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Zeitbomben am Meeresgrund

Umwelt.- Im Zweiten Weltkrieg sanken besonders viele Schiffe auf den Grund der Weltmeere. Seit mehr als 60 Jahren rotten die Wracks vor sich hin, und allmählich steigt die Gefahr, dass einer ihrer Inhalte nach draußen gelangt: Öl.

Von Frank Grotelüschen | 12.10.2010
    "Unterseeboot auf Feindfahrt gegen USA. Nach tagelanger Fahrt ist das Operationsgebiet erreicht."

    1942. Der 2.Weltkrieg hat die Ozeane erfasst.

    "In der Dämmerung wird ein USA-Frachter ausgemacht. Der Kommandant entschließt sich zum Überwasserangriff mit Artillerie."

    U-Boote, Kreuzer und Zerstörer feuern auf alles, was unter feindlicher Flagge fährt.

    "Brennend sinkt der Frachter in die Tiefe. Die USA haben zum ersten Mal die deutsche U-Boot-Waffe zu spüren bekommen."

    Als der Krieg 1945 endet, ist die Bilanz verheerend. Abertausende Schiffe wurden versenkt und liegen heute auf dem Meeresgrund. Mehr als drei Viertel aller Wracks von ölgetriebenen Schiffen stammen aus dem Zweiten Weltkrieg, schätzt Dagmar Schmidt-Etkin von Environmental Research Consulting, einem Beraterbüro in der Nähe von New York.

    "Ich gehe von einer Gesamtzahl von mehr als 8500 Wracks aus. Dabei spreche ich nicht von Fischerbooten, sondern von richtigen Schiffen: Tanker, Frachter, Kriegsschiffe. An Bord dieser 8500 Wracks dürften zwischen 2 und 15 Millionen Tonnen Öl lagern. Das ist bis zu 20 Mal soviel, wie bei der jüngsten Ölkatastrophe im Golf von Mexiko freigesetzt wurde."

    Gerade die Wracks aus dem 2.Weltkrieg sorgen nun für Probleme. Seit über 60 Jahren liegen sie am Meeresgrund und rosten stetig vor sich hin.

    "Die meisten dieser Schiffe wurden nicht für die Ewigkeit gebaut. Damals im Krieg hat man sie eilig zusammengenietet. Heute dürften viele der Wracks so verrostet sein, dass sie allmählich instabil werden. Das Öl beginnt auszulaufen und die Umwelt zu verpesten."

    Das Öl kann langsam, Tröpfchen für Tröpfchen, aus den löchrigen Tanks lecken. Bei starkem Seegang kann ein Wrack aber auch auseinander brechen. Die Folge: eine Ölpest wie bei einer Tankerkatastrophe. So geschehen bei der Mississinewa, einem 1944 in Mikronesien versenkten US-Militärtanker. 2001, nach einem Taifun, fanden sich plötzlich dicke Ölplacken an den Stränden. Vorfälle wie dieser werden sich in den nächsten Jahren mehren, wenn immer mehr Wracks durchgerostet sind, sagt Schmidt-Etkin.

    "Man kann darauf reagieren wie auf andere Ölkatastrophen: Man versucht, das ausgelaufene Öl mit Spezialschiffen einzusammeln oder mit Chemikalien zu zersetzen. Nur sind diese Maßnahmen nicht sonderlich effizient. Es landet immer noch jede Menge Öl in der Umwelt. Effektiver ist es, das Öl rechtzeitig aus den Wracks zu pumpen. Dafür gibt es heute ausgefeilte Bergungstechniken."

    So haben niederländische Ingenieure einen ferngesteuerten Bergungsroboter entwickelt. Er bohrt sich durch die Bordwand und saugt das Öl aus dem Wrack wie ein mechanischer Moskito. Nur: Solche Einsätze kosten Millionen. Deswegen versuchen Staaten wie Schweden und die USA derzeit herauszufinden, von welchen Wracks in ihren Gewässern die größte Gefahr ausgeht. Das Ziel: eine Prioritätenliste für die Bergung. Nur: Wer zahlt die Zeche für die Arbeiten?

    "Das ist eine gute Frage. Juristisch gesehen ist die Situation verzwickt. Wer trägt eigentlich die Verantwortung für ein bestimmtes Wrack? Wenn heute ein Schiff sinkt, ist es der Eigner, der für die Folgen aufkommen muss. Aber für die Wracks aus dem Krieg ist es oft nicht mehr möglich, den Eigner zur Verantwortung zu ziehen. Deshalb haben die USA einen Notfall-Fonds eingerichtet, aus dem zum Beispiel Reinigungsarbeiten bezahlt werden. Jetzt diskutiert man bei der Schifffahrtorganisation IMO, ob man so was nicht auch auf internationaler Ebene machen sollte."

    Sieht also ganz nach einem Wettlauf aus zwischen den vor sich hin rottenden Wracks und den internationalen Behörden.