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Zehn Jahre nach Kriegsende

Seit zehn Jahren ist Frieden in Bosnien und Herzegowina. Jedoch: Die Minenräumung wird noch mehrere Generationen dauern, die wichtigsten Kriegsverbrecher mussten sich noch immer nicht vor dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal in Bosnien verantworten. Nationalismus beherrscht noch immer das Denken weiter Teile der Politiker und der Bevölkerung. Das Bildungswerk des Deutschen Journalistenverbandes hat 40 Jungreporter aus ganz Deutschland nach Sarajewo eingeladen, um das aus den Schlagzeilen verschwundene Balkanland wieder ins Bewusstsein zu holen.

Von Kai Toss |
    Sarajewo, zehn Jahre nach dem Ende des Krieges. 40 Nachwuchsjournalisten aus ganz Deutschland suchen und recherchieren Geschichten in einer Stadt, in der noch immer große Gefahren von Minen ausgehen, noch immer stehen zahlreiche zerschossene Häuser und Gebäude als steinerne Mahnmale des blutigen Krieges in der Stadt.

    Der 21-jährige Zlatan Hatic arbeitet für eine Lokalredaktion in Duisburg. Seine Familie stammt aus Bosnien, er versteht die Sprache. Auf dem Weg in die Altstadt erfährt er von einem Taxifahrer, dass der Mann mit umgerechnet 200 Euro pro Monat auskommen muss. Vor dem Krieg hätte er auch Urlaub machen können. Damit ist es nun vorbei.
    Zlatan Hatic übersetzt:

    "Er hat das Glück, dass er einen Sohn hat, der schon erwachsen ist und arbeitet. Die Tochter ist verheiratet. Die unterstützt er trotzdem noch. Wer aber kleine Kinder hat, der hat es jetzt ganz schwer, weil er die irgendwie durchfüttern muss."

    Franz Hutsch hat 1995 während der Belagerung Sarajewos durch serbische Truppen als Zeitungsjournalist gearbeitet. Den Nachwuchsreportern will der ehemalige Bundeswehrsoldat vermitteln, was es heißt, als Kriegsreporter zu arbeiten. Mit großem Unbehagen beobachtet er, dass die Medienkrise in Deutschland dazu führt, dass immer mehr freiberufliche Journalisten leichtfertig und schlecht ausgerüstet in Kriegsgebiete reisen, um ihre Geschichten zu verkaufen. Im Irak, meint Hutsch, hätten viele der getöteten Reporter überleben können. Er kann nicht verstehen, dass Kriegsreporter durch Schüsse verletzte Kollegen nicht umgehend mit Infusionen und starken Schmerzmitteln versorgt hätten, um sie dann schmerzfrei zur nächsten Klinik zu transportieren. Dies hätte Leben retten können. Er spottet über jene Journalisten, deren Erste-Hilfe-Ausrüstung lediglich ausreiche, um Hühneraugen zu behandeln. Bei einer Stadtrundfahrt im Bus erzählt er von dem damals achtjährigen Haris. Hutsch hat über ihn und seine Freunde eine Geschichte gemacht. Die Jungen haben im eingekesselten Sarajewo in einem Keller Fußball gespielt. Zum Dank wollte Hutsch den Jungen zum Eis einladen. Plötzlich fiel ein Schuss.
    "Eine Blutlache breitet sich um ihn aus. Ich habe dann sieben Jahre später seinen Mörder endlich kennen gelernt. Es war ein muslimischer Scharfschütze und kein serbischer Scharfschütze, der Haris einfach erschossen hat, damit die Nato in diesen Krieg kommt."

    Seine jungen Kollegen halten den Atem an. Erst später erzählt Franz Hutsch, dass das Trauma ihn beinahe zum Trinker gemacht habe. Eine Therapie hat ihm dann aber geholfen zu erkennen, dass nicht er Schuld an dem Tod des Jungen ist, sondern sein Mörder. Mit Splitterschutzwesten hat er sich durch umkämpftes Gebiet gerobbt, um an seine Geschichten und Informationen zu kommen.

    Julia Schneider kann sich nicht vorstellen, als Kriegsreporterin zu arbeiten, erzählt sie beim Spaziergang durch die vom Krieg kaum in Mitleidenschaft gezogene Altstadt von Sarajewo.

    "Ich finde es absurd. Das was man sieht und das was man hört, das passt überhaupt nicht zusammen, weil das sind so Soldatengeschichten. Ich glaube, da ist auch etwas Heroismus dabei, wie "meine erste Leiche" und "damals, als ich durch den Tunnel robbte" und so weiter. Das passt mit dem was ich hier sehe, nicht zusammen."

    Jeder Teilnehmer recherchiert seine eigene Geschichte. Zlatan Hatic aus Duisburg entscheidet sich nach der Fahrt mit dem Taxifahrer, über die so genannte Sniper Alley, zu berichten. Während des Krieges wurden Zivilsten von den Bergen aus auf der Hauptstraße beschossen.

    " Wenn ich jetzt gleich die Fahrt mit der Straßenbahn mache, kann ich in die Geschichte noch einbinden, die gleiche Geschichte mit dem Taxifahrer zu machen. Und die Strecke werde ich auch noch einmal zu Fuß machen. Dann habe ich alles mitgenommen hier auf der Straße. "

    Die Nachwuchsjournalisten haben Interviews und Gespräche mit den drei Präsidenten des Landes, mit dem General der EU-Schutztruppe und vielen anderen Entscheidungsträgern im Land geführt. Eine lahmende Wirtschaft, Korruption, Nationalismus, organisierte Kriminalität und das Problem der Minen blockieren das Land weiterhin. Immerhin konnten die internationalen Schutztruppen von 70.000 auf 7.000 Mann verringert werden. Franz Hutsch hat seine Kollege nicht nur für Bosnien interessiert, sondern auch für eine solide Ausbildung von Kriegsjournalisten geworben. Wichtig findet er deshalb auch Vorbereitungsseminare, bei denen unter anderem in Rollenspielen gefährliche Situationen wie Geiselnahmen geübt werden können. Zlatan Hatic aus Duisburg hat sich von den drastischen Berichten des erfahrenen Kriegsreporters dennoch nicht abschrecken lassen.

    " Man kann sich das ja nicht besonders gut ausmalen, wenn man das noch nicht gemacht hat. Aber das, was ich mir ausgemalt habe, fand ich interessant und spannend. Dann haben wir ja den Franz kennen gelernt, der Monate in Sarajewo während des Krieges verbracht hat. Hier rein und wieder raus gerobbt ist - und irgendwie überlebt hat. Da habe ich ein komisches Gefühl gekriegt, weil ich da das erste Mal mitgekriegt habe, wie es wirklich ist. Und ich finde es jetzt noch spannender. Jetzt kann ich sagen: Ich würde das bewusst machen."