Freitag, 29. März 2024

Archiv


Zenos Gewissen

Ein Ziehen im Rücken, ein Zwacken im Bein, Gegrummel im Bauch, Gekratze im Hals, ein Stechen im Knie - was kann einem nicht alles wehtun. Zeno Cosini, ein unbescholtener Bürger der habsburgischen Handelsmetropole Triest und Erbe eines florierenden Unternehmens, leidet jede Woche unter anderen Beschwerden. Weil die Garde seiner Hausärzte keine Krankheit feststellen kann, probiert es der joviale Geschäftsmann mit einer neuartigen Behandlungsmethode. Aus dem nahe gelegenen Wien stammt die Kur eines bekannten Nervenarztes namens Freud, bei der sich der Patient auf einer Couch niederstrecken und frei von der Leber weg alles aussprechen muss, was ihm einfällt:

Maike Albath | 21.01.2001
    Ich bin der Arzt, von dem in dieser Erzählung mitunter in wenig schmeichelhaften Worten die Rede ist. Wer etwas von Psychoanalyse versteht, weiß, wo die Abneigung einzuordnen ist, die der Patient mir entgegenbringt. Ich muss mich entschuldigen, dass ich meinen Patienten dazu veranlasst habe, seine Autobiographie zu schreiben; Psychoanalytiker werden über eine derartige Neuerung die Nase rümpfen. Aber er war alt und ich hoffte, seine Vergangenheit würde in der Erinnerung neu aufleben, die Autobiographie könnte ein geeignetes Vorspiel zur Psychoanalyse sein. Noch heute erscheint mir meine Idee gut, da sie mir unverhoffte Resultate geliefert hat, die noch beträchtlicher ausgefallen wären, wenn der Kranke sich nicht mittendrin der Behandlung entzogen hätte und mich damit um den Ertrag meiner langwierigen, geduldigen Analyse dieser Erinnerung betrogen hätte. Nun publiziere ich sie aus Rache und hoffe, das ärgert ihn."

    Die 600seitige Selbsterforschung Zeno Cosinis, 1923 unter dem Titel La coscienza di Zeno in Italien erschienen und 1925 als große Entdeckung in Frankreich gefeiert, bringt dem jahrzehntelang verkannten Italo Svevo den ersehnten Durchbruch. An den Anfang seines Romans stellt Svevo die Präambel des Arztes, dann übergibt er dem Patienten das Wort. Geschwätzig, selbstgefällig, manchmal weinerlich, aber rhetorisch gewandt und äußerst kurzweilig schildert sein Held in sieben Kapiteln die Stationen seiner Biographie. Der Tod seines Vaters, der ihm im Moment des Hinscheidens eine schallende Ohrfeige verpasst, die eher zufällige Eheschließung mit der schielenden Augusta und die desaströsen Geschäftsverbindungen seines Schwagers kommen zur Sprache, unterbrochen von geheimen Phantasien und vielsagenden Träumen. Cosinis zerquälter Charakter offenbart sich dem Leser gleich zu Beginn. Schon als junger Mann hatte sich Zeno Cosini das Rauchen angewöhnt. Wegen einer Halsentzündung verbietet ihm der Arzt eines Tages den Tabakgenuss und provoziert ein nahezu selbstzerstörerisches Verhalten:

    "Da überkam mich eine ungeheure Erregung. Ich dachte "Da es mir nun einmal schadet, werde ich nie mehr rauchen, aber zuvor will ich es ein letztes Mal tun." Ich zündete mir eine Zigarette an, und sofort fiel alle Erregung von mir ab, obwohl das Fieber vielleicht stieg und ich bei jedem Zug ein Brennen an den Mandeln fühlte, als ob sie mit einem glühenden Holzscheit berührt worden wären. Mit der Gewissenhaftigkeit, mit der man ein Gelübde erfüllt, rauchte ich die Zigarette ganz zu Ende. Und ich rauchte noch viele andere während der Krankheit, jedes Mal unter fürchterlichen Schmerzen. Ich finde, eine Zigarette hat einen intensiveren Geschmack, wenn es die letzte ist. Auch die anderen haben ihren besonderen Geschmack, aber weniger intensiv. Die letzte bezieht ihre Würze aus dem Gefühl des Sieges über sich selbst und aus der Hoffnung auf eine baldige Zukunft voller Kraft und Gesundheit."

