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Youtube vs Türkei

Nicht jede Seite, die Internetnutzer in der Türkei aufrufen, können sie auch tatsächlich sehen. Grund: Die dortige Justiz lässt bestimmte Adressen sperren. Doch die türkischen Nutzer haben Mittel und Wege gefunden, solche Sperren zu umgehen.

Von Susanne Güsten | 15.06.2010
    Ein Internetcafé in Istanbul, eines von mehr als 15.000 in der Türkei. Insgesamt nutzen rund 35 Millionen Türken das Internet, doch sie finden im weltweiten Datennetz nicht immer das, was sie suchen. Nicht selten taucht statt der gewünschten Seite der gefürchtete Hinweis der Telekommunikations-Behörde auf: "Diese Seite ist auf Gerichtsbeschluss gesperrt." Zu den derzeit gesperrten Adressen zählt die des Videoportals Youtube, das für türkische Nutzer schon seit mehr als zwei Jahren nicht mehr erreichbar ist. Selber schuld, sagt der zuständige Minister Binali Yildirim:

    "''Youtube soll eben Einspruch einlegen vor einem türkischen Gericht, das wird den Fall dann abwägen. Ich erinnere daran, dass die Türkei ein Rechtsstaat ist. Wie groß diese Firma auch sein mag, in wie vielen Ländern sie tätig ist, das ist uns egal: Sie muss unsere Gesetze achten wie jeder türkische Staatsbürger auch.""

    Das türkische Internet-Gesetz sei aber genau das Problem, kritisieren Medienrechtler. Das Gesetz, das seit drei Jahren in Kraft ist, hätte so nie verabschiedet werden dürfen, sagt Erol Önderoglu, der Türkeivertreter der Pressefreiheitsorganisation Reporter Ohne Grenzen:

    "Wogegen wir uns vor allem wenden, ist dass Staatsanwälte und Richter eine Website nach diesem Gesetz vorbeugend verbieten können, also ohne dass es einen Prozess gibt. Und dann gibt es in diesem Gesetz noch den Straftatbestand der Beleidigung des Andenkens von Atatürk. Wer also zum Beispiel gegen diese Atatürk-Bestimmung verstößt, dessen Webseite kann sofort gesperrt werden. Darum geht es auch bei dem Youtube-Verbot."

    Wegen ein oder zwei Videos, in denen der türkische Staatsgründer verspottet wird, sind alle Youtube-Videos für türkische Internetnutzer gesperrt – doch diese hat das nicht aufhalten können. Auf allerlei virtuellen Umwegen, etwa mit Proxyservern, finden die Türken nämlich doch millionenfach zu Youtube. Das Portal ist trotz Verbot bei den türkischen Nutzern so beliebt, dass es jede Menge türkische Werbung verkauft – was wiederum Minister Yildirim erbost:

    "Dass diese Firma an Werbeeinnahmen aus der Türkei verdient und der Türkei nichts davon abgibt, das ist dem türkischen Steuerzahler nicht zuzumuten. Unser Finanzamt ist nun eingeschritten und hat dieser Firma eine Steuerrechnung von 30 Millionen Lira ausgestellt, auch wenn die hier nicht als Steuerzahler veranlagt ist."

    Mehr als 15 Millionen Euro sind das, die Ankara von Youtube verlangt. Wenn die bezahlt seien, dann könne man über eine Lösung reden, bot Yildirim an – über eine türkische Version von Youtube:

    "In mehr als 20 Ländern hat dieses Videoportal lokale Versionen, bei denen die Gesetze des jeweiligen Landes eingehalten werden und für die das Unternehmen örtliche Steuern zahlt. Wir wollen, dass diese Firma das auch bei uns so macht."

    Youtube will offenbar mit sich reden lassen – eine Abordnung des Unternehmens hat sich für diese Woche in Ankara angekündigt. Dass das globale Videoportal sich allen türkischen Restriktionen unterwerfen wird, ist allerdings kaum zu erwarten. Schließlich richtet sich die Internetzensur der türkischen Staatsanwälte nicht nur gegen Schmähfilme über Atatürk, sondern auch gegen kurdische Medien, gegen linke und schwule Internetseiten und immer wieder auch gegen internationale Adressen: Die Blogplattformen Wordpress und Blogger, das soziale Netzwerk Myspace, die GoogleGroups und das Internetradio lastfm sind alle schon zeitweise gesperrt worden.

    Möglicherweise ist das Maß jetzt aber voll: Als im Streit zwischen Youtube und deren Eigentümerfirma Google mit den türkischen Behörden vor ein paar Tagen auch noch einige Google-Dienste langsamer zu laufen begannen, schaltete sich der türkische Staatspräsident Abdullah Gül ein:

    "Die Türkei darf kein Land sein, dass Youtube verbietet oder den Zugang zu Google erschwert. Wir sind ein global integriertes Land, ein weltoffenes und interessiertes Land. Man kann die Menschen nicht von der Welt isolieren. Wenn es da rechtliche Probleme gibt, dann müssen die korrigiert werden."

    Per Twitter legte der Staatspräsident jetzt noch einmal nach, mit dieser Kurznachricht aus dem Präsidentenpalais:

    "Ich bin entschieden gegen diese Sperrungen. Ich habe die zuständigen Stellen angewiesen, das Problem zu lösen – wenn nötig mit einer Gesetzänderung."