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Wulff meldet sich zurück

Christian Wulff ist zurück. Auf Einladung der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg sprach er zum Thema "Gesellschaft im Wandel". Nach seinem Rücktritt als Bundespräsident will er nun offenbar eine neue Karriere als Elder Statesman starten. Nur hat von dem Comeback-Versuch kaum jemand etwas mitbekommen.

Von Michael Brandt | 22.11.2012
    Draußen auf dem Heidelberger Universitätsplatz tobt das Leben. Seit ein paar Tagen hat der Weihnachtsmarkt geöffnet und alle stürzen sich auf Glühwein, Eierpunsch, Steakwecken und original Heidelberger Feuerzangenbowle. Die Tatsache, dass gleich nebenan Christian Wulff seine erste öffentliche Rede als Ex-Bundespräsident halten wird, ist zwar interessant, aber mehr auch nicht:

    "Wir haben das hier gar nicht mitgekriegt, wir haben nur mitgekriegt, dass der Glühwein hier 2,80 kostet mit Schuss." - "Ich höre das jetzt gerade zum ersten Mal, dass Wulff hier in Heideberg ist." - "Ich fände es jetzt sehr viele interessanter, wenn seine Frau hier ihr neues Buch vorstellen würde, ich halte sehr viel von Viktoria, äh Veronika, äh Bettina Wulff."

    Im Weihnachtsmarktgetümmel geht die Menschentraube vor der Tür der alten Aula fast unter. Rund 300 Interessierte - darunter an die 50 Journalisten - haben es doch mitgekriegt, dass Wulff am Abend zum Thema "Gesellschaft im Wandel" sprechen wird. Sie wollen rein. Aber die Teilnehmerzahl ist streng limitiert: pro Stuhl im altehrwürdigen Hörsaal ein Zuhörer.

    "Rein aus Interesse, besonders an der Person, weniger an seinem Vortrag, das muss ich ehrlich zugeben." - "Sowohl als auch, ich wusste schon seit einem Jahr, dass der Bundespräsident hier in meine Geburtsstadt kommt, und da habe ich mir fest vorgenommen, an dem Vortrag teilzunehmen." - "Der persönliche Eindruck, seine Rhetorik und natürlich auch, was er zu sagen weiß."

    Auf Journalistenfragen wird Christian Wulff nicht antworten. Das hat der Veranstalter, die Hochschule für jüdische Studien, schon vor seinem Auftritt klar gemacht. Unter den Augen von streng dreinschauenden Sicherheitsleuten soll es nur ums Vortragsthema gehen, und nicht um die Person Wulff. Die Einladung zur Rede hat Rektor Johannes Heil ausgesprochen, als Wulff noch Bundespräsident war, aber sie gilt trotz Rücktritt:

    "Die Einladung ist nicht an das Amt gebunden und galt und sie gilt auch und insbesondere dem Leo-Baeck-Preisträger des Jahres 2011."

    Pünktlich um 18:15 Uhr betritt Wulff gemeinsam mit dem Rektor den Hörsaal. Locker schreitet er entlang der Stuhlreihen nach vorne.
    Der Ex-Präsident trägt eine Kombination aus dunkelgrauem Jackett, hellgrauer Hose und silberner Krawatte. Die Brille ist wieder die alte rahmenlose, nicht die modische schwarze Nerd-Brille, mit der er in den vergangenen Wochen öfters auf Fotos zu sehen war. Aber schlanker ist er geworden seit seinem Rücktritt im Februar.

    Wulff nimmt in der ersten Reihe Platz, während Rektor Heil das Publikum begrüßt. Er knetet die Hände, er sortiert seine Notizen. Man spürt irgendwie doch Anspannung hinter der scheinbaren Gelassenheit.

    "Als Deutschland 1990 Fußball-Weltmeister wurde, gehörten zu unseren elf Spielern, von denen drei Andreas hießen, zwei Jürgen, einer natürlich Lothar. Aber inzwischen sind unter den Spielern Jérôme, Sami, Miroslav und Mesut – glücklicherweise, weil sie ganz wesentlich für den Erfolg auch mitsorgen."

    Die Rede beginnt routiniert, und es zeigt sich schnell: Es ist eine politische Rede, Wulff versucht an seine Worte zum Jahrestag der Wiedervereinigung im Jahr 2010 anzuknüpfen, als er erklärte, dass das Judentum und der Islam ebenso zu Deutschland gehören wie das Christentum. Eine knappe Stunde spricht Wulff über die Schwierigkeiten der Integration, über ihre großen Chancen, vor allem aber über ihre Notwendigkeit:

    "Es liegt im nationalen Interesse Deutschlands, dass wir offen sind für Menschen aus der Welt und dass wir attraktiv bleiben für Menschen aus Deutschland, dass sie nicht zum Nachteil unseres Landes weggehen."

    Es ist hörbar nicht der Privatier Wulff, der da spricht. Es ist der ehemalige Bundespräsident, ein Mann mit Sendungsbewusstsein, ein Mann, der nicht vorhat, sich in den kommenden Jahren aus gesellschaftlichen Debatten rauszuhalten. Und - wie er in der anschließenden kurzen Diskussion erkennen lässt - ein Mann, der noch immer eine ziemlich hohe Meinung von seiner Person hat. Wulff sieht sich auf dem Weg zum Elder Statesman. Und sein Ratgeber, niemand geringerer als Ex-US-Präsident Jimmy Carter.

    "Ich habe mich lange mit Jimmy Carter unterhalten über diese Frage, weil ich bei der Durchschau von Altpräsidenten darauf stieß, dass er mir am meisten sagen kann."

    Aufs Glatteis der Tagespolitik wolle er sich nicht führen lassen, erklärt Wulff, als eine Dame aus dem Publikum wissen will, wie sich denn das Betreuungsgeld auf die Integration auswirken wird.

    Der Applaus am Ende der Rede ist nicht nur höflich, er ist herzlich. Auch wenn Wulff zum Thema nicht viel Neues gesagt hat im Vergleich zu seiner Rede im Jahr 2010. Daher beim Rausgehen auch kritische Stimmen aus dem studentischen Publikum:

    "Ich fand den Vortrag insgesamt ziemlich erwartungsgemäß, es war nichts Neues dabei, keine neuen Impulse." - "Von der Art und Weise war das absolut in Ordnung, wie er das gemacht hat, aber jetzt hier so ein gesetztes Publikum zu missbrauchen, um sich irgendwie zu rehabilitieren und sich nicht irgendwie kritischen Fragen zu stellen danach ist auch irgendwie - naja."

    Das Fazit heißt also: Christian Wulff, der Bundespräsident mit der bislang kürzesten Amtszeit, hat gestern Abend versucht, eine neue Karriere zu starten. Und zwar als Elder Statesman. Und nach seiner Meinung wird sie lange, lange dauern.

    Draußen auf dem Weihnachtsmarkt ist es mittlerweile noch voller geworden. Hier interessiert sich keiner dafür, dass Christian Wulff ein paar Meter entfernt eine neue Phase seines beruflichen Lebens begonnen hat.