    Jahrelang ist Cosini damit beschäftigt, seine letzte Zigarette zu rauchen, auf die eine allerletzte folgt und dann wieder eine erste, mit der er seinen Vorsatz genüsslich außer Kraft setzt. Ähnlich verführerisch wie Nikotin wirken fremde Frauen auf den verheirateten Müßiggänger, der wegen seines Erbes zu keinem Broterwerb gezwungen ist und sich die Zeit mit komplizierten Liebschaften vertreibt. Er laviert zwischen Gattin und Geliebter hin und her, führt diese oder jene Begründung an, äußert diese oder jene Erklärung und kommt doch nie zu einer Entscheidung. Wie beim assoziativen Sprechen in der Psychoanalyse bewegt sich auch Cosini in seinen Ausführungen spiralförmig voran, umkreist die Kernpunkte seines Lebens und liefert überraschende Verknüpfungen. Die Methodik der Redekur von Sigmund Freud dient Italo Svevo als Konstruktionsprinzip seines Romans. Er ist der erste italienische Schriftsteller, der die glucksenden Tiefenschichten des Unbewussten, die unheimliche Nebenwelt mit all ihren Effekten auf das Alltagsverhalten literarisch verarbeitet, freilich nicht ohne Ironie. Durch seinen Schwager, der sich 1911 zu Freud in die Behandlung begibt und mit der Diagnose "unheilbar" nach Triest zurückkehrt, lernt Svevo die Schriften des Wiener Arztes kennen. Er sieht sich mit einer Theorie jener seelischen Prozesse versorgt, die ihn seit jeher beschäftigen. Seinen Helden Zeno Cosini gestaltet er als einen grandiosen Hypochonder. Eines Abends begegnet Cosini einem alten Studienkollegen und führt ein folgenreiches Gespräch:

    "Tullio hatte wieder angefangen, von seiner Krankheit zu erzählen, die auch sein wichtigster Zeitvertreib war. Er hatte die Anatomie des Beins und des Fußes studiert. Lachend erzählte er mir, dass man beim schnellen Gehen für einen Schritt nicht mehr als eine halbe Sekunde benötige, und dass sich in dieser halben Sekunde nicht weniger als vierundfünfzig Muskeln in Bewegung setzen würden. Ich staunte, und sofort lief ich in Gedanken zu meinen Beinen, um dort nach diesem ungeheuerlichen Apparat zu suchen. Ich glaube, ich habe ihn gefunden. Natürlich stieß ich dabei nicht auf vierundfünfzig Einzelvorrichtungen, sondern auf einen immens komplizierten Mechanismus, der, sowie ich meine Aufmerksamkeit darauf richtete, aus seinem geregelten Gang geriet. Ich verließt das Café hinkend, und ein paar Tage lang hinkte ich auch weiterhin. Das Gehen war für mich zu einer schweren und auch leicht schmerzhaften Arbeit geworden."

