im Bereich der Versorgungssicherheit sicherlich uns noch größere Probleme, als wir heute schon haben, einfangen würden."

    Doch nach allen vorliegenden Szenarien für die Zukunft ist sowieso eines klar: In dem Ausmaß, in dem sie heute verpulvert werden, lassen sich die fossilen Energieträger nicht durch erneuerbare ersetzen. Die Wachablösung kann nur gelingen, wenn die Welt ihren Verbrauch spürbar drosselt. So kann sich Energietechnik-Ingenieur Fischedick auch den Umstieg von Kohle auf Erdgas in Deutschland vorstellen, ...

    "wenn man das in Summe kombiniert mit einer Energieeffizienz-Strategie auf der Nachfrageseite. Daß man also in die Lage versetzt wird, im Wärmesektor zum Beispiel den Gasverbrauch zu reduzieren. So daß am Ende des Tages nicht mehr Gas verbraucht wird. Und das Gas, was man einsetzt im Wärmebereich, ein Stückchen weit in den Kraftwerkssektor geschoben werden könnte."

    Die Forscher im brandenburgischen Ketzin werden in einigen Jahren mit ihrem Messbetrieb im Untertage-Speicher für Kohlendioxid durch sein. Dann wird es auch schon Erfahrungen geben mit ersten CCS-Kohlekraftwerken im Pilotmaßstab. Auch wenn die Ergebnisse durchweg positiv ausfallen sollten, könnten sich die Aussichten für Carbon Capture & Storage dann schon merklich eingetrübt haben. Wegen noch stärker nach unten revidierter Kohle-Reserven und dem weiteren konsequenten Ausbau von sauberen, erneuerbaren Energieträgern. Olav Hohmeyer:

    "Im Kontext mit Kohle ist CCS eine Technologie, bei der wir noch nicht wissen, ob sie kommerziell kommen wird."

    Zittel:

    "Kohle wird teurer werden. Und parallel dazu entwickeln sich die neuen, die alternativen Technologien, die ja mit zunehmender Marktreife billiger werden. Und damit werden sie Überschneidungen haben, so daß es sich gar nicht mehr lohnen wird."

    Nitsch:

    "Meiner Ansicht nach ist die Vorstellung, wir könnten die Kohle über die Rückhaltung von CO2 erträglich machen, ein Irrweg."