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Working-Holiday-Programm in Australien
Nicht nur Zuckerschlecken

Belästigung, Ausbeutung, Unterbezahlung – es gibt Probleme im australischen Working-Holiday-Programm. Immer noch erlebt die Mehrheit der Backpacker eine gute Zeit im Ausland, doch inzwischen häufen sich Beschwerden. Eine gute Recherche vor der Reise wird deshalb immer wichtiger.

Von Andreas Stummer | 05.07.2019
Eine Erntehelferin pflückt Kirschen auf einer Farm im Nordwesten Tasmaniens.
Nicht für alle Backpacker verlaufen die Arbeitsferien in Australien so idyllisch, wie sie es sich vorgestellt haben (imago/UIG)
12 Stunden Knochenarbeit für umgerechnet 35 Euro am Tag: Sklaverei sei das gewesen, erinnert sich Backpackerin Emily Ho aus Peking. Kaum Pausen, keine Toiletten draußen auf den Feldern und zum Schlafen nur eine schmutzige Matratze in einem noch schmutzigerem Pferdestall. So hatten sich Emily und ihre Schwester Kyla ihre Arbeitsferien auf einer australischen Blaubeeren-Farm nicht vorgestellt.
"Ich wusste, das war nicht rechtens, aber ich brauchte das Geld. Ich war abends so müde, dass ich nur noch duschen konnte und dann ins Bett ging. Oft ohne Abendessen."
Die 22-jährige Slowenin Ludmilla Vasic hielt es nur ganze vier Tage auf einer Ananas-Farm vier Autostunden außerhalb von Brisbane aus. Nicht wegen der Hitze oder weil es Mäuse in der Küche gab, sondern weil der Farmer zudringlich wurde.
"Er klopfte an die Badezimmertür, ich sagte: Ich bin duschen, bleiben Sie draußen. Er kam trotzdem herein. Es ist nichts passiert, aber später habe ich gehört, dass der Farmer vier Tage zuvor eine andere Backpackerin sexuell belästigt hatte."
Farmer locken mit falschen Angeboten
Belästigung, Ausbeutung, Unterbezahlung – es gibt Probleme im australischen Working Holiday-Programm. Ausgerechnet jetzt, da seit dem 1. Juli Backpacker durch zusätzliche sechs Monate Farmarbeit ein Visum für ein drittes Jahr in Australien verdienen können. Sozialarbeiterin Jenny Stanger fürchtet, dass die Nachfrage nach noch mehr Jobs die Arbeitsbedingungen noch verschlechtern könnten.
"Oft werden Backpacker an Orte gelockt, die Unterkunft und einen Farmjob versprechen, den es gar nicht gibt. Einen zu finden kann Wochen dauern. Sie müssen für ein Bett bezahlen, um einen Job zu bekommen, aber sie brauchen die Arbeit, um sich das Bett leisten zu können. Bald haben sie Schulden, die sie kaum abzahlen können."
Recherche vorab ist wichtig
Mehr als 40.000 Rucksacktouristen arbeiten jährlich auf australischen Farmen und der Großteil hat eine gute Zeit, doch die Beschwerden bei Arbeitsbehörden und in den sozialen Medien häufen sich. Über Kautionen, die hinterlegt werden müssen, um angeblich einen Job zu garantieren, oder Reisepässe, die von Herbergen einbehalten werden, damit niemand vorzeitig abreisen kann. John George betreibt ein Hostel in Bundaberg. Er rät Backpackern vor ihrem Australienaufenthalt, ihre Hausaufgaben zu machen.
"Backpacker verwenden mehr Zeit darauf, im Internet herauszufinden, wo die billigste Bar ist, wo es den günstigsten Alkohol oder Gras zu kaufen gibt – anstatt sich genauer über die Risiken eines Jobs irgendwo im Nirgendwo Gedanken zu machen. Oft springen sie einfach ins Auto und fahren los. Das ist verrückt."
Informationsbüros wären hilfreich
Trotz möglicher Geldstrafen für Farmer, die zu wenig bezahlen oder zu viel für die Unterkunft verlangen, ist der Working-Holiday-Markt in Australien praktisch nicht reguliert. "Schwarze Schafe", sagt Sozialarbeiterin Jenny Stanger, kämen zu oft ungeschoren davon.
"Genauso wie wir überall Besucherzentren für Touristen haben, sollte es Info-Einrichtungen für Backpacker geben, in denen sie unabhängige Unterstützung bei der Suche nach Arbeit bekommen, aber auch über ihre Rechte und Anlaufstellen aufgeklärt werden – sollte es Probleme geben. Echte Hilfe, auf die sie zählen können."
Die Regierung hat der Behörde für faire Arbeitsbedingungen 15 Millionen Euro bereitgestellt, um Missstände im Working-Holiday-Programm zu beseitigen – für Backpackerin Ludmilla Vasic aber kommt das zu spät. Sie hat ihren Heimflug gebucht, in ihrem letzten Instagram-Post aus Sydney schrieb sie: "Seid schlau, Leute, und verdient euch euren Australienurlaub lieber mit Arbeiten in Neuseeland."
"Ich wollte gern noch ein weiteres Jahr hierbleiben, weil ich mich in Australien verliebt habe. Aber ich wollte nicht wieder auf einer Farm arbeiten müssen. Also habe ich aufgegeben."