Dienstag, 16. April 2024

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WWF-Experte zum Schutz wandernder Tierarten
„Größtes Massensterben von Arten seit Ende der Saurier-Zeit“

Beim Artenschutz gehe es nicht nur darum, Populationen zu erhalten, sondern auch darum, Lebensräume nicht weiter zu beschneiden, sagt Arnulf Köhncke von der Umweltschutzorganisation WWF im Dlf. Der Artenschutz sei aber kein reines Umweltproblem.

Arnulf Köhncke im Gespräch mit Britta Fecke | 18.02.2020
Asiatische Elefanten auf einer Wiese
Unter anderem asiatische Elefanten sollen besser geschützt werden. (imago images / Westend61)
Britta Fecke: Wer an der Nord- oder Ostsee war, hat sie bestimmt schon einmal gesehen: die Küstenseeschwalbe, diese kleine, den Möwen recht ähnliche Vogelart. Wenn sie an den Küsten Mitteleuropas gebrütet hat, dann fliegt sie in die Antarktis und im nächsten Frühjahr wieder zurück – eine Strecke von allein rund 15.000 Kilometern. Das macht die Küstenseeschwalbe mehrmals in ihrem Leben. Da kommt einiges zusammen.
Nun wandern nicht alle Tierarten so weit, aber viele nehmen enorme Strapazen auf sich, um in ihre Brut- oder Überwinterungsgebiete zu kommen, und die Seeschwalbe hat noch Glück, denn sie kann fliegen. Landesgrenzen und Autobahnen stellen für sie kein Hindernis dar. Doch andere wandernde Tierarten scheitern genau daran.
Auch deshalb beraten in dieser Woche wieder die Vertreter von 129 Staaten bei der 13. UN-Konferenz über die Konvention zur Erhaltung wandernder, wild lebender Tierarten – diesmal in Indien -, und sie beraten, wie Elefanten, Haie oder Jaguare geschützt werden können.
Ich bin jetzt verbunden mit Arnulf Köhncke. Er ist Leiter des Fachbereiches Artenschutz bei der Umweltschutzorganisation WWF. Herr Köhncke, warum bedürfen denn wandernde Tierarten eines besonderen Schutzes?
Arnulf Köhncke: Wir sehen ja aktuell leider die Artenvielfalt in einer größeren Krise. Wahrscheinlich eine Million Arten sind inzwischen bedroht. Und gerade wandernde Tierarten haben die Herausforderung, dass sie einfach Raum brauchen, dass aber Lebensräume leider immer stärker zerschnitten werden – Sie haben es schon angesprochen -, ob durch Straßenbau, durch Städtebau, durch Umwandlung von natürlichen Lebensräumen in Dinge wie Plantagen oder landwirtschaftliche Nutzflächen, und da natürlich dann weniger Raum bleibt für natürliche Wanderbewegungen, die diese Arten aber brauchen. Gerade in Zeiten der Erderhitzung, wenn die Bedingungen um sie herum sich verändern, ist es wichtig, dass die ihre Wanderbewegungen vollziehen können, wie schon die angesprochenen Elefanten zum Beispiel an Land oder im Meer die großen wandernden Fischarten.
Vom Jaguar bis zum Hammerhai
Fecke: Welche Arten sind denn besonders bedroht und werden in diesem Jahr wahrscheinlich auf diese Schutzliste aufgenommen?
Köhncke: Es gibt jedes Jahr eine große Anzahl von Arten, die auf die Schutzliste aufgenommen werden sollen. In diesem Jahr kann man zum Beispiel an Land den Jaguar hervorheben. Der Jaguar hat eigentlich nur einen Bestand, nämlich im Amazonas-Gebiet, dem es einigermaßen gut geht, und viele andere Teilbestände, denen es leider nicht gut geht, wo die Bedrohungen sehr groß sind durch Lebensraumverlust, durch Zerstückelung der Lebensräume und auch teilweise durch illegale Jagd.
An fliegenden Tieren hätten wir zum Beispiel Albatrosse, die leider im Meer sehr stark durch Beifang bedroht sind, teilweise auch an den Nestgründen, und die natürlich auch inhärent über Grenzen hinweg geschützt werden müssen, weil sie sich über so große Räume bewegen.
Im Meer haben wir natürlich immer wieder die großen Haiarten wie zum Beispiel dieses Mal Hammerhaie, die auch große Wanderbewegungen vollziehen, aber auch weiterhin durch Beifang bedroht sind und teilweise auch durch Verschmutzung in den Meeren.
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Fecke: Wenn jetzt zum Beispiel der Jaguar auf die Liste der zu schützenden wandernden, wild lebenden Tierarten kommt, machen sich die Länder dann strafbar, wenn sie ihn trotzdem jagen?
