" Ich habe immer unverblümt gesagt, die Politik sollte nicht ein zweites Mal diesen Fahler machen, wie es bei der Rechtschreibreform der Fall war. Das ist kein Feld für die Politik. "
Späte Erkenntnis eines Politikers. Als Hans Zehetmeier im Früjahr diesen Jahres die nunmehr reformierte Fassung der Rechtschreibreform der Öffentlichkeit vorstellt, liegen mehr als 30 Jahre mühsames Ringen um eine Neuregelung der deutschen Orthographie hinter den beteiligten Wissenschaftlern und ihren Vertretern in der Politik. Der Anlass für die Reform war ursprünglich übrigens kein rechtschreiblich inhaltlicher, wie sich der Berliner Linguist Professor Peter Eisenberg, erinnert:
" Die Initiative ging von der Bundesregierung aus, und bewegte sich im Rahmen der Politik des Wandels durch Annäherung zwischen der DDR und der BRD. Soweit wir wissen, hat Egon Bahr den DDR- Staatssekretär Kohl daraufhin angesprochen, ob die DDR bereit sei, sich an dieser Reform zu beteiligen. So ist die Sache in Gang gekommen und so ist sie auch gleich auf der politischen Schiene behandelt worden, das war das Unglück."
1977 wird am Institut für deutsche Sprache in Mannheim die "Kommission für Rechtschreibfragen" gegründet, die sich aus Mitgliedern der Bundesrepublik, der DDR, Österreichs und der Schweiz zusammensetzt und die sich ab sofort um eine Vereinfachung der deutschen Schreibung bemüht. Nicht mehr so radikal wie noch 1973 von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft gefordert, die unter Anderem die völlige Abschaffung der Großschreibung propagiert, aber immer noch mit weit reichenden Änderungen und vor allem ohne Rücksicht auf das historisch gewachsene System, wie die Linguistin Nanna Fuhrhop kritisiert:
" Man hat von vorne herein versucht, etwas zu verändern, was eigentlich natürlich gewachsen war, das heißt, wenn sich eine Schreibung so langsam durchsetzt, dass man die dann auch in die Regel so langsam aufnimmt. Und behutsam war die Rechtschreibreform nicht."
Mit der deutsch- deutschen Wiedervereinigung gerät das Projekt zunächst in Vergessenheit, selbst die Sprachwissenschaftler rechnen nicht mehr mit einer Realisierung. Peter Eisenberg:
" Wir haben damals im Kollegenkreis gesagt, jetzt werden die Deutschen wohl andere Probleme haben. Das war auch so. Aber dass die Deutschen andere Problem hatten, hat nicht dazu geführt, dass die Sache beendet wurde, sondern dass die Sache ohne große Öffentlichkeit weiter getrieben werden konnte."
1996. Drei Monate nach der Unterzeichnung der Wiener Erklärung der europäischen Länder vom 1. Juli bricht der Sturm der Entrüstung los. Auf der Frankfurter Buchmesse mobilisiert der Schriftsteller Friedrich Denk weitere Kollegen und die Öffentlichkeit, eine Erklärung wird unterschrieben, die die Reform als totalen Fehlgriff bezeichnet. Der Vorsitzende der Kommission Karl Blüml gibt sich unbeeindruckt.
" Die alte Rechtschreibung war ja wirklich nichts. Und jetzt kommen die alle, ich weiß gar nicht, wo die die ganze Zeit waren, die sind nicht mit uns in Kontakt getreten und haben Vorschläge gemacht, da hakt es, da muss man noch verbessern, und wollen zurück zur alten Rechtschreibung und setzen damit Lehrer, Schüler und Eltern unter einen ungeheuren Druck."
Einige große Verlage wie der FAZ- Verlag, die den Reformvorgaben zunächst gefolgt waren kehren in den nächsten Jahren zur alten Rechtschreibreform zurück. FAZ- Herausgeber Günther Nonnenmacher:
" Für uns ist die einzige Lösung, wie man aus diesem Chaos der Privat- Orthographien wieder herauskommt, der unbedingte Salto zurück zur alten Rechtschreibung."
