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Wunderheiler im Leistungstief

Medizin. – Stammzellen haben es schwer, entweder sie werden als Wunderheiler in den Himmel gehoben, oder als ethisch verwerflich in Grund und Boden verdammt. Der ethischen Frage entgehen die Forscher, indem sie Stammzellen aus dem Körper der Patienten selbst gewinnen und nicht aus Embryonen. Doch ob diese adulten Stammzellen Wunderheiler sind, war auf dem 14. Symposium über kürzliche Fortschritte in der Stammzelltransplantation in Heidelberg umstritten. Michael Lange bilanziert die Konferenz im Gespräch mit Monika Seynsche.

    Monika Seynsche: Herr Lange, Sie waren die letzten Tage in Heidelberg, wo sich internationale Stammzellforscher getroffen haben. Was weiß man denn jetzt schon über die Heilkräfte dieser adulten Stammzellen?

    Michael Lange: Wissenschaftler sind ja von Natur aus skeptisch, und so zeigten sie sich auch in Heidelberg. Die wissenschaftlichen Daten von Patienten, die vorgelegt wurden, die konnten die Wissenschaftler in ihrer ganz großen Zahl nicht überzeugen. Es werden ja bereits Stammzellen seit einigen Jahren gegen Herzinfarkt zum Beispiel eingesetzt. Es gibt viele kleine Studien, wo die Patienten dann auch nachher wieder untersucht werden, wo nachgeschaut wird, haben die adulten Stammzellen dem Patienten tatsächlich geholfen. Aber es gibt fast genauso viele Studien, wo es keine Wirkung gab, wie solche, wo es eine Wirkung gab. Also zusammenfassend kann man sagen, über die Heilwirkung lässt sich noch sehr wenig sagen.

    Monika Seynsche: Wie werden denn die Stammzellen gewonnen?

    Michael Lange: Das sind Stammzellen, die aus dem Patienten selbst stammen. Und zwar aus seinem Knochenmark. Im Knochenmark findet die Blutbildung statt, und zwar ganz besonders stark im Inneren der großen Röhrenknochen, die Stammzellen werden dort entnommen, mit einer Hohlnadel und dann angereichert. Das heißt, es sind sehr viele Stammzellen, die dann in einer Spritze drin sind, und die werden dann zum Beispiel an bestimmte Stellen im Herzmuskel gespritzt oder auch zum Beispiel in den Blutkreislauf gegeben, und in Zukunft vielleicht ins Nervensystem gespritzt. In Deutschland findet das noch nicht statt, aber dann sollen die Stammzellen sozusagen in dem Gewebe reparieren, sie sollen kaputtes Gewebe wieder ganz machen.

    Monika Seynsche: Und tun sie das?

    Michael Lange: Ja, das ist die ganz große Frage. Die würden die Wissenschaftler gern beantworten, und bisher gibt es keinen einzigen Beweis, dass sie das tatsächlich tun. Es gibt zwar einige Beispiele, wo es dem Patienten nachher besser geht, aber man weiß nicht, woran es gelegen hat. Die entscheidende Frage hat der Tagungsleiter Anthony Ho von der Universitätsklinik in Heidelberg gestellt. Er hat gesagt, es kommt auf die connections an, die Verknüpfungen, die Verbindungen. Die Zellen, wenn sie in das fremde Gewebe, also in das Gewebe, in das sie eigentlich nicht hingehören, die müssen in Kontakt treten mit den dort vorhandenen Zellen, um wirklich neues Gewebe zu bilden. Und dieser Kontakt sei in wirklich keinem Fall mit adulten Stammzellen nachgewiesen, und so lang das nicht der Fall sei, ist einfach nicht klar, ob da ein heilender Effekt in dem Gewebe stattfindet.

    Monika Seynsche: Aber das müsste man doch eigentlich schon einmal im Tierversuch ausprobiert haben!

    Michael Lange: Es gibt Tierversuche mit adulten Stammzellen, aber man muss ganz klar sagen, es gibt sehr wenig Tierversuche. Es wird sehr früh an den Menschen gegangen, da ja keine Produkte erstellt werden, die irgendwie zugelassen werden. Es sind Heilversuche, die einfach gemacht werden. Die Zellen stammen vom Patienten selbst, so dass dann sozusagen keine Hürde besteht. Man hat vielfach auf Tierversuche verzichtet, und die wenigen Tierversuche, die es gibt, zeigen eben diese connections, diese Verknüpfungen zwischen den Zellen nicht. Und deshalb geht man davon aus, dass diese Verknüpfung nicht stattfindet. Die muss aber stattfinden, wenn man wirklich regenerative, wieder aufbauende Medizin mit diesen Zellen betreiben will.

    Monika Seynsche: Was gibt es denn für Ansätze, die Stammzellen dazu zu bringen, dass sie diese Verbindungen knüpfen?

    Michael Lange: Da gibt es bisher nur Laboransätze. Man will da von den embryonalen Stammzellen lernen. Es ist ja eine Theorie, dass man die embryonalen Stammzellen nicht in die Patienten spritzt, weil die vielleicht zu riskant sind oder man dafür Embryonen getötet werden müssten, aber dass man von den embryonalen Stammzellen lernen kann, wie es funktioniert, dass Zellen sich wieder anpassen, dass diese Zellen sich verändern, dass man den Trick sich von den embryonalen Stammzellen abschaut, und den auf adulte Stammzellen überträgt. Und wenn man diesen Trick, durch Gentechnik oder was auch immer, in die adulten Stammzellen sozusagen verpflanzen kann, sie tunen kann, wie man auch sagen kann, ja, dann könnte man natürlich dieses Problem lösen. Aber das ist alles, Sie merken es schon, Zukunftsmusik. Soweit ist die Forschung noch nicht.

    Monika Seynsche: Bei den adulten Stammzellen sieht das ganze also noch sehr wackelig aus, wie ist das denn bei den embryonalen Stammzellen?

    Michael Lange: Ja, wackelig, wenn man die Wirkung verstehen will. Bei den embryonalen Stammzellen ist es im Grunde genau umgekehrt. Man weiß überhaupt nicht, was im Menschen passieren wird, man weiß aber sehr viel über die Zellen selbst. Es gibt immer mehr Zellkulturen, die sich immer weiter vermehren, und diese Zellkulturen sind inzwischen sehr gut charakterisiert. Das heißt man weiß biochemisch, was da abläuft, wie die Oberfläche dieser Zellen aussieht. Aber man weiß noch nicht so viel, was sie im Menschen machen werden. Und da untersucht man zurzeit Tiere, und da hat man einige Ansätze gefunden, dass mit den embryonalen Stammzellen tatsächlich Verknüpfungen, connections, möglich sind, also das ist jetzt die Hoffnung, dass man von den embryonalen Stammzellen lernen kann.