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"Wozu noch Musikkritik?"

Wer braucht noch Musikkritik? In den Feuilletons ist Opern- und besonders Konzertkritik weitgehend marginalisiert, das Fernsehen schaut eh nur hin, wenn’s allgemeinverständlich ist, oder große Stars singen, wie etwa Anna Netrebko oder wie gestern Abend bei der Eröffnung der olympischen Winterspiele in Turin Luciano Pavarotti. Vielleicht bietet das Radio der Musikkritik noch ein Nischendasein - aber insgesamt stünde es nicht gut um die Disziplin, so die recht einmütige Klage bei dem Symposium "Wozu noch Musikkritik?" in Dortmund.

Moderation: Katja Lückert |
    Katja Lückert: Sicher könnte man die Neugründung der Zeitschrift "Melos" 1940, nach 12 Jahren Zwangspause als einen Meilenstein in der westdeutschen Musikkritik bezeichnen. Sie galt als Medium aufklärerischer Kritik, weil sie auch mit denjenigen mittelmäßigen Künstlern abrechnete, die in der Nazi-Zeit aus ideologischen Gründen so in den Himmel gelobt wurden. Im Radio entdeckte man in den 50er Jahren die Neue Musik, das Musikalische Nachtprogramm wurde ins Leben gerufen, in dem sich nicht selten auch Theodor W. Adorno als Musikkritiker zu Wort meldete. Doch wie steht es heute um die Musikkritik? Die Frage geht an Christoph Schmitz, der beim Symposium zur Musikkritik dabei war.

    Christoph Schmitz: Jürgen Kesting, einer der geladenen Musikkritiker, sagt es ganz deutlich, weil ohne Kunstsinn die Kunst zerstört wird - er sagte das frei nach Goethe zitiert - und Musikkritik den Kunstsinn fördert. Also Musikkritik als ästhetische Schulung gewissermaßen, die dazu hinführt, richtig zu hören, die das eigene Hören kontrolliert, verbessert und durch die man über den Austausch in die Mysterien der Musik hinein steigen kann. Auch weil Kunstgenuss ohne Kunstverstand und Bildung eigentlich nicht möglich sind. Je mehr man weiß, je man gehört hat, je größer die Erfahrungen sind, umso größer ist auch das Vergnügen an der Musik. Und dazu könnte auch, meinte Kesting, die Musikkritik beitragen.

    Ulrich Schreiber, ein anderer Großer der deutschen Musikkritik, ging ins Transzendente hinein. Er sagte, Musik sei Vorgeschmack auf die Seeligkeit des Jenseits und Musikkritik halte dafür gewissermaßen den Steigbügel. Und Klaus Geitel ist im Grunde die personifizierte Form eines Menschen, der von der Musik geprägt ist, der von der Musik verzaubert ist, der sozusagen in eine fast transzendente Welt entrückt ist, weil er immer nur von der Musik sprach, die ihn verzaubert hat, die ihn berührt, die ihn zum Staunen bringt. Weil die Musik dies leisten könne, meint er, zum Staunen, ins Wundersame zu entrücken, sei auch die Musikkritik wesentlich.

    Lückert: Wie ist nun die Lage der Musikkritik zu bewerten? Was konnte das Symposium zur Bestandsaufnahme beitragen?

    Schmitz: Das war eigentlich der größte Teil dieses Symposiums, nämlich die Klage. So sehr man die Musikkritik überhöhte oder ihr Potential aufzeigte, was nur in kleinen Momenten möglich war, so sehr wurde geklagt über die Situation, dass die Musikkritik, wie die ganze Musikszene, boulevardisiert sei. In den Medien sei sie marginalisiert, in den Zeitungen komme sie immer weniger vor, auch in den Programmen der Rundfunkanstalten. Musikflächen würden gestrichen, also die Lifemusik, das Konzert, aber auch das Reden über die Musik. Im Fernsehen sei es nie so richtig vorgekommen. Dann, eine sehr interessante Wendung von Jürgen Kesting, dass der Musikkritiker heute in die Kompetenzfalle geraten sei. Er als der sehr genau Hinhörende sei nicht mehr gefragt, wenn man es so genau gar nicht mehr wissen wolle. Wenn wir die subtilen Töne, die subtile Betrachtung dessen, wie sich Musik entwickelt, wie es klingt, wie die Stimmen klingen, wie sie erzeugt werden, gar nicht mehr hören möchten.

