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Wut und Enttäuschung am Kap

In Südafrika herrscht Wahlkampf: Am 18. Mai stimmen die Bürger am Kap über neue Städte- und Gemeinderäte ab. Wahlbeobachter rechnen außerdem damit, dass viele frustrierte Bürger die Politiker abstrafen wollen, indem sie sich gar nicht an der Wahl beteiligen.

Von Leonie March | 14.05.2011
    Eine belebte Straßenkreuzung in KwaMashu, einem ehemaligen Township im Norden von Durban - bekannt für seine Armut und Arbeitslosigkeit, berüchtigt für die hohe Gewaltkriminalität. Frauen verkaufen am Straßenrand Gemüse, Hühner scharren im herumliegenden Müll, vollbesetzte Minibustaxis werben hupend um Kunden. An Ampeln, Bäumen und Laternenpfählen hängen Wahlkampf-Plakate verschiedener Parteien, die alle dasselbe versprechen: "Service Delivery" – also staatliche Grundversorgung. Ein Thema, das alle Bürger im Viertel beschäftigt.

    Viele Leute hier leben in Shacks, also selbstgebauten Wellblechhütten, sagt ein junger Mann, daher sei er unzufrieden. Es gebe keinen Strom und die Wasserleitungen seien defekt, fügt ein anderer hinzu. Und ein dritter meint: Wir sind es einfach leid, im Dreck zu leben.

    Die Unzufriedenheit ist spürbar groß, auch wenn es hier in KwaMashu während des Wahlkampfes noch keine größeren Proteste oder Ausschreitungen gegeben hat. In anderen Teilen Südafrikas dagegen brannten Autoreifen, Demonstranten warfen Steine auf Polizisten, die Beamten setzten Gummigeschosse und Tränengas ein. Es gab Verletzte und sogar einen Toten. Glücklicherweise sei die Situation in KwaMashu nicht eskaliert, meint eine junge Frau. Dennoch seien auch hier viele von der Regierung enttäuscht.

    "Hier in der Gegend gibt es zum Beispiel einen Fall von zwei Familien, die sich ein kleines Haus mit nur vier Zimmern teilen. Bei der letzten Kommunalwahl vor fünf Jahren haben die Politiker ihnen versprochen, dass sie sich um das Problem kümmern werden. Aber sie haben dieses Versprechen noch immer nicht eingelöst."

    Die junge Frau heißt Tuletu Siziba. Nach der letzten Kommunalwahl hat sie sich entschieden, selbst etwas für die Verbesserung der Lebensverhältnisse in ihrem Viertel beizutragen. Seitdem arbeitet sie als "community development worker", eine Art Sozialarbeiterin, die die Forderungen der Bürger an die zuständigen Regierungsstellen weiterleitet, Projekte entwickelt und betreut.

    "Bis jetzt bin ich nur teilweise zufrieden. Da meine Kollegen und ich selbst in den betroffenen Vierteln leben, wissen wir natürlich genau, mit welchen Problemen die Menschen jeden Tag konfrontiert sind. Seit einiger Zeit treffen wir uns regelmäßig mit den Vertretern der zuständigen Ministerien, um über die dringendsten Anliegen zu sprechen. Eigentlich ist das eine gute Idee. Aber manche der Regierungsvertreter zeigen kein besonderes Interesse. Sie scheinen noch immer nicht begriffen zu haben, dass ihre Hauptaufgabe darin besteht, der Bevölkerung zu dienen."

    Schweigend biegt die engagierte Südafrikanerin in eine ruhigere Seitenstraße ein. Das Wort Korruption fällt nicht. Doch es ist bekannt, dass sie in den Verwaltungen vieler Städte und Gemeinden verbreitet ist: Gelder werden veruntreut, öffentliche Aufträge an Verwandte gegeben. Von den mehr als 9000 Häusern, die die Stadt Durban im vergangenen Jahr in Armenvierteln wie KwaMashu gebaut hat, müssen geschätzte zwei Drittel schon wieder repariert oder sogar abgerissen werden. Grund dafür ist unter anderem die Verwendung billiger Baumaterialien. Nur ein Beispiel von vielen. Der Anteil derer, die noch immer in Wellblechhütten leben müssen, hat sich seit 2002 nur unwesentlich verändert. Es sind noch immer 13 Prozent der Bevölkerung. Tuletu Siziba deutet auf einen Hügel am Rande von KwaMashu.

    "Die Menschen dort haben kein fließendes Wasser in ihren Behausungen. Sie müssen es sich an kommunalen Wasserhähnen holen. Außerdem gibt es dort keine Kanalisation: Die Toiletten sind einfache Löcher im Boden mit einem Sitz darauf."
    Landesweit gibt es jedoch auch positive Entwicklungen. Die Zahl der Haushalte, die keine richtigen Toiletten haben, wurde seit 2002 halbiert. Im selben Zeitraum wurde die Versorgung mit Strom und Wasser deutlich ausgeweitet. Das seien beachtliche Erfolge, meint Hartmut Krebs von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit in Südafrika.

    "Die Herausforderungen hier in Südafrika sind sehr groß, weil Südafrika ja nur eine junge, nämlich nur 17 Jahre junge Geschichte hat. Vor dem Ende der Apartheid waren die staatlichen Angebote natürlich in erster Linie auf die Versorgung der weißen Minderheit im Land gerichtet und nach der Demokratisierung, nach 1994, den ersten freien Wahlen, sind sie natürlich auf alle Bürger ausgerichtet, was bedeutet, dass Südafrika und seine Regierung circa 50 Millionen Menschen zu versorgen hat, ohne dass dafür die infrastrukturellen Voraussetzungen gegeben waren.

    In KwaMashu und vielen anderen Gegenden, in denen die schwarze Bevölkerungsmehrheit früher angesiedelt wurde, haben die Menschen jedoch eine schnellere Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse erwartet. 17 Jahre eine lange Zeit, meint Lindiwe Shange, Mutter von zwei Kindern:

    "Mein Mann und ich, wir sind beide arbeitslos. Wir leben bei seinen Eltern. Sieben Personen in einem Haus mit nur vier Zimmern. Wir haben inzwischen Strom und Wasser, das muss man der Regierung zu Gute halten. Aber das allein reicht nicht, denn wir bleiben trotzdem arm. Immer wieder kommt es vor, dass wir hungrig zu Bett gehen. Meine größte Bitte an die Politiker wäre daher, dass sie endlich etwas gegen die hohe Arbeitslosigkeit unternehmen."

    Lindiwe Shange hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Sie wird am kommenden Mittwoch wählen gehen. Politische Beobachter befürchten jedoch, dass viele andere Südafrikaner zu Hause bleiben könnten. Aus Protest. Weil sie das Vertrauen in die Politik verloren haben. Oder weil sie denken, dass eine einzelne Stimme nicht zählt und sowieso nichts verändern kann.