Köhnke: Strafbar nicht. Das funktioniert ein bisschen anders, und zwar was der WWF sehr stark betont ist, dass wir die Konnektivität zwischen Lebensräumen erhalten müssen. Es reicht nicht nur, Kernbestände von Arten zu erhalten in gut geschützten Lebensräumen, sondern die müssen sich auch bewegen können, teilweise auch über Landesgrenzen. Da hilft dann eine Aufnahme in so einen Anhang, den Ländern klarzumachen, dass sie ermutigt werden, mehr zusammenzuarbeiten, um die Verbindung zwischen Lebensräumen über Grenzen hinweg zu erhalten, vielleicht auch zu verbessern, und um weiterer Zerstückelung von Verbreitungsgebieten vorzubeugen.
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Fecke: Ich muss da gerade spontan an die Wildkatze in Deutschland denken, die ja auch gerne weit wandert und sehr scheu ist. Da hat es aber zum Teil geholfen, solche kleinen Heckenkorridore einzurichten, um ihr zu ermöglichen, von einem Gebiet, in dem sie lebt, in das andere herüberzuwechseln. Gibt es noch andere Beispiele, die nicht in Deutschland spielen?
Köhncke: Ja. Das, was Sie ansprechen, bei der Wildkatze trifft das schon ganz gut. Es gibt viele Möglichkeiten, auch auf größerer Landschaftsebene gedacht, es zu schaffen, dass man wirtschaftliche Entwicklung ermöglicht, Landwirtschaft etc., und gleichzeitig die sogenannte Durchlässigkeit, die Permeabilität dieser Bereiche für Wildtiere ermöglicht – ob jetzt durch einen Heckenstreifen bei der Wildkatze oder durch Vorsichtsmaßnahmen, dass meinetwegen auch Tiger durch landwirtschaftliche genutzte Räume gehen können, ohne mit Menschen übermäßig in Konflikt zu geraten. Solche Ansätze gibt es an vielen Orten und die können uns dabei helfen, die Artenvielfalt vor dem Rückgang zu bewahren und sogar wieder nach oben zu bringen, wieder zur Erholung zu bringen.
Artenvielfalt und Klimakrise
Fecke: Nun sind ja viele der Länder, in denen diese wild lebenden, wandernden Arten zuhause sind, mit eigenen Probleme beschäftigt, wirtschaftlicher Art, Hunger, Epidemien, gerade auch in Afrika. Wird da auch Hilfestellung geleistet, wenn es um den Schutz von asiatischen Elefanten, afrikanischen, oder Giraffen geht?
Köhncke: Im Rahmen der Konvention zum Schutz der wandernden, wild lebenden Tierarten geschieht das dann vor allen Dingen durch solche Hilfestellungen bei der Erarbeitung von grenzübergreifenden Strategien und Aktionsplänen, wo auch Nichtverbreitungsstaaten dieser betroffenen Arten Verbreitungsstaaten dabei unterstützen, neue Ansätze zu erarbeiten. Aber insgesamt – da bin ich total bei Ihnen – ist der Artenschutz natürlich kein reines Umweltproblem, sondern wir brauchen die Arten um uns herum als Teil unserer eigenen Lebensgrundlage. Wenn wir die Artenvielfalt nicht erhalten, bleiben uns wichtige Anpassungsmöglichkeiten zum Beispiel an die Klimakrise versagt, und es wird langfristig ein großes Problem sein für nachhaltige Entwicklung, wenn wir die Artenvielfalt nicht erhalten. Das betrifft dann auch natürlich die Entwicklung ländlicher Bereiche, es betrifft die Armutsbekämpfung, es betrifft die Bekämpfung von Hunger weltweit.
Fecke: Gibt es auch Arten, Tierarten, deren Bestand sich aufgrund der Konvention wieder erholt hat?
Köhncke: Ja, es gibt zum Glück immer wieder Lichtblicke im Naturschutz. Wir sehen bei einzelnen Meeresschildkrötenarten, dass die Bestände sich erholen, leider auch nur bei einzelnen, zum Beispiel bei grünen Meeresschildkröten, teilweise auch bei anderen nicht. Wir sehen es auch bei einzelnen wandernden bedrohten Vogelarten, zum Beispiel dem sehr schönen Löffelstrandläufer, dass die Bestände sich erhöhen, weil man sehr intensiv um den Schutz der Brutpopulation arbeitet. Wir sehen aber auch insgesamt leider gerade seit dem Bericht des Weltbiodiversitätsrates IPCC im letzten Jahr, dass wirklich der Status der Artenvielfalt insgesamt weiterhin klar in der Krise ist und dass wir leider weiterhin im größten Massensterben von Arten seit dem Ende der Saurier-Zeit sind. Da ist wirklich noch sehr, sehr viel Handlungsbedarf.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.