    Lückert: Ich wollte schon fragen: Gibt es eigentlich noch sehr viele Menschen, die anspruchsvolle Musik anhören und die mit anspruchsvoller Kritik dann auch etwas anfangen können?

    Schmitz: Ja, aber die Musikszene, das Musikleben, das war die allgemeine Einschätzung, ist doch sehr auf den Starkult hin entwickelt worden. Der Anna-Netrebko-Effekt de facto, wurde immer wieder beschworen. Dann wurde gesagt, dass die Musikkritik sich doch in eine falsche Richtung entwickelt habe, weswegen sie vielleicht auch nicht mehr so wahrgenommen wird. Die Musikkritik heute allgemein sei Lobhudelei angesichts der großen Stars, aber zur gleichen Zeit auch etwas, das im Musiktheater beispielsweise nicht mehr die Musik ins Zentrum rückt, sondern die Inszenierung. Und bei der Inszenierung würde auch nicht mehr gefragt, ob die Musik in ihren Inhalten das hergibt, beziehungsweise ob die Inszenierung das hergibt, was in der Musik eigentlich drinsteckt. Hingewiesen wurde auf Calixto Bieto, den baskischen Regisseur, für den Musiktheater nur noch Denkanstoß durch Blasphemie sei.

    Lückert: Was gibt es für Ursachen für diese Missstände in Sachen Musikkritik und was gab es in diesem Symposium für Lösungsangebote?

    Schmitz: Die Ursachen wurden von Ulrich Schreiber ganz deutlich benannt. Er sagt, die europäische Musiktradition und damit auch die Musikkritik sei "auf den Hund gekommen" und befände sich auf einem sinkenden Schiff. Und der Eisberg, der dieses Schiff zum Sinken gebracht habe, sei die popkulturelle Revolution der 68er, verstärkt noch durch die Ereignisse des Jahres 89, durch die Wende, durch die große Kapitalisierung beziehungsweise den globalen Sieg des Kapitalismus. Das ist natürlich eine sehr zugespitzte Formulierung und hilft eigentlich in der Diskussion auch nicht weiter.

    Die Frage ist ja, wie in einer Zeit, in der über Musik gesprochen wird mit Begriffen wie Event, Popchart, Cross Over oder Chill-Out-Lounges, die die Universal Music, die Deutsche Grammophon in Berlin betreibt, wie man da Musik noch in einer adäquaten Sprache vermitteln kann. Die Lösungsmöglichkeiten wurden hier nachgefragt, wurden aber nicht gegeben. Die alten Haudegen der Musikkritik waren im Grunde ratlos und verwiesen darauf, dass Redakteure und Leute die mit Musik zu tun haben, dafür sorgen sollen, dass sie mehr Seiten, mehr Zeilen, mehr Sendezeiten bekommen. Aber die Frage, ob vielleicht auch die Sprache der Musikkritik sich verändern muss, weil sich die Sprache der Kultur verändert hat, darauf wurde gar nicht eingegangen. So herrschte eher Ratlosigkeit.

    Lückert: Wenn Sie an unser eigenes Medium, das Radio, denken, glauben Sie, dass es für das Radio einfacher ist Bilder zu beschreiben, also Kunstkritik zu betreiben, oder Musikkritik?

    Schmitz: Ich glaube da ist die Herausforderung gleichermaßen groß. Denn visuelle Eindrücke in verbale umzusetzen, zu transponieren, glaube ich, ist genau so schwierig, wie das Akustische in Bilder zu fassen.