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Zeitplan mit Fragezeichen

Mit der Reform der EU durch den Lissabonner Vertrag sollen Europas Institutionen handlungsfähiger und demokratischer werden. In den eineinhalb Jahren seit seinem Beschluss durch die Staats- und Regierungschefs haben 23 Mitgliedsstaaten ratifiziert. Nun hängt alles von Deutschland, Polen, Irland und Tschechien ab.

Von Doris Simon | 26.08.2009
    In Deutschland werden die Begleitgesetze zum Lissabonner Vertrag mit erhöhtem Tempo beraten. Mit der Ratifizierung will man in Berlin nach dem Hin und Her der letzten Monate ein klares Signal für die EU-Reform setzen. Schließlich war es 2007 die deutsche EU-Ratspräsidentschaft, die der tot geglaubten Reform der EU neues Leben eingehaucht und den Lissabonner Vertrag auf den Weg gebracht hatte.

    Die deutsche Ratifizierung soll vor dem 2. Oktober abgeschlossen werden: Dann stimmen die Iren in einem Referendum über den Lissabonner Vertrag ab – zum zweiten Mal, nachdem eine Mehrheit im Juni vorigen Jahres gegen den Vertrag votierte.

    Doch seither hat sich einiges geändert: Irland wurde besonders schwer von der Wirtschafts- und Finanzkrise getroffen. Aber ohne den Euro und die Hilfe der EU hätte es noch schlimmer ausgesehen für die Iren. Das registrierten die Bürger ebenso wie den Verhandlungserfolg ihrer Regierung in Brüssel: Die geplante Verkleinerung der EU-Kommission ist vom Tisch, Irland behält damit seinen Vertreter am Kommissionstisch in Brüssel. Zudem gaben die übrigen Mitgliedsländer Irland mehrere Garantien. Darin stellen sie klar, dass der Lissabonner Vertrag nicht eingreift in das irische Abtreibungsrecht, in die Neutralität und die Steuerhoheit des Landes.

    Trotzdem halten sich die Politiker in Dublin und Brüssel mit Aussagen über den Ausgang des zweiten Referendums sehr zurück. Einiges deutet aber dieses mal auf eine Mehrheit zugunsten des Lissabonner Vertrages hin. Auch Werner Langen, der Vorsitzende der CDU-Europaabgeordneten, ist zuversichtlich:

    "Wenn die Iren jetzt zustimmen ist die Zeit reif für die Inkraftsetzung dieses Lissaboner Vertrages. Ich gehe davon aus - wenn nicht irgendetwas Herausragendes in Irland noch schiefgehen wird - dass wir zum 1. November 2009 diesen Vertrag haben werden."

    Das allerdings setzt voraus, dass auch Polens Präsident Kaczinski und der tschechische Präsident Klaus ihren Namen unter die Ratifizierungsurkunden setzen: Sowohl in Polen als auch in Tschechien haben die Parlamente dem Vertrag bereits zugestimmt. Doch der polnische Präsident möchte als Letzter unterschreiben, dann, wenn die EU-Reform gar nicht mehr abzuwenden ist. Auch der europaskeptische tschechische Präsident ist ein entschiedener Gegner des Lissabonner Vertrages. Er hat bisher alle Gelegenheiten genutzt, um seine Unterschrift herauszuzögern: Da war zuerst die Klage vor dem Verfassungsgericht. Nachdem die Richter in Brünn grünes Licht gegeben und beide Kammern des tschechischen Parlamentes dem Lissabonner Vertrag zugestimmt hatten, verwies Klaus auf die fehlende Ratifizierung in Deutschland und das irische Referendum. Trotzdem ist der CDU-Europaabgeordnete Langen zuversichtlich, dass der tschechische Präsident bald einlenkt:

    "Irgendwann wird Tschechien nicht als einziger Staat der Europäischen Union seine Unterschrift verweigern wollen, zumal die parlamentarischen Mehrheiten im Senat und im Abgeordnetenhaus da sind. Also da wird der Präsident nicht gegen ganz Europa agieren können."

    Doch wenn es um die Einsicht des tschechischen Präsidenten geht, dann sind nicht alle so hoffnungsfroh wie der deutsche CDU-Abgeordnete. In der letzten Woche wurden die Pessimisten bestätigt: Europakritiker im tschechischen Senat kündigten zwei weitere Verfassungsbeschwerden in Sachen Lissabonner Vertrag an und verlangten, dass die Ratifizierung solange aufgehalten wird, bis die Richter in Brünn entschieden haben. Das allerdings kann Monate dauern. Die Reform der EU würde dann sicher nicht zum 1. November in Kraft treten, und damit wäre auch der Amtsantritt einer neuen EU-Kommission auf der neuen rechtlichen Grundlage des Lissabonner Vertrages erstmal aufgeschoben.

    Doch im nächsten Jahr stehen Wahlen an in Großbritannien: Weit vorn in den Umfragen liegt David Cameron, der Chef der Konservativen. Er hat seinen Landsleuten ein Referendum über den Lissabonner Vertrag versprochen. Ist der Vertrag bis dahin nicht in Kraft, will der Tory-Vorsitzende bei einem Nein in der Abstimmung die bereits hinterlegte Ratifizierungsurkunde seines Landes aus Brüssel zurückholen. Das ist nach britischem Recht möglich. Die Reform Europas wäre damit endgültig tot.

    An den Absichten des Konservativen-Chefs zweifelt niemand in Brüssel. Sie passen in eine britische EU-Tradition: Selber nicht weiterzugehen, zugleich aber auch die anderen am Fortschritt zu hindern. Doch noch überwiegt die Hoffnung, dass trotz aller Widerstände die Ratifizierung des Lissabonner Vertrages in der Europäischen Union doch noch in diesem Jahr gelingt.