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Zeigt her Eure Daten!
Zwischen Big Data und Big Brother

Zwei Tage vor dem Nationalen IT- Gipfel in Saarbrücken lud das Wirtschaftsministerium Wissenschaftler und Unternehmer ein, über Chancen und Risiken sogenannter Smart-Data-Anwedungen zu diskutieren. Dabei wurde die verstärkte Forderung aus Wissenschaft und Industrie, den in Deutschland strengen Datenschutz zu entschärfen, kontrovers diskutiert.

Von Wolfgang Noelke | 19.11.2016
    Ein Navigationsgerät
    Navigationsgeräte geben eine Fülle an Informationen über den Benutzer weiter. (Deutschlandradio / Ellen Wilke)
    Sogenannte Wearables sind Kleidungsstücke mit eingewebter Elektronik. Zunächst zur Speicherung von Fitnessdaten verwendet, eignen sich Wearables inzwischen für seriöse medizinische Anwendungen. Mit einer Bewegungs- und Belastungsdaten funkenden Knie-Orthese lässt sich zum Beispiel der Heilungsprozess verletzter Gelenke optimieren. Mit diesen Daten können Krankenkassen die Effizienz der teuren Geräte prüfen, aber auch das Risiko ihrer Mitglieder neu berechnen. Ein finanzielles Dilemma für Patienten und nur ein Beispiel aktueller Grenzen persönlicher Datensouveränität:
    "Die meisten Daten sind keine Personendaten; personenbeziehbar vielleicht, mit etwas mehr Technik. Das ist aber ein ganz großes offenes Feld: Wem gehören denn diese Daten? Die sind momentan nämlich niemandem zugehörig", meint der Referatsleiter im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Dr. Alexander Tettenborn.
    Noch deutlicher beschreibt Dr. Jörg Dörr vom Fraunhofer Institut für Experimentelles Software Engineering, Kaiserslautern, die Folgen aus Unternehmersicht. Der von ihm, im besten Wirtschafts-Denglish verwendete Begriff "IP" bedeutet hier "Intellectual Property", Geistiges Eigentum. Und dies sei derzeit gefährdet:
    "Privacy ist ein kleiner Teilaspekt, aber der Hauptpunkt ist, dass wir über Daten reden, die im Produktionsprozess anfallen: Prozessdaten, Produktdaten. Ich teile nicht, dass wir deswegen entspannter sind. Im Gegenteil! Das ist das IP der Unternehmen. Wenn diese Daten abfließen, komplett, ungeschützt, dann wären Sie aus dem Geschäft! Das heißt, es ist sogar noch eine stärkere Wahrnehmung, als teilweise bei Privacy bei der Bevölkerung in unserm Metier. Das bedeutet, dass der Schutzfaktor fast noch höher ist", den Unternehmen gern gesetzlich strenger geregelt hätten.
    "Ich will überwacht werden"
    Nicht nur die Konkurrenz könnte mit abgeschöpften Daten hohen volkswirtschaftlichen Schaden anrichten, sondern Geheimdienste, ausgestattet mit modernsten technischen Mitteln der Wirtschaftsspionage. Der Gerichtsbeschluss zur Blockierung parlamentarischer Kontrolle fiel erst einen Tag später. So wurde Überwachung während der fast siebenstündigen Tagung kaum thematisiert, zugunsten positiver Aspekte, smarter Hard- und Software:
    "Ich dreh es doch mal andersrum: Allein die Wortwahl, dass er überwacht wird; ich will überwacht werden, damit man mich findet, wenn ich es bräuchte", so Professor Dr. Helmt Krcmar von der TU München, am Beispiel eines intelligenten Routenplaners:
    "Ich kann genauso gut einen Fall konstruieren, dass es ganz fürchterlich ist, dass man mich überwacht, um die Position zu bestimmen. Aber ich glaube, diese Abwägung explizierter zu machen, in Apps, die wir geben, zu sagen, wenn Sie dazu 'Nein' sagen, verzichten Sie halt auf diese Dienstleistung. Wenn Sie die nicht brauchen, können Sie gerne dazu 'Nein' sagen.
    Dies ist so deutlich zu machen: Drei Entscheidungen können Sie treffen, mit verschiedenen Folgen für unsere Dienstleistungsfähigkeit und wenn Sie die Dienstleistung nicht wollen, ist auch okay."
    Anonymisierte Daten lassen sich leicht wieder zuordnen
    Statt modularer Allgemeiner Geschäftsbedingungen sind heute noch seitenlange juristische Formulierungen üblich, mit der vollen Absicht, dass Nutzer diese nicht lesen und zustimmen. Dies sichert Anbietern die Freiheit, zum Beispiel, anonymisierte technische Daten eines Herzschrittmachers oder von Knie-Orthesen veräußern zu dürfen. Doch Krankenkassen könnten anonymisierte Daten mit eigenen Patientendaten vergleichen - und allein schon anhand der Therapiedauer wieder einzelnen Patienten zuordnen.
    Die Juristin Professor Dr. Indra Spiecker betreut an der Universität Frankfurt das Projekt "Smart Regio" und schlägt vor, AGBs auf maximal eine Seite zu reduzieren, mit transparenten Hinweisen, wofür Daten verwendet werden könnten und der Option, sich von Nutzern einzelne Verwendungen gestatten oder verbieten zu lassen. Augenhöhe auf beiden Seiten diene neben der Reputation der Anbieter auch als Beweis dafür,
    "dass Datenschutz sehr wohl ein Wettbewerbsvorteil sein kann. Also ein Routenplaner, der mir vielleicht nicht sofort jeden Stau und jede klitzekleine Veränderung mitteilt, aber trotzdem erklärt, wie ich von A nach B komme. Solche Dinge! Und das ist im Moment überhaupt nicht getrennt, sondern das ist immer nur diese Variante zwischen "ich nehme alle Daten oder eben gar nichts."