Büchners arme Soldat, Woyzeck, der Fremdbestimmte, Ausgebeutete, der Getriebene, hineingeworfen in die Tristesse einer südamerikanischen Realität heute. Argentinien ist abgestürzt, und das nicht erst seit der Krise 2001, dem Staatsbankrott, in dem die Regierung einfach Hand an jedes Sparguthaben legte. Die Zeiten, die man im Volksmund "Pizza und Champagner" nannte, die 90er Jahre unter Ex-Präsident Carlos Menem, sind längst vorbei. Heute sind ganze Bevölkerungsschichten verarmt, der so genannte Mittelstand existiert nicht mehr, die Mehrheit der Argentinier hat – um zu überleben - gleich mehrere Jobs, die sozial nicht abgesichert sind, viele.
"Wenn man sich fragt, was ist Woyzeck heute, in dem Land ist er einfach Humanressource mit vier, fünf verschiedenen Arbeiten, ein Menschenleben, was nicht viel zählt, was womöglich namenlos bleibt und der am Schluß dann irgendwann in der Anatomie landet, wo ihn dann die Studenten sezieren. "
"Herzlich willkommen, darf ich mich vorstellen, ich bin Herrmann Rossi, und bin ab jetzt ihr Führer. In wenigen Minuten werden wir unsere Besichtung des Hospital de las Clinicas beginnen und unsere Runde wird uns bis zum Anatomischen Institut führen. Diese Nacht wird eine sehr spezielle Nacht werden, dank neuester Erkenntnisse über den Fall Woyzeck, der sich hier vor langer Zeit im Krankenhausviertel ereignete. Verschiedene Mitglieder des Krankenhaus und Universitätspersonals Arzte, Professoren, Studenten und Angestellte."
Ein Führer, eine Führung durch das Innenleben des argentinischen Krankenhauses Hospital de Clinicas in Cordoba: Woyzeck als Stationendrama und ein etwa 50köpfgiges Publikum auf Gruppenpfad durch ein langsam verfallenes Gemäuer, von dessen Decken der Putz rieselt, dessen technische Ausrüstung völlig veraltet scheint und aus dessen sanitären Einrichtungen einem schon mal eine Kröte entgegenspringt. Daß dieses Hospital früher einmal auch international bekannt war als Ort der Wissenschaft und der Medizin, ist heute kaum noch zu spüren. Georg Büchners Woyzeck also, Woyzeck als Hilfskraft eines Klinikums das im gleichen maroden Zustand ist, wie das Land.
"Ja, Andres, dieser Platz ist verflucht. Siehst du den lichten Streif da über das Gras hin, wo die Schwämme so nachwachsen? Da rollt abends der Kopf. Das waren die Freimaurer. Die Freimaurer. Still! "
"Wir versuchen alles aus dieser Realität herauszuschöpfen ihn nicht von vornherein als klinischen Fall, der eine Paranoia hat, der Freimaurer sieht, zu nehmen, sondern wenn hier die Erde hohl ist, dann ist die hohl, weil es hier konkret in diesem Klinikum zig Tunnel gibt, die bis hin zu den Militärs noch immer in Funktion waren. Dieses ganze Klinikum ist untertunnelt, Cordoba ist als eine Jesuitenstadt vollen Tunnel, und es gibt auch hier zahlreiche Logen."
"Wir sind hier nun in Doktor Aras Museum angekommen. Die hohe Qualität der ausgestellten Stücke macht dieses Museum zu einem der ersten in der Welt und ist nur noch vergleichbar mit den Museen in Krakau und Wien. 1920 wurde dieses Museum von..."
Ziselierte Blutgefäße, sorgsam zerteilte Organe, konservierte Embryonen, ordentlich gereiht in mehrstöckigen Vitrinen. Und in der Mitte dieses dumpf-muffigen Zweiraummuseums: das Prunkstück, der Mendigo, der Bettler. Ein grauer Kopf, die Augen unter den buschigen Brauen wie im Schlaf leicht geschlossen, doch gleich könnten sie sich - so scheint es - wieder öffnen, könnte dieses Gesicht in all der Schönheit des gelebten Alters sich einem zuwenden, könnte dieser Mund sprechen, Noch jedes Haar steht auf der angeschnittenen Brust struppig-aufrecht. Diese Büste ist ein Prachtbeispiel für die Kunst des Einbalsamierens:
"Der Mendigo ist für uns so etwas wie der Bruder von Woyzeck oder vielleicht hieß der Mendigo Woyzeck, zumindest könnte er eine ähnliche Biographie gehabt haben."
"In Kürze werden wir den Seziersaal betreten, der einer der größten Südamerikas ist, mit 30 Tischen in vier Reihen..... "
Ein dämmriges Souterrain, rostige Heizungsrohre, verblichene Säulen, an denen Kacheln fehlen, schmutzige Chemiekübel hängen herum, hier und dort liegen achtlos zugedeckt Kadaver auf den angegilbten Becken, bräunlich verschrumpelte Körper, deren wie gekochte und abgeplatzte Haut notdürftig vernäht ist. Es sind die Körper von Verstorbenen aus einer Psychiatrie, die niemand mehr will. Zumindest diese Kadaver werden entfernt sein, wenn der Woyzeck von Regisseur Roland Brus rastlos durch diesen Saal hindurcheilen wird. Noch ist er Aushilfskraft auch in diesem Geschoss und könnte doch schon genausogut einer der hier zu verbrauchenden Kadaver sein
"Wenn man Theater in so einem Raum spielen läßt, geht es letztendlich nicht mehr um Repräsentation, sondern es geht um erleben, um spüren, um riechen, und diese Art von Teilhabe, das ist eine Qualität, die man im Bühnenraum sowieso nicht hätte und wo man dann immer in so einem artifiziellen als-ob landen würde."
"Wenn man sich fragt, was ist Woyzeck heute, in dem Land ist er einfach Humanressource mit vier, fünf verschiedenen Arbeiten, ein Menschenleben, was nicht viel zählt, was womöglich namenlos bleibt und der am Schluß dann irgendwann in der Anatomie landet, wo ihn dann die Studenten sezieren. "
"Herzlich willkommen, darf ich mich vorstellen, ich bin Herrmann Rossi, und bin ab jetzt ihr Führer. In wenigen Minuten werden wir unsere Besichtung des Hospital de las Clinicas beginnen und unsere Runde wird uns bis zum Anatomischen Institut führen. Diese Nacht wird eine sehr spezielle Nacht werden, dank neuester Erkenntnisse über den Fall Woyzeck, der sich hier vor langer Zeit im Krankenhausviertel ereignete. Verschiedene Mitglieder des Krankenhaus und Universitätspersonals Arzte, Professoren, Studenten und Angestellte."
Ein Führer, eine Führung durch das Innenleben des argentinischen Krankenhauses Hospital de Clinicas in Cordoba: Woyzeck als Stationendrama und ein etwa 50köpfgiges Publikum auf Gruppenpfad durch ein langsam verfallenes Gemäuer, von dessen Decken der Putz rieselt, dessen technische Ausrüstung völlig veraltet scheint und aus dessen sanitären Einrichtungen einem schon mal eine Kröte entgegenspringt. Daß dieses Hospital früher einmal auch international bekannt war als Ort der Wissenschaft und der Medizin, ist heute kaum noch zu spüren. Georg Büchners Woyzeck also, Woyzeck als Hilfskraft eines Klinikums das im gleichen maroden Zustand ist, wie das Land.
"Ja, Andres, dieser Platz ist verflucht. Siehst du den lichten Streif da über das Gras hin, wo die Schwämme so nachwachsen? Da rollt abends der Kopf. Das waren die Freimaurer. Die Freimaurer. Still! "
"Wir versuchen alles aus dieser Realität herauszuschöpfen ihn nicht von vornherein als klinischen Fall, der eine Paranoia hat, der Freimaurer sieht, zu nehmen, sondern wenn hier die Erde hohl ist, dann ist die hohl, weil es hier konkret in diesem Klinikum zig Tunnel gibt, die bis hin zu den Militärs noch immer in Funktion waren. Dieses ganze Klinikum ist untertunnelt, Cordoba ist als eine Jesuitenstadt vollen Tunnel, und es gibt auch hier zahlreiche Logen."
"Wir sind hier nun in Doktor Aras Museum angekommen. Die hohe Qualität der ausgestellten Stücke macht dieses Museum zu einem der ersten in der Welt und ist nur noch vergleichbar mit den Museen in Krakau und Wien. 1920 wurde dieses Museum von..."
Ziselierte Blutgefäße, sorgsam zerteilte Organe, konservierte Embryonen, ordentlich gereiht in mehrstöckigen Vitrinen. Und in der Mitte dieses dumpf-muffigen Zweiraummuseums: das Prunkstück, der Mendigo, der Bettler. Ein grauer Kopf, die Augen unter den buschigen Brauen wie im Schlaf leicht geschlossen, doch gleich könnten sie sich - so scheint es - wieder öffnen, könnte dieses Gesicht in all der Schönheit des gelebten Alters sich einem zuwenden, könnte dieser Mund sprechen, Noch jedes Haar steht auf der angeschnittenen Brust struppig-aufrecht. Diese Büste ist ein Prachtbeispiel für die Kunst des Einbalsamierens:
"Der Mendigo ist für uns so etwas wie der Bruder von Woyzeck oder vielleicht hieß der Mendigo Woyzeck, zumindest könnte er eine ähnliche Biographie gehabt haben."
"In Kürze werden wir den Seziersaal betreten, der einer der größten Südamerikas ist, mit 30 Tischen in vier Reihen..... "
Ein dämmriges Souterrain, rostige Heizungsrohre, verblichene Säulen, an denen Kacheln fehlen, schmutzige Chemiekübel hängen herum, hier und dort liegen achtlos zugedeckt Kadaver auf den angegilbten Becken, bräunlich verschrumpelte Körper, deren wie gekochte und abgeplatzte Haut notdürftig vernäht ist. Es sind die Körper von Verstorbenen aus einer Psychiatrie, die niemand mehr will. Zumindest diese Kadaver werden entfernt sein, wenn der Woyzeck von Regisseur Roland Brus rastlos durch diesen Saal hindurcheilen wird. Noch ist er Aushilfskraft auch in diesem Geschoss und könnte doch schon genausogut einer der hier zu verbrauchenden Kadaver sein
"Wenn man Theater in so einem Raum spielen läßt, geht es letztendlich nicht mehr um Repräsentation, sondern es geht um erleben, um spüren, um riechen, und diese Art von Teilhabe, das ist eine Qualität, die man im Bühnenraum sowieso nicht hätte und wo man dann immer in so einem artifiziellen als-ob landen würde."