    Mit Zeno Cosini hat Italo Svevo einen Helden erfunden, der nicht nur dauernd von eingebildeten Krankheiten überfallen wird - er ist auch sonst ein Schauspieler und schlüpft abwechselnd in verschiedene Rollen. Mal versucht er sich als treusorgender Gatte und zärtlicher Familienvater, mal als heißblütiger Geliebter oder Retter des abtrünnigen Schwagers. Lügen sind meistens bequemer als die Wahrheit, und das Spiel mit verschiedenen Identitäten ist Italo Svevo aus seinem eigenen Leben wohl vertraut. Italo Svevo heißt im bürgerlichen Alltag nämlich Ettore Schmitz und ist Kaufmann von Beruf. Weil der Vater in finanzielle Schwierigkeiten gerät, muss er als junger Mann eine Stelle in der Wiener Union-Bank antreten, seine große Leidenschaft gehört jedoch der Literatur, die er wie ein heimliches Laster betreibt. Mit 37 Jahren denkt sich der Bankangestellte das Pseudonym Italo Svevo aus und veröffentlicht 1892 auf eigene Kosten den Roman Ein Leben. Italienischer Schwabe lautet die wortwörtliche Übersetzung des klangvollen Namens, in dem sich die deutsch-jüdische Herkunft mit der italienischen Existenz verbindet. Seine Familie ist vollständig italienisiert, aber kulturell fühlt sich Svevo auch durch Deutschland geprägt, wo er die Handelsschule besuchte. In Italien geht das kühl erzählte Debüt - der erste Angestelltenroman der Literaturgeschichte - sang- und klanglos unter. Sechs Jahre später unternimmt Svevo einen zweiten Versuch und veröffentlicht Senilità - Ein Mann wird älter. "Er wich allen Gefahren aus, aber auch allen Genüssen - dem Glück" heißt es dort über den Provinzschriftsteller Emilio Brentani, und Svevo scheint genau diesen Fehler nicht machen zu wollen. Als Ein Mann wird älter den italienischen Rezensenten nicht einmal ein Naserümpfen wert ist, schwört Svevo seinen künstlerischen Ambitionen gekränkt ab, heiratet die Fabrikantentochter Livia Veneziani und wird Industrieller im Unternehmen des Schwiegervaters. Einen ganz ähnlichen Pragmatismus legt auch sein Held Zeno Cosini an den Tag - natürlich geht bei ihm längst nicht alles so glatt, wie bei seinem Erfinder. Cosini wandelt auf Freiersfüßen und beschließt, die Schönste der vier Malfenti-Schwestern zu erobern. Leider ist ihm entgangen, dass die hübsche Ada ein Auge auf den smarten Guido geworfen hat. Als im Hause Malfenti eines Abends Tischrücken veranstaltet wird und der Salon in Dunkelheit getaucht ist, schreitet Cosini zur Tat.

    "Wieder sprach Guido: "Ich bitte euch, sammelt euch. Bittet nun den Geist, den ihr angerufen habt, sich durch Rücken des Tischchens zu manifestieren". Ich war froh, dass er sich weiterhin mit dem Tischchen befasste. Mittlerweile war klar, dass Ada sich darin ergab, fast mein ganzes Gewicht zu tragen! Wenn sie mich nicht lieben würde, hätte sie mich nicht ertragen. Die Stunde der Klarheit war gekommen. Ich nahm die rechte Hand vom Tisch und legte ihr ganz sachte den Arm um die Taille: "Ich liebe Sie, Ada!" sagte ich leise und näherte mein Gesicht dem ihren, um besser gehört zu werden. Das Mädchen antwortete nicht gleich. Dann sagte sie, mehr gehaucht als gesprochen, jedoch mit Augustas Stimme zu mir: "Warum sind sie solange nicht gekommen?" Vor Überraschung und Unwillen wäre ich fast vom Stuhl gefallen."

    Natürlich landet Cosini dann doch bei der gutmütigen Augusta, denn Ada weist seinen Antrag zurück und auch die zweite Wahl, die jüngere Schwester Alberta, will von einer Ehe mit dem gelangweilten Bourgeois nichts wissen. Eher erschöpft als wirklich überzeugt, beugt sich Cosini seinem Schicksal und verlobt sich mit Augusta. Schließlich wollte er heiraten, und davon lässt er sich nicht mehr abbringen. - Immer wieder erzählt Svevo von Lebenssituationen, die eigentlich tragisch oder dramatisch sein müssten und doch nur komisch wirken. Cosini stolpert wie ein italienischer Buster-Keaton von Missgeschick zu Missgeschick, mehr als einen Slapstick bekommt er kaum zustande und in eine wirkliche Krise gerät er dabei nie. Statt auf die Abweisung der geliebten Ada mit Verzweifelung zu reagieren, fühlt sich der Bräutigam in spe nur verwirrt und taumelt zur nächsten verfügbaren Frau. Statt sich des Ausmaßes seiner Leere bewusst zu werden, als er sich eine Geliebte zulegt, sorgt er sich um die organisatorischen Feinheiten seines Tageslaufs. Vor allem sieht er immer nur sich selbst:

    "Für mich und meine Gesundheit wäre es sehr schlimm gewesen, wenn sich meine ganze lange Beziehung zu Carla in einer ewigen Erregung abgespielt hätte. Dank der Wirkungsweise des Schönen verlief von diesem Tag an alles ruhiger, mit den leichten Unterbrechungen, die nötig waren, um sowohl meine Liebe zu Carla als auch die zu Augusta wiederzubeleben. Zwar bedeutete jeder Besuch bei Carla einen Betrug an Augusta, aber bald war alles in einem Bad von Gesundheit und guten Vorsätzen vergessen. Und der gute Vorsatz war nicht brutal und erregend wie früher, als ich daran herumwürgte, Carla zu erklären, dass ich sie nicht wiedersehen würde. Ich war sanft und väterlich."

    Svevos großartiger Roman präsentiert sich als Selbstanamnese, als Krankenbericht aus der Feder eines Patienten, der sich 600 Seiten lang etwas vormacht und dem Leser gleich einen ganzen Katalog an Lebenslügen und Ausflüchten auftischt. Auch 77 Jahre nach ihrem Erscheinen hat die abgründige Charakterstudie keine Patina angesetzt. Ohne dass je von Projektion oder Verdrängung die Rede wäre, sind die psychischen Prozesse der Dreh- und Angelpunkt des Werkes, versinnbildlicht durch innere Monologe, kalkulierte Abschweifungen und Fehlleistungen.

    Der behäbige Cosini ist eine Art Walross, ein personifizierter Widerstand, der alles niedermäht. Ein unheilbarer Fall von Narzissmus und Hypochondrie hätte die Diagnose des behandelnden Arztes vermutlich gelautet, aber das Faszinierende besteht ja gerade in der Absenz einer Deutung. Auf den ersten Blick scheint Zenos Gewissen ein einfacher, ein amüsanter Roman zu sein, ungleich zugänglicher als Kafka, Musil oder Proust. Aber das ist nur die plappernde Oberfläche. Die Irritation wirkt in den Tiefenschichten des Textes. Wie für einen Psychoanalytiker gilt für den Leser das Gebot des dritten Ohres: man muss es aufsperren, um die Untertöne zu vernehmen und das Ungesagte zu erraten, denn Cosini gleitet lächelnd über alles hinweg. Und darin liegt das Befremdliche: Zeno Cosini empfindet keinen Schmerz, keinen Leidensdruck. Er taktiert mit möglichen Schmerzen, ohne sie je zu erahnen: sein Eheglück erscheint ihm umso süßer, je stärker er es durch Affären in Gefahr bringt, die Geliebte umso reizender, je dringender er die Notwendigkeit einer Trennung erwägt. Der ältliche dicke Familienvater ist von einer gespenstischen Gleichgültigkeit. Er weiß nicht, was Leid und Trauer sind und kennt darum auch kein Glück, seine Tiefe ist ihm verlustig gegangen. Deshalb kapriziert er sich auf nicht vorhandene körperliche Schmerzen und beschäftigt eine ganze Kompanie von Ärzten - die Sorge um die physische Versehrtheit ist Ausdruck der psychischen Fragmentierung. Wie ein leises Geräusch rumort das Unbehagen in Svevos drittem Roman herum, ein basso continuo unterhalb der Redeschicht. Zeno selbst merkt davon natürlich nichts - im Gegenteil. Gegen Ende des Romans wendet er sich triumphierend an den ehemaligen Analytiker:

    "Dem Herrn Dr. S. will ich doch meine Meinung sagen. Ich habe so lange darüber nachgedacht, dass ich jetzt ganz klare Vorstellungen habe. Einstweilen glaubt er noch, hier weitere Eingeständnisse von Krankheit und Schwäche zu erhalten, dagegen wird er die Schilderung einer soliden, vollkommenen Gesundheit erhalten, soweit mein reichlich fortgeschrittenes Alter das erlaubt. Ich bin geheilt! Ich will nicht nur keine Psychoanalyse machen, sondern ich brauche sie auch nicht. Und meine Gesundheit kommt nicht nur daher, dass ich mich inmitten so vieler Geplagter als privilegiert empfinde. Ich fühle mich nicht relativ gesund. Ich bin absolut gesund."

    "La coscienza di Zeno" - das in der deutschen Neuübersetzung leider den Titel Zenos Gewissen trägt statt Zenos Bewusstsein - entsteht nach einer 25jährigen Publikationspause. Ohne seinen Englischlehrer hätte sich Italo Svevo vermutlich nie zu seinem Alterswerk aufgerafft. Wegen ausländischer Geschäftsverbindungen muss der Industrielle 1906 Privatstunden nehmen und engagiert einen ortsansässigen Iren: es ist James Joyce. Ihm vertraut er die verstaubten Romane aus seiner frühen Schaffenszeit an, Joyce ist begeistert und ermutigt ihn zu neuen Projekten. Als 1923 auch Zenos Gewissen unterzugehen droht, vermittelt der irische Freund den Kontakt zu französischen Kritikern, die Svevo sofort zum bedeutendsten italienischen Romancier der Gegenwart küren. Es folgt ein Streit mit den italienischen Kollegen, der verkannte Schriftsteller wird zu einem literarischen Fall, il caso Svevo ist bald in aller Munde.

    In der italienischen Literatur stellt Italo Svevo eine Schnittstelle dar. Er verknüpft französische und deutsche Einflüsse und prägt einen psychologischen Realismus, der trotz thematischer Affinitäten weit über Pirandello hinausgeht. Der Triestiner trägt den kalten Wind der Moderne nach Italien, seine Romane vibrieren vor Ironie. Nicht nur multiple Identitäten kommen bei ihm vor - das Unbewusste wird zum strukturierenden Element seiner Prosa, die sichtbare Wirklichkeit entpuppt sich als Staffage, dahinter offenbaren sich die labyrinthischen Verzweigungen der inneren Welten. Svevos Helden verheddern sich in dem Knäuel ihrer sentimentalen Bindungen und setzen ganze Täuschungsmaschinerien in Gang, nur um sich selbst nicht auf die Spur zu kommen:

    "Das wäre ja noch schöner, wenn jemand mich ernsthaft auffordern wollte, in einen halb bewussten Zustand zu verfallen, um auch nur eine Stunde meines vorigen Lebens noch einmal durchleben zu können. Ich würde ihm ins Gesicht lachen. Wie kann man sich von einer solchen Gegenwart abwenden, um auf die Suche nach völlig belanglosen Dingen zu gehen? Mir scheint, erst jetzt habe ich meine Gesundheit und meine Krankheit endgültig losgelassen."

    Hierzulande waren die Konfessionen Cosinis bisher in der Übersetzung von Piero Rismondo verfügbar, der den Roman in ein geschmeidiges, elegantes und manchmal etwas altväterliches Deutsch übertragen hatte. Wie immer bei vertrauten Klassikern muss man sich an den Ton einer neuen Übersetzung erst gewöhnen. Barbara Kleiners Fassung lehnt sich enger an das Original an und ahmt die Sperrigkeit des Svevoschen Italienisch nach, dem man den Bürokontor immer ein bisschen anmerkt. Svevos eigenwilliger Satzrhythmus, der ungewöhnliche Gebrauch der Präpositionen und des Konjunktivs, die für das italienische Ohr falsche Verwendung der Hilfsverben hängen mit seiner triestinschen Herkunft zusammen und machen seine Eigenart aus. Innovativ ist Svevo, wie sprachwissenschaftliche Studien gezeigt haben, allerdings gerade nicht - die großen Erneuerer des Italienischen sind Verga, Tozzi und etwas später Gadda. Deshalb hätte man in manchen Fällen ruhigen Gewissens etwas freier übersetzen können - vor allem die syntaktische Treue wirkt mitunter allzu hölzern. "Ma ancora oggidì, che ne scrivo, se qualcuno mi guarda quando mi movo, i cinquantaquattro movimenti s'imbarazzano ed io sono in procinto di cadere", heißt es, als Zeno von seinem plötzlich auftretenden Hinken berichtet. Barbara Kleiner übersetzt: "Aber noch heute, da ich darüber schreibe, geniert es die vierundfünfzig Bewegungsabläufe, wenn mir wer beim Gehen zuschaut, und ich bin drauf und dran hinzufallen". Rismondo macht es sich leicht und kürzt - wie so oft - ein bisschen: "Heute noch geraten die vierundfünfzig Bewegungsabläufe durcheinander, wenn mich jemand beim Gehen beobachtet. Dann bin ich nahe daran zu fallen." Jemand für qualcuno klingt zweifellos besser als wer, aber die typisch Svevoschen Einfügungen und Schlenker gehören nun mal dazu und allein deshalb ist Kleiners Version vorzuziehen.

    In einer Zeit, in der jeder halbwegs beschlagene Romancier Kindheitstraumata zum Ausgangspunkt seines Schreibens macht, jeder Talkmaster ungeniert von "Verdrängung" und "Projektion" spricht und jeder Angestellte sich einer Psychotherapie unterzieht, sollte man auf die Klassiker der Seelenzergliederung zurückkommen. Italo Svevo ist einer der besten.