Die Fronten, Kritiker auf der Einen, Kommission und Kultusministerkonferenz auf der anderen Seite, sind verhärtet. Niemand bewegt sich. Peter Eisenberg, selbst für kurze Zeit Mitglied der Kommission und seitdem ein großer Skeptiker:
" Die Kultusminister haben ihre Spezialisten gesucht und gefunden, das waren die Leute, die in der Kommission saßen. Und sie haben sich auf diese Leute verlassen. Sie haben geglaubt, dass das fachliche Urteil dieser Leute trägt. Es war immer die Frage, ist das Sachliche wichtiger oder ist das Politische wichtiger. Die brandenburgische Kultusministerin Wanka hat sich ja kürzlich einfach verplaudert, "wir wussten, dass die Rechtschreibreform sachlich nichts taugt", das sind jetzt meine Worte, aber so hat sie es gemeint, die Staatsräson sprach dagegen."
1998 lehnen 600 Sprach- und Literaturwissenschaftler die Reform ab, doch ein Jahr später gibt das Bundesverfassungsgericht grünes Licht: die Reform ist rechtmäßig. Nun wird auch den Kritikern klar, dass mit einer Rückkehr zur alten Schreibung nicht mehr zu rechnen ist. Und innerhalb der Germanistik beginnt eine längst überfällige inhaltliche Diskussion. Nanna Fuhrhop:
" Die linguistische Disziplin hat es auch lange versäumt, das selber als Forschungsgebiet anzuerkennen und eben auch als Lehrgebiet. Es nützt ja nichts, wenn wir den Lehrern sagen, es gibt da übrigens ein System, wir wissen das, sondern wir müssen das ja auch vermitteln und das ist ein absolutes Manko, da müssen wir uns nur einmal die Vorleseverzeichnisse der deutschen Unis angucken und stellen fest, das wird gar nicht systematisch betrieben, von einer Systematik sind wir weit entfernt."
Für die Wissenschaftlerin, die zurzeit an der Universität Oldenburg lehrt, ist bereits der Ansatz der Kommission, in die Rechtschreibung einzugreifen, falsch.
" Es wäre wesentlich besser, an den Fehlern anzusetzen und zu versuchen, ein System so zu beschreiben, die Regeln so zu formulieren, dass man gar nichts hätte ändern müssen. Die alten Regeln, wenn man sich die im Duden anguckt, das war so eine Anhäufung über viele Jahre, immer wurde was verändert, die hätte man einfach reformulieren können, das wäre gegangen und dann hätte man an der Rechtschreibung gar nichts geändert."
Zumal das Ziel, die Fehlerquote auch bei Schreibanfängern zu senken, nicht erreicht wurde.
" Es geht ja schon los, mit der s/ß- Schreibung. Wenn man sagt, das war früher eine Riesen-Fehlerquelle, dann war die Fehlerquelle natürlich nicht, dass wir ß nicht schreiben können, sondern die wesentliche Fehlerquelle war, dass wir zweimal "das" unterscheiden müssen, also wir müssen den Artikel "das" von der Konjunktion "dass" unterscheiden. Das müssen wir jetzt auch. Also eine Verbesserung: nö, eine Vereinfachung: auch nicht, es ist eben einfach eine neue Systematik. Aber was dadurch gewonnen ist, das ist linguistisch nicht zu erkennen."
2004 wird die Kommission, weiterhin gesprächsresistent, aufgelöst. An ihre Stelle tritt der Rat für deutsche Rechtschreibung, der einen Kompromissvorschlag erarbeitet.
Viele der umstrittenen Regeln in Sachen Groß- und Kleinschreibung und Getrennt/Zusammenschreibung werden zurückgenommen oder als Alternativen zur neuen Schreibung wieder erlaubt. Geblieben ist, dass das ein Jahrhundert währende Monopol des Duden- Verlags als oberster Hüter der Sprache gebrochen wurde. In Zukunft soll der Rat das lebendige, sich ständig verändernde System Sprache und Schreibung auf neue Entwicklungen hin beobachten. Geblieben ist auch ein Scherbenhaufen. Rats- Mitglied Peter Eisenberg
" Sie hat der Linguistik und der Germanistik sehr geschadet. Nächstes Jahr ist das Jahr der Geisteswissenschaften. Da wird wieder viel über die Geisteswissenschaften geredet werden. Und hier war mal ein Beispiel, wo eine Wissenschaft zeigen konnte, was sie praktisch bewirken kann. Eine gut formulierte Orthographie auf dem Stand dessen, was wir heute wissen, ist für den Orthographieerwerb und den Orthographie- Unterricht von unschätzbarem Wert. .. Wir hätten die Chance gehabt, wenn wir uns alle einig gewesen wären und entsprechend in der Öffentlichkeit aufgetreten wären, nicht nur die Sache zu verhindern sondern auch eine inhaltliche Alternative zu formulieren. Diese Chance haben wir vergeben."
Späte Erkenntnis eines Politikers. Als Hans Zehetmeier im Früjahr diesen Jahres die nunmehr reformierte Fassung der Rechtschreibreform der Öffentlichkeit vorstellt, liegen mehr als 30 Jahre mühsames Ringen um eine Neuregelung der deutschen Orthographie hinter den beteiligten Wissenschaftlern und ihren Vertretern in der Politik. Der Anlass für die Reform war ursprünglich übrigens kein rechtschreiblich inhaltlicher, wie sich der Berliner Linguist Professor Peter Eisenberg, erinnert:
" Die Initiative ging von der Bundesregierung aus, und bewegte sich im Rahmen der Politik des Wandels durch Annäherung zwischen der DDR und der BRD. Soweit wir wissen, hat Egon Bahr den DDR- Staatssekretär Kohl daraufhin angesprochen, ob die DDR bereit sei, sich an dieser Reform zu beteiligen. So ist die Sache in Gang gekommen und so ist sie auch gleich auf der politischen Schiene behandelt worden, das war das Unglück."
1977 wird am Institut für deutsche Sprache in Mannheim die "Kommission für Rechtschreibfragen" gegründet, die sich aus Mitgliedern der Bundesrepublik, der DDR, Österreichs und der Schweiz zusammensetzt und die sich ab sofort um eine Vereinfachung der deutschen Schreibung bemüht. Nicht mehr so radikal wie noch 1973 von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft gefordert, die unter Anderem die völlige Abschaffung der Großschreibung propagiert, aber immer noch mit weit reichenden Änderungen und vor allem ohne Rücksicht auf das historisch gewachsene System, wie die Linguistin Nanna Fuhrhop kritisiert:
" Man hat von vorne herein versucht, etwas zu verändern, was eigentlich natürlich gewachsen war, das heißt, wenn sich eine Schreibung so langsam durchsetzt, dass man die dann auch in die Regel so langsam aufnimmt. Und behutsam war die Rechtschreibreform nicht."
Mit der deutsch- deutschen Wiedervereinigung gerät das Projekt zunächst in Vergessenheit, selbst die Sprachwissenschaftler rechnen nicht mehr mit einer Realisierung. Peter Eisenberg:
" Wir haben damals im Kollegenkreis gesagt, jetzt werden die Deutschen wohl andere Probleme haben. Das war auch so. Aber dass die Deutschen andere Problem hatten, hat nicht dazu geführt, dass die Sache beendet wurde, sondern dass die Sache ohne große Öffentlichkeit weiter getrieben werden konnte."
1996. Drei Monate nach der Unterzeichnung der Wiener Erklärung der europäischen Länder vom 1. Juli bricht der Sturm der Entrüstung los. Auf der Frankfurter Buchmesse mobilisiert der Schriftsteller Friedrich Denk weitere Kollegen und die Öffentlichkeit, eine Erklärung wird unterschrieben, die die Reform als totalen Fehlgriff bezeichnet. Der Vorsitzende der Kommission Karl Blüml gibt sich unbeeindruckt.
" Die alte Rechtschreibung war ja wirklich nichts. Und jetzt kommen die alle, ich weiß gar nicht, wo die die ganze Zeit waren, die sind nicht mit uns in Kontakt getreten und haben Vorschläge gemacht, da hakt es, da muss man noch verbessern, und wollen zurück zur alten Rechtschreibung und setzen damit Lehrer, Schüler und Eltern unter einen ungeheuren Druck."
Einige große Verlage wie der FAZ- Verlag, die den Reformvorgaben zunächst gefolgt waren kehren in den nächsten Jahren zur alten Rechtschreibreform zurück. FAZ- Herausgeber Günther Nonnenmacher:
" Für uns ist die einzige Lösung, wie man aus diesem Chaos der Privat- Orthographien wieder herauskommt, der unbedingte Salto zurück zur alten Rechtschreibung."
Die Fronten, Kritiker auf der Einen, Kommission und Kultusministerkonferenz auf der anderen Seite, sind verhärtet. Niemand bewegt sich. Peter Eisenberg, selbst für kurze Zeit Mitglied der Kommission und seitdem ein großer Skeptiker:
" Die Kultusminister haben ihre Spezialisten gesucht und gefunden, das waren die Leute, die in der Kommission saßen. Und sie haben sich auf diese Leute verlassen. Sie haben geglaubt, dass das fachliche Urteil dieser Leute trägt. Es war immer die Frage, ist das Sachliche wichtiger oder ist das Politische wichtiger. Die brandenburgische Kultusministerin Wanka hat sich ja kürzlich einfach verplaudert, "wir wussten, dass die Rechtschreibreform sachlich nichts taugt", das sind jetzt meine Worte, aber so hat sie es gemeint, die Staatsräson sprach dagegen."
1998 lehnen 600 Sprach- und Literaturwissenschaftler die Reform ab, doch ein Jahr später gibt das Bundesverfassungsgericht grünes Licht: die Reform ist rechtmäßig. Nun wird auch den Kritikern klar, dass mit einer Rückkehr zur alten Schreibung nicht mehr zu rechnen ist. Und innerhalb der Germanistik beginnt eine längst überfällige inhaltliche Diskussion. Nanna Fuhrhop:
" Die linguistische Disziplin hat es auch lange versäumt, das selber als Forschungsgebiet anzuerkennen und eben auch als Lehrgebiet. Es nützt ja nichts, wenn wir den Lehrern sagen, es gibt da übrigens ein System, wir wissen das, sondern wir müssen das ja auch vermitteln und das ist ein absolutes Manko, da müssen wir uns nur einmal die Vorleseverzeichnisse der deutschen Unis angucken und stellen fest, das wird gar nicht systematisch betrieben, von einer Systematik sind wir weit entfernt."
Für die Wissenschaftlerin, die zurzeit an der Universität Oldenburg lehrt, ist bereits der Ansatz der Kommission, in die Rechtschreibung einzugreifen, falsch.
" Es wäre wesentlich besser, an den Fehlern anzusetzen und zu versuchen, ein System so zu beschreiben, die Regeln so zu formulieren, dass man gar nichts hätte ändern müssen. Die alten Regeln, wenn man sich die im Duden anguckt, das war so eine Anhäufung über viele Jahre, immer wurde was verändert, die hätte man einfach reformulieren können, das wäre gegangen und dann hätte man an der Rechtschreibung gar nichts geändert."
Zumal das Ziel, die Fehlerquote auch bei Schreibanfängern zu senken, nicht erreicht wurde.
" Es geht ja schon los, mit der s/ß- Schreibung. Wenn man sagt, das war früher eine Riesen-Fehlerquelle, dann war die Fehlerquelle natürlich nicht, dass wir ß nicht schreiben können, sondern die wesentliche Fehlerquelle war, dass wir zweimal "das" unterscheiden müssen, also wir müssen den Artikel "das" von der Konjunktion "dass" unterscheiden. Das müssen wir jetzt auch. Also eine Verbesserung: nö, eine Vereinfachung: auch nicht, es ist eben einfach eine neue Systematik. Aber was dadurch gewonnen ist, das ist linguistisch nicht zu erkennen."
2004 wird die Kommission, weiterhin gesprächsresistent, aufgelöst. An ihre Stelle tritt der Rat für deutsche Rechtschreibung, der einen Kompromissvorschlag erarbeitet.
Viele der umstrittenen Regeln in Sachen Groß- und Kleinschreibung und Getrennt/Zusammenschreibung werden zurückgenommen oder als Alternativen zur neuen Schreibung wieder erlaubt. Geblieben ist, dass das ein Jahrhundert währende Monopol des Duden- Verlags als oberster Hüter der Sprache gebrochen wurde. In Zukunft soll der Rat das lebendige, sich ständig verändernde System Sprache und Schreibung auf neue Entwicklungen hin beobachten. Geblieben ist auch ein Scherbenhaufen. Rats- Mitglied Peter Eisenberg
" Sie hat der Linguistik und der Germanistik sehr geschadet. Nächstes Jahr ist das Jahr der Geisteswissenschaften. Da wird wieder viel über die Geisteswissenschaften geredet werden. Und hier war mal ein Beispiel, wo eine Wissenschaft zeigen konnte, was sie praktisch bewirken kann. Eine gut formulierte Orthographie auf dem Stand dessen, was wir heute wissen, ist für den Orthographieerwerb und den Orthographie- Unterricht von unschätzbarem Wert. .. Wir hätten die Chance gehabt, wenn wir uns alle einig gewesen wären und entsprechend in der Öffentlichkeit aufgetreten wären, nicht nur die Sache zu verhindern sondern auch eine inhaltliche Alternative zu formulieren. Diese Chance haben wir